ArbG Wuppertal, Teilurteil vom 17.05.2011 - 3 Ca 3284/10
Fundstelle
openJur 2013, 27346
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 02.11.2010 nicht aufgelöst ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12.11.2010 nicht aufgelöst ist.

3. Die Kostenentscheidung bleibt einer Schlussentscheidung vorbehalten.

4. Streitwert: 9.600 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von insgesamt drei fristlosen Kündigungen. Widerklagend begehrt die Beklagte von der Klägerin Erstattung von Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld.

Die am 14.09.1973 geborene Klägerin ist zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Seit dem 01.06.2000 ist sie bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte angestellt, zuletzt in Teilzeit in der Position eines "Facility Management Agent" zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.400,00 €. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat, dessen Vorsitzende die Klägerin seit August 2008 ist. In dieser Funktion ist sie vollumfänglich von der Arbeitsleistung freigestellt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag Groß- und Einzelhandel NRW Anwendung.

Mit Schreiben vom 02.11.2010, das der Klägerin am selben Tag zuging, sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin eine außerordentliche, fristlose Tat- und Verdachtskündigung aus wegen "des Vorliegens gravierender Pflichtverletzungen" (Bl. 4 d. A.).

Im Einzelnen:

Laut einer ärztlichen Bescheinigung war die Klägerin vom 04.08.2009 bis zum 16.10.2009 arbeitsunfähig erkrankt. Sie begleitete vom 07.08.2009 bis zum 16.08.2009 eine Kindergruppe zu einem Segeltörn nach Kroatien. Darüber hinaus reiste sie mit einer Gruppe von 32 Kindern zwischen dem 11.09.2009 und dem 13.09.2009 zu einer Kinderfreizeit am Tegernsee. Die Funktion der Klägerin bei diesen Reisen ist zwischen den Parteien streitig. Reiseveranstalter war jeweils der Verein T., dessen Vorstandsvorsitzende die Klägerin ist. Zu den Zielen dieses Vereins gehört es, Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen.

Dass die Klägerin in dem vorgenannten Zeitraum die beschriebenen Reisen unternommen hat, wurde der Beklagten durch ihre Unternehmensberaterin Frau B. im Zuge einer Überprüfung der eingangs erwähnten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 23./24.10.2010 bekannt.

Am 08.10.2010 nahm die Klägerin an einem auswärtigen Seminar des Betriebsrats teil. Dieses verließ sie vorzeitig unter Hinweis auf einen angeblich erlittenen Nervenzusammenbruch. Am selben Tag suchte sie das Betriebsgelände der Beklagten auf und bearbeitete dort circa zwei Stunden lang den Posteingang des Betriebsrats. Vier Tage später legte sie der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum 08.10.2010 bis 24.10.2010 vor. Außer am 08.10.2010 hielt sich die Klägerin am 09.10.2010 und am 12.10.2010 auf dem Betriebsgelände auf, jeweils ohne die Zeiterfassung zu betätigen. In der Vergangenheit hatte die Beklagte die Klägerin mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass der Aufenthalt auf dem Betriebsgelände während der Arbeitsunfähigkeit nicht gestattet sei (dazu s. Bl. 154 - 157 d. A.). Sie hatte die Klägerin zudem mit Abmahnung vom 01.10.2010 auf ihre Pflicht hingewiesen, bei Ankunft auf dem Betriebsgelände das Zeiterfassungsgerät zu bedienen (Bl. 159 d. A.).

Vom Aufenthalt der Klägerin auf dem Betriebsgelände erfuhr die Beklagte am 22.10.2010, als die Teamleiterin der Personalverwaltung der Beklagten, Frau T., und der Teamleiter der Betriebsverwaltung der Beklagten, Herr T., Einsicht in die Zutrittsprotokolle betreffend den Zeitraum 09.10.2010 bis 12.10.2010 nahmen.

Am 29.10.2010 hörte die Beklagte die Klägerin zu den Vorwürfen an, sie habe in dem Zeitraum ihrer angeblichen Arbeitsunfähigkeit die beschriebenen Reisen unternommen und sich auf dem Betriebsgelände aufgehalten. Am selben Tag beantragte die Beklagte beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung der Klägerin. Wegen des Wortlauts dieses Antrags wird auf Blatt 240 ff. der Akte Bezug genommen. Am 02.11.2010 fasste der Betriebsrat den Beschluss, der außerordentlichen, fristlosen Kündigung zuzustimmen und teilte dies der Beklagten mit.

Nachdem die Klägerin von der Zustimmung zu ihrer Kündigung erfahren hatte und bevor ihr die Kündigungserklärung vom 02.11.2010 zuging, äußerte sie gegenüber dem Betriebsratsmitglied Herrn E. "Mit Ihnen fing alles an. Sie haben schon vor Gericht gelogen.". Das Betriebsratsmitglied Herr U. bezeichnete die Klägerin als "Verrätersau". Gegenüber dem Betriebsratsmitglied Herrn Q. äußerte sie "Sie waren von vornherein gegen mich. Sie bekommen Post vom Anwalt." Ob die Klägerin darüber hinaus Beleidigungen oder Bedrohungen gegenüber Betriebsratsmitgliedern aussprach, ist zwischen den Parteien streitig.

Von den streitgegenständlichen Äußerungen erlangte die Beklagte am 02.11.2010 Kenntnis. An demselben Tag erfuhr sie, dass die Klägerin angeblich - was streitig ist - Verteidigungshandwaffen in einem Schrank im Betriebsratsbüro lagerte (dazu im Einzelnen siehe unten). In der Absicht, die behaupteten Beleidigungen und Drohungen sowie die behauptete Lagerung von Waffen im Betriebsratsbüro als Gründe für die Kündigung vom 02.11.2010 nachzuschieben, beantragte die Beklagte mit Schreiben vom 05.11.2010 erneut die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung der Klägerin. Wegen des Wortlauts dieses Antrags wird auf Blatt 262 ff. der Akte Bezug genommen. Der Betriebsrat entschied in seiner Sondersitzung vom 12.11.2010, zu dem erneuten Antrag der Beklagten keinen Beschluss zu fassen (vgl. Bl. 385 d. A.).

Wiederum gestützt auf den Vorwurf, die Klägerin habe ihre Kollegen beleidigt und bedroht sowie Waffen im Betriebsratsbüro gelagert, beantragte die Beklagte unter dem 05.11.2010 beim Betriebsrat die Zustimmung zur hilfsweisen weiteren außerordentlichen, fristlosen Kündigung der Klägerin (vgl. Bl. 255 ff. d. A.). Ihr wurde die beantragte Zustimmung am 12.11.2010 erteilt.

Mit Schreiben vom 12.11.2010, der Klägerin am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte der Klägerin hilfsweise erneut außerordentlich fristlos.

Die Klägerin trägt vor, sie habe in dem Zeitraum 04.08.2009 bis 16.10.2009 an einem Burnout gelitten. Sie habe an den Kinderfreizeiten in Kroatien und am Tegernsee ohne jede Funktion teilgenommen. Ihre behandelnde Ärztin habe ihr im September 2009 eine schriftliche Bestätigung ausgestellt, die inzwischen gelöscht worden sei, und die folgenden Wortlaut gehabt habe: "Frau H. kann sich trotz ihrer Erkrankung frei bewegen und ist nicht bettlägerig. Erholende und abwechslungsreiche Beschäftigung ist zu empfehlen und gefährdet den Genesungsprozess nicht". Ihre Ärztin habe sie sogar zu der Teilnahme an den Freizeiten ermuntert.

Sie habe sich bereits am 11.10.2010 telefonisch bei der Beklagten krank gemeldet. Am 08., 09. und 12.10.2010 habe sie sich jeweils auf dem Betriebsgelände der Beklagten aufgehalten, um ihren dort abgestellten PKW zu reparieren. Ihre elektronische Zugangskarte habe sie am 08.10.2010 nicht mit sich geführt, weil sie nicht mit einer vorzeitigen Rückkehr von dem Betriebsratsseminar zu dem Betrieb der Beklagten gerechnet habe.

Sie habe die ihr vorgeworfenen Beleidigungen und Bedrohungen gegenüber anderen Betriebsratsmitgliedern nicht ausgesprochen. Vielmehr habe sie am 02.11.2010 gegen 9.45 Uhr, nachdem sie von der Zustimmung des Betriebsrats zu ihrer Kündigung erfahren habe, gegenüber dem Betriebsratsmitglied Frau T. geäußert "Noch im Frühjahr hast du weinend vor mir gestanden und gesagt, ich wäre deine einzige wahre Freundin und solle dir vergeben, und jetzt fällst du mir in den Rücken. Niedersprockhövel ist klein. Wenn du mich siehst, wechsele die Straßenseite, das tut mir alles viel zu weh". Zu dem Betriebsratsmitglied Herr U. habe sie gesagt "Du Verrätersau, ob du dich noch in der Kantine blicken lassen kannst.".

