BVerfG, Beschluss vom 29.02.2012 - 2 BvR 2911/10
Fundstelle
openJur 2013, 26152
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes bei durch Fehler des Rechtspflegers verursachter Formwidrigkeit einer Rechtsbeschwerde.

I.

In einem Verfahren, das Feststellungen in der Fortschreibung des Vollzugsplans des strafgefangenen Beschwerdeführers zur Geeignetheit für Vollzugslockerungen betraf, wies das Landgericht mit Beschluss vom 10. August 2010 den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück. Gegen diesen Beschluss erhob der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Rechtsbeschwerde. Mit Beschluss vom 17. November 2010 verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als unzulässig, weil sie nicht den Formerfordernissen des § 118 Abs. 3 StVollzG entspreche. Der Beschwerdeführer habe dem Rechtspfleger eine mehrseitige Rechtsbeschwerdeschrift überreicht, die von beiden gemeinsam erörtert worden sei. Sodann habe der Rechtspfleger den vorformulierten Text der Rechtsbeschwerde in das Protokoll übertragen, es unterschrieben und es dem Beschwerdeführer zur Unterschrift übersandt. Damit sei der Urkundsbeamte der ihm zukommenden Filterfunktion, bei der er dem sachlichen Anliegen eines Antragstellers Klarheit zu verschaffen und eine möglichst zweckmäßige Form zu geben habe, nicht gerecht geworden. Vorsorglich weise der Senat darauf hin, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommen dürfte. Nach der dienstlichen Stellungnahme des Rechtspflegers sei die Rechtsbeschwerde in der vorliegenden Form nach dem Wunsch des Beschwerdeführers aufgenommen worden. Zudem beharre der Beschwerdeführer grundsätzlich auf seiner Sicht der Dinge, so dass er auch Kürzungen seiner Begründung nicht akzeptiert habe. Wirke der Beschwerdeführer selbst auf die formfehlerhafte Aufnahme seiner Rechtsbeschwerde hin, begründe dies ein eigenes Verschulden des Beschwerdeführers, das einen Antrag auf Wiedereinsetzung ausschließe.

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Unter anderem macht er geltend, die vom Oberlandesgericht aufgestellten Anforderungen an die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde ermöglichten es ihm nicht, eine zulässige Rechtsbeschwerde zu erheben. Entgegen der Annahme, die das Oberlandesgericht seinen Ausführungen zur Frage der Wiedereinsetzung zugrundegelegt habe, habe er, der Beschwerdeführer, auf den Rechtspfleger nicht dahin eingewirkt, dass dieser die Rechtsbeschwerde unverändert übernehme.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie ist unzulässig; es fehlt an der Erschöpfung des Rechtsweges (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

1. Kann ein Beschwerdeführer mit einem Rechtsmittel, für das ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, erreichen, dass seine Rechte im Wege des fachgerichtlichen Rechtsschutzes gewahrt werden, so ist regelmäßig von ihm zu verlangen, dass er diesen Weg beschreitet, bevor er Verfassungsbeschwerde einlegt (vgl. BVerfGE 10, 274 <281>; 42, 252 <256 f.>; 77, 275 <282>). Diese Möglichkeit besteht im vorliegenden Fall.

Die vom Oberlandesgericht festgestellte Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde beruhte darauf, dass sie von dem zuständigen Geschäftsstellenbeamten nicht in einer den Anforderungen der fachgerichtlichen Rechtsprechung entsprechenden Weise aufgenommen worden war; ursächlich für die Unzulässigkeit war somit ein Fehler der Justiz. In derartigen Fällen liegt die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nahe (vgl. BVerfGK 8, 303 <304>). Ob der Beschwerdeführer den Justizfehler selbst zu vertreten hat und eine Wiedereinsetzung daher möglicherweise nicht in Betracht kommt (vgl. hierzu Thüringer OLG, Beschluss vom 15. Juni 2010 - 1 Ws 186/10 -, juris), wird das Oberlandesgericht, das bisher, soweit aus dem Verfassungsbeschwerdevortrag ersichtlich, zu dieser Frage allein den Rechtspfleger gehört hat, nach Anhörung des Beschwerdeführers und erforderlichenfalls weiterer Aufklärung des prozessual relevanten Sachverhalts zu berücksichtigen haben. Zur erforderlichen Sachverhaltsaufklärung kann auch die Klärung gehören, ob es Praxis der Geschäftsstelle ist, von Gefangenen, die Rechtsbeschwerde zur Niederschrift erheben wollen, vorformulierte Texte zu erwarten und diese unmittelbar zu verwenden.

