OLG Hamm, Beschluss vom 26.02.2013 - 1 Ws 534/12
Fundstelle
openJur 2013, 26281
  • Rkr:
Tenor

Die Beschlüsse des Landgerichts Dortmund vom 14. Mai 2012 (33 Qs 5/12) und des Amtsgerichts Dortmund vom 12. August 2011 (703 Gs 948/11) werden aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschuldigten werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelte zunächst gegen die (Mit-)Beschuldigten X, X2 und X3 wegen des Verdachts der banden- und gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung. Als Gesellschafter und Geschäftsführer einerseits der E GmbH, welche die Diskothek "K" in E3 betreibt, und andererseits der F3 GmbH, welche die Diskothelk "P" in O betreibt, sollen sie im Zeitraum von 2004 bis 2010 in großem Umfang Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftssteuern sowie den Solidaritätszuschlag hinterzogen haben.

In dem genannten Zeitraum wurden für die Diskothek "K" Warenumsätze i.H.v. 12.998.286 € erklärt. Eine von Betriebsprüfern des Finanzamts für Steuerstrafsachen E2 durchgeführte Einzelkalkulation anhand der Einzelrechnungen für die Wareneinkäufe und der Verkaufspreise ergab demgegenüber einen tatsächlichen Warenumsatz i.H.v. 17.817.337 €. Demzufolge wären 4.819.052 € - gerundet 4.815.000 € - nicht versteuert worden, woraus sich ein Steuerschaden von 2.383.552,13 € errechnet.

Die Beschwerdeführerin war in der Diskothek "K" für den Geschäftsbetrieb, insbesondere für den reibungslosen Ablauf an den Kassen sowie für die Abrechnungen und Bestandserhebungen verantwortlich. So zählte sie nach Geschäftsschluss die Einnahmen und nahm diese mit zu sich nach Hause. Zugleich arbeitete sie im Tatzeitraum als Angestellte in dem Steuerberater- und Rechtsanwaltsbüro F2 & Partner in S, welches die E GmbH steuerlich betreute, und war dort für die Buchführung dieser Gesellschaft verantwortlich. Dabei soll sie die Zahlen für Einnahmen, Ausgaben und Löhne so manipuliert haben, dass nur ein Teil der tatsächlichen Umsätze gegenüber den Finanzbehörden deklariert wurde. Nur in dieser - auf einem bestimmten Kalkulationsschlüssel beruhenden - Höhe soll sie die Tageseinnahmen zum Zwecke der Einzahlung auf das Geschäftskonto an den Mitbeschuldigten X3 übergeben haben.

Mit Beschluss vom 12. August 2011 ordnete das Amtsgericht Dortmund den dinglichen Arrest in der Höhe des errechneten Steuerschadens von 2.383.552,13 € in das Vermögen der Beschwerdeführerin an.

Ihre hiergegen erhobene Beschwerde wies das Landgericht Dortmund mit Beschluss vom 12. Mai 2012 zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin nach gegenwärtigem Ermittlungsstand nicht nur als Gehilfin, sondern als Bandenmitglied, jedenfalls aber als Mittäterin der Steuerdelikte anzusehen sei. Sie habe die Kassenabrechnungen gefertigt und sei im Rahmen ihrer Tätigkeit für das Steuerberaterbüro für die Verbuchung der Einnahmen und Ausgaben verantwortlich gewesen. Daher bestehe der dringende Verdacht, dass sie im Rahmen eines gemeinsamen Tatplans auch selbst Einfluss auf die Höhe der erklärten Umsätze genommen habe.

Es seien auch dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass bei einer Verurteilung der Beschwerdeführerin - wenn nicht die Ausnahmevorschrift des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB bestünde - die Voraussetzungen für die Anordnung des Verfalls von Wertersatz gegeben seien. Aus den ihr vorgeworfenen Taten habe die Beschwerdeführerin i.S.d. § 73 StGB etwas erlangt, das jedenfalls nicht mehr unvermischt in ihrem Vermögen vorhanden sei (§ 73a StGB). Unerheblich sei insoweit, ob bereits die Einnahmen aus dem Diskothekenbetrieb oder erst die ersparten Aufwendungen in Höhe des Steuerschadens das erlangte Etwas darstellten. In jedem Fall hätte die Beschwerdeführerin zumindest eine wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt gehabt, weil auch die ersparten Aufwendungen zunächst in den Einnahmen aus dem Diskothekenbetrieb enthalten gewesen seien. Aus diesen Einnahmen hätten Steuern bezahlt werden müssen, so dass sie - wenn auch noch nicht fällig - betragsmäßig von Anfang an darin enthalten gewesen seien.

Ohne die Anordnung des Arrests bestehe die Gefahr, dass die künftige Vollstreckung vereitelt oder wesentlich erschwert würde. So sei das gesamte "Geschäftsmodell" der Beschuldigten ersichtlich auf die Verschleierung von Vermögenswerten ausgerichtet, zumal der dringende Verdacht bestehe, dass es weitere - in der Buchführung nicht erfasste - Einnahmen etwa aus Barverkäufen, aus Kartenverlusten und aus Schuldanerkenntnissen gegeben habe. Zudem verfügten die Beschuldigten - auch die Beschwerdeführerin - über sehr gute Kontakte ins Ausland. Die Anordnung des Arrests sei schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Rückgewinnungshilfe zugunsten des Steuerfiskus als Verletztem verhältnismäßig.

Gegen diesen Beschluss hat die Beschwerdeführerin weitere Beschwerde eingelegt und diese insbesondere damit begründet, dass hinterzogene Steuern allenfalls in Form von ersparten Aufwendungen erlangt werden könnten. Solche Aufwendungen könne aber schon begrifflich nur der Steuerschuldner selbst ersparen, nicht aber - wie die Beschwerdeführerin - ein Dritter. Im Zeitpunkt der Erzielung und der Erlangung der tatsächlich Verfügungsgewalt über die jeweiligen (Tages-)Einnahmen sei ein Steueranspruch nicht nur nicht fällig, sondern noch nicht einmal entstanden. Aus diesem Grund könnten die Steuern auch kein Teil der Einnahmen sein und müssten auch nicht (stoffgleich) mit diesen bezahlt werden. Überdies fehle es an einem Arrestgrund sowie mit Blick auf die seit drei Jahren andauernden Ermittlungen auch an einem fortbestehenden Sicherungsbedürfnis zugunsten der Finanzbehörden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die weitere Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die weitere Beschwerde ist nach § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO statthaft und im Übrigen auch zulässig.

Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Sind Gründe für die Annahme vorhanden, dass die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz vorliegen, kann zu deren Sicherung nach § 111d StPO der dingliche Arrest angeordnet werden, § 111b Abs. 2 StPO. Da ein solcher mit Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 12. August 2011 angeordnet wurde und seit inzwischen mehr als zwölf Monaten angeordnet ist, verlangt § 111b Abs. 3 S. 3 StPO zur Aufrechterhaltung dieser Maßnahme - insoweit abweichend von § 111b Abs. 2 StPO - das Vorliegen dringender Gründe. Die Voraussetzungen für den Verfall von Wertersatz müssen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Juni 2008, III-3 Ws 208/08, juris).

Dies ist hier nicht der Fall.

Nach § 73 Abs. 1 StGB unterliegt dem Verfall, was der Täter oder Teilnehmer für die Tat oder aus der Tat erlangt hat. Kann dies aufgrund seiner Beschaffenheit oder aus einem anderen Grund selbst nicht für verfallen erklärt werden, kann der Verfall eines Geldbetrages angeordnet werden, der dem Wert des Erlangten entspricht, § 73a StGB. Das erlangte Etwas kann - wovon die angefochtenen Beschlüsse zu Recht ausgehen - auch in hinterzogenen Steuern bestehen (vgl. Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rdnr. 9; BGH, Beschluss vom 13.07.2010, 1 StR 239/10, juris). Genauer formuliert erlangt der Betroffene insoweit die in den nicht gezahlten Steuern liegenden ersparten Aufwendungen (BGH, Beschluss vom 28.06.2011, 1 StR 37/11, juris). Denn aufgrund der Beschaffenheit der ersparten Steuerzahlung stellt diese nur eine abstrakte Rechengröße und damit einen geldwerten Vorteil anderer Art dar, auf den nicht zugegriffen werden kann, so dass sich der Verfall gem. § 73a StGB auf einen entsprechenden Geldbetrag als Wertersatz richtet (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 08.01.2002, 1 Ws 407/01, juris).

Das Erlangen i.S.v. § 73 StGB stellt einen tatsächlichen Vorgang dar, der voraussetzt, dass der Betroffene die faktische (Mit-)Verfügungsgewalt erlangt hat (BGH, NStZ-RR 1997, 262; Fischer, a.a.O., § 73 Rdnr. 13). Es reicht aus, dass der Vermögenszuwachs dem Betroffenen in irgendeiner Phase des Tatablaufs, d.h. vor, bei oder während der Tat (W. Schmidt, in: LK StGB, 11. Aufl., § 73 Rdnr 32; BGH NJW 1989, 3164) auf irgendeine Weise wirtschaftlich zugute kommt, wobei ihm der Vorteil unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes zufließen muss (vgl. Joecks, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2012, § 73 Rdnr. 32; Wiedner, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 Rdnr. 14). Zwar hatte die Beschwerdeführerin die tatsächliche Verfügungsgewalt über die von ihr nach Geschäftsschluss gezählten und mit nach Hause genommen Tageseinnahmen, wobei indes zweifelhaft ist, ob dies uneingeschränkt für die gesamten Einnahmen des gesamten Tatzeitraums gilt.

Die Beschwerdeführerin hat die Tageseinnahmen aber entgegen §§ 73, 73a StGB weder für eine rechtswidrige Tat noch aus einer rechtswidrigen Tat erlangt, sondern vielmehr aus dem Betrieb der Diskothek, vor allem durch den Verkauf von Getränken. Bei den Tageseinnahmen handelt es sich nicht um hinterzogene Steuern oder um ersparte Aufwendungen. Dies gilt für die Beschwerdeführerin schon deshalb, weil sie nicht Schuldnerin der allein von der E GmbH als Betreibergesellschaft abzuführenden Steuern ist. Musste die Beschwerdeführerin die Steuern aber nicht zahlen, konnte sie durch eine Nichtzahlung auch keine Aufwendungen ersparen.

Ersparte Aufwendungen waren schließlich auch nicht in den jeweiligen Einnahmen aus dem Diskothekenbetrieb enthalten. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts, wonach aus den Einnahmen hätten Steuern bezahlt werden müssen, so dass sie, mögen sie auch noch nicht fällig gewesen sein, betragsmäßig von Anfang an in den Einnahmen enthalten gewesen seien, entbehrt einer rechtlichen Grundlage. Zu Recht weist die weitere Beschwerde darauf hin, dass zwischen den vereinnahmten Geldern und den darauf zu entrichtenden Steuern keine Stoffgleichheit in dem Sinne besteht, dass der Steuerpflichtige die Steuern aus, d.h. mit eben den vereinnahmten Geldern begleichen muss. Darüber hinaus trifft auch die Annahme, die Steuern seien ein Teil der Einnahmen, nicht zu. Denn dies würde voraussetzen, dass die hier interessierenden jeweiligen Steueransprüche zum Zeitpunkt der Vereinnahmung zumindest bereits entstanden waren. Wann eine Steuer entsteht, richtet sich nach den einzelnen Steuergesetzen. So entsteht die Umsatzsteuer nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG für Lieferungen und sonstige Leistungen (erst) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, die Körperschaftssteuer nach § 30 Nr. 3 KStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums und die Gewerbesteuer nach § 18 GewStG mit Ablauf des Erhebungszeitraums. Vor Ablauf der genannten Zeiträume ist der Steueranspruch nicht nur nicht fällig, sondern noch nicht einmal entstanden. So liegt es hier. Wenn eine Steuer erst mit Ablauf eines bestimmten Zeitraums überhaupt entsteht, können einzelne in diesen Zeitraum fallende Ereignisse für sich genommen noch keinen Steueranspruch begründen. Eine (noch) nicht entstandene Steuer kann aber schon begriffslogisch in erzielten Einnahmen nicht enthalten sein und daher auch nicht - und zwar nicht einmal im Sinne der oben genannten Definition zeitlich "vor" der Tat - erlangt bzw. erspart werden.

Dieses verfallsrechtliche Ergebnis ist strikt zu trennen von der Frage, ob auch ein Nicht-Steuerschuldner - wie die Beschwerdeführerin - Täter einer Steuerhinterziehung sein kann, was das Landgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 23, 319, 322; wistra 2007, 388) zutreffend bejaht hat. Dass die Beschwerdeführerin in ihrer konkreten Position sowohl in der Diskothek als auch in dem Steuerbüro in der Lage war, auf die Festsetzung, Erhebung und Vollstreckung der geschuldeten Steuer einzuwirken, steht außer Zweifel. Dieser Umstand ändert aber nichts daran, dass es an einem erlangten Etwas der Beschwerdeführerin i.S.d. §§ 73, 73a StGB mangelt.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 02. April 2009 (III-1 Ws 119/09), durch welchen die weitere Beschwerde des Arrestbeteiligten, des Vaters des Beschuldigten, in einem wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (Tatzeit 2004 bis 2007) geführten Ermittlungsverfahren überwiegend verworfen wurde. Dem lag zugrunde, dass der Beschuldigte, ein Taxiunternehmer, seine gesamten Einkünfte - einschließlich der durch den Verstoß gegen § 266a StGB erzielten Beitragsersparnis - jeweils auf das Konto des Arrestbeteiligten überwiesen hatte. Jener Fall ist mit dem hier zu entscheidenden Sachverhalt aber schon deshalb nicht vergleichbar, weil der dortige Beschuldigte als Arbeitgeber selbst Schuldner der abzuführenden Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung war und er entsprechende Aufwendungen daher tatsächlich erspart hat, als diese Beiträge (und zwar jeweils am drittletzten Bankarbeitstag eines Monats, vgl. § 23 Abs. 1 SGB IV) fällig geworden waren, bevor gegen den Arrestbeteiligten mit Beschluss vom 18. Apri 2008 der dingliche Arrest angeordnet wurde.

Da die angefochtenen Beschlüsse schon aus dem dargelegten Grund der Aufhebung unterliegen, kommt es auf die weiteren Voraussetzungen des dringenden Tatverdachts, des Arrestgrundes und des Sicherungsbedürfnisses der Finanzbehörden trotz der eigenen Sicherungsmöglichkeit in Gestalt des § 324 AO (bejahend OLG Hamm, Beschluss vom 11.05.2010, III-4 Ws 113/10, LG Hamburg NStZ-RR 2004, 215; Nack, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Aufl. 2008, § 111d Rdnr. 6) nicht an.

Der Senat hat schließlich geprüft, ob eine Aufrechterhaltung des dinglichen Arrests unter dem Gesichtspunkt einer von der Beschwerdeführerin begangenen Beihilfe zum Bankrott in Gestalt der Herbeiführung einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit (vgl §§ 283 Abs. 2, 27 Abs. 1 StGB) in Betracht kommt. Denn in diesem Fall bestünde zwischen der (gleichbleibenden) Tathandlung und dem verfallsrechtlichen Erlangen ohne weiteres eine Deckungsgleichheit. Doch unabhängig davon, ob es - woran erhebliche Zweifel bestehen - überhaupt zulässig wäre, noch im Verfahren über die weitere Beschwerde gleichsam die Grundlage für den dinglichen Arrest auszutauschen, liegen auch die Voraussetzungen für einen Bankrott nach Lage der Akten nicht vor. Es fehlen nämlich belastbare Anhaltspunkte für einen - zumal wegen § 111b Abs. 3 S. 3 StPO dringenden - Tatverdacht für eine auch nur bevorstehende Krise der E GmbH.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.