OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.03.2013 - 17 U 175/12
Fundstelle
openJur 2013, 27432
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 6. Juni 2012 - 1 O 174/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 181.840,18 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kläger nehmen die beklagte Vertriebsgesellschaft mit der Behauptung einer Falschberatung auf Ersatz des Schadens in Anspruch, der ihnen aufgrund eines Immobilienanlagegeschäfts entstanden ist.

Die Kläger wurden im Dezember 2008 von dem Vertriebsmitarbeiter der Beklagten, dem freien Handelsvertreter G., nach dem Vortrag der Kläger unter Vorlage einer Musterberechnung (Anlage K 2), dazu bestimmt, eine Eigentumswohnung in einem denkmalgeschützten und zu renovierenden Gebäude in L. von der L.-Gesellschaft für Altbausanierung mbH zu erwerben. Den Kaufpreis finanzierten auf Vermittlung einer mit der Beklagten kooperierenden weiteren Vermittlungsgesellschaft die D. (Anlage K 3) und die L. B. AG (Anlage K 4). Letzteres Darlehen wurde zum 30.06.2011 auf die D. B. B. umgeschuldet (Anlagen K 14 und 15).

Die Kläger haben vorgetragen, der Anlagevermittler G. habe ihnen vorgerechnet, die Finanzierung der Kapitalanlage lohne sich wegen der erheblichen Steuervorteile, die dazu führen würden, dass auf die Anleger keine höheren Belastungen als 12 EUR/Monat zukämen. Sie verlangen von der Beklagten im Wege des Schadensersatzes Zahlung der bisherigen Zins- und Tilgungsleistungen einschließlich der ihnen entstandenen Erwerbskosten (insgesamt 20.540,18 EUR), Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten und Freistellung von künftigen Darlehensverbindlichkeiten sowie Feststellung der Pflicht zum Ersatz weiteren Schadens aus der Objektvermittlung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Anhörung der Kläger und Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen D. G. der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Es hat sich dabei an der Rechtsprechung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes orientiert und zugrunde gelegt, dass zwischen den Parteien jedenfalls ein Anlagevermittlungsvertrag zustande gekommen sei. Die hieraus resultierende Aufklärungspflichten habe die Beklagte verletzt, weil sie in der Person des Zeugen D. G. oder des Mitarbeiters E. den Klägern die inkorrekte Modellberechnung ohne die gebotene Überprüfung vorgelegt und zur Herbeiführung des Anlageentschlusses verwendet habe. Denn die Modellberechnung lasse die Anleger im Unklaren darüber, dass bei dem zweiten Finanzierungsdarlehen (L.) monatliche Tilgungsleistungen von 130 bis 200 EUR hinzukommen würden. Eine Haftung der Beklagten ergäbe sich auch aus der Finanzierungsvermittlung selbst, die der Mitarbeiter der Beklagten E. vorgenommen habe. Hierdurch sei die Pflicht der Beklagten zur richtigen Mitteilung der Darlehenskonditionen und der daraus folgenden Zins- und Tilgungsraten erwachsen. Die Beklagte müsse sich daher die Falschberatung über die Höhe der monatlichen Belastung als eigenes Verschulden zurechnen lassen. Die formularmäßige Haftungsfreizeichnung in der Modellrechnung sei unwirksam.

Dagegen wendet sich die Beklagte, die mit der Berufung ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiterverfolgt. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei die Schadensersatzklage nicht begründet. Angesichts von mehreren in Betracht kommenden Varianten der Naturalrestitution fehle es bereits an dem Rechtsschutzbedürfnis für den konkret von den Klägern geltend gemachten Anspruch. Das Urteil berücksichtige auch nicht, dass die Beklagte Lastenfreiheit bezüglich des Zug um Zug zu übertragenden Grundstücks beanspruchen könne. Im Übrigen greift die Beklagte die Beweiswürdigung des Landgerichts an. Der Zeuge G. habe den Vortrag der Klägerseite nicht bestätigt. Die Kläger hätten schon nicht nachgewiesen, dass die vorliegende Musterberechnung tatsächlich bei der Anlagevermittlung benutzt worden sei. Auf ein Verhalten des Zeugen E. hätten sich nicht einmal die Kläger berufen. Daher hätte das Landgericht dieses ohne vorherigen Hinweis nicht seiner Entscheidung zugrunde legen dürfen. Sollte es darauf ankommen, werde die Vernehmung des Zeugen E. beantragt.

Die Kläger treten der Berufung entgegen und verteidigen das angefochtene Urteil. Es sei verfahrensfehlerfrei und inhaltlich richtig. Die Berufung fordere im Grunde lediglich eine andere Beweiswürdigung. Das sei ihr jedoch verwehrt. Die vom Landgericht gewonnene tatrichterliche Überzeugung vom Ablauf der Vermittlungsgespräche sei nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht gerechtfertigt. Zu Recht hat das Landgericht die Schadensersatzklage für begründet erachtet. Den Klägern stehen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche wegen Falschberatung gegen die Beklagte zu.

1. Gegen die vom Landgericht angenommene Haftungsgrundlage wendet sich die Berufung nur insoweit, als sie die vom Landgericht festgestellte Pflichtverletzung der Beklagten im Zusammenhang mit der Modellberechnung bekämpft. In diesem Punkt hat das Rechtsmittel keinen Erfolg (a). Der Senat folgt dem Landgericht darüber hinaus auch insoweit, als es eine vertragliche Informationshaftung der Beklagten zugrunde gelegt hat (b).

a) Die unter sorgfältiger Würdigung des Beweisergebnisses vom Landgericht getroffenen Feststellungen zur Unrichtigkeit des in der Musterberechnung angegebenen monatlichen Gesamtaufwands binden das Berufungsgericht gem. § 529 Abs. 1 ZPO. Die von der Berufung erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Der Berufung kann nicht gefolgt werden, wenn sie meint, die Kläger hätten nicht nachgewiesen, dass die Musterberechnung den Klägern von einem Mitarbeiter der Beklagten ausgehändigt und erläutert worden sei.

Vielmehr spricht dafür schon der Umstand, dass der Name der Kläger und das Kaufobjekt auf dem Titelblatt erscheinen. Daraus kann ohne weiteres geschlossen werden, dass die Berechnung individuell für die Kläger erstellt und zweifelsfrei auch übergeben worden ist. Dabei spielt es entgegen der Auffassung der Berufung keine Rolle, dass nicht exakt festzustellen war, ob dies der Zeuge G. oder der Sohn der Geschäftsführerin der Beklagten getan hat. Die Beklagte muss sich das Verhalten beider Mitarbeiter zurechnen lassen. Auf dieser Rechtsgrundlage und wegen des möglichen alternativen Ablaufs der Beratungsgespräche im Hause der Beklagten bedurfte es der Vernehmung des Zeugen E. nicht. Es ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht dem Zeugen G. nicht darin gefolgt ist, er sei nur für die Besichtigungstermine zuständig gewesen und habe den Interessenten die Wohnungen nur gezeigt. Vielmehr durfte das Landgericht die Schilderung des Geschehensablaufes der Klägerseite dem Urteil gemäß § 286 ZPO zugrunde legen.

Die Berechnung war inhaltlich grob falsch, weil sie die monatliche Darlehensrate des zweiten Kredits der L. nicht enthielt, was jedem Berater ins Auge springen musste.

Nach alledem ist das Berufungsgericht an die vom Landgericht getroffenen Feststellungen gemäß § 529 Abs. 1 ZPO gebunden, weil Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen nicht bestehen.

b) Wegen dieser Falschberatung durch ihre Mitarbeiter haftet die Beklagte aus dem Gesichtspunkt der beratungsvertraglichen Pflichtverletzung.

