BVerfG, Beschluss vom 21.04.2005 - 1 BvR 510/04
Fundstelle
openJur 2013, 25495
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer ist Vater des 1991 geborenen J. und des 1994 geborenen P., der aus der mittlerweile geschiedenen Ehe des Beschwerdeführers mit der nunmehr knapp vierzigjährigen Kindesmutter hervorgegangen ist. J. ist nicht das leibliche Kind des Beschwerdeführers, es wurde von ihm adoptiert. Seit der Trennung der Kindeseltern Ende Mai 1997 leben die Kinder im Wesentlichen bei der Kindesmutter. Der nunmehr neunundsechzigjährige Beschwerdeführer heiratete nach Abschluss des Ausgangsverfahrens eine andere Frau. Aus der Beziehung des Beschwerdeführers mit dieser Frau ging während des Ausgangsverfahrens noch vorehelich eine Tochter hervor.

Mit Verbundurteil vom 8. Juli 2003 schied das Amtsgericht Winsen (Luhe) die Ehe der Kindeseltern und übertrug die elterliche Sorge allein auf die Kindesmutter. Bereits unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität sei das Sorgerecht auf die Kindesmutter zu übertragen gewesen. Auch aus der Kindesanhörung werde für das Gericht deutlich, dass den Kindern ein Umzug zum Beschwerdeführer nicht zuzumuten sei und hierfür auch keine Gründe ersichtlich seien. Im Gegensatz zum Beschwerdeführer, der im Jahr 1999 die Kinder ohne hinreichenden Grund entgegen allen Absprachen der Kindesmutter entzogen und fünf Monate lang sich auch gerichtlichen Anordnungen widersetzt habe, sei die Kindesmutter auch stets bereit gewesen, dem Beschwerdeführer Umgang zu gewähren. Dieser habe im Wesentlichen auch stattgefunden.

Die gegen die sorgerechtliche Entscheidung gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 27. Januar 2004 zurück. Für die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter spreche bereits der Gesichtspunkt der Kontinuität. Es lägen keine Gründe vor, weshalb die Kinder von ihrer Mutter zu trennen wären. Dass das Kind J. seit über einem Jahr den Umgang mit dem Beschwerdeführer verweigere, rechtfertige nicht den Schluss, dass die Kindesmutter nicht erziehungsgeeignet wäre. Denn es stehe keineswegs fest, dass die Kindesmutter diese Weigerung des Kindes zu verantworten habe.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz sowie seiner Rechte aus Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG. Die Verfahrensdauer sei überlang gewesen. Überdies habe das Oberlandesgericht die Übertragung des Sorgerechts allein auf die Kindesmutter gebilligt, ohne den Sachverhalt hinreichend aufzuklären. Neben weiteren Verfahrensmängeln seien die Kinder in der Beschwerdeinstanz nicht erneut angehört worden, obwohl der Beschwerdeführer hierzu vorgetragen habe, dass sie von der Kindesmutter in ihren Willensbekundungen beeinflusst worden seien. Auch habe das Oberlandesgericht kein Sachverständigengutachten zur Erkundung des wirklichen Willens der Kinder eingeholt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Soweit der Beschwerdeführer die überlange Verfahrensdauer rügt, ist seine Verfassungsbeschwerde angesichts der Erledigung dieser Rüge wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Überdies hat der Beschwerdeführer zwar im Ausgangsverfahren Untätigkeitsbeschwerde erhoben, um das Verfahren zu befördern, es jedoch verabsäumt, gegen den diesbezüglichen Beschluss des Oberlandesgerichts vom 12. Juli 2001 zur Zurückweisung seiner Untätigkeitsbeschwerde Verfassungsbeschwerde einzulegen.

2. Soweit der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Verfahrensgestaltung eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG rügt, ist seine Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Das Oberlandesgericht hat die Anforderungen dieser Rechte an die Gestaltung des Verfahrens nicht verkannt.

a) Aus der grundrechtlichen Gewährleistung des Elternrechts wie auch aus der Verpflichtung des Staates, über dessen Ausübung im Interesse des Kindeswohls zu wachen, ergeben sich auch Folgerungen für das Prozessrecht und seine Handhabung im Sorgerechtsverfahren (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes entsprechen (vgl. BVerfGE 63, 131 <143>; 84, 34 <45 f.>). Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allerdings grundsätzlich Sache der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterliegt jedoch die Frage, ob fachgerichtliche Entscheidungen Fehler aufweisen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder dem Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>). Die Intensität dieser Prüfung hängt davon ab, in welchem Maße die gerichtlichen Entscheidungen Grundrechte beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 83, 130 <145>). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, ist danach eine intensive Prüfung geboten, zumal der Eingriff in das Elternrecht zugleich auch das Kind betrifft (vgl. BVerfGE 60, 79 <90 f.>; 72, 122 <138>).

b) Diesen Anforderungen werden beide angegriffenen Entscheidungen gerecht. Insbesondere musste das Oberlandesgericht weder ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Kinderwillens einholen noch selbst die Kinder anhören.

