BVerfG, Beschluss vom 14.08.2006 - 2 BvQ 44/06
Fundstelle
openJur 2013, 25603
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Dies ist hier nicht der Fall. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist schon deshalb nicht im Sinne von § 32 BVerfGG dringend geboten, weil der Antragsteller sich nicht hinreichend um die Erlangung von Rechtsschutz vor den Fachgerichten bemüht hat (vgl. BVerfGE 37, 150 <151>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1999 - 2 BvR 2039/99 -, NJW 2000, S. 1399 f.).

Der Beschwerdeführer hat seine Anträge auf gerichtliche Entscheidung und Erlass einer einstweiligen Anordnung (§§ 109 ff., 114 Abs. 2 StVollzG) schriftlich mit der "Bitte um Niederschrift, Protokoll ? und Weiterleitung" an das Amtsgericht Heilbronn übersandt.

Hierin lag keine wirksame Antragstellung zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts im Sinne von § 120 StVollzG in Verbindung mit § 299 StPO. Die gesetzlichen Vorschriften, die dem Gefangenen das Stellen von Anträgen zur Niederschrift der Geschäftsstelle ermöglichen, werden in Rechtsprechung und Literatur dahingehend ausgelegt, dass ein solcher Antrag nicht durch Übersendung einer Antragsschrift gestellt werden kann, sondern nur - in beiderseitiger Anwesenheit - durch Erklärung gegenüber dem zuständigen Beamten der Geschäftsstelle, der die Erklärung zu protokollieren hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juli 1970, NJW 1970, S. 1890, und Beschluss vom 23. November 1998, NStZ-RR 1999, S. 147; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Mai 1971, NJW 1971, S. 2181 <2182>; zum Ausschluss auch der fernmündlichen Einlegung zu Protokoll der Geschäftsstelle OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Juni 1983, Rpfleger 1983, S. 363 <364>). Diese Auslegung, von der im vorliegenden Fall auch das Amtsgericht ausgegangen ist, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; sie trägt unter anderem der Tatsache Rechnung, dass die gesetzlichen Vorschriften zwischen der schriftlichen Einlegung von Rechtsbehelfen und der Einlegung von Rechtsbehelfen zur Niederschrift der Geschäftsstelle ausdrücklich unterscheiden (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Der Gefangene kann zum Zweck der Einlegung eines Rechtsbehelfs die Vorführung zum Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beantragen.

Mit der Übersendung der Antragsschrift an das Amtsgericht hat der Beschwerdeführer seine Rechtsbehelfe auch nicht wirksam schriftlich eingelegt. Über Anträge nach § 109 Abs. 1 StVollzG und zugehörige Eilanträge nach § 114 StVollzG entscheidet die Strafvollstreckungskammer (§ 110 Satz 1 StVollzG, § 114 Abs. 2 StVollzG) beim Landgericht (vgl. § 78 a GVG). Schriftliche Anträge sind erst mit Eingang bei diesem Gericht wirksam eingelegt. § 299 StPO, der die Möglichkeit der Einlegung beim Amtsgericht eröffnet, betrifft nur Verfahrenserklärungen zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Amtsgerichts; für die schriftliche Einlegung von Rechtsbehelfen gilt diese Vorschrift nicht (OLG Düsseldorf, a.a.O., S. 363; OLG Hamm, a.a.O.; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 299, Rz. 4; Ruß, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 299, Rz. 4).

Darüber hinausgehende Möglichkeiten zur Einlegung der Rechtsbehelfe gemäß §§ 109 ff., 114 Abs. 2 StVollzG ergeben sich auch nicht aus dem Beratungshilfegesetz, auf das der Beschwerdeführer sich beruft.

Auf die Frage, ob in der vorliegenden Fallkonstellation das Amtsgericht verpflichtet gewesen wäre, die Anträge der Bitte des Beschwerdeführers gemäß an das zuständige Gericht weiterzuleiten (vgl. BVerfGE 93, 99 <113 f.>, m.w.N. zur fachgerichtlichen Rechtsprechung in unterschiedlichen Bereichen; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2006 - 1 BvR 2558/05 -, www.bverfg.de, m.w.N.; verneinend für den Fall, dass der Weg über den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zur Vermeidung von Portokosten genommen wird, KG, Beschluss vom 15. März 2002 - juris) oder den Hinweis auf die eigene Unzuständigkeit nach Möglichkeit so frühzeitig zu erteilen, dass der Beschwerdeführer noch innerhalb der Frist die Antragstellung beim zuständigen Gericht hätte nachholen können (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Januar 2001 - 1 BvR 2147/00 -, NJW 2001, S. 1343), kommt es nicht an. Denn auch bejahendenfalls würde daraus nicht folgen, dass beim gegenwärtigen Verfahrensstand das Bundesverfassungsgericht anstelle der Fachgerichte tätig zu werden hätte. Vielmehr könnte sich daraus günstigstenfalls die Konsequenz ergeben, dass dem Beschwerdeführer hinsichtlich der versäumten Frist - sei es auf besonderen Antrag oder unter den Voraussetzungen des § 112 Abs. 3 Satz 4 StVollzG von Amts wegen - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 6. August 2003, NStZ-RR 2004, S. 81; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. November 1998, NStZ-RR 1999, S. 147).

Der Beschwerdeführer kann daher das Bundesverfassungsgericht nicht in Anspruch nehmen, weil er nicht den Versuch gemacht hat, auf diesem Wege - durch erneute Antragstellung beim Landgericht, vorsorglich verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - fachgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Das Landgericht wird im Falle eines solchen Antrags zu berücksichtigen haben, ob der Beschwerdeführer über seine Rechtsschutzmöglichkeiten in hinreichend verständlicher Weise unterrichtet worden ist (§ 5 Abs. 2 StVollzG; vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Oktober 1988, - juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 13. August 1992, - juris).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.