Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 21.05.2013 - 8 LA 54/13
Fundstelle
openJur 2013, 27383
  • Rkr:
Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 13. Februar 2012 über den Widerruf der ärztlichen Approbation des Klägers abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.

Der Kläger hat seinen Antrag auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) und der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (2.) gestützt. Diese Zulassungsgründe sind zum Teil schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt worden und liegen im Übrigen nicht vor.

1.Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (vgl. Senatsbeschl. v. 11.2.2011 - 8 LA 259/10 -, juris Rn. 3). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).

Der Kläger wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er in zwei Fällen unter Ausnutzung des Behandlungsverhältnisses sexuelle Handlungen an Patientinnen vorgenommen habe. Er habe weder Patientinnen unsittlich berührt noch seinem eigenen sexuellen Interesse eine größere Bedeutung beigemessen als dem Recht seiner Patientinnen auf sexuelle Selbstbestimmung. Das Verwaltungsgericht habe die dahingehenden, nicht zutreffenden Feststellungen in den gegen den Kläger ergangenen strafgerichtlichen Entscheidungen nicht ungeprüft übernehmen dürfen. Die gebotene eigene Würdigung aller Umstände hätte die Fehler der strafgerichtlichen Entscheidungen offenbart. Dem Kläger könne auch nicht entgegen gehalten werden, er habe sich mit den Annahmen des Landgerichts Stade nicht auseinandergesetzt und nicht aufgezeigt, dass Umstände diesen Annahmen zwingend entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht habe vielmehr die von dem Sachverständigen B. geäußerten Zweifel an der Glaubwürdigkeit der als Zeuginnen vernommenen Patientinnen ebenso beiseite gewischt wie die demonstrierte Unmöglichkeit der von den Patientinnen behaupteten sexuellen Übergriffe. Auch die Tatsachen, die für die Annahme eines Komplotts durch die Patientinnen zu Lasten des Klägers sprächen, seien nicht beachtet worden.

Dieser Einwand ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen.

Bei Entscheidungen über den Widerruf einer Approbation dürfen die in einem rechtskräftigen Strafurteil oder auch Strafbefehl enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen regelmäßig zur Grundlage einer behördlichen oder gerichtlichen Beurteilung der betroffenen Persönlichkeit gemacht werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.8.2011 - 3 B 6.11 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 6.3.2003 - 3 B 10.03 -, juris Rn. 2; Urt. v. 26.9.2002 - 3 C 37.01 -, NJW 2003, 913, 916; Senatsbeschl. v. 13.1.2009 - 8 LA 88/08 -, juris Rn. 4 f. jeweils m.w.N.).

Auch das Verwaltungsgericht durfte daher die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen in den rechtskräftigen, gegen den Kläger ergangenen strafgerichtlichen Entscheidungen (AG Tostedt, Urt. v. 20.1.2010 - 2 Ds 151 Js 4555/09 -; LG Stade, Urt. v. 14.9.2010 - 11 Ns 151 Js 4555/09 (23/10) -; OLG Celle, Beschl. v. 8.3.2011 - 32 Ss 17/11 -) zur Grundlage seiner Entscheidung machen. Nach diesen Feststellungen hat der Kläger am 5. August 2008 während der Behandlung der Patientin C. seine Hand zwischen deren Beine und in deren Genitalbereich geführt und sie unter ihrem Stringtanga mit mindestens einem Finger an der nackten Scheide berührt (AG Tostedt, a.a.O., Umdruck, S. 3; LG Stade, a.a.O., Umdruck, S. 6). Am 8. Januar 2009 hat der Kläger bei der Behandlung der Patientin D. seine Hand in deren Genitalbereich geführt und unter dem von ihr getragenen Stringtanga mit seinen Fingern ihre nackten Schamlippen berührt. Mit der anderen Hand hatte er danach der Patientin das T-Shirt und den BH nach oben über die Brust geschoben und die Patientin einmal auf die Brust geküsst (AG Tostedt, a.a.O., Umdruck, S. 3; LG Stade, a.a.O., Umdruck S. 8 f.). Aufgrund dieser Feststellungen ist der Kläger rechtskräftig wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Ein Abweichen von den Feststellungen in einer strafgerichtlichen Entscheidung kann zwar ausnahmsweise dann geboten sein, wenn gewichtige Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit bestehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.8.2011, a.a.O.; Beschl. v. 6.3.2003, a.a.O.; Urt. v. 26.9.2002, a.a.O.), etwa weil Wiederaufnahmegründe gegeben sind, die maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts erkennbar auf einem Irrtum beruhen oder die Approbationsbehörde ausnahmsweise in der Lage ist, eine für ihre Entscheidung erhebliche, aber strittige Tatsache besser als das Strafgericht aufzuklären (vgl. Senatsbeschl. v. 13.1.2009, a.a.O., Rn. 8).

Derart gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Feststellungen in den strafgerichtlichen Entscheidungen ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers indes nicht. Er wiederholt vielmehr nur kurz seine schon im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Einwände. Dabei geht er auf die umfassende Berücksichtigung und Würdigung dieser Einwände in der angefochtenen Entscheidung (Urt. v. 6.2.2013, Umdruck, S. 6 bis 9) nicht ansatzweise ein. Fallbezogene und aus sich heraus verständliche Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen und darlegen, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit dieser Erwägungen bestehen sollen, fehlen (vgl. zu diesen Darlegungsanforderungen: Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 3.4.2013 - 13 LA 34/13 -, juris Rn. 2; Beschl. v. 24.3.2009 - 10 LA 377/08 -, juris Rn. 2; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: August 2012, § 124a Rn. 100). Ernstliche Richtigkeitszweifel sind für den Senat insoweit auch nicht offensichtlich.

Der Kläger wendet weiter ein, der Widerruf seiner ärztlichen Approbation sei ein schwerer und unverhältnismäßiger Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit. Der Widerruf der Approbation sei nur als Maßnahme der Gefahrenabwehr zum Schutz des Ansehens der Ärzteschaft in der Öffentlichkeit und des im Interesse der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung unerlässlichen Vertrauens in die Ärzteschaft zulässig. Eine solche Gefahr gehe von dem Kläger aber nicht aus. Abgesehen davon, dass er seit den strafgerichtlichen Entscheidungen vor nunmehr drei Jahren keine weiteren Verfehlungen begangen habe, besitze er auch unverändert das für die Ausübung des ärztlichen Berufs notwendige Ansehen und Vertrauen seiner Patientinnen. Er habe dem Vertrauen und Ansehen der Ärzteschaft tatsächlich in keiner Weise geschadet. Der Approbationswiderruf erweise sich damit nicht als erforderliche Maßnahme der Gefahrenabwehr, sondern als unzulässige weitere Sanktion.

Auch dieser Einwand ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen.

Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass mit dem Widerruf der Approbation als Arzt ein besonders schwerer Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit verbunden ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.1.2011 - 3 B 63.10 -, NJW 2011, 1830, 1831). Der Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit greift in die Berufswahlfreiheit ein; denn die freie Berufswahl umfasst nicht nur die Entscheidung über den Eintritt in den Beruf, sondern überdies die Entscheidung darüber, ob und wie lange ein Beruf ausgeübt werden soll (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.3.1977 - 1 BvR 124/76 -, BVerfGE 44, 105, 117). Er stellt insoweit eine subjektive Zulassungsregelung dar. Denn ein Arzt ist zur Ausübung des ärztlichen Berufs unwürdig im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO, wenn er durch sein Verhalten nicht mehr das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötige Vertrauen besitzt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.4.1998  - 3 B 95.97 -, NJW 1999, 3425; Senatsbeschl. v. 2.9.2009 - 8 LA 99/09 -, juris Rn. 2 jeweils m.w.N.). Die (Fortsetzung der) Ausübung des ärztlichen Berufs wird damit vom Vorliegen persönlicher Eigenschaften, auf deren Vorliegen der Kläger Einfluss nehmen kann, abhängig gemacht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.3.1985 - 1 BvR 1245/84 -, BVerfGE 69, 233, 244; Sachs, GG, 6. Aufl., Art. 12 Rn. 130 (Abhängigkeit des Berufszugangs von der Zuverlässigkeit des Berufsträgers als subjektive Berufszulassungsregelung)). Der mit einem Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit als subjektiver Berufszulassungsregelung verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit kann daher schon dann gerechtfertigt sein, wenn ein überragendes Gemeinschaftsgut, das der Freiheit des Einzelnen vorgeht, geschützt werden soll. Genau dies ist Ziel des Widerrufs der ärztlichen Approbation wegen Unwürdigkeit. Denn dieser soll nicht das bisherige Verhalten des Arztes sanktionieren, sondern das Ansehen der Ärzteschaft in den Augen der Öffentlichkeit schützen, dies freilich nicht als Selbstzweck, sondern um das für jede Heilbehandlung unabdingbare Vertrauen der Patienten in die Integrität der Personen aufrecht zu erhalten, denen mit der Approbation die staatliche Erlaubnis zur selbständigen Ausübung der Heilkunde verliehen ist und in deren Behandlung sich die Patienten begeben. Dieses für das Arzt-Patienten-Verhältnis konstitutive und damit auch für das hochrangige Gemeinschaftsgut der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung (vgl. zu dem im Verfassungsrang stehenden Gemeinschaftswert der Volksgesundheit: BVerfG, Beschl. v. 14.3.1989 - 1 BvR 1033/82 u.a. -, BVerfGE 80, 1, 21; BVerwG, Urt. v. 18.5.1982 - 7 C 24.81 -, BVerwGE 65, 323, 325) unerlässliche Vertrauen würde zerstört durch eine fortdauernde Berufstätigkeit von Ärzten, die ein Fehlverhalten gezeigt haben, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist. Dabei muss der Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs in die Berufsfreiheit stehen. Anlass für den Widerruf wegen Unwürdigkeit können deshalb nur gravierende Verfehlungen sein, die geeignet sind, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos, nachhaltig zu erschüttern (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.1.2011, a.a.O.; Senatsbeschl. v. 18.4.2012 - 8 LA 6/11 -, juris Rn. 30 f.; Stollmann, Widerruf und Ruhen von Approbationen, in: MedR 2010, 682 f. jeweils m.w.N.).

Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend festgestellt, dass der Kläger hier eine solche gravierende Verfehlung begangen hat. Dem Zulassungsvorbringen sind Einwände, die die Richtigkeit dieser Feststellung ernstlich in Zweifel ziehen könnten, nicht zu entnehmen. Nach objektivem Beurteilungsmaßstab (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.3.2003, a.a.O., Rn. 3, Bayerischer VGH, Beschl. v. 21.5.2010 - 21 BV 09.1206 -, juris Rn. 40) ist das Fehlverhalten des Klägers ohne Weiteres geeignet, das Ansehen der Ärzteschaft und das in diese gesetzte Vertrauen nachhaltig zu erschüttern. Wenn der Kläger meint, in seinem Einzelfall sei ein solcher Ansehensverlust (bisher) nicht eingetreten, ist dies für die Annahme der Unwürdigkeit ohne Belang. Denn diese erfordert nicht, dass der Ansehens- und Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit konkret eingetreten ist (vgl. Senatsbeschl. v. 2.5.2012 - 8 LA 78/11 -, juris Rn. 16; Bayerischer VGH, Beschl. v. 7.2.2002 - 21 ZS 01.2890 -, juris Rn. 12). Auch einer zukunftsgerichteten Gefahrenprognose, dass der Arzt bei einer Fortsetzung seiner ärztlichen Tätigkeit erneut schwere Verfehlungen begehen wird, bedarf es zur Annahme der Unwürdigkeit nicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.1.2011, a.a.O.; Beschl. v. 2.11.1992 - 3 B 87.92 -, NJW 1993, 806; Senatsbeschl. v. 2.9.2009, a.a.O.).

Der Approbationswiderruf ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil das Fehlverhalten des Klägers nach langer beruflicher Tätigkeit den ersten Verstoß gegen berufliche Pflichten darstellt. Auch ein erstmaliger, zumal strafrechtlich erfasster Verstoß genügt grundsätzlich für die Annahme der Berufsunwürdigkeit, wenn, wie hier, die Art der Straftat, das Ausmaß der Schuld und der Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit von bedeutendem Gewicht sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.8.1993- 3 B 5.93 -, NVwZ-RR 1994, 388). Auch die lange Verfahrensdauer stellt den Approbationswiderruf nicht als unverhältnismäßig dar. Die Bundesärzteordnung ermöglicht das Zuwarten mit dem Widerruf der Approbation bis zum Abschluss des Strafverfahrens. Auch dass der Kläger sich während des Strafverfahrens und des Approbationswiderrufsverfahrens beanstandungsfrei geführt hat, steht der Annahme der Unwürdigkeit nicht entgegen. Einem Wohlverhalten, das unter dem Druck eines schwebenden behördlichen Verfahrens an den Tag gelegt wird, kann regelmäßig kein besonderer Wert beigemessen werden (vgl. OVG Saarland, Urt. v. 29.11.2005 - 1 R 12/05 -, juris Rn. 166; Bayerischer VGH, Beschl. v. 15.6.1993 - 21 B 92.226 -, juris Rn. 34). Anlass, von diesem Grundsatz im vorliegenden Fall ausnahmsweise abzuweichen, besteht nach dem Zulassungsvorbringen nicht, zumal eine Einsicht in das verwirklichte Unrecht und Reue des Klägers nicht erkennbar sind.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen einer Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.

Dieser Zulassungsgrund ist nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht seinem Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit einem in einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten, dieselbe Rechtsfrage betreffenden und die Entscheidung tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt. Dabei muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied deutlich werden, weil die bloße unrichtige oder unterbliebene Anwendung eines obergerichtlich oder höchstrichterlich aufgestellten Rechtssatzes den Zulassungsgrund der Divergenz nicht erfüllt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.9.2006  - 10 B 55.06 -; juris Rn. 7; Beschl. v. 19.8.1997 - 7 B 261.97 -, NJW 1997, 3328; Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 124 Rn. 36 f. m.w.N). Dementsprechend erfordert die Darlegung einer Divergenz vor allem, dass in dem Zulassungsantrag die beiden einander widerstreitenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensätze des Divergenzgerichts einerseits und des Verwaltungsgerichts andererseits zitiert oder - sofern sie im Urteil nicht bereits ausdrücklich genannt sind - herausgearbeitet und bezeichnet werden (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 1.10.2008 - 5 LA 64/06 -, juris Rn. 16; Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 124a Rn. 107).

Der Kläger macht geltend, das angefochtene Urteil weiche von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ab.

Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 8. April 2010 - 1 BvR 2709/09 - in Frage gestellt, ob das durch einen Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit geschützte Vertrauen in die Ärzteschaft überhaupt ein Gemeinwohlinteresse sei, dessen Bedeutung in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe. In den weiteren Beschlüssen vom 28. August 2007 - 1 BvR 1098/07 - und vom 18. Mai 2005 - 1 BvR 1028/05 - habe das Bundesverfassungsgericht gefordert, im Rahmen der Überprüfung von Approbationswiderrufen wegen Unwürdigkeit eine Prognose über zukünftig vom Betroffenen ausgehende Gefahren zu stellen. Das Verwaltungsgericht habe die Notwendigkeit einer solchen Prognose hingegen ausdrücklich verneint.

Die von dem Kläger geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor.

Der Entscheidung der 2. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 2010 - 1 BvR 2709/09 - lag, anders als hier, eine sofortige Vollziehung des Widerrufs der ärztlichen Approbation zugrunde. Da eine solche Anordnung der sofortigen Vollziehung des in der Hauptsache angefochtenen Verwaltungsaktes ein selbständiges vorläufiges Verbot zur Ausübung des ärztlichen Berufes bewirkt, das in seinen Wirkungen über diejenigen des in der Hauptsache angefochtenen Verwaltungsaktes hinausgeht und damit schwerwiegend in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreift (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2003 - 1 BvR 1594/03 -, NJW 2003, 3618), ist ein solcher Eingriff nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.4.2010 - 1 BvR 2709/09 -, NJW 2010, 2268 (Widerruf der Approbation als Arzt); Beschl. v. 24.10.2003, a.a.O., S. 3619 (Widerruf der Approbation als Apotheker); BVerfG, Beschl. v. 4.10.2006 - 1 BvR 2403/06 -, juris Rn. 16 (Anordnung des Ruhens der Approbation als Zahnarzt)) und auch des Senats (vgl. Beschl. v. 29.7.2011 - 8 ME 36/11 -, juris Rn. 22 (Streichung aus der Architektenliste); Beschl. v. 26.10.2010 - 8 ME 181/10 -, juris Rn. 3 (Widerruf einer Heilpraktikererlaubnis); Beschl. v. 27.11.2009 - 8 ME 196/09 -, juris Rn. 3 (Widerruf einer Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Logopäde); Beschl. v. 19.1.2005 - 8 ME 181/04 -, juris Rn. 3 (Anordnung des Ruhens der Approbation eines Arztes)) nur gerechtfertigt, wenn der Sofortvollzug schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt. Diese Voraussetzungen erachtete das Bundesverfassungsgericht im konkret gegebenen Fall für nicht gegeben. Das darüber hinaus, wie es der Kläger meint, vom Bundesverfassungsgericht allgemein in Frage gestellt worden ist, ob das durch einen Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit geschützte Vertrauen in die Ärzteschaft überhaupt ein Gemeinwohlinteresse sei, dessen Bedeutung in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe, ist nicht ersichtlich.

Auch den darüber hinaus vom Kläger benannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vermag der Senat einen abstrakten Rechtssatz, dass der Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit eine zukunftsgerichtete Gefahrenprognose erfordert, wonach der Approbierte bei einer Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit erneut schwere Verfehlungen begehen wird, nicht zu entnehmen (so auch: BVerwG, Beschl. v. 27.1.2011, a.a.O.; Beschl. v. 2.11.1992, a.a.O.; Senatsbeschl. v. 2.5.2012, a.a.O., Rn. 27 m.w.N. zur Senatsrspr.). Der Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Mai 2005 (- 1 BvR 1028/05 -, juris Rn. 1) äußert lediglich Zweifel, "ob der auf eine Unwürdigkeit gestützte Widerruf der Approbation unter den gegebenen Umständen vor Art. 12 Abs. 1 GG Bestand haben könnte." Erläutert werden weder die gegebenen Umstände noch die Gründe für die Zweifel. Das Erfordernis einer Gefahrenprognose für die Annahme einer Unwürdigkeit formuliert das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung nicht. In dem weiteren Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. August 2007 (- 1 BvR 1098/07 -, juris Rn. 23) wird zunächst die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu den Anforderungen an die "Unwürdigkeit" referiert und daran "vor dem Hintergrund einer möglicherweise verfassungsrechtlich unerlässlichen Prüfung, ob von dem Betroffenen prognostisch überhaupt eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, Zweifel geäußert". Diese Zweifel an der richtigen Auslegung des anzuwendenden Gesetzesrechts oder an dessen Verfassungskonformität werden vom Bundesverfassungsgericht aber nicht näher konkretisiert und bleiben letztlich dahingestellt. Das Erfordernis einer Gefahrenprognose für die Annahme einer Unwürdigkeit formuliert das Bundesverfassungsgericht auch in dieser Entscheidung nicht.