Im Zeitpunkt dieser Äußerungen habe sie unter Schock gestanden. Unmittelbar anschließend habe sie ihre behandelnde Ärztin aufgesucht, die einen massiven Schock im medizinischen Sinne diagnostiziert habe.

Sie habe kurzzeitig ein Tierabwehrgerät im Betriebsratsbüro gelagert, weil sie dieses Gerät ihrem Kollegen Herrn K. habe zeigen wollen. Bei diesem Gerät handele es sich um einen sog. Guardian Angel, das auf der Basis von Pfefferspray funktioniere (wegen der Beschreibung im Einzelnen s. Bl. 392 d. A.).

Die Klägerin ist der Ansicht, die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung vom 12.11.2010 beruhe nicht auf einem wirksamen Betriebsratsbeschluss. Sie trägt dazu vor, zu der Betriebsratssitzung hätte an ihrer Stelle die in Elternzeit befindliche I. als Ersatzmitglied geladen werden müssen. Tatsächlich sei jedoch das Ersatzmitglied N. geladen worden. Für das Betriebsratsmitglied Peter X. sei zu Unrecht ein Ersatzmitglied geladen worden. Herr X. sei nicht verhindert gewesen, sondern er habe keine Ladung erhalten. Der Betriebsrat sei nicht über entlastende Umstände informiert worden, insbesondere nicht darüber, dass bei der polizeilichen Durchsuchung ihrer Wohnung keine Schusswaffen aufgefunden worden seien.

Mit ihrer am 10.11.2010 bei Gericht eingegangenen und am 17.11.2010 der Beklagten zugestellten Klage setzt sich die Klägerin gegen die Kündigung vom 02.11.2010 zur Wehr. Mit ihrem klageerweiternden Schriftsatz vom 26.11.2010, bei Gericht eingegangen am 29.11.2010 und der Beklagten zugestellt am 01.12.2010, geht sie gegen die Kündigung vom 12.11.2010 vor. Schließlich wendet sie sich mit ihrem klageerweiternden Schriftsatz vom 20.12.2010, bei Gericht eingegangen am 27.12.2010 und der Beklagten zugestellt am 31.12.2010, gegen die Kündigung vom 16.12.2010.

Die Klägerin beantragt,

1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 02.11.2010 nicht aufgelöst ist;

2.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12.11.2010 nicht aufgelöst ist;

3.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 16.12.2010 nicht aufgelöst ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Darüber hinaus beantragt sie hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Abweisungsantrag widerklagend,

die Klägerin zu verurteilen, an sie 1.031,87 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2010 zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die Klägerin sei bei den Kinderfreizeiten in Kroatien und am Tegernsee jeweils als Betreuerin tätig gewesen. Die Betreuung von Kindern und Jugendlichen aus schwierigen sozialen Verhältnissen bzw. in schwierigen Lebenssituationen sei nicht erholsam und nicht weniger anstrengend als die üblicherweise von der Klägerin auszuübende Betriebsratstätigkeit. Die angeblich von der behandelnden Ärztin der Klägerin ausgestellte Bescheinigung über die Vereinbarkeit des klägerischen Krankheitsbildes mit erholender und abwechslungsreicher Beschäftigung sei inhaltlich unzutreffend.

Die Klägerin habe sich am 11.10.2010 ab 16:46 Uhr auf dem Betriebsgelände aufgehalten. Sie habe - teils von ihrem privaten, teils von ihrem dienstlichen Email-Account - am 08.10.2010 insgesamt acht Emails sowie am 11.10.2010 insgesamt fünf Emails im Zusammenhang mit ihrer Betriebsratstätigkeit an andere Betriebsratsmitglieder versendet. Zwischen dem 12. und dem 22.10.2010 habe sie insgesamt zwölf Emails von ihrem privaten Email-Account im Zusammenhang mit ihrer Betriebsratstätigkeit an andere Betriebsratsmitglieder geschickt. Bei dem Vortrag der Klägerin, sie habe am 08.10.2010 ihre elektronische Zugangskarte nicht bei sich geführt, weil sie nicht mit einer vorzeitigen Rückkehr vom Betriebsratsseminar zum Betriebsgelände gerechnet habe, handele es sich um eine Schutzbehauptung. Denn die Klägerin habe ihre Zugangskarte noch kurz vor der Abfahrt zu dem Seminar am 04.10.2010 verwendet.

Die Klägerin habe am 02.11.2010 gegen 9.45 Uhr, nachdem ihr die Zustimmung des Betriebsrats zu ihrer fristlosen Kündigung mitgeteilt worden sei, gegenüber dem Betriebsratsmitglied Frau T. geäußert "Niedersprockhövel ist klein. Wenn du mich triffst, wechsele besser die Straßenseite, sonst passiert was." und "Geh mir aus den Augen, sonst schlage ich dich zu Brei".

Dem Betriebsratsmitglied Herrn Q. habe sie Post vom Anwalt "wegen Verleumdung" angekündigt.

Zu dem Betriebsratsmitglied Herrn U. habe sie in einem Telefonat am 02.11.2010 gegen 10.45 Uhr gesagt "Verräterschwein. Du wirst nicht mehr lange Betriebsrat sein. Du wirst nicht mehr lange deinen Job haben". Zudem habe sie ihm gegenüber in diesem Zusammenhang geäußert "Du solltest besser nicht in die Kantine kommen, sonst gibt’s was auf die Fresse".

Die Betriebsratsmitglieder würden die Beleidigungen und Bedrohungen der Klägerin ernst nehmen. Insbesondere gelte dies für Herrn U. und Frau T.. Letztere sei aus diesem Grunde am 03.11.2010 unter Personenschutz gestellt worden.

Herrn U. und Frau T. habe die Klägerin angekündigt, sie wolle ihren Vater umbringen und habe Waffen dafür, sie sei Sportschützin.

Anderen Betriebsratsmitgliedern habe die Klägerin Verteidigungshandwaffen gezeigt, die sie im Schrank im Betriebsratsbüro aufbewahrt habe. Diese Waffen seien nach Aussage der Klägerin in der Lage, große Tiere zu betäuben. Tatsächlich handele es sich aber nicht um das von der Klägerin angegebene Modell eines Tierabwehrgeräts, sondern um ein anderes Modell.

Es sei nicht plausibel, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung der Klägerin bei dieser einen Schock ausgelöst habe, denn sie habe mit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses rechnen müssen. Am 14.07. und am 20.10.2010 habe sie mit der Unternehmensberaterin der Beklagten über eine bevorstehende Beendigung gesprochen.

Die Beklagte habe keine Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Ladung des Betriebsratsmitglieds X. gehabt. Herr X. sei für den Zeitraum 05.11.2010 bis 12.11.2010 von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt worden und ihm sei für diesen Zeitraum in seiner Arbeitnehmereigenschaft zugleich ein Hausverbot erteilt worden. Da die vorgenannten Regelungen jedoch nur die Arbeitnehmereigenschaft des Herrn X. betroffen hätten, sei nicht davon auszugehen gewesen, dass Herr X. seiner Betriebsratstätigkeit nicht weiter nachgehen würde. Dass statt dem Betriebsratsmitglied Frau N. ggfs. Frau L. hätte geladen werden müssen, sei der Beklagten nicht bekannt gewesen. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Betriebsrat über das Ergebnis der Hausdurchsuchung bei der Klägerin zu unterrichten. Die Beklagte habe dem Betriebsrat mitgeteilt, dass die Klägerin gegenüber Herrn U. und Frau T. in der Vergangenheit berichtet habe, dass sie Sportschützin sei und Schusswaffen besitze. An diesem Sachverhalt ändere auch das Ergebnis der polizeilichen Durchsuchung nichts.

Mit der Widerklage begehrt die Beklagte die Erstattung von Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld gem. § 8 Nr. 7 g) Satz 4 Manteltarifvertrag Groß- und Außenhandel NRW, ausgehend von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin am 02.11.2010.

Bis zum 02.11.2010 nahm die Klägerin insgesamt 29 Urlaubstage und erhielt hierfür eine Entgeltfortzahlung. Zudem bezog sie Urlaubgeld in Höhe 501,47 € brutto. Die Beklagte forderte die Klägerin mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 unter Fristsetzung bis zum 27. Dezember 2010, vergeblich zur Rückzahlung von Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld in Höhe von insgesamt 1.031,87 € netto auf.

Im Übrigen wird wegen des Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen des der Kündigung vom 16.12.2010 zugrundeliegenden Sachverhalts, auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Gründe

Soweit mit dem vorliegenden Teil-Urteil über die Klage entschieden wird, ist die zulässige Klage begründet.

I.

Der zulässige Klageantrag zu 1. ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 02.11.2010 nicht aufgelöst.

1.

Die Klägerin hat gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 7, 4 Satz 1 KSchG rechtzeitig Klage erhoben, da sie die Kündigung innerhalb von drei Wochen nach ihrem Zugang angegriffen hat.