Der Beschwerdeführer legt zwar hierzu dar, er habe erst- und zweitinstanzlich darauf hingewiesen, die Willensäußerungen der Kinder in der erstinstanzlichen Anhörung seien nicht verwertbar gewesen, weil die Kinder von ihrer Mutter beeinflusst worden seien. Eine erneute Anhörung war jedoch vorliegend verfassungsrechtlich nicht geboten. Bereits das Amtsgericht ist in einem Beschluss vom 8. April 2003 zur Zurückweisung eines Antrags des Beschwerdeführers auf Festsetzung eines Zwangsgelds ausführlich auf die Frage der vom Beschwerdeführer unterstellten Beeinflussung der Kinder durch die Kindesmutter eingegangen. Es hat dabei nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer konkreten Angaben des älteren Kindes J. zufolge dieses gegenüber seinem Bruder und seiner Halbschwester benachteiligt habe. Sollte das Kind beeinflusst worden sein, wäre nicht nachvollziehbar, warum J. den Kontakt zwischen seinem kleineren Bruder mit dem Beschwerdeführer unterstütze und hier zwischen sich selbst und dem, was seinem Bruder gut tue, unterscheiden könne. Da der Beschwerdeführer seine Rüge der Willensbeeinflussung des Kindes J. in der Beschwerdebegründung nur in pauschaler Form wiederholt hat, ohne sie näher zu spezifizieren, ist die Nichtanhörung der Kinder durch das Oberlandesgericht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Auch mussten die Gerichte von Verfassungs wegen kein Sachverständigengutachten zum inneren Willen des Kindes P. einholen. Es trifft zwar sachlich zu, dass sich das Kind P. bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht nicht ausdrücklich für den Verbleib bei seiner Mutter ausgesprochen hat. Es hat aber nach zweimaliger, in unterschiedlichen Gesprächssituationen gestellter Frage der erkennenden Richterin darauf hingewiesen, dass es im Wesentlichen so bleiben solle, wie es sei. Die Wertung dieser Aussage dahingehend, dass P. mit der derzeitigen Situation zufrieden und deshalb eine Änderung der gegenwärtigen sorgerechtlichen Situation hinsichtlich des Kindeswillens nicht geboten sei, ist nachvollziehbar.

Auch aus anderen Gründen war die Einholung eines Sachverständigengutachtens verfassungsrechtlich nicht geboten. So hat bereits das Amtsgericht in der angegriffenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Kindesmutter im Vergleich zum Beschwerdeführer eine wesentlich stärker ausgeprägte Bindungstoleranz aufweise. Während jene einen im Wesentlichen regelmäßigen Umgang der Kinder mit dem Beschwerdeführer ermöglicht habe, habe dieser die Kinder im Jahr 1999 für fünf Monate auch entgegen gerichtlicher Anordnungen der Kindesmutter gänzlich entzogen. Überdies unterstelle er der Kindesmutter stets Intrigen, führe penibel Buch über tatsächliche oder auch nur vermeintliche Verfehlungen der Kindesmutter. Diese Einschätzung, dass der Beschwerdeführer weniger bindungstolerant sei als die Kindesmutter, ist nachvollziehbar, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der vom Amtsgericht ebenfalls erwähnten Versuche des Beschwerdeführers, der Kindesmutter für das Sorgerechtsverfahren an und für sich irrelevante sexuelle Probleme zu unterstellen, die der Beschwerdeführer ausweislich des insoweit unwidersprochenen Vortrags der Kindesmutter im Ausgangsverfahren offenbar auch außerhalb des Gerichtsverfahrens unternommen hat.

Danach ist die Entscheidung der Gerichte, auch ohne erneute Kindesanhörung und ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens die elterliche Sorge allein auf die Kindesmutter zu übertragen, nicht zu beanstanden.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.