2. Eine Wiedereinsetzung scheidet im vorliegenden Fall auch nicht wegen Fristablaufs aus.

a) Jedenfalls in den Fällen, in denen der Wiedereinsetzungsgrund in einem Justizfehler liegt, fordert der Grundsatz fairer Verhandlungsführung eine Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung; erst diese Belehrung setzt die Wiedereinsetzungsfrist in Lauf (vgl. BVerfGK 5, 151 <154>; 8, 303 <304>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. September 2005 - 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 BvR 907/04 -, NJW 2005, S. 3629 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. November 2001 - 2 BvR 1471/01 -, Rpfleger 2002, S. 279).

b) Eine Belehrung, die danach die Wiedereinsetzungsfrist bereits hätte in Lauf setzen können, wurde im vorliegenden Fall nicht erteilt. Der vorsorgliche Hinweis des Oberlandesgerichts, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dürfte nicht in Betracht kommen, da die Rechtsbeschwerde in der vorliegenden Form nach dem Wunsch des Beschwerdeführers aufgenommen worden sei, war nicht geeignet, den Beschwerdeführer davon in Kenntnis zu setzen, dass und in welcher Weise es ihm oblag, die Folgen des Justizfehlers, der zur Unzulässigkeit seiner Rechtsbeschwerde geführt hatte, mit Hilfe eines Wiedereinsetzungsantrages zu korrigieren. Es war auch nicht der Sinn dieses Hinweises, den Beschwerdeführer über die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung zu belehren. Mit dem vorsorglichen Hinweis brachte das Oberlandesgericht vielmehr die Annahme zum Ausdruck, eine Belehrung des Beschwerdeführers erübrige sich, weil eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - nach dem vom Oberlandesgericht bisher allein herangezogenen Vortrag des Rechtspflegers - nicht gewährt werden könne.

c) Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, zu klären, ob in Ausnahmefällen eine ohne ausreichende Mitwirkung des Rechtspflegers zustandegekommene Rechtsbeschwerde den Schluss rechtfertigen kann, dass auch eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Mitwirkung des Rechtspflegers der Rechtsbeschwerde unter keinen Umständen zur Zulässigkeit verhelfen könnte (vgl. BVerfGK 8, 303 <305 f.>). Denn das Oberlandesgericht hat dies weder festgestellt noch ist es ohne weiteres ersichtlich.

3. Da der Beschwerdeführer über die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, erst durch den vorliegenden Beschluss in der notwendigen Weise informiert wird, beginnt die maßgebliche Wiedereinsetzungsfrist erst mit der Zustellung dieses Beschlusses zu laufen (vgl. BVerfGK 5, 151 <155>; 8, 303 <306>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. September 2005 - 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 BvR 907/04 -, NJW 2005, S. 3629 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. November 2001 - 2 BvR 1471/01 -, Rpfleger 2002, S. 279).

Der Beschwerdeführer kann daher innerhalb einer Woche ab Zustellung dieses Beschlusses durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Landgerichts Osnabrück oder des Amtsgerichts Lingen erneut Rechtsbeschwerde einlegen, indem er gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (§ 102 NJVollzG i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 120 Abs. 1 StVollzG, § 45 Abs. 1 Satz 1, § 299 Abs. 1 StPO). Hierzu ist ihm rechtzeitig Gelegenheit zu geben.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.