2.

Die von der Beklagten erklärte Kündigung ist als Tatkündigung unwirksam.

a)

Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung liegt nicht vor. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann.

Bei der außerordentlichen fristlosen Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers ist entscheidend, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Das gilt auch für Arbeitnehmer, denen gegenüber die ordentliche Kündigung nach § 15 KSchG ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 17.01.2008 - 2 AZR 821/06, in NZA 2008, 777; Urteil vom 29.03.2007 - 8 AZR 538/06; Urteil vom 27.04.2006 - 2 AZR 386/05, in BAGE 118, 104).

Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, vollzieht sich zweistufig. Im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Kündigenden unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile auf Dauer zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 05.11.2009 - 2 AZR 609/08, zitiert nach juris; BAG, Urteil vom 23.06.2009 - 2 AZR 103/08, zitiert nach juris).

b)

Ausgehend von diesem rechtlichen Maßstab liegt ein zur Kündigung berechtigender wichtiger Grund nicht vor.

aa)

Die Beklagte kann sich zur Begründung der außerordentlichen Kündigung nicht auf den Vorwurf des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit berufen.

(1)

Legt der Arbeitnehmer eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, so begründet diese in der Regel den Beweis für die Tatsache der arbeitsunfähigen Erkrankung. Einer solchen Bescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu, denn sie ist der gesetzlich vorgesehene und wichtigste Beweis für die Tatsache der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit (BAG, Urteil vom 21.03.1996 - 2 AZR 543/95, in AP Nr. 43 zu § 123 BGB; Urteil vom 26.08.1993 - 2 AZR 154/93, zitiert nach juris). Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat zunächst die Vermutung der Richtigkeit für sich (BAG, Urteil vom 11.10.2006 - 5 AZR 755/05, in DB 2007, 1313 ff; Urteil vom 21.03.1996 - 2 AZR 543/95, in AP Nr. 43 zu § 123 BGB; Urteil vom 15.07.1992 - 5 AZR 312/91, in AP Nr. 98 zu § 1 LohnFG). Der Arbeitgeber, der das Vorliegen einer durch ärztliche Bescheinigung belegten Arbeitsunfähigkeit bestreiten will, muss Umstände darlegen und ggf. beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass geben, um dadurch die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern (BAG, Urteil vom 21.03.1996 - 2 AZR 543/95, in AP Nr. 43 zu § 123 BGB; Urteil vom 15.07.1992 - 5 AZR 312/91, in AP Nr. 98 zu § 1 LohnFG; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.09.2009 - 1 Sa 230/09).

(2)

Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Klägerin mit der Vorlage der Bescheinigung ihrer Ärztin für den Zeitraum 04.08.2009 bis 16.10.2009 zunächst ihre Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen. Der Beklagten ist es nicht gelungen, begründete Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung aufzuzeigen und dadurch ihren Beweiswert zu erschüttern.

Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass die Klägerin während der Kinderfreizeiten vom 07.08.2009 bis zum 16.08.2009 in Kroatien und vom 11.09.2009 bis zum 13.09.2009 am Tegernsee jeweils als Betreuerin eingesetzt war, sind damit keine Umstände dargelegt, die zu gravierenden und ernsthaften Zweifeln an der behaupteten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben.

(a)

Ausgehend von der klägerseits behaupteten Diagnose "Burnout" hat die Beklagte nicht dargelegt, dass es mit einer Arbeitsunfähigkeit wegen Burnout schwer vereinbar oder sogar unvereinbar ist, Kinder und Jugendliche mit sozialen Problemen bei einer mehrtägigen Freizeit zu betreuen.

(aa)

Der Vortrag der Beklagten, eine psychisch labile Betreuerin sei nicht in der Lage, Kindern und Jugendlichen aus schwierigen sozialen Verhältnissen mit der notwendigen Fürsorge und Aufmerksamkeit zur Seite zu stehen und eine solche Reise zu organisieren, ist nicht mehr als eine Behauptung. Es handelt sich gerade nicht um medizinisch tragfähige Fakten, die eine aus medizinischer Sicht zu beurteilende Unvereinbarkeit von Arbeitsunfähigkeit einerseits und Tätigkeit andererseits begründen. Ebenso plausibel wie die von der Beklagten aufgestellte Behauptung erscheint die These, eine Veränderung des gewohnten Umfeldes und die Übernahme von Verantwortung für Mitmenschen könnte der Klägerin bei dem behaupteten Krankheitsbild gut getan haben. Jedenfalls lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, dass ein verständiger, unter Burnout leidender Mensch nicht solche Arbeiten verrichten würde, wie sie die Klägerin für den Verein t. erledigt hat.

(bb)

Auch soweit die Beklagte behauptet, die ganztätige Betreuung von Kindern und Jugendlichen stehe weder im Einklang mit einer Arbeitsunfähigkeit wegen Burnout noch mit der von der Ärztin der Klägerin angeblich empfohlenen "erholenden und abwechslungsreichen Beschäftigung", bleibt dieser Vortrag unsubstantiiert. Es fehlt die bereits erwähnte Darlegung medizinisch tragfähiger Fakten. Ohne einen solchen Vortrag ist jedoch nicht offensichtlich, warum die Betreuung von Kindern, die dem Kranken zumindest Ablenkung bietet, der Anforderung "erholend und abwechslungsreich" nicht genügt.

(cc)

Ob die Betreuung der Kinder und Jugendlichen durch eine psychisch labile Person mit dem Zweck des Vereins …. vereinbar wäre, ist unerheblich. Unanhängig davon, wie diese Frage zu beantworten wäre, folgt aus der Antwort keine Erkenntnis im Bezug auf die Frage, ob die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich an der von ihr behaupteten Krankheit litt.

(dd)

Schließlich lassen auch die von der Beklagten vorgelegten Fotos, die die Klägerin bei verschiedenen Aktivitäten während der Kinderfreizeiten zeigen sollen, nicht an der behaupteten Arbeitsunfähigkeit wegen Burnout zweifeln. Naturgemäß können Fotos eine psychische Erkrankung weder belegen noch ausschließen. Dass die auf den Fotos erkennbaren Aktivitäten wie Wandern, Segeln und Karussellfahren mit einer Arbeitsunfähigkeit wegen Burnout unvereinbar sind, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.

(b)

Ausgehend von einer sonstigen Diagnose hat die Beklagte ebenfalls nicht dargelegt, dass es mit einer Arbeitsunfähigkeit wegen einer sonstigen Krankheit schwer vereinbar oder sogar unvereinbar ist, Kinder und Jugendliche mit sozialen Problemen bei einer mehrtägigen Freizeit zu betreuen. Es sind Krankheiten denkbar, die die Klägerin zwar an ihrer Arbeit als Betriebsratsvorsitzende gehindert hätten, eine Reise und die Betreuung von Kindern aber zugelassen hätten.

Die von der Beklagten vorgelegten Fotos bzw. die darauf gezeigten Aktivitäten schließen eine physische Erkrankung der Klägerin nicht generell aus. Allenfalls im Bezug auf bestimmte Krankheitsbilder wäre ein solcher Rückschluss zulässig. Ein solches konkretes Krankheitsbild steht aber nicht in Rede.

(c)

Schließlich ergibt sich auch nicht - unabhängig von der Diagnose - aus der Intensität der Nebenbeschäftigung der begründete Verdacht, dass die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hat. Das Bundesarbeitsgericht hat den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert angesehen, wenn der Arbeitnehmer während seiner Arbeitsunfähigkeit vollschichtig einer gleichschweren Arbeit nachgegangen ist, wie er sie bei seinem Arbeitgeber zu verrichten hatte (BAG, Urteil vom 26.08.1993 - 2 AZR 154/93, in NZA 1994, 63; BAG, Urteil vom 21.03.1996 - 2 AZR 543/95, in AP BGB § 123 Nr. 42).

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Soweit die Beklagte behauptet, die Betreuung von Kindern und Jugendlichen, zumal aus schwierigen sozialen Verhältnissen, sei weder physisch noch psychisch weniger anstrengend als eine Tätigkeit als Betriebsratsvorsitzende, bleibt diese Einschätzung unsubstantiiert und wird vom Gericht nicht geteilt. Es ist bereits nicht erkennbar, inwiefern die Kinderbetreuung und die Betriebsratsarbeit vergleichbar sind. Beide Tätigkeiten mögen für sich genommen Stress auslösen. Dass die mit der jeweiligen Beschäftigung verbundenen Belastungen gleichartig sind, ist allerdings nicht ohne Weiteres ersichtlich. Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, inwiefern sie die Tätigkeiten für vergleichbar hält und woraus sie schließt, dass beide gleichermaßen anstrengend seien. Darüber hinaus hängt der Grad der mit der Kinderbetreuung verbundenen Belastung u. a. von der Kinder-Betreuer-Relation ab. Diese ist vorliegend unbekannt. Es ist nicht klar, ob neben der Klägerin und den von ihr als Zeugen benannten sechs Betreuern (Bl. 326 d. A.) noch weitere Betreuer an den jeweiligen Kinderfreizeiten teilnahmen. Ebenso wenig ist vorgetragen, wie viele Kinder bei dem Segeltörn in Kroatien zu betreuen waren.

