VG Magdeburg, Urteil vom 26.07.2011 - 9 A 346/10
Fundstelle
openJur 2013, 46821
  • Rkr:

Pflicht zum Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO bei an sich bestehender Zuständigkeit von Italien

Tatbestand

Die Kläger begehren die Verpflichtung der Beklagten, für sie ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen.

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige und über Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurden, in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie stellten unter dem 09.09.2010 in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag.

Die Beklagte ersuchte unter dem 25.10.2010 Italien gemäß Art. 10 Dublin II-VO um Übernahme der Kläger. Mit Schreiben vom 08.11.2010 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger.

Mit Bescheid vom 25.11.2010 stellte die Beklagte fest, dass die Asylanträge der Kläger unzulässig seien und ordnete die Abschiebung nach Italien an.

In einem von den Klägern angestrengten Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz hat das Gericht die Abschiebung nach Italien ausgesetzt. Die Kläger sind weiter der Ansicht, sie könnten wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien, die es nahelege, dass Asylverfahren in Italien nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden könnten, nicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien verwiesen werden.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25.11.2010 zu verpflichten, auf die Asylanträge der Kläger für diese Asylverfahren durchzuführen,

sowie ihnen Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, Italien erfülle die Mindeststandards der Europäischen Union. In italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisteten. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Falle von Griechenland gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen die Abschiebemöglichkeit nach Italien bejahende Entscheidungen erstinstanzlicher Gerichte nicht zur Entscheidung angenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen, diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Antragsteller haben einen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland, denn ihnen kann die Durchführung des Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden. Der insoweit ergangene Bescheid der Beklagten vom 25.11.2010 ist rechtswidrig.

Die Kläger haben einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003) folgenden Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführt. Das insoweit bestehende Ermessen (vgl. VG Frankfurt, U. v. 08.07.2009, 7 K 4376/07.F.A, S. 10 EA, zitiert nach juris, m.w.N.) ist vorliegend auf Null reduziert.

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, wobei grundsätzlich gemäß Kapitel III, Art. 10 der Dublin II-VO der Staat zuständig ist, dessen Grenze illegal überschritten wurde. Dies wäre vorliegend Italien. Die möglichen Ausnahmen nach den übrigen Regelungen des Kapitels III der Dublin II-VO liegen ersichtlich nicht vor. Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO kann ein Mitgliedstaat indes einen Asylantrag prüfen, selbst wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht dafür zuständig ist. Das insoweit bestehende Ermessen ist indes jedenfalls dann auf Null reduziert ist, wenn ein Verweisen auf den Staat der Einreise die Durchführung eines richtlinienkonformen Asylverfahrens nicht gewährleistet (vgl. VG Frankfurt, U. v. 08.07.2009, 7 K 4376/07.F.A., S. 14 EA). Denn andernfalls läge ein Verstoß gegen Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vor, welche zwar nicht Teil des Vertrags von Lissabon ist, indes durch Art. 6 dieses Vertrages für alle Länder, ausgenommen das Vereinigte Königreich und Polen für bindend erklärt wurde. Nach Art. 18 der Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28.Juli 1951 und des Protokolls vom 31.Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der europäischen Gemeinschaft gewährleistet. Aus diesem Grund muss jeder Mitgliedstaat, um diesem Anspruch gerecht zu werden, das Asylverfahren dann selbst durchführen, wenn das in Richtlinien statuierte formelle oder materielle Asylrecht in einem Mitgliedstaat nicht zur Anwendung gelangt (so auch VG Frankfurt, a. a. O., S. 14).

Bei einer Durchführung des Asylverfahrens in Italien kann nicht gewährleistet werden, dass den Klägern ein richtlinienkonformes Verfahren zugänglich gemacht wird. Das Schutzniveau, welches die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) insbesondere in Art. 28 (Sozialleistungen) und in Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) festlegt, kann dort ebenso wenig gewährleistet werden wie ein richtlinienkonformes Asylverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003. Ferner wird gegen die Aufnahmerichtlinie, Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2001 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern verstoßen. Ebenso bestehen erhebliche Bedenken, ob ein Zurückschicken der Kläger nicht ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte. Dabei meint das Gericht, dass nicht darauf abzustellen ist, welche abstrakte Rechtslage in Italien herrscht, also ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, vielmehr sind die konkreten Verhältnisse in den Blick zu nehmen (vgl. auch VG Arnsberg, B. v. 18.03.2011, 8 L 92/11.A, asyl.net; VG Frankfurt, a. a. O., S. 15). Hier ergibt sich, dass die Kläger mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen bei einer Rückschiebung nach Italien zu rechnen haben, weil die Erfüllung ihrer notwendigen Lebensbedürfnisse nicht gesichert ist.

