BVerfG, Beschluss vom 05.06.2001 - 2 BvR 507/01
Fundstelle
openJur 2013, 25392
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

I.

Der seit 3. Februar 2000 in Auslieferungshaft befindliche Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem die Auslieferung in die Russische Föderation wegen des Verdachts der Unterschlagung/Veruntreuung für zulässig erklärt und die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet wurde.

Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, es sei nicht hinreichend der Frage nachgegangen worden, ob die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes trotz einer Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 22. Januar 2001 in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gewährleistet sei. Dem Beschwerdeführer drohten in russischen Haftanstalten Bedingungen, die menschenrechtlichen Mindestanforderungen nicht genügten. Die Fortsetzung der Auslieferungshaft sei unverhältnismäßig.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und die Annahme schon deshalb zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte nicht angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

Die deutschen Gerichte sind von Verfassungs wegen gehalten, in Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung und ihr zu Grunde liegende Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 63, 332 <337 f.>). Anwendung und Auslegung einfachen Rechts sind jedoch Aufgabe der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht überprüft sie nur darauf, ob Fehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere dem Umfang seines Schutzbereichs beruhen, und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; stRspr). Derartige Anwendungs- oder Auslegungsfehler legt das im Kern lediglich die falsche Anwendung einfachen Rechts rügende Beschwerdevorbringen nicht dar, noch sind solche ersichtlich.

1. a) Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise keinen Anlass zu Zweifeln an der Einhaltung des durch Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens völkervertraglich verpflichtenden Grundsatzes der Spezialität gesehen. Die insoweit gehegte Erwartung, die Russische Föderation werde sich daran angesichts der Erklärung ihrer Generalstaatsanwaltschaft vom 22. Januar 2001, nach der der Beschwerdeführer wegen politischer Auftragsmorde weder verdächtigt noch beschuldigt werde und für die Belangung von mit der Todesstrafe bewährten Verbrechen keine Grundlage bestehe, auch vorliegend - wie bisher - halten, lässt einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich gebotene Aufklärungs- und Prüfungspflicht der Fachgerichte nicht erkennen (vgl. BVerfGE 15, 249 <252>; 93, 248 <256 f.>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 1994 - 2 BvR 1193/93 -, NJW 1994, S. 2883; s. auch Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2000 betreffend das vom Beschwerdeführer betriebene frühere Verfahren 2 BvR 1560/00). Dass es dem Oberlandesgericht mit Blick auf Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens darauf angekommen ist, dass derzeit keine erheblichen sonstigen strafrechtlichen Verfolgungen wegen früherer Handlungen drohen, die behauptete Aufklärungslücke also lediglich hinsichtlich von in der Vergangenheit aufgekommenen Verdächtigungen besteht, unterliegt keiner Beanstandung. Die Verfassungsbeschwerde hat nicht hinreichend deutlich gemacht, weshalb eine ausdrückliche Zusicherung zwingend erforderlich gewesen sein soll, den Spezialitätsgrundsatz betreffend den Beschwerdeführer einzuhalten, respektive ein Verfahren wegen Mordverdachts auch nicht wieder aufnehmen zu wollen. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigt ferner nicht die mit der Verfassungsbeschwerde zum Ausdruck gebrachte Ansicht, die Auslieferung in einen Staat, der - wie der Beschwerdeführer annimmt - keine freiheitlich demokratische Grundordnung und keine geordneten innerstaatlichen Verhältnisse aufweise, schließe eine Berücksichtigung von Zusagen etwa hinsichtlich der Einhaltung des Spezialitätsgrundatzes (grundsätzlich oder von vornherein) aus; zu verlangen ist in diesen Fällen vielmehr eine Würdigung des konkreten Einzelfalls (vgl. BVerfGE 9, 174 <182>; 38, 398 <402 f.>; 60, 348 <358>).

b) Das weitere Vorbringen ist nicht geeignet darzulegen, inwieweit verfassungsrechtlich geschützte Positionen des Beschwerdeführers verletzt sein sollen. Dass die Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 22. Januar 2001 von einem unzuständigen Bediensteten ohne notwendige Vorlage einer Vollmacht abgegeben worden sei, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entnehmen; abgesehen davon fehlt es an einer Erörterung über die Erheblichkeit angesichts des in Auslieferungsfällen eingeschränkten Prüfungsmaßstabs. Den Anforderungen an eine hinreichende Darlegung genügen auch nicht die Ausführungen zum behaupteten "Abrücken" des Oberlandesgerichts von seinem früheren Beschluss vom 7. Dezember 2000.

Des Weiteren lässt sich nicht feststellen, dass dem Oberlandesgericht bei der Würdigung der dem Beschwerdeführer in russischen Gefängnissen drohenden Haftbedingungen im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 75, 1 <16 f.>) Fehler unterlaufen sind. Insoweit wird im Wesentlichen verkannt, dass das Oberlandesgericht auf Grund der Zusage der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation über eine konkret beabsichtigte, nach seiner fachgerichtlichen Einschätzung den europäischen Mindeststandards genügenden Unterbringung des Beschwerdeführers verfassungsrechtlich nicht gehalten war, auf die allgemein vorherrschenden Bedingungen in russischen Haftanstalten abzustellen.

2. Es ist nicht ersichtlich, dass die angeordnete Fortdauer der Auslieferungshaft als unverhältnismäßig anzusehen ist und daher eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG begründet. Der Beschwerdeführer rügt auch hier die den Fachgerichten obliegende Anwendung einfachen Rechts, ohne verfassungsrechtlich erhebliche Fehler aufzuzeigen. Ausgehend von den Ausführungen des Beschlusses der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Dezember 2000 in dem ebenfalls den Beschwerdeführer betreffenden Verfahren 2 BvR 2184/00 zu einer früheren Bestätigung der Fortdauer der Auslieferungshaft sind keine geeigneten Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden, die die Annahme rechtfertigen, die andauernde Haft sei nicht in dem Auslieferungsverfahren selbst begründet (vgl. BVerfGE 61, 28 <34>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 1999 - 2 BvR 898/99 -, NJW 2000, S. 1252). Solche ergeben sich insbesondere nicht aus dem weiteren Ablauf des Auslieferungsverfahrens nach dem für den Beschwerdeführer erfolgreichen Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2000 in dem Verfahren 2 BvR 1560/00; auch in der - wie dargelegt - verfassungsrechtlich vertretbaren Berücksichtigung der Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 22. Januar 2001 durch das Oberlandesgericht lässt sich eine willkürliche, vorwerfbare Verfahrensverzögerung nicht erkennen.

III.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.