VG Karlsruhe, Beschluss vom 23.05.2013 - 3 K 1245/13
Fundstelle
openJur 2013, 27138
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.05.2013 wird mit folgenden Maßgaben wiederhergestellt:

Dem Antragsteller als Veranstalter der Versammlung am 25.05.2013 ist es untersagt, ... zum Versammlungsleiter oder stellvertretenden Versammlungsleiter zu bestimmen. Weitere Auflagen bleiben der Antragsgegnerin vorbehalten.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Am 03.04.2013 meldete der Antragsteller für den 25.05.2013 eine Versammlung (Aufzug mit Auftakt-, Zwischen- und Schlusskundgebung) unter freiem Himmel mit dem Thema "Freiheit für alle politischen Gefangenen!“ - „Für die Wahrung des Artikel 5 Grundgesetz“ an.

Nach Durchführung eines Kooperationsgesprächs und nach Einholung von Informationen verbot die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 21.05.2013 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die geplante Versammlung.

Hiergegen legte der Antragsteller am 22.05.2013 Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht Karlsruhe,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 21.05.2013 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag entgegen. Sie hält die angegriffene Verfügung für rechtmäßig.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.

II.

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die - mit ausreichender Begründung (§ 80 Abs. 3 VwGO) - für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Antragsgegnerin vom 21.05.2013 wiederherzustellen, ist zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO) und mit der im Tenor genannten Maßgabe auch begründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei der Entscheidung hat das Gericht das Interesse des Antragstellers, dass die angefochtene Verbotsverfügung vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht durchgesetzt wird, gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung abzuwägen. Diese Abwägung führt hier zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller einstweiliger Rechtsschutz mit der genannten Maßgabe zu gewähren ist. Ausschlaggebend hierfür ist, dass der angefochtene Bescheid bei der im vorliegenden Verfahren lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig sein dürfte.

Ermächtigungsgrundlage für das Verbot der Versammlung ist § 15 Abs. 1 VersG. Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Dabei umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315). Von einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ist dann auszugehen, wenn der drohende Schadenseintritt so nahe ist, dass er jederzeit, unter Umständen sofort, eintreten kann (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Auflage, § 15 Rdnr. 27 ff.). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde beim Erlass von einschränkenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Erforderlich sind daher zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt; bloße Vermutungen reichen nicht aus (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris).

Die Antragsgegnerin stützt das Versammlungsverbot auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und leitet dies in erster Linie aus der mangelnden Zuverlässigkeit des Antragstellers sowie des in der Anmeldung der Versammlung als stellvertretender Versammlungsleiter genannten ... her.

Grundsätzlich kann ein Verbot einer Versammlung darauf gestützt werden, dass die für die Versammlungsleitung vorgesehenen Personen nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung verfügen. Nach der gemäß § 18 Abs. 1 VersG auch für Versammlungen unter freiem Himmel anwendbaren Vorschrift des § 7 Abs. 1 VersG muss jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben. Dieser bestimmt den Ablauf der Versammlung, und er hat während der Versammlung für Ordnung und bei Aufzügen für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen (§ 8 Satz 1 und 2 VersG, § 19 Abs. 1 VersG). Darüber hinaus sind im Versammlungsgesetz zwar keine weiteren Anforderungen an die Person des Versammlungsleiters formuliert. Es ergibt sich aber aus der ihm übertragenen Verantwortung und Organisationsgewalt, dass er dem Friedlichkeitsgebot der Versammlungsfreiheit entsprechen muss. Insbesondere muss er geeignet sein, die ihm übertragenen Aufgaben selbstverantwortlich zu erfüllen. Er muss zuverlässig und nach seiner Reife und seinem persönlichen Vermögen imstande sein, den ordnungsgemäßen Verlauf der von ihm geleiteten Versammlung sicherzustellen (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Aufl., § 7 Rdnr. 8). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden. Wird ein Versammlungsverbot darauf gestützt, dass die für die Versammlungsleitung vorgesehenen Personen nicht über die erforderliche Bereitschaft oder Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung verfügen, so müssen dafür konkrete Tatsachen bezeichnet werden, die die behördliche oder gerichtliche Annahme mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als richtig erscheinen lassen. Hinweise auf strafrechtliche Ermittlungen ohne Angabe des Ausgangs dieser Verfahren und auf Rechtsverstöße bei Veranstaltungen in anderen Orten ohne konkreten Bezug zu den Beteiligten der verbotenen Versammlung erfüllen diese Voraussetzungen regelmäßig nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00 -, juris).

Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin vom 21.05.2013 in Bezug auf den Antragsteller als Versammlungsleiter nicht. Zwar wird in der Verfügung ausgeführt, der Antragsteller werde nach Einschätzung der betroffenen Polizeidienststellen als „gewalttätig“ geführt, zumal zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung, Landfriedensbruch und Volksverhetzung, teilweise auch Verurteilungen vorlägen. Es finden sich aber sowohl in der Verfügung als auch in der Erkenntnismitteilung des Polizeipräsidiums Karlsruhe keine nähere Angaben zum Ausgang der Ermittlungsverfahren und auch keine Hinweise auf die im Fall der Verurteilungen verhängten Strafen. Die in der Erkenntnismitteilung genannte Verurteilung aus dem Jahr 1994 wegen Landfriedensbruch kann schon im Hinblick darauf, dass die der Verurteilung zugrunde liegende Tat nahezu zwanzig Jahre zurück liegen dürfte, einer bei Erlass der Verbotsverfügung anzustellenden Prognose über die versammlungsrechtliche Zuverlässigkeit des Antragstellers nicht mehr zugrunde gelegt werden. Das gilt im Ergebnis auch für die Verurteilung im Jahr 2011 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte: Mangels näherer Angaben zum Strafmaß und den konkreten Tatumständen lässt auch diese Verurteilung keinen nachvollziehbaren Schluss auf die Zuverlässigkeit und Eignung des Antragstellers für die Funktion des Versammlungsleiters zu.

Anders stellt sich die Sachlage hingegen für den als stellvertretenden Versammlungsleiter benannten ... dar. Dass die Antragsgegnerin ihm die Eignung für die Funktion des stellvertretenden Versammlungsleiters abgesprochen hat, ist nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden. Laut Erkenntnismitteilung liegen bezüglich seiner Person zwei Verurteilungen aus den Jahren 2011 und 2012 wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und wegen gefährlicher Körperverletzung vor. Diese lassen ohne Weiteres den Schluss zu, dass es an der Bereitschaft und Fähigkeit zur Sicherstellung der Ordnung in der Versammlung fehlt. Im Hinblick darauf hält die Kammer die aus dem Tenor ersichtliche Maßgabe für geboten. Diese Einschätzung wird durch die vorgelegte eidesstattliche Versicherung des als stellvertretenden Versammlungsleiters benannten ... nicht in Frage gestellt.

Die Antragsgegnerin begründet das Versammlungsverbot des Weiteren damit, dass die angemeldete Versammlung schon nach ihrem Thema der Verherrlichung bzw. Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft diene, so dass spätestens ihre Durchführung selbst den Straftatbestand des § 130 StGB erfülle. Diese Erwägungen sind aber nicht geeignet, die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu tragen und so das Versammlungsverbot zu rechtfertigen.

Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Versammlung wegen des Inhalts des Mottos, unter das die Versammlung gestellt ist, verboten werden kann (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 01.12.2007 - 1 BvR 3041/07 -, juris). Danach gilt: Soll eine Versammlung wegen des angemeldeten Mottos - also wegen dessen Inhalt und wegen der zu erwartenden Äußerungen von Versammlungsteilnehmern - verboten werden, ist das Verbot auch am Maßstab des Rechts auf freie Meinungsäußerung des Art. 5 Abs. 1 GG zu messen. Denn der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht unterbunden werden darf, kann auch nicht zur Begründung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG beschränken. Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen erfolgt insbesondere durch die in § 130 StGB geregelten Straftatbestände der Volksverhetzung (zur Vereinbarkeit von § 130 Abs. 4 StGB mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG siehe BVerfG, Beschl. v. 04.11.2007 - 1 BvR 2150/08 -, juris). Werden die entsprechenden Strafgesetze durch Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit. Eine so begründete Gefahr kann durch die Ordnungsbehörden abgewehrt werden, und zwar auch mit Auswirkungen auf Versammlungen.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ergibt sich aus dem Motto der Versammlung aber nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass es aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer zu Äußerungen kommen wird, die gegen die Straftatbestände des § 130 StGB verstoßen. Weder das Motto „Freiheit für alle politischen Gefangenen!“ noch das Motto „Für die Wahrung des Artikel 5 Grundgesetz“ sind nach ihrem objektiven Sinngehalt für eine solche Prognose geeignet. Dies gilt auch, wenn man die weiteren dem Veranstalter der Versammlung zurechenbaren Umstände heranzieht, wie etwa die auf der Internetseite ... verfügbaren Äußerungen in Bild- und Schriftform.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.