(3)

In Anwendung derselben Grundsätze hat die Klägerin mit der Vorlage der Bescheinigung ihrer Ärztin für den Zeitraum 08.10.2010 bis 24.10.2010 zunächst ihre Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen. Der Beklagten ist es nicht gelungen, begründete Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung aufzuzeigen und dadurch ihren Beweiswert zu erschüttern.

Die Klägerin ist ihrer Beschäftigung als Betriebsratsvorsitzende in dem vorgenannten Krankheitszeitraum nicht in einem Maße nachgegangen, dass auf Grund der Intensität dieser Tätigkeit der begründete Verdacht besteht, die Klägerin habe ihre Arbeitsunfähigkeit lediglich vorgetäuscht.

Dabei kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sich die Klägerin am 8., 9., 11. und 12.10.2010 jeweils auf dem Betriebsgelände der Beklagten aufhielt und dort am 08.10.2010 zwei Stunden lang den Posteingang des Betriebsrats bearbeitete. Darüber hinaus kann unterstellt werden, dass die Klägerin - teils von ihrem privaten, teils von ihrem dienstlichen Email-Account - am 08.10.2010 insgesamt acht Emails sowie am 11.10.2010 insgesamt fünf Emails im Zusammenhang mit ihrer Betriebsratstätigkeit an andere Betriebsratsmitglieder versendete und dass sie schließlich zwischen dem 12. und dem 22.10.2010 insgesamt zwölf Emails von ihrem privaten Email-Account im Zusammenhang mit ihrer Betriebsratstätigkeit an andere Betriebsratsmitglieder schickte. Dennoch erreicht die angeblich erledigte Betriebsratsarbeit nicht einen Umfang, der den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern würde: Die Anwesenheit der Klägerin in den Betriebsräumen lässt für sich genommen nicht den Rückschluss zu, dass sie dort ihrer Betriebsratstätigkeit oder einer vergleichbaren Arbeit nachging. Soweit die Klägerin tatsächlich 25 dienstliche Emails in einem Zeitraum von zwei Wochen geschrieben haben sollte, entspricht der damit verbundene Arbeitsaufwand bei Weitem nicht der Vollzeitbeschäftigung einer freigestellten Betriebsratsvorsitzenden. Dass der Arbeitsaufwand einer Teilzeitbeschäftigung entspricht, wie sie die Klägerin ausübt, kann ebenfalls nicht zu Gunsten der Beklagten festgestellt werden. Auch wer arbeitsunfähig erkrankt ist, kann gelegentlich Emails mit dienstlichem Bezug verfassen. Dass die elektronisch versendeten Dokumente besonders umfangreich waren, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

bb)

Da der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum 04.08.2009 bis 16.10.2009 nicht erschüttert ist, geht auch der von der Beklagten in diesem Zusammenhang geäußerte Vorwurf des Arbeitszeitbetruges (Bl. 78 ff d. A.) ins Leere.

cc)

Die Beklagte kann sich zur Begründung der außerordentlichen Kündigung nicht auf den Vorwurf des genesungswidrigen Verhaltens berufen.

(1)

Die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht gebietet dem arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer, alles zu unterlassen, was die Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit verzögern könnte. Eine schwerwiegende Verletzung dieser Pflicht kann eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigen (BAG, Urteil vom 02.03.2006 - 2 AZR 53/05, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14).

(2)

Allerdings hat die Beklagte einen Verstoß der Klägerin gegen ihre Verpflichtung, sich gesundheitsfördernd zu verhalten, nicht substantiiert dargelegt.

(a)

Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, warum die Reisen der Klägerin nach Kroatien und an den Tegernsee ihre Genesung verzögert bzw. verhindert haben sollen. Wie bereits erwähnt, könnte es der Klägerin gut getan haben, ihr gewohntes Umfeld zu verlassen und Verantwortung für Mitmenschen zu übernehmen.

(b)

Ebenso wenig ist vorgetragen oder ersichtlich, inwiefern sich die Anwesenheit der Klägerin auf dem Betriebsgelände der Beklagten am 08.10.2010, am 09.10.2010, am 11.10.2010 und am 12.10.2010 negativ auf den Genesungsprozess ausgewirkt haben soll. Das gilt insbesondere, zumal nicht behauptet wird, dass die Klägerin in diesem Zeitraum bettlägerig erkrankt war. Allein der Hinweis, die Klägerin habe gerade zu Beginn der Erkrankung das Betriebsgelände aufgesucht, rechtfertigt keine abweichende Bewertung.

(c)

Auch das Verfassen von 25 dienstlichen Emails in einem Zeitraum von zwei Wochen ist nicht offensichtlich geeignet, den Genesungsprozess zu beeinträchtigen.

(3)

Schließlich scheitert eine auf den Vorwurf des genesungswidrigen Verhaltens gestützte Kündigung daran, dass die Beklagte nicht dargelegt hat, die Klägerin schon zuvor wegen einer einschlägigen Verhaltensweise abgemahnt zu haben.

Eine sofortige Kündigung ohne vorherige Abmahnung ist bei besonders groben Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers stets dann möglich, wenn dem Arbeitnehmer die Pflichtwidrigkeit ohne Weiteres erkennbar ist und er mit der Billigung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber nicht rechnen konnte (BAG, Urteil vom 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 = BAGE 74, 127 ff m. w. N.). Nach diesem rechtlichen Maßstab war eine Abmahnung vorliegend nicht entbehrlich. Es ist nicht ersichtlich, warum sich der Klägerin die Genesungswidrigkeit ihres Verhaltens hätte aufdrängen müssen. Gerade wenn die Genesungswidrigkeit für die Klägerin nicht offensichtlich gewesen ist, wäre aber eine Abmahnung erforderlich gewesen, um der Klägerin den Unrechtsgehalt und die Missbilligung ihres Verhaltens vor Augen zu führen.

dd)

Der Aufenthalt der Klägerin in den Betriebsräumen ohne Betätigung der Zeiterfassung am 8., 9., 11. und 12.10.2010 hat kein ausreichendes Gewicht, um an sich eine fristlose Kündigung rechtfertigen zu können. Bei einem solchen Verhalten des Arbeitnehmers ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unabhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalls nicht unzumutbar. Die fehlende Betätigung der Zeiterfassung verletzt nicht in schwerwiegender Weise anerkennenswerte Interessen des Arbeitgebers.

Grundsätzlich dient die Betätigung der Zeiterfassung dem Interesse des Arbeitgebers, die Einhaltung der Arbeitszeiten durch die Arbeitnehmer nachvollziehen zu können und eine Berechnungsgrundlage für das Entgelt zu schaffen. Da ein krankgeschriebener Arbeitnehmer keine Arbeitszeiten einzuhalten hat und sein Entgelt unabhängig von der Anwesenheit auf dem Betriebsgelände fortzuzahlen ist, fehlt dem Arbeitgeber in diesem Fall ein entsprechendes Interesse an der Kontrolle des Arbeitnehmers.

Der Aufenthalt in den Betriebsräumen trotz Krankmeldung wäre allenfalls unter dem Aspekt des genesungswidrigen Verhaltens oder der Vortäuschung von Arbeitsunfähigkeit geeignet, an sich einen wichtigen Grund für die Kündigung zu bilden. Wie bereits dargelegt, kommt hier jedoch eine Kündigung der Klägerin unter diesen Gesichtspunkten nicht in Betracht (siehe oben).

ee)

Selbst wenn die Klägerin die Beklagte erst am 12.10.2010 und somit am vierten Tag nach Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit über dieselbe informiert haben sollte, rechtfertigt auch dieser Umstand keine fristlose Kündigung. Die Dispositionsfähigkeit des Arbeitgebers, die durch eine frühzeitige Information gewahrt werden soll, wird durch diese Pflichtverletzung nicht nachhaltig beeinträchtigt. Die Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG zeigt, dass die fehlende Vorlage der ärztlichen Bescheinigung in erster Linie zu einem Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers führt, nicht aber einen wichtigen Grund für die Kündigung darstellt.

3.

Die von der Beklagten erklärte Kündigung ist auch als sog. Verdachtskündigung unwirksam, die gegenüber der Tatkündigung einen eigenen Kündigungsgrund bildet (vgl. zur Eigenständigkeit BAG NJW 1987, 516). Nach den vorstehenden Erwägungen ist der Beweiswert der klägerseits vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht erschüttert. Da demnach davon auszugehen ist, dass die Klägerin zwischen dem 04.08.2009 und dem 16.10.2009 sowie zwischen dem 08.10.2010 und dem 24.10.2010 tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war, bleibt für einen Verdacht des Arbeitszeitbetrugs bzw. der Vortäuschung von Arbeitsunfähigkeit kein Raum.

