Bayerisches LSG, Beschluss vom 08.04.2013 - L 15 SF 305/10
Fundstelle
openJur 2013, 24410
  • Rkr:

1. Von einem Befundbericht im Sinn der Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG ist bei Verwendung von Auszügen aus einer elektronischen Patientenakte dann auszugehen, wenn ohne irgendwelche Schwierigkeiten erkennbar ist, welche Auszüge im Rahmen der Beantwortung der gerichtlichen Befundberichtsanforderung welcher Frage zuzuordnen sind.2. Eine Erstattung von Schreibauslagen ist bei der Entschädigung von Befundberichten nicht möglich.

Tenor

Das Schreiben des Antragstellers vom 28.10.2010 wird als Befundbericht mit 22,45 € entschädigt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Entschädigung eines Schreibens an das Gericht als Befundbericht nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG).

In einem am Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) anhängig gewesenen Rechtsstreit in einer rentenversicherungsrechtlichen Streitigkeit (Az.: ) beantwortete der Antragsteller, der Allgemeinarzt ist, die Befundberichtsanforderung des Gerichts vom 15.10.2010 mit Schreiben vom 28.10.2010. Dieses Schreiben ist so gestaltet, dass auf dem vom Antragsteller unterschriebenen gerichtlichen Fragenblatt jeweils bei den Fragen Hinweise auf beigefügte Anlagen angebracht sind. Die Anlagen bestehen mit Ausnahme der handschriftlich aufgeführten Behandlungstage aus "Auszügen aus den medizinischen Daten" und dabei "ausgewählten Einträgen", die offensichtlich aus den auf dem Computer des Antragstellers gespeicherten Daten gewonnen sind.

Für den Befundbericht stellte der Antragsteller am 28.10.2010 einen Betrag in Höhe von 28,45 € wie folgt in Rechnung.

Entschädigung für Auskunft nach Nr. 200 der        Anlage 2 zu § 10 Abs.1 JVEG 21,00 €Schreibgebühren für Original für angefangene        1.000 Anschläge 0,75 EUR, hier achtmal 6,00 €Porto 1,45 €        Insgesamt 28,45 €Mit Schreiben vom 04.11.2010 bewilligte die Kostenbeamtin des Bayer. LSG als Entschädigung 11,45 €, die sich wie folgt aufschlüsseln:

Mindestentschädigung 3,00 €Aufwandsentschädigung 3,00 €8 Kopien a 0,50 € 4,00 €Porto  1,45 €Insgesamt 11,45 €Dagegen hat sich der Antragsteller mit Schreiben vom 25.11.2010 gewandt. Aufgrund der Komplexität sei ein intensives Aktenstudium nötig gewesen; die geringe Vergütung sei unangebracht.

II.

Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben vom 25.11.2010 sinngemäß die gerichtliche Festsetzung beantragt.

Das Schreiben vom 28.10.2010 ist als Befundbericht im Sinn einer Auskunft nach Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs.1 JVEG zu entschädigen. Die Entschädigung ist auf 22,45 € festzusetzen.

Dieser Festsetzung liegen folgende Einzelpositionen zugrunde:

Entschädigung für Auskunft nach Nr. 200 der        Anlage 2 zu § 10 Abs.1 JVEG 21,00 €Schreibgebühren 0,- €Porto  1,45 €Insgesamt22,45 €Die Beträge begründen sich im Einzelnen wie folgt:

1. Erstellung des Befundberichts

Der Antragsteller ist als sachverständiger Zeuge im Sinne des § 414 Zivilprozessordnung tätig geworden. Er hat eigene Wahrnehmungen von vergangenen Tatsachen und Zuständen bekundet, für die eine besondere Sachkunde, hier die medizinisch-ärztliche, erforderlich ist (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 26.11.1991, Az.: 9a RV 25/90).

Für den sachverständigen Zeugen gelten die Vorschriften über den Zeugenbeweis einschließlich der Regelungen über deren Entschädigung nach § 19 JVEG sowie die Sonderregelung in § 10 Abs. 1 JVEG, wenn er in der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG aufgeführte Leistungen erbringt.

