OLG Köln, Urteil vom 15.03.2013 - 20 U 230/12
Fundstelle
openJur 2013, 27155
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 29. Oktober 2012 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 9 O 320/12 - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt insgesamt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die bei der Beklagten geführte Lebensversicherung/Direktversicherung mit der Versicherungs-Nr. 75xxxxx (Versicherungsnehmer: X eG; versicherte Person: F) seit dem 01. Februar 2008 zu unveränderten Bedingungen (Versicherungssumme = 57.675,77 €) fortbesteht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger schloss im Jahre 1991 bei der B AG eine Kapitallebensversicherung ab, die in der Folgezeit auf die Beklagte überging und auf eine Versicherungssumme von 57.675,77 € erhöht wurde. Seit der Umwandlung in eine betriebliche Direktversicherung ist der Kläger versicherte Person; Versicherungsnehmerin ist die X eG als Arbeitgeberin des Klägers. Mit Schreiben vom 31.03.2008 wandte sich die Versicherungsnehmerin mit der Bitte um Beitragsfreistellung an die Beklagte. In dem Schreiben heißt es wörtlich:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir bitten um Beitragsfreistellung des o.g. Versicherungsvertrages mit Wirkung zum 01.01.2008. Die o.g. Rentenversicherung wurde bisher durch eine monatliche Entgeltumwandlung finanziert.

Herr F ist jedoch bis auf weiteres krank ohne Lohnfortzahlung und bezieht von uns kein laufendes Entgelt. Sobald Herr F wieder ein lfd. Entgelt von uns bezieht, werden wir die Beitragszahlung wieder aufnehmen.

Die Beklagte teilte der Versicherungsnehmerin mit Schreiben vom 31.07.2008 mit, dass die Versicherung ab dem 01.02.2008 beitragsfrei bestehe und sich die beitragsfreie Versicherungssumme auf 26.913,00 € belaufe. Weiter heißt es in dem Schreiben, dass eine Wiederinkraftsetzung nur innerhalb von zwei Jahren möglich sei und je nach Art und Umfang des Versicherungsschutzes eine neue Gesundheitsprüfung erfordere. Mit Schreiben vom 20.05.2009 teilte die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit, dass sie die Freistellung von den Beiträgen zum 01.05.2009 aufheben wolle.

Die Beklagte bat um Überweisung der Beiträge für die Zeit vom 01.02.2008 bis zum 30.04.2009 und wies darauf hin, dass die Wiederinkraftsetzung von einer neuen Gesundheitsprüfung abhängig sei. Nach Prüfung der Gesundheitserklärung des Klägers lehnte sie eine Wiederinkraftsetzung ab.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, das Schreiben vom 31.07.2008 enthalte ein Angebot der Beklagten auf Abschluss des Versicherungsvertrags zu den ursprünglichen Bedingungen. Dieses Angebot habe die Versicherungsnehmerin spätestens mit Schreiben vom 07.01.2010 angenommen. Zudem habe sich die Beklagte schadensersatzpflichtig gemacht, da sie es unterlassen habe, über die erheblichen Folgen der Beitragsfreistellung aufzuklären. Auch im Hinblick darauf sei das Versicherungsverhältnis zu den ursprünglichen Bedingungen fortzusetzen.

Der Kläger hat beantragt,

1.

festzustellen, dass die bei der Beklagten geführte Lebensversicherung/Direktversicherung mit der Versicherungs-Nr. 75xxxxx (Versicherungsnehmer: X eG; versicherte Person: F) seit dem 01.02.2008 zu unveränderten Bedingungen (Versicherungssumme = 57.675,77 €) fortbesteht;

2.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Kosten in Höhe von 1.307,81 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die Versicherungsnehmerin habe die Versicherung mit Schreiben vom 31.03.2008 gemäß § 174 VVG a.F. (§ 165 VVG n.F.) wirksam in eine beitragsfreie Versicherung umgewandelt. Die Wiederinkraftsetzung sei wie ein Neuabschluss zu bewerten und könne daher von einer erneuten Gesundheitsprüfung abhängig gemacht werden. Eine Verletzung ihrer Beratungspflicht scheide schon deshalb aus, weil die Versicherungsnehmerin vor der Umwandlung keine Beratung bei ihr in Anspruch genommen habe. Selbst wenn der Kläger eine Wiederinkraftsetzung verlangen könne, käme im Hinblick auf die ausstehenden Beiträge allenfalls eine Zugum-Zug-Verurteilung in Betracht.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Versicherung sei durch einseitige Willenserklärung der Versicherungsnehmerin in eine prämienfreie Versicherung umgewandelt worden. Das Schreiben der Beklagten vom 31.07.2008 sei ersichtlich nicht als verbindliches Angebot auf Wiederinkraftsetzung zu verstehen. Eine Pflichtverletzung der Beklagten, die dazu führen würde, dass sie sich gemäß § 242 BGB so behandeln lassen müsse, als sei die ursprüngliche Versicherung wieder in Kraft gesetzt worden, liege nicht vor.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens die erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg.

Die für den Kläger bei der Beklagten bestehende Lebensversicherung ist nicht gemäß § 174 VVG a.F. (§ 165 VVG n.F.) in eine prämienfreie Versicherung umgewandelt worden. Die Versicherung besteht zu unveränderten Bedingungen fort.

1.