Der Verdacht genesungswidrigen Verhaltens lässt sich aus dem Vortrag der Beklagten ebenfalls nicht ableiten, zudem wäre in diesem Zusammenhang eine Abmahnung erforderlich gewesen (siehe oben).

4.

Eine ordentliche Kündigung der Klägerin scheitert, selbst wenn die Kündigungserklärung insoweit umzudeuten wäre, am besonderen Kündigungsschutz der Klägerin gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG.

5.

Ob das Nachschieben von Kündigungsgründen nur zulässig ist, wenn der Betriebsrat gemäß § 103 BetrVG der so begründeten Kündigung zustimmt, bedarf keiner Entscheidung. Denn die nachgeschobenen Kündigungsgründe, d.h. die Waffenlagerung im Betriebsratsbüro und die Beleidigung und Bedrohung von Betriebsratsmitgliedern am 02.11.2010, rechtfertigen hier ohnehin nicht die außerordentliche, fristlose Kündigung der Klägerin. Diesbezüglich wird auf die Erwägungen unter II. verwiesen.

II.

Der zulässige Klageantrag zu 2. ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 12.11.2010 nicht aufgelöst.

1.

Die Klägerin hat gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 7, 4 Satz 1 KSchG rechtzeitig Klage erhoben, da sie die Kündigung innerhalb von drei Wochen nach ihrem Zugang angegriffen hat.

2.

Die von der Beklagten erklärte Kündigung ist unwirksam.

a)

Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung liegt nicht vor.

aa)

Die Beklagte kann sich zur Begründung der außerordentlichen Kündigung nicht auf den Vorwurf der Waffenlagerung im Betriebsratsbüro berufen.

Die Klägerin hat substantiiert bestritten, Verteidigungshandwaffen im Betriebsratsbüro gelagert zu haben. Sie hat dargelegt, lediglich ein bestimmtes Modell eines Tierabwehrgeräts bei sich geführt zu haben und dieses Gerät, das einen aus Pfefferschoten gewonnenen Reizstoff verteilt, im Einzelnen beschrieben (vgl. Bl. 392 d. A.). Unter diesen Umständen ist die unsubstantiierte Behauptung der Beklagten, es handele sich tatsächlich um ein anderes als das von der Klägerin beschriebene Modell, gemäß § 138 Abs. 2 und 3 ZPO prozessual unbeachtlich.

Das Lagern eines Pfeffersprays o.ä. im Betriebsratsbüro rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung nicht. Dieses Verhalten stellt keinen an sich geeigneten wichtigen Grund für eine Kündigung dar. Unabhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalls ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist für den Arbeitgeber nicht unzumutbar. Ein Pfefferspray hat ein geringes Gefahrenpotential, es führt in aller Regel keine schwerwiegenden und dauerhaften Verletzungen herbei. Pfeffersprays sind im Gegensatz zu Schusswaffen nach den Vorgaben des Waffengesetzes nicht in abschließbaren Waffenschränken zu lagern. Das zeigt, dass auch der Gesetzgeber die abstrakte Gefahr, die von der Lagerung eines Pfeffersprays an allgemein zugänglichen Orten ausgeht, als hinnehmbar ansieht.

bb)

Die Beklagte kann sich zur Begründung der außerordentlichen Kündigung nicht auf den Vorwurf der Beleidigung und Bedrohung berufen.

Nach übereinstimmender Meinung in der Rechtsprechung sind grobe Beleidigungen oder Bedrohungen gegenüber Vorgesetzten und Arbeitskollegen grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben (vgl. BAG, Urteil vom 21.01.1999 - 2 AZR 665/98, in NZA 1999, 863 ff; BAG, Urteil vom 30.09.1993 - 2 AZR 188/93, zitiert nach juris; LAG Düsseldorf, Urteil vom 21.08.2008 - 5 Sa 240/08, zitiert nach juris; Urteil vom 16.07.2003 - 12 Sa 690/03, in LAGE § 280 BGB 2002 Nr. 1). Die Bedrohung auch eines Arbeitskollegen ist, wenn sie nachhaltig und ernsthaft erfolgt, eine derart schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, dass sie regelmäßig ohne vorherige Abmahnung zur Kündigung berechtigen kann (LAG Düsseldorf, Urteil vom 21.08.2008 - 5 Sa 240/08, zitiert nach juris; Urteil vom 16.07.2003 - 12 Sa 690/03, in LAGE § 280 BGB 2002 Nr. 1).

Nach diesem rechtlichen Maßstab sind nicht alle Äußerungen der Klägerin, auf die die Beklagte ihre Kündigung stützt, an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet.

(1)

Die unstreitige Äußerung der Klägerin gegenüber dem Zeugen Q. "Sie waren von vornherein gegen mich. Sie bekommen Post vom Anwalt." ist weder ehrverletzend noch drohend noch in sonstiger Weise verwerflich. Sie hat keine kündigungsrechtliche Relevanz. Das gilt auch dann, wenn die Klägerin - wie von der Beklagten behauptet - dem Zeugen Q. Post vom Anwalt "wegen Verleumdung" angekündigt haben sollte. Denn auf diese Weise bringt die Klägerin lediglich eine Rechtsauffassung zum Ausdruck.

(2)

Durch die unstreitige Bezeichnung des Zeugen U. als "Verrätersau" sowie durch ihre unstreitige Äußerung gegenüber dem Zeugen E. "Mit Ihnen fing alles an. Sie haben schon vor Gericht gelogen." hat die Klägerin einen Sachverhalt geschaffen, der ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund darzustellen.

Beide Äußerungen sind ehrverletzend. Bei der zuerst genannten handelt es sich um eine Beleidigung (§ 185 StGB). Die zuletzt genannte ist als Beleidigung oder als üble Nachrede (§ 186 StGB) strafbar - je nachdem, ob man eine ehrverletzende Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen selbst annimmt (d.h. gegenüber dem Zeugen E.) oder aber gegenüber Dritten (d.h. gegenüber den weiteren anwesenden Betriebsratsmitgliedern) im Bezug auf den betroffenen Zeugen E..

Allerdings rechtfertigt ein solches Verhalten keine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung.

(a)

Dem Sinn und Zweck des wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses entspricht es, dass auch bei einem abstrakt erheblichen Verhalten in jedem konkreten Einzelfalle eine Abwägung aller für und gegen die Lösung des Arbeitsverhältnisses sprechenden Gründe erfolgt (BAG, Urteil vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, u. a. in NZA 2010, 1227 ff; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.10.2010 - 3 Sa 315/10, zitiert nach juris). Bei der Prüfung des wichtigen Grundes kommt es nicht darauf an, wie ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich zu würdigen ist, sondern darauf, ob der Gesamtsachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht (BAG, Urteil vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, Rn. 30, u. a. in NZA 2010, 1227 ff). Zweck einer Kündigung wegen einer Vertragsverletzung darf regelmäßig nicht die Sanktion einer Vertragsverletzung sein. Die Kündigung dient der Vermeidung des Risikos weiterer Vertragsverletzungen (BAG, Urteil vom 23.06.2009, 2 AZR 103/08).

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG, Urteil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/10, u.a. in NZA 2010, 1227, 1231). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/10, u.a. in NZA 2010, 1227, 1231; BAG, Urteil vom 23.06.2009, 2 AZR 103/08, u.a. in NZA 2009, 1198; BAG, Urteil vom 19.04.2007, 2 AZR 180/06, u.a. in NZA-RR 2007, 571).

(b)

Ausgehend von diesem Maßstab war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

(aa)

Zum einen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin auch nach erfolgter Abmahnung das missbilligte Verhalten fortsetzen würde. Nachdem die übrigen Betriebsratsmitglieder ihrer Kündigung zugestimmt hatten, war die Klägerin nachvollziehbarerweise enttäuscht, wütend und frustriert. Sie befand sich in einer emotionalen Ausnahmesituation. Es ist nicht absehbar, dass sich eine derartige Situation wiederholen wird und dass die Klägerin nach einer Abmahnung nicht in der Lage wäre, von einer derartigen Äußerung abzusehen. Entsprechend ist nicht erkennbar, warum die Klägerin, die zuvor nicht durch Beleidigungen gegenüber Kollegen aufgefallen ist, künftig ein solches Verhalten im Betrieb zeigen sollte.

(bb)

Zum anderen handelt es sich bei den eingangs genannten Beleidigungen nicht um so schwere Pflichtverletzungen, dass eine Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich - auch für die Klägerin erkennbar - ausgeschlossen ist.