Nach der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG wird die Erstellung eines ärztlichen Befundberichts (vom Gesetzgeber auch als Befundschein bezeichnet) wie folgt entschädigt:

Nr. 200 Ausstellung eines Befundscheins oder Erteilung einer schriftlichen Auskunft ohne nähere gutachtliche Äußerung:21,00 €Nr. 201 Die Leistung der in Nummer 200 genannten Art ist außergewöhnlich umfangreich: bis zu 44,00€Nr. 202 Zeugnis über einen ärztlichen Befund mit von der heranziehenden Stelle geforderter kurzer gutachtlicher Äußerung oder Formbogengutachten, wenn sich die Fragen auf Vorgeschichte, Angaben und Befund beschränken und nur ein kurzes Gutachten erfordern:38,00 €Nr. 203Die Leistung der in Nr. 202 genannten Art ist außergewöhnlich umfangreich:bis zu 75,00 €Der Entschädigung im hier zu entscheidenden Fall ist Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG zugrunde zu legen.

Das Schreiben vom 28.10.2010 stellt einen Befundbericht ("Befundschein") im Sinn der Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG dar, nicht einen nicht oder nur geringfügig individualisierten Computerausdruck, der nicht nach Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG zu entschädigen wäre.

Welchen Anforderungen ein Befundbericht oder "Befundschein" im Sinn der Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG genügen muss, hat der Gesetzgeber nicht näher definiert. Das BSG hat aber den Begriff des Befundberichts im Urteil vom 09.02.2000, Az.: B 9 SB 8/98 R, näher wie folgt erläutert:

"Was unter einem Befundschein/Befundbericht zu verstehen ist, ergibt sich mangels gesetzlicher Definition aus dem Anforderungsschreiben des Leistungsträgers (hier Versorgungsträgers) an den behandelnden Arzt, das ggf nach § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aus der Sicht eines verständigen Empfängers auszulegen ist (vgl zB BSG, Urteil vom 4. Juli 1989 - 9 RVs 5/88 - in ArztuR 1990, Nr 7, 13-14) sowie dem Gegenstand des der Anforderung zugrundeliegenden Verfahrens. Regelmäßig will der Beklagte von dem "in Dienst genommenen" Arzt im Hinblick auf den mitgeteilten Verwendungszweck Angaben erfragen, die er zur Erfüllung seiner Aufgabe benötigt. Vorliegend geht es um ein von der Patientin des Klägers beantragtes Verfahren nach §§ 3, 4 SchwbG. Dafür benötigte der Beklagte Daten, die Anhaltspunkte für das Vorliegen wesentlicher, auf Krankheit(en) beruhender Funktionsstörungen lieferten, deren Auswirkungen möglicherweise zu einer Behinderung meßbaren Grades führen oder Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche iS des SchwbG sein konnten (vgl §§ 3, 4 Abs 3 und 4 SchwbG). Ein Befundbericht mußte geeignet sein, der Erfüllung dieses Zwecks zu dienen. Der Kläger hätte deshalb aus seinen Behandlungsunterlagen ausgewählte, fachlich bewertete und in Anamnesen, Befunde (das sind vor allem objektiv gemessene Daten, zB Bewegungseinschränkungen, Stoffwechselstörungen, Blutdruck oder Auswertungen von EKG oder Röntgenuntersuchungen, Beschreibung von wesentlichen Funktionsstörungen seines Patienten) und darin mündende Diagnosen gegliederte Angaben liefern müssen (vgl BSG SozR 1925 § 8 Nr 1 sowie Urteil vom 26. November 1991 - 9a RV 25/90 - in MeSo B 20b/58). Eine gutachtliche Stellungnahme war damit nicht verbunden.

Einen diesen Vorgaben entsprechenden Bericht hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht erstellt. Er hat vielmehr nur das Material dafür geliefert. Der von ihm dem Beklagten übersandte unbearbeitete Computerausdruck enthält sämtliche Daten über die Behandlung der Patientin zwischen Mai 1991 und Juli 1995, ua Hinweise auf Verbandswechsel, Therapiebeschreibungen und -erfolge, Medikamentenverordnungen, zusammengefaßte Berichte dritter Ärzte, aber auch Befunde, insbesondere Laborbefunde und Diagnosen. Dagegen zeigt der Ausdruck weder eine dem erkennbaren Zweck der Anfrage entsprechende und die medizinisch-fachliche Sachkunde des Klägers dokumentierende Auswahl der Daten noch eine Gliederung und bewertende Beschreibung der Befunde und von Funktionsstörungen."