Das Landgericht hat im Anschluss an die Rechtsprechung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (BGH WM 2011, 505 = NJW-RR 2011, 910) eine Verletzung des Beratungsvertrages mit der Begründung bejaht, zwischen den Parteien sei ein Anlagevermittlungsvertrag zustande gekommen. Diese von der Berufung nicht beanstandete Rechtsauffassung ist jedoch nicht zweifelsfrei, weil das Bestehen einer vertraglichen Informationspflicht zwischen dem Vermittler und dem Anlageinteressenten nicht ohne weiteres mit der Rechtsprechung des für Immobiliengeschäfte zuständigen V. Zivilsenats in Einklang zu bringen ist.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes geht in ständiger Rechtsprechung im Falle einer gewerblichen Immobilienvermarktung davon aus, dass ein Beratungsvertrag zwischen Verkäufer und Käufer zu Stande kommt, wenn der Verkäufer dem Käufer im Zuge eingehender Beratung einen ausdrücklichen Rat, z.B. durch Vorlage eines Berechnungsbeispiels über Kosten und finanzielle Vorteile des Erwerbs vorlegt (grundlegend BGHZ 140, 111, 115 = NJW 1999, 638 = WM 1999, 137; BGHZ 156, 371 = WM 2003, 2386). Danach besteht eine besondere vertragliche Beratungspflicht (vgl. bereits BGHZ 140, 111 unter III 2), die der Senat auch nicht an dem Umstand scheitern lässt, dass nicht der Verkäufer, sondern der Vertrieb das Berechnungsbeispiel erstellte und dem Erwerbsinteressenten erläuterte.

Nach der Konstruktion des V. Zivilsenats bringt auch ein Untervermittler den Beratungsvertrag unmittelbar zwischen den Kaufvertragsparteien nach den Grundsätzen der Stellvertretung zustande. Auch wenn es regelmäßig an einer ausdrücklichen Bevollmächtigung des Vermittlers fehle, mit den Kaufinteressenten einen Beratungsvertrag zu schließen, sei dennoch in diesen Fällen von einem Vertretergeschäft auszugehen. Mangels eigenen Auftrags des Anlageinteressenten an den Vermittler sei nämlich anzunehmen, dass dieser die Beratung im Namen des Verkäufers vornehme und damit in dessen Pflichtenkreis tätig werde, § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB (BGHZ 140, 111, 117; BGH NJW 2003, 1811, 1812; Czub, ZfIR 2007, 41, 49). Auch an einer Bevollmächtigung (durch schlüssiges Handeln) fehle es nicht, § 167 BGB. Hierfür seien keine strengen Anforderungen zu stellen. Vielmehr schließe die so genannte Verhandlungsvollmacht des Vermittlers auch eine stillschweigend erteilte Bevollmächtigung zum Abschluss des Beratungsvertrages mit dem Käufer ein, wenn sich im Rahmen der Herbeiführung des Vertragsabschlusses die Aufgabe der Beratung stelle und der Verkäufer dem mit den wesentlichen Vermittlungen betrauten Vertrieb dabei freie Hand gelassen habe (BGHZ 140, 111, 116; Urt. vom 06.04.2001 - V ZR 402/99, NJW 2001, 2021; ebenso Czub, ZfIR 2007, 41, 50). Schließlich stehe auch der Umstand, dass der Vertriebsauftrag an Dritte weitergegeben werde, einer stillschweigenden Bevollmächtigung des Vermittlers nicht entgegen, weil die Verkäuferin bei dem gewählten Vertriebsweg damit habe rechnen müssen, dass sich die Beauftragte weiterer Hilfspersonen (Mittelsleute) bedienen werde. Damit sei auch der Untervermittler als Erfüllungsgehilfe anzusehen, so dass die Verkäuferin ohne weiteres auch für dessen Verschulden nach § 278 BGB hafte (BGH NJW 2003, 1811, 1813; noch ohne Konstruktion eines Anlageberatungsvertrages wegen Verschuldens bei Vertragsschluss BGH, Urt. vom 24.11.1995 - V ZR 40/94, NJW 1996, 451 = WM 1996, 315).

Ist aber der Vermittler hiernach als Erfüllungsgehilfe des Verkäufers anzusehen, der im Pflichtenkreis des Anbieters der Vermögensanlage tätig wird, erscheint es zumindest fraglich, ob er zugleich eigenen beratungsvertraglichen Aufklärungspflichten unterliegen kann, wie das der III. Zivilsenat für die in seine Zuständigkeit fallenden Rechtsverhältnisse aus der Anlagevermittlung bejaht. Die Zivilsenate gehen aber dem offensichtlichen Konflikt ihrer Rechtsstandpunkte nicht weiter nach, vielmehr vertreten sie erkennbar die Auffassung, dass sowohl Verkäufer wie Vermittler eine eigene beratungsvertragliche Haftung treffen kann (vgl. BGH, Urt. vom 06.06.2008 - V ZR 50/07, juris einerseits und BGH, Beschluss vom 25.06.2009 - III ZR 243/08, ZMR 2009, 856 andererseits).

Der erkennende Senat lässt es im Streitfall bei der Parallelität von zwei Anlageberatungsverträgen bewenden und geht mit dem III. Zivilsenat davon aus, es sei Sache der beklagten Anlageberaterin ebenso wie des beratenden Verkäufers, die Erwerber einer Eigentumswohnung anlagegerecht aufzuklären. Denn anderenfalls käme es in Fällen dieser Art zu einer nicht gerechtfertigten Privilegierung des Vermittlers, weil er von der Haftung für seine Erklärungen jenseits des deliktischen Bereichs weitgehend freigestellt wäre, wenn ihm lediglich die Vertretereigenhaftung gem. §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB droht. Das Regelbeispiel in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB greift in diesen Fällen für gewöhnlich jedoch nicht ein, weil der Vermittler üblicherweise keine besondere zusätzliche, von seiner Person ausgehende Gewähr für die Richtigkeit der Beratung bietet. Erst recht hat der Käufer keinen Anlass, einem Vermittler, der dem Geschäft nicht neutral gegenübersteht, besonderes Vertrauen entgegenzubringen (Czub, ZfIR 2007, 41, 51 m.w.N.. auf die Rspr. des BGH).

2. Die Einwendungen der Berufung gegen die vom Landgericht ausgesprochenen Schadensersatzfolgen greifen nicht durch.

Es ist kein Grund dafür ersichtlich, die Schadensersatzgläubiger im Rahmen der Naturalrestitution des § 249 Abs. 1 BGB auf einen anderen Weg des Ausgleichs des ihnen entstandenen Vermögensschadens als die hier verlangte Schadensersatzzahlung zu verweisen. Nach der genannten Bestimmung schuldet die Beklagte Ausgleich des Vermögensschadens der Kläger, die so zu stellen sind, als hätten sie sich nicht auf das Anlagegeschäft eingelassen (Integritätsinteresse). Das ist allgemein anerkannt (Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., vor § 249 Rn. 17).

In diesem Zusammenhang kann die Beklagte selbstverständlich nicht verlangen, dass das im Rahmen des Vorteilsausgleichs erforderliche Zug um Zug Angebot der Kläger auf Übertragung der lastenfreie Immobilie gerichtet ist. Die Belastung der Wohnung mit dem Grundpfandrecht ist Folge des Beratungsverschuldens der Beklagten. Im Rahmen des negativen Interesses der Kläger kann die Beklagte aufgrund des Vorteilsausgleichs nicht mehr als die Vermögensanlage in diesem rechtlichen Zustand erhalten.III.

Nach alledem besteht ein haftungsbegründender Pflichtverstoß der Beklagten, sodass die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen ist. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit hat §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO zur Grundlage. Eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO kommt im Hinblick darauf nicht in Betracht, dass die Fachsenate des Bundesgerichtshofes jedenfalls im Ergebnis übereinstimmen, auch wenn eine nähere Begründung nicht zu erkennen ist.

Gemäß § 63 Abs. 2 GKG war der Streitwert für den Berufungsrechtszug festzusetzen.