Die Parteien sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass durch das Schreiben der Versicherungsnehmerin vom 31.03.2008 die Lebensversicherung in eine beitragsfreie Versicherung umgewandelt werden sollte. Der Senat teilt diese Auffassung nicht und nimmt eine eigene Auslegung der Erklärung der Versicherungsnehmerin vor. An die Rechtsauffassung der Parteien ist er dabei nach dem Grundsatz "iura novit curia" nicht gebunden, denn die Auslegung zur Ermittlung des objektiven Sinns einer Willenserklärung gehört zur rechtlichen Beurteilung (Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., vor § 128 Rn 161; vgl. zudem OLG Köln, Beschluss vom 18.02.2011, 18 U 139/10, juris-Tz. 9). Auch die Feststellungen im angefochtenen Urteil hindern den Senat nicht an einer eigenen Auslegung des Schreibens vom 31.03.2008. Im Rahmen der Berufungsgründe nach §§ 513 Abs. 1, 529 ZPO prüft das Berufungsgericht auch Rechtsfehler bei der Auslegung von Willenserklärungen (Heßler in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 513 Rn 2). Hält es die erstinstanzliche Auslegung nicht für sachlich überzeugend, so kann das Berufungsgericht überdies selbst die Auslegung vornehmen, die es als Grundlage einer sachgerechten Entscheidung des Einzelfalles für geboten hält (BGH, NJW 2004, 2751).

2.

Das Schreiben der Versicherungsnehmerin vom 31.03.2008 ist nicht als Umwandlungsverlangen im Sinne von § 174 VVG a.F. auszulegen.

a.

Zur Umwandlung einer Lebensversicherung in eine prämienfreie Versicherung bedarf es einer Erklärung des Versicherungsnehmers, in der klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck kommt, die Versicherung in eine prämienfreie umzuwandeln (BGH, VersR 1975, 1089; Reiff in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 165 Rn 6). Im Hinblick auf die gravierenden Folgen der Umwandlung für den Versicherungsschutz darf die Auslegung eines Antrags auf Beitragsfreistellung nicht allein am Wortlaut haften bleiben. Maßgeblich ist vielmehr, ob unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhanges in der Erklärung der eindeutige Wille zum Ausdruck kommt, die Lebensversicherung auf Dauer beitragsfrei zu stellen (OLG Stuttgart VersR 2002, 301). Fehlt es an einem eindeutigen Umwandlungsverlangen, besteht der Versicherungsvertrag unverändert fort (OLG Stuttgart a.a.O.).

b.

Zwar bat die Versicherungsnehmerin im Schreiben vom 31.03.2008 um eine Beitragsfreistellung der Versicherung zum 01.01.2008. Aus dem weiteren Inhalt des Schreibens geht aber hervor, dass die Beitragsfreistellung für die betriebliche Direktversicherung wegen einer Erkrankung des Klägers gewünscht wurde, die zu einem Wegfall der Lohnfortzahlung geführt hatte. Die Versicherungsnehmerin wies ausdrücklich darauf hin, dass sie die Beitragszahlung wieder aufnehmen werde, sobald der Kläger wieder ein laufendes Entgelt beziehe. Da hiermit einer nur vorübergehende Einstellung der Beitragszahlung angesprochen ist, fehlt es an einem klaren und eindeutigen Willen, die Versicherung dauerhaft in eine beitragsfreie umzuwandeln. Sollen die Beiträge für die Lebensversicherung aber nur vorübergehend nicht gezahlt werden, ist dies regelmäßig nicht als Umwandlungsverlangen, sondern als Antrag zu verstehen, die Versicherung für kurze Zeit zum Ruhen bringen (OLG Köln - 5.Zivilsenat -, RuS 1992, 138).

Nach dem Inhalt des Schreibens vom 31.03.2008 ging die Versicherungsnehmerin davon aus, durch die bloße Wiederaufnahme der Beitragszahlung den Vertrag weiterführen zu können. Auch vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie den Willen zu einer nicht ohne weiteres zu revidierenden Statusänderung des Versicherungsvertrages hatte, wie sie bei einer Umwandlung der Lebensversicherung gemäß § 174 VVG a.F. / § 165 VVG n.F. eintritt.

c.

Auf die Frage, ob das Schreiben der Beklagten vom 31.07.2008 ein Angebot auf Wiederinkraftsetzung der Versicherung enthält, kommt es mithin ebenso wenig an wie auf die Frage, ob ein Beratungsverschulden der Beklagten vorliegt. Da es bereits an einem wirksamen Umwandlungsverlangen fehlt, besteht der Lebensversicherungsvertrag mit seinem ursprünglichen Inhalt fort. Die im Hinblick darauf ausstehenden Versicherungsbeiträge führen nicht zu einer Zugum-Zug-Verurteilung. Durch die Feststellung, dass die Versicherung unverändert fortbesteht, wird keine Leistungspflicht der Beklagten tituliert. Für die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 Abs. 1 BGB, das zwei sich gegenüberstehende Forderungen von Schuldner und Gläubiger voraussetzt (vgl. Krüger in Münchener Kommentar, BGB, 6. Aufl., § 273 Rn 8), fehlt mithin die Grundlage.

3.

Ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 1.307,81 € steht dem Kläger nicht zu. Mit der Begründung, die Beklagte habe mit Schreiben vom 05.07.2011 die begehrte Wiederinkraftsetzung abgelehnt, wird ein Anspruch auf Ersatz von Rechtsverfolgungskosten nicht schlüssig dargetan. Weder wurde vorgetragen, dass die Beklagte bei Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits in Verzug war, noch ist ersichtlich, dass diese nach der endgültigen Ablehnung der Wiederinkraftsetzung mit Schreiben vom 05.07.2011 für den Kläger noch außergerichtlich tätig geworden sind.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu; die Zulassung ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Der Berufungsstreitwert wird auf 30.762,77 € festgesetzt.