Bei der insoweit vorzunehmenden Abwägung sind die vertragsbezogenen Interessen des Arbeitgebers von Bedeutung. Zu diesen zählen Gesichtspunkte der Betriebsdisziplin, das heißt generalpräventive Motive des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 4.7.1997, 2 AZR 526/96). Diese erforderten hier allerdings nicht die Kündigung der Klägerin. Bereits die Ahndung der der Klägerin vorgeworfenen Pflichtverletzungen mittels Abmahnung hätte den übrigen Arbeitnehmern der Beklagten aufgezeigt, dass ein solches Verhalten nicht folgenlos bleibt und ggf. zum Verlust des Arbeitsplatzes führen kann.

Ebenso wenig erforderte die Wahrung des Betriebsfriedens eine Kündigung der Klägerin. Wie bereits dargelegt, sind weitere Beleidigungen der Klägerin gegenüber ihren Kollegen nicht konkret zu erwarten. Eine dauerhafte, fortwährende Beeinträchtigung des Betriebsfriedens ist demnach nicht zu befürchten.

(3)

Die streitigen Äußerungen der Klägerin gegenüber den anderen Betriebsratsmitgliedern am 02.11.2010 sind als Drohungen ebenfalls geeignet, an sich einen wichtigen Grund für die Kündigung zu bilden. Aus verschiedenen Gründen tragen sie im Ergebnis die außerordentliche, fristlose Kündigung der Klägerin dennoch nicht.

(a)

Wer eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat, ist darlegungs- und beweisbelastet für die Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Der Kündigende muss somit die Voraussetzungen für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung in vollem Umfang darlegen und beweisen. Kündigt also der Arbeitgeber, so ist er es, der alle Umstände, die den Vorwurf begründen, der Arbeitnehmer habe vertragswidrig und schuldhaft gehandelt, darlegen und gegebenenfalls beweisen muss (BAG, Urteil vom 19.12.1991 - 2 AZR 367/91, zitiert nach juris; LAG Düsseldorf, Urteil vom 21.08.2008 - 5 Sa 240/08, zitiert nach juris; LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.07.2003 - 12 Sa 690/03, in LAGE § 280 BGB 2002 Nr. 1).

(b)

Die demnach beweisbelastete Beklagte ist im Bezug auf eine der streitgegenständlichen Drohungen beweisfällig geblieben: Soweit die Beklagte der Klägerin zum Vorwurf macht, sie habe am 02.11.2010 zwischen 9:45 Uhr und 10 Uhr der Zeugin T. gedroht "Niedersprockhövel ist klein. Wenn Du mich triffst, wechsele besser die Straßenseite, sonst passiert was.", ist genau diese Äußerung nicht zur Überzeugung des Gerichts bewiesen.

Im Rahmen der dem Gericht gemäß §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO zustehenden freien Beweiswürdigung ist ein Beweis erst dann erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmung in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und alle vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall.

Die Aussage des Zeugen X., der bekundete, bereits kurz nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses das Betriebsratsbüro verlassen zu haben und die Klägerin bis dahin wortlos erlebt zu haben (Bl. 544 d. A.), ist unergiebig.

Die Zeugin T. bekundete, die Klägerin habe ihr gegenüber geäußert "Niedersprockhövel ist klein. Wenn du mich siehst, wechsele besser die Straßenseite, sonst passiert etwas." (Bl. 515 d. A.).

Die Zeugen K., Q. und G. gaben die klägerische Äußerung wortgleich wieder (Bl. 531, 534, 536 d. A.).

Die Zeugin ×. bekundete, die Klägerin habe zu der Zeugin T. gesagt "Niedersprockhövel ist klein. Wenn du mich siehst, wechsele die Straßenseite, sonst passiert was." (Bl. 521 d. A.).

Nach Aussage des Zeugen U. drohte die Klägerin der Zeugin T. "Niedersprockhövel ist klein. Wenn du mich siehst, wechsele lieber die Straßenseite, sonst passiert etwas." (Bl. 527 d. A.).

Der Zeuge E. gab an, die Klägerin habe zu der Zeugin T. gesagt "Niedersprockhövel ist klein, du gehst besser auf die andere Straßenseite." (Bl. 539 d. A.).

Demgegenüber hat die Zeugin X. bekundet, die Klägerin habe zu der Zeugin T. gesagt "Niedersprockhövel ist klein. Wenn wir uns treffen, geh mir aus dem Weg." (Bl. 545 d. A.).

Die Zeugin G. bekundete, die Klägerin habe sich an die Zeugin T. gewandt mit den Worten "Niedersprockhövel ist klein. Wenn du mich triffst, wechsele die Straßenseite. Es tut mir so weh." (Bl. 541 d. A.).

Nach Aussage des Zeugen X. äußerte die Klägerin gegenüber der Zeugin T. "Geh mir aus den Augen. Du warst meine beste Freundin." (Bl. 548 d. A.).

Das Gericht vermochte nicht zu entscheiden, welche der sich widersprechenden Aussagen zutrifft. Alle sind gleichermaßen lebensnah, sie decken sich jeweils mit dem Vortrag der Partei, die den Zeugen benannt hat. Alle Zeugen gaben als Grund für ihre präzise Erinnerung an die klägerische Äußerung an, sich Notizen gemacht zu haben. Darüber hinaus konnten einige der Zeugen ihre Erinnerung mit einem gewissen persönlichen Bezug zum Inhalt der Äußerung oder zur Klägerin bzw. der angesprochenen Zeugin T. begründen: Die Zeugin T. war unmittelbar betroffen, weshalb sich die Eindrücke nach eigenen Angaben bei ihr "regelrecht eingebrannt" (Bl. 517 d. A.) haben. Der Zeuge E. gab an, die Äußerung gegenüber der Zeugin T. als besonders bedrohlich empfunden und sie sich deswegen gemerkt zu haben (Bl. 540 d. A.). Die Zeugin G. bekundete, die Äußerung sei für sie erinnernswert gewesen, weil sie mal in Niedersprockhövel gearbeitet habe und dieser Ort deswegen für sie ein Begriff sei (Bl. 543 d. A.). Nach Angaben des Zeugen X. war die Äußerung der Klägerin bemerkenswert, weil die Klägerin und die Zeugin T. ursprünglich beste Freundinnen gewesen seien (Bl. 550 d. A.).

Auch die angegebenen Motive für das Niederschreiben der Äußerung erscheinen plausibel: Die Zeugin G. bekundete, sich die Äußerung aufgeschrieben zu haben, weil ihr klar geworden sei, dass die Klägerin wegen der Vorfälle im Anschluss an die Betriebsratssitzung Probleme bekomme und weil Kollegen sie auf diese Vorfälle angesprochen hätten (Bl. 541 d. A.). Die Zeugin X. gab an, sich die Äußerung aufgeschrieben zu haben, weil sie besonders lautstark gewesen sei (Bl. 546, 547 d. A.). Der Zeuge X. bekundete, auf Grund vergangener Erfahrungen als Betriebsratsmitglied bereits geahnt zu haben, dass man sich wegen der Geschehnisse am 02.11.2010 vor Gericht wiedersehen werde und sich daher Notizen gemacht zu haben (Bl. 549 d. A.).

Dass die von der Beklagten benannten Zeugen die klägerische Äußerung nahezu wortgleich wiedergaben, ist dadurch zu erklären, dass eine Gruppe von Zeugen, bestehend aus den Zeugen G., Q., U., E. und den Zeuginnen T. und ×. nach eigenen Angaben noch am 02.11.2010 die Äußerungen der Klägerin gemeinsam sammelte und notierte (vgl. Bl. 516 d. A.). Eine solche Zusammenarbeit fand zwischen den klägerseits benannten Zeugen nicht statt, was erklärt, dass ihre Aussagen sich im Wortlaut nicht gleichermaßen decken. Die geringfügigen Diskrepanzen weisen darauf hin, dass sich diese Zeugen untereinander nicht abgesprochen haben. Mit Ausnahme der Bekundungen des Zeugen X. sind die Äußerungen, die die klägerseits benannten Zeugen wiedergegeben haben, nach ihrem Sinngehalt hinreichend übereinstimmend, um sich gegenseitig zu bestätigen. Denn diesen Äußerungen ist gemeinsam, dass sie auf den Ort Niedersprockhövel Bezug nehmen und dass eine Enttäuschung der Klägerin über die Zeugin T. zum Ausdruck kommt sowie das Bestreben der Klägerin, ein Zusammentreffen mit der Zeugin T. zu vermeiden. Zudem fehlt diesen Äußerungen sämtlich das Element der Drohung.

Die Schilderungen des zeitlichen Ablaufs weisen keine wesentlichen Abweichungen auf: Zu der klägerischen Äußerung soll es unmittelbar nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses gekommen sein (so die Zeugin T., Bl. 515, die Zeugin ×., Bl. 523, der Zeuge U., Bl. 527, der Zeuge K., Bl. 531, der Zeuge Q., Bl. 534, der Zeuge G., Bl. 536, der Zeuge E., Bl. 539, die Zeugin G., Bl. 541 d. A.).