Wenngleich ein Bericht des UNHCR zu Italien nicht vorliegt, was die Beklagte richtig anführt, so ergibt sich doch aus anderen Erkenntnisquellen zur Überzeugung des erkennenden Gerichts, mit der notwendigen Deutlichkeit die Lage von Flüchtlingen in Italien. Das Gericht bezieht seine Überzeugung im Wesentlichen aus dem Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender "Zur Situation von Flüchtlingen in Italien" vom 28.02.2011 und dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu "Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien". Beide Berichte fußen auf eigenen Beobachtungen der den Bericht verfassenden Personen, die Italien bereist haben und dort nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Behördenvertreter, Vertreter von Hilfsorganisationen etc. getroffen und befragt haben. Beide Berichte kommen zu sehr ähnlichen Ergebnissen und sind ausgewogen, sie stellen die Bemühungen Italiens, die positiven Entwicklungen, die an sich an vielen Stellen zureichenden Rechtsnormen ebenso dar, wie die erheblichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung und die Probleme, die sich insbesondere aus fehlenden Unterkunftsmöglichkeiten ergeben.

Der Mangel, der in Italien am meisten ins Auge sticht, ist der Mangel an Unterkünften und mit diesem das Fehlen der Sicherung elementarer Lebensbedürfnisse. Theoretisch haben Asylsuchende auch in Italien einen rechtlich gesicherten Anspruch auf Unterkunft, wie auch die Beklagte zu Recht ausführt. Entsprechende Normen existieren und es gibt auch, je nach Stand des Asylverfahrens nach den übereinstimmenden Auskünften bestimmte Wohnheime. So gibt es Aufnahme- und Registrierungszentren, sog. CARAs mit einer Aufnahmekapazität von insgesamt 2000 Plätzen, die der ersten Aufnahme dienen, sowie kleinere Zentren mit besseren Aufnahmebedingungen und Integrationsmöglichkeiten, die sog. SPRAR mit eine Aufnahmekapazität von etwa 3000 Plätzen (vgl. hierzu Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, S. 5). Auch sog. Dublin-Rückkehrer haben theoretisch einen Anspruch auf Unterbringung in einer Unterkunft. Indes landen nach der Auskunftslage viele Asylsuchende - auch Rückkehrer - in der Obdachlosigkeit (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, S. 38, welche auf den Bericht einer EU-Kommission verweist, die bereits 2007 entsprechende Feststellungen getroffen hat, vgl. unten). Dies liegt an viel zu geringen Aufnahmekapazitäten (vgl. Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, S. 20). Ausweislich des Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (dort S. 20) bieten zwar Sozialdienste der Gemeinden, lokale NGO`S oder kirchliche Organisationen Notschlafplätze an, was auch die Beklagte anführt, auch diese Kapazitäten sind indes diesen Auskünften zufolge, sehr beschränkt. Die Auskünfte kamen unter Mitarbeit der auch von der Beklagten angeführten Hilfsorganisationen zustande, so dass das Argument der Beklagten, Hilfsorganisationen, glichen die mangelnden staatlichen Unterkunftsmöglichkeiten aus, offensichtlich nicht zutreffend ist. Die Berichte beschreiben anschaulich, dass in der Folge viele Flüchtlinge in Kartonunterlagen schlafen, weder Toiletten noch Wasser hatten, ihre Habseligkeiten in Plastiksäcken mit sich trugen und in der ständigen Angst lebten, nachts ausgeraubt oder vergewaltigt zu werden. In dieser Situation befänden sich auch Dublin-Rückkehrer, eine Rücknahme sieht die Schweizerischen Flüchtlingshilfe (S. 39) daher nur dann als tragbar an, wenn der entsendende Staat sicherstelle, dass den Zurückgeschickten sämtliche Rechte der Aufnahmerichtlinie gewährt würden. Ferner merkt der Bericht an, dass in jedem Fall ein Anspruch auf Unterkunft ohnedies nur bis zum erstinstanzlichen Entscheid bestehe, Menschen mit einem Schutzstatus hätten solche Ansprüche gar nicht. Nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe laufen Flüchtlinge in Italien Gefahr, in extremer Armut zu leben und ihre grundlegenden Lebensbedürfnisse nicht decken zu können, ähnlich der Lage, die der EGMR im Urteil M.S.S. gegen Belgien und Griechenland festgestellt und als Verstoß gegen Art. 3 EMRK gewertet habe. Insoweit wird den italienischen Behörden auch bescheinigt, sie ließen keine Bemühungen zur Verbesserung der Situation erkennen (S. 41).

In gleicher Weise schätzt der Bericht von Bethke und Bender ein, dass 88 % der Dublin-Rückkehrer der Obdachlosigkeit überlassen wurden und verweist insoweit umfangreich auf Zahlenmaterial italienischer Stellen (vgl. S. 23 des Berichts). Auch dieser Bericht verweist auf die Gefahren der Obdachlosigkeit, wie insbesondere die nächtlichen Überfälle und sexuelle Übergriffe (S. 19).

Hinzu kommt vorliegend, dass es sich bei der Klägerin zu 1. bei Rückkehr nach Italien um eine allein erziehende Mutter mit 5 Kindern handelt, also um eine sog. verletzliche Person. Wenngleich diese in Italien ggf. eine größere Chance darauf hat, zunächst eine Unterkunft zu erhalten, so ist auch dies in keinem Fall gesichert. Vielmehr lässt sich dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe entnehmen, dass auch dieser Personenkreis nach Ablauf bestimmter Fristen und häufig vor Abschluss des Verfahrens die Aufenthaltszentren verlassen muss. Gerade diese Personen könnten häufig nicht für sich selbst sorgen und müssten auf der Straße leben, in extremer Armut unter "unmenschlichen Bedingungen und ohne Aussicht auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände" (S. 25).

Die Einschätzung der vorgenannten Berichte wird gestützt insbesondere durch eine Stellungnahme der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht vom November 2009 zur "Rückschaffung in den sicheren Drittstaat Italien". Danach waren bereits damals die Aufnahmekapazitäten Italiens zur Unterbringung von Asylsuchenden völlig überlastet. Die Zahl der Asylsuchenden betrug das Zehnfache der Aufnahmekapazität, was es nach dem Bericht mit sich brachte, dass Asylsuchende in der Mehrzahl ohne Obdach blieben und Zustellungen im Rahmen des Asylverfahrens nicht dergestalt erfolgen könnten, dass sie den Asylsuchenden erreichten. An dieser Einschätzung hält die vorgenannte Stelle auch heute noch fest, wie sich ihrem Internetauftritt entnehmen lässt (www.beobachtungstelle.ch./fileadmin/user..../Bericht Dublin II-Italien.pdf).

Das Gericht ist der Auffassung, dass nicht mit Erfolg darauf verwiesen werden kann, auch italienischen Staatsbürgern stünden keine Sozialleistungen zu (so aber VG Regensburg, B. v. 12.05.2011, RO 7 E 11.30208). Zwar ist es zutreffend, dass die Richtlinie 2004/83/EG in Art. 28 Abs. 2 für Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, die Möglichkeit vorsieht, die notwendige Sozialhilfe auf die Kernleistungen zu beschränken, die der Staat im gleichen Umfang für eigene Staatbürger gewährt. Offensichtlich setzt die Richtlinie indes voraus, dass Sozialleistungen gewährt werden, d.h. ein Staat, der seinen eigenen Bürgern keine Sozialleistungen gewährt, kann sich darauf wohl nicht berufen. Kernleistungen müssen vielmehr erbracht werden. In jedem Fall müssen Leistungen dann erbracht werden, wenn andernfalls Menschenrechte verletzt würden. Dementsprechend sieht auch die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2001 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (sog. Aufnahmerichtlinie) in Art. 14 die Unterbringung von Asylbewerbern in Unterbringungszentren mit angemessenem Standard vor, ohne dass dies in irgendeiner Weise eingeschränkt würde. Bereits im Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 26.11.2007 wurde unter Ziffer 3.3.2 festgestellt, dass Italien sich auch in Bezug auf die notwendige Anzahl von Unterbringungsplätzen nicht an die Vorschriften dieser Richtlinie hält. Die EU selbst meint somit wohl nicht, dass Italien hier aus der Verantwortung entlassen werden kann. Wenn andere Richtlinien den Schutz dahingehend einschränken, dass die Grenze der Ansprüche der Asylbewerber der Anspruch der eigenen Staatsbürger sei, so ist dies, wie oben bereits ausgeführt, im Lichte der Menschenrechte, insbesondere der EMRK selbstverständlich dahingehend einzuschränken, dass menschenunwürdige Bedingungen durch den Staat nicht geschaffen werden dürfen. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil vom 21.01.2011 Griechenland wegen menschenunwürdiger Zustände im griechischen Asylwesen verurteilt und in diesen Zuständen einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK (und Art. 13 EMRK) gesehen (vgl. Urt. EGMR M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, vom 21.01.2011). Dort hatte der Kläger unter anderem berichtet, er habe nach dem Aufenthalt in einem Haftzentrum, in dem unhaltbare Zustände herrschten, auf den Straßen Athens leben müssen, dort Monate in Obdachlosigkeit und extremer Armut verbracht, ohne die Möglichkeit elementare Bedürfnisse aus eigener Kraft zu stillen, Verhältnisse, die nach Ansicht des EGMR Art. 3 EMRK verletzten.

Das Gericht ist sich bewusst, dass mit seiner Entscheidung ein weiteres EU-Land als Aufnahmeland für Asylbewerber wegfällt, was zu Mehrbelastungen der übrigen EU-Länder führt, eine Lage, die ohne Zweifel tatsächlich misslich ist. Es gibt indes keinen Rechtssatz, nach dem "nicht sein kann, was nicht sein darf", tatsächlich bestehende Probleme sind zu benennen und dann politisch zu lösen.

Dementsprechend meint das Gericht auch nicht, dass den verwendeten Berichten entgegengehalten werden kann, Italien könne nach Einschätzung der EU-Mitglieder durchaus ohne der Hilfe zu bedürfen, die Vielzahl der derzeit aus Nordafrika kommenden Flüchtlinge aufnehmen (vgl. etwa ZeitOnline, April 2011 "Flüchtlingsfrage Italien gegen den Rest Europas"; Neues Deutschland über ag friedensforschung, 29.04.2011 "Roms Flüchtlingspolitik am Pranger"). Das Gericht bringt sich in die theoretische Diskussion, ob dies möglich ist, nicht ein. Es bewertet allein, ob Italien sich seiner Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen tatsächlich stellt und dies tut es nach der Überzeugung des Gerichts unfraglich nicht. Ob dahinter die Hoffnung Italiens steckt, auf diese Art und Weise Flüchtlinge an Nachbarländer "abgeben" zu können, ist rechtlich für das vorliegende Verfahren unerheblich, auch dies möge im politischen Raum geklärt werden.

Ferner ist die Überstellung nach Italien vorliegend auch deshalb ausgeschlossen und damit die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland gegeben, weil die Zuständigkeit wegen Fristablaufs auf die Bundesrepublik übergegangen ist. Gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten durchgeführt wird. Diese Frist ist, da das Übernahmeersuchen durch Italien am 08.11.2010 angenommen wurde, im Mai 2011 abgelaufen. Eine Verlängerung, die nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO möglich ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Die Frist verlängert sich auch nicht, weil das Gericht einem Eilantrag der Kläger stattgegeben hat, denn diese Aussetzung erfolgte nicht aufgrund eines im Asylverfahren vorgesehenen Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung, was nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO von Bedeutung wäre, vielmehr sieht das Asylrecht in § 34 a AsylVfG gerade einen Ausschluss des Eilrechtsschutzes vor. Insoweit schließt sich das Gericht der Rechtsprechung anderer erstinstanzlicher Gerichte (VG Düsseldorf, U.v. 15.01.2010 m.w.N., 11 K 8136/09.A; VG Wiesbaden, Gerichtsbescheid vom 10.08.2010, 2 K 207/09.WI.A) an.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Den Klägern war wegen der bestehenden Erfolgsaussichten Prozesskostenhilfe zu gewähren, §§ 166 VwGO, 114 ZPO.