Keller hat dies in seinen Anmerkungen zum Beschluss des Hessischen LSG vom 13.07.2005, Az.: L 2 SF 6/05 R, wie folgt zusammengefasst (vgl. jurisPR-SozR 30/2005 Anm. 6):

"Üblicherweise handelt es sich bei dem Befundbericht" [Anmerkung des Senats: richtig müsste es heißen: "bei der Befundberichtsanforderung"] "um ein Formblatt mit standardisierten Fragen zu der erhobenen Anamnese, den Befunden, ihre epikritische Bewertung und Stellungnahme zur Therapie anhand der vorliegenden Behandlungsunterlagen. Der behandelnde Arzt soll über Tatsachen berichten, die er aufgrund seiner besonderen Fachkunde als sachverständiger Zeuge (§ 414 ZPO) festgestellt hat. Das ist nicht durch eine Wiedergabe von gespeicherten Aufzeichnungen möglich, denn neben der Mitteilung von Tatsachen zieht der sachverständige Zeuge auch Schlussfolgerungen (BSG, Urt. v. 26.11.1991 - 9a RV 25/90). Daran fehlt es selbst dann, wenn der Befundbericht - wie im entschiedenen Fall - teilweise brauchbare Daten enthält (BSG, Urt. v. 09.02.2000 - B 9 SB 8/98). Tatsächlich hätte wohl auch eine fachlich nicht vorgebildete Schreibkraft den Ausdruck erstellen können."

Auf die Art und Weise der Erstellung der ärztlichen Antwort auf eine Befundberichtsanforderung des Gerichts kann es nicht ankommen, wenn darüber zu entscheiden ist, ob ein Befundbericht vorliegt oder lediglich von der Übersendung von Kopien der Behandlungsunterlagen, die keinen Befundbericht darstellen, sondern nur das Material für die Erstellung eines solchen Berichts beinhalten, auszugehen ist. Eine bloße und nicht zugeordnete Wiedergabe ärztlicher Aufzeichnungen würde überhaupt nicht zur Aufgabe eines sachverständigen Zeugen gehören, sie könnte auch von einer nicht medizinisch vorgebildeten Bürokraft vorgenommen werden (vgl. BSG, Urteil vom 11.11.1987, Az.: 9a RVs 3/86). Entscheidend ist vielmehr, dass die gerichtlichen Fragen in einer Art und Weise beantwortet sind, dass sich das Gericht bzw. ein vom Gericht später beauftragter Sachverständiger nicht erst aus einer unselektierten oder bloß chronologischen Zusammenstellung die Daten heraussuchen muss, die für die Beantwortung der einzelnen vom Gericht gestellten Fragen erforderlich sind. Auf welche Art und Weise der berichtende Arzt eine den jeweiligen Fragen zuordenbare Zusammenstellung der Daten sicherstellt - sei es durch einen individuell ausformulierten Antworttext für jede einzelne Frage, sei es durch einen Verweis auf beigelegte Anlagen, die jeweils den einzelnen Fragen zugeordnet werden und im Wesentlichen auch nur das enthalten, was für die Beantwortung der jeweiligen Frage erforderlich ist -, ist diesem überlassen und kann bei der Entschädigung keine entscheidende Rolle spielen.

Der Senat ist sich bewusst, dass damit eine Beantwortung in gleicher Weise entschädigt wird, unabhängig davon, ob die Beantwortung der Fragen durch eine erst im Anforderungsfall gewählte Formulierung erfolgt oder ob lediglich bereits früher formulierte Passagen aus der elektronisch gespeicherten Patientenakte herauskopiert und den gerichtlichen Fragen zugeordnet werden, was mit einem oft geringeren Zeitaufwand verbunden sein dürfte. Dieser Unterschied im zugrunde liegenden Aufwand kann aber bei der Höhe der Vergütung keine Berücksichtigung finden, da der Gesetzgeber einer derartige Differenzierung bei der vom ihm getroffenen zeitunabhängigen, lediglich nach dem Umfang der Ausführungen (vgl. Beschluss des Senats vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11) differenzierenden Pauschalhonorierung nicht vorgesehen hat. Im Übrigen wäre es auch verfehlt, für die Entschädigung bei der aufgewendeten oder objektiv erforderlichen Zeit anzusetzen, zumal dieser Gesichtspunkt bei der vom Gesetzgeber festgesetzten Entschädigung bei manchen Ärzten ohnehin nicht als aufwandsangemessen empfunden wird. Entscheidend ist allein, ob aus Sicht des anfordernden Gerichts eine Beantwortung der Fragen erfolgt ist oder ob nur ein Datenkonvolut übermittelt worden ist, aus dem sich das Gericht erst das Einschlägige zu den einzelnen Fragen heraussuchen muss. Dass das Herauskopieren aus bereits beim Arzt vorhandenen Daten in eine dann dem Gericht übersandte Anlage einer Entschädigung als Befundbericht nicht entgegen stehen kann, ergibt sich