Die Angaben, welche Betriebsratsmitglieder im Zeitpunkt der klägerischen Äußerung noch im Betriebsratsbüro anwesend waren, weichen voneinander ab. Beispielsweise gab die Zeugin G. an, sich sicher an die Zeuginnen T. und ×. sowie an den Zeugen U. zu erinnern (Bl. 542 d. A.), während nach Angaben des Zeugen G. alle Betriebsratsmitglieder mit Ausnahme des Zeugen S. zumindest zu Beginn der sog. "Generalabrechnung" anwesend waren (Bl. 536 d. A.). Daraus lässt sich jedoch kein Rückschluss auf den Wahrheitsgehalt der jeweiligen Aussagen ziehen. Von den Zeugen kann nicht erwartet werden, dass sie Anzahl und Namen der anwesenden Personen noch fast fünf Monate nach dem Ereignis benennen können.

Objektive Kriterien, an denen der Wahrheitsgehalt der Aussagen gemessen werden könnte, bestehen nicht. Der Vorfall kann sich ebenso gut so zugetragen haben, wie ihn die von der Beklagten benannten Zeugen oder die von der Klägerin benannten Zeugen geschildert haben. Bei diesen Zeugen waren Wahrnehmungsbereitschaft, -fähigkeit und Wahrnehmungsmöglichkeit in gleichem Maße gegeben.

Das Gericht sieht sich auch außerstande, einen der Zeugen gegenüber dem anderen für glaubwürdiger zu erachten. Alle Zeugen stehen jeweils im Lager der Partei, die sie benannt hat. Die Klägerin hat als Zeugen die bei den Ereignissen anwesenden Betriebsratsmitglieder der Minderheitsfraktion angegeben (vgl. Bl. 329 d. A.), die gegen die Kündigung der Klägerin war. Die von der Beklagten benannten Zeugen gehören entsprechend der Mehrheitsfraktion des Betriebsrats an, die sich für die Kündigung ausgesprochen hat.

Es ist nicht erkennbar, dass sich bestimmte Zeugen in einem geringeren oder in einem höheren Maße als andere von der Nähe zu der jeweiligen Partei haben leiten lassen. Keine der Aussagen verdient den Vorzug vor der anderen.

(c)

Soweit die Beklagte der Klägerin zum Vorwurf macht, sie habe am 02.11.2010 zwischen 9:45 Uhr und 10 Uhr gegenüber der Zeugin T. geäußert "Geh mir aus den Augen, sonst schlage ich Dich zu Brei.", mag dieser Vorwurf zutreffen. Die Beweisaufnahme hat jedoch keine objektiven Anhaltspunkte für die Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit dieser Drohung ergeben.

(aa)

Die Ernsthaftigkeit der Drohung lässt sich nicht aus dem unmittelbar voraus gegangenen Verhalten der Klägerin im Betriebsratsbüro herleiten. Die Äußerung der Klägerin stellt sich nicht als Teil einer Serie von Drohungen dar, so dass aus der Konstanz des klägerischen Handelns auf eine gewisse Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit geschlossen werden könnte. Wie bereits dargelegt, ist nicht bewiesen, dass die Klägerin die Zeugin T. zuvor mit den Worten bedroht hatte "Wenn Du mich triffst, wechsele besser die Straßenseite, sonst passiert was.".

(bb)

Dass es sich bei dem in Aussicht gestellten Akt der Gewalt um ein reales Bedrohungsszenario handelte, lässt sich auch nicht aus der Vehemenz und Erregung schließen, mit der die Klägerin die Drohung vorbrachte. Es ist nicht bewiesen, dass die Klägerin die Zeugin T. wütend anschrie.

Die Zeugin T., gegen die sich die Drohung richtete, bekundete, die Klägerin habe die Drohung in üblicher Unterhaltungslautstärke von sich gegeben (Bl. 519 d. A.). Auf Vorhalt bekräftigte sie, die Klägerin habe in normaler Lautstärke gesprochen (Bl. 520 d. A.).

Hingegen beschrieb die Zeugin ×. die Klägerin als sehr erregt. Sie habe einen hochroten Kopf gehabt und regelrecht geschrien (Bl. 522 d. A.). Die Zeugin ×. bekräftigte ebenfalls auf Vorhalt, die Klägerin habe "sehr, sehr, sehr laut gesprochen" (Bl. 524 d. A.), sie habe gebrüllt und geschrien.

Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Aussagen lässt sich nicht dadurch erklären, dass die Zeugin T. als Betroffene besonders verängstigt war und daher die Begleitumstände der Äußerung besonders intensiv und bedrohlich erlebte. Denn nicht etwa die Zeugin T. beschrieb die Klägerin als wütend und erregt, sondern ihre Begleitperson, die Zeugin ×.. Eine nahe liegende Erklärung für diesen Wahrnehmungsunterschied fehlt.

Dass die Bekundungen der einen Zeugin glaubhafter sind als diejenigen der anderen, lässt sich nicht feststellen.

Beide Zeuginnen verdeutlichen ihren emotionalen Bezug zu dem Geschehen. Die Zeugin T. tut dies beispielsweise, indem sie das Verlassen des Betriebsratsgebäudes damit erklärt "Wir wollten tief Luft holen." (Bl. 516 d. A.). Die Zeugin ×. tut dies, indem sie ihren Eindruck schildert, bei der Konfrontation zwischen der Klägerin und der Zeugin T. "gleich dazwischen gehen" zu müssen (Bl. 521 d. A.). Jede der beiden Schilderungen ist für sich genommen plausibel, widerspruchsfrei und wird detailreich vorgebracht. So erinnert sich die Zeugin T. an die eigentlich nebensächliche größere Menge Papier, die aus dem Kopierer kam (Bl. 515 d. A.). Die Zeugin ×. erinnert sich z. B. an die geringe Entfernung zwischen der Zeugin T. und der Klägerin sowie an ihre Bemühungen, die Zeugin T. zur Seite zu ziehen (Bl. 521 d. A.).

(cc)

Die Ernsthaftigkeit der Drohung lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass die Klägerin zu ihrer Verwirklichung ansetzte. Nach den Bekundungen der Zeugin ×. näherte sich die Klägerin der Zeugin T. nicht körperlich (Bl. 522 d. A.).

(dd)

Ob die Klägerin als Sportschützin aktiv ist, ist für die Frage der Ernsthaftigkeit der Drohung irrelevant. Es gibt keine Erfahrungswerte, nach denen Sportschützen zu Aggressionen neigen. Abgesehen davon weist die von der Klägerin ausgesprochene Drohung keinen Bezug zum Schusswaffengebrauch auf.

(ee)

Selbst wenn die Klägerin, wie von der Beklagten behauptet, "Waffen" im Betriebsratsbüro gelagert haben sollte, lässt sich daraus kein Indiz für die Ernsthaftigkeit der Drohung herleiten. Denn die "Waffen", um die es hier geht, sind Pfeffersprays, die typischerweise nur ein geringfügiges Verletzungspotential aufweisen (siehe oben). Darüber hinaus besteht kein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Pfefferspray und dem angedrohten "Zu-Brei-Schlagen".

(ff)

Selbst wenn die Klägerin, wie von der Beklagten behauptet, die gewaltsame Tötung ihres Vaters in Aussicht gestellt haben sollte, folgt daraus nicht, dass die Klägerin ihre Drohung gegenüber der Zeugin T. tatsächlich in die Tat umsetzen würde. Allenfalls zeigt die Tatsache, dass die Klägerin ihren Vater entgegen ihrer angeblichen Ankündigung nicht umgebracht hat, dass es sich bei der einen Äußerung wie bei der anderen jeweils um eine völlig überzogene verbale Attacke handelt.

(gg)

Schließlich ist bei der Beurteilung der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Drohung zu berücksichtigen, dass auch die Zeugen, die die Klägerin belasteten, einhellig bekundeten, dass die Klägerin eine lockere, sogar aggressive Sprache pflege. Es fehlen besondere Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass die hier vorliegende Drohung gegenüber der Zeugin T. ernst zu nehmen war und nicht etwa zu den üblichen, von der Klägerin anscheinend unbedacht gebrauchten Floskeln zählte.

So bekundete die Zeugin T., gegen die sich die streitgegenständliche Drohung richtete, die Klägerin habe generell eine aggressive Sprache, was die Lautstärke und die Wortwahl angehe (Bl. 518 d. A.). Die Zeugin ×. bescheinigte der Klägerin ein lautes und forsches Auftreten sowie eine lockere Wortwahl (Bl. 523 d. A.). Nach Aussage des Zeugen G. benutzte die Klägerin in den vergangenen Betriebsratssitzungen Floskeln wie "wird umgebracht" oder "wird erschossen" (Bl. 537 d. A.). Es gibt für das Gericht keinen Anlass, an dem Wahrheitsgehalt der sich insoweit deckenden Zeugenaussagen zu zweifeln.

(hh)

Auf Grund der fehlenden tatsächlichen Bedrohung hätte die Beklagte hier die Klägerin für ihr behauptetes Verhalten zunächst abmahnen müssen. Dass eine solche Abmahnung keine Auswirkungen auf das Verhalten der Klägerin haben würde, ist für die Kammer nicht erkennbar (siehe oben).

(d)

Soweit die Beklagte der Klägerin zum Vorwurf macht, sie habe am 02.11.2010 gegen 10.45 Uhr gegenüber dem Zeugen U. geäußert "Verräterschwein. Du wirst nicht mehr lange Betriebsrat sein. Du wirst nicht mehr lange Deinen Job haben." und "Du solltest besser nicht in die Kantine kommen, sonst gibt´s was auf die Fresse." scheitert eine auf diesen Vorwurf gestützte Kündigung jedenfalls an der zu Gunsten der Klägerin ausgehenden Interessenabwägung (dazu im Einzelnen siehe unten).

(aa)

Ergänzend ist zunächst anzumerken, dass Unsicherheiten auf tatsächlicher Ebene bestehen. Ob diese dazu führen, dass die vorstehenden Äußerungen nicht zur Überzeugung des Gerichts bewiesen sind, kann offen bleiben, weil die Kündigung auch dann unwirksam wäre, wenn die Äußerungen bewiesen wären und sie hinreichend ernsthaft und nachhaltig vorgebracht worden wären, um an sich einen wichtigen Grund für die Kündigung zu bilden.

Die tatsächlichen Unsicherheiten folgen aus der Diskrepanz zwischen den Aussagen des Zeugen G. einerseits und der Zeugin ×. andererseits in einem das Kerngeschehen betreffenden Punkt: So bekundete der Zeuge G., der nach eigenen Angaben circa eine Armlänge von dem angerufenen Zeugen U. entfernt saß, er habe die Stimme der Klägerin erkannt, sei aber akustisch nicht in der Lage gewesen, die Klägerin zu verstehen (Bl. 537 d. A.). Hingegen bekundete die Zeugin ×., die nach eigenen Angaben ebenfalls eine Armlänge von dem Zeugen U. entfernt saß, sie habe die Äußerungen der Klägerin genau verstehen können. Zur Begründung führte sie aus, sie haben neben dem Zeugen U. gesessen (Bl. 522, 526 d. A.). Diese Angaben zur Sitzordnung werden vom Zeugen U. selbst nicht bestätigt, der bekundete, im Zeitpunkt des Anrufs neben der Zeugin T. und dem Zeugen G. gesessen zu haben (Bl. 528 d. A.).

(bb)

Unabhängig von den beschriebenen tatsächlichen Unsicherheiten tragen die eingangs genannten Äußerungen der Klägerin gegenüber dem Zeugen U. die außerordentliche, fristlose Kündigung der Klägerin nicht.

Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung überwiegt das Interesse der Klägerin am Bestand des Arbeitsverhältnisses das Interesse der Beklagten an dessen sofortiger Beendigung. Es ist der Beklagten nicht unzumutbar geworden, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist, d.h. bis zum 30.04.2011, fortzusetzen.

Für eine Lösung des Arbeitsverhältnisses mit sofortiger Wirkung spricht das Interesse des Arbeitgebers, Beeinträchtigungen der betrieblichen Zusammenarbeit durch Bedrohungen zu verhindern und Arbeitnehmer im Rahmen seiner Fürsorgepflicht vor Bedrohungen durch Kollegen zu bewahren.

Zu Gunsten der Klägerin ist jedoch maßgeblich zu berücksichtigen, dass ihr Fehlverhalten einen einmaligen Vorfall darstellen dürfte. In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, dass sich die Klägerin nach der Mitteilung, die übrigen Betriebsratsmitglieder hätten ihrer Kündigung zugestimmt, emotional in einer Ausnahmesituation befand. Es erscheint nachvollziehbar, dass sie in dieser von ihr als frustrierend und kränkend empfundenen Situation ihren Ärger und ihre Enttäuschung zum Ausdruck brachte - wenn auch in unangemessener Art und Weise. Ihre inakzeptablen Äußerungen gegenüber dem Zeugen U. sind nach Auffassung der Kammer als Reaktion auf den aus Klägersicht vorliegenden "Verrat" zu verstehen und vor dem Hintergrund eines vorübergehenden Wut- und Erregungszustands zu sehen. Dass die Klägerin bereits ahnte, dass die Abstimmung über ihre Kündigung zu ihren Lasten ausgehen würde, schließt eine momentane Enttäuschung der Klägerin nicht aus. Denn erst mit Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses konkretisierte sich für die Klägerin die Möglichkeit, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Außerdem bestätigte das Abstimmungsergebnis, dass die Klägerin ihren Rückhalt im Betriebsrat verloren hatte. Insofern ist es nahe liegend, dass die Klägerin auch eine knappe Stunde nach Bekanntgabe des Ergebnisses, als sie den Zeugen U. angerufen haben soll, emotional aufgewühlt war.

Zudem sind zu Gunsten der Klägerin ihre bisherigen Leistungen und ihre Bewährung im Betrieb zu bewerten. Die Klägerin ist in der Vergangenheit nicht einschlägig im Bezug auf Beleidigungen und Drohungen abgemahnt worden. Sie hat sich in den zehn Jahren ihrer insoweit unbeanstandeten Beschäftigung bei der Beklagten ein "Vertrauenskapital" erworben.

Auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt als personenbedingtes Interesse des Arbeitnehmers sind zu berücksichtigen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.11.2010, 10 Sa 1823/10). In diesem Zusammenhang spielt eine Rolle, dass die Klägerin seit mehreren Jahren wegen ihrer Freistellung nicht in ihrem ursprünglichen Beruf als kaufmännische Angestellte gearbeitet hat und daher voraussichtlich mit besonderen Schwierigkeiten bei der Suche nach einer neuen Anstellung konfrontiert wird.

(4)

Auch in der Gesamtschau rechtfertigen die unstreitigen sowie die bewiesenen bzw. als bewiesen unterstellten Äußerungen die außerordentliche, fristlose Kündigung der Klägerin nicht.

Aus Sicht der Kammer wäre für eine außerordentliche Kündigung erforderlich gewesen, dass alle streitgegenständlichen Äußerungen feststehen und dass hinreichende Anhaltspunkte für die Ernsthaftigkeit sämtlicher Drohungen vorliegen. Tatsächlich stellt sich das gefundene Ergebnis jedoch anders dar. Die Drohungen sind teils nicht bewiesen, teils nicht als ernsthaft zu qualifizieren (im Einzelnen siehe oben).

Zwei unstreitige ehrverletzende Äußerungen (siehe oben unter II. 2. a. bb. (2)), eine offenbar nicht ernst gemeinte Drohung (siehe oben unter II. 2. a. bb. (3) (c)) und eine unterstellt ernsthafte Drohung (siehe oben unter II. 2. a. bb. (3) (d)) tragen die fristlose Kündigung nicht. Es überwiegt insofern noch das Interesse der Klägerin am Bestand ihres Arbeitsverhältnisses. Hierbei hat die Kammer zu Gunsten der Klägerin wiederum maßgeblich berücksichtigt, dass sie im Zeitpunkt der Beleidigungen bzw. Drohungen besonders angespannt und aufgewühlt war. Ihr erstmals aufgetretenes Fehlverhalten hat insofern Ausnahmecharakter und beruht auf einem ansatzweise nachvollziehbaren Motiv. Daneben haben sich die relativ lange Betriebszugehörigkeit der Klägerin und ihre Schwierigkeiten bei der Suche nach einer neuen Anstellung (siehe oben) auch bei der Gesamtwürdigung der Kündigungsgründe entscheidend zu Gunsten der Klägerin ausgewirkt.

Da der Kündigungsschutzklage stattzugeben war, soweit die Kündigung auf Gründe gestützt wird, die Gegenstand der Beweisaufnahme vom 05.04.2011 waren, konnte von Amts wegen auf die von der Klägerin benannten und bislang nicht vernommenen Zeugen N. und S. verzichtet werden.

b)

Da ein Kündigungsgrund fehlt, kam es auf die Frage, ob der Betriebsrat wirksam seine Zustimmung zur Kündigung der Klägerin erteilt hat, für die Entscheidung nicht mehr an.

III.

Von einer Kostenentscheidung war abzusehen, weil bei dem Erlass des vorliegenden Teilurteils noch nicht abzusehen ist, in welchem Umfang jede Partei obsiegt und unterliegt.

IV.

Der Streitwert war gemäß den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO im Urteil festzusetzen. Dabei war der Klageantrag zu 1. mit drei Bruttomonatsgehältern à 2.400 € und der Antrag zu 2. mit einem weiteren Bruttomonatsgehalt zu bewerten.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei

B e r u f u n g

eingelegt werden. Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21,40227 Düsseldorf, Fax: 0211-7770 2199 eingegangen sein.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.

Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

Dr. Busch

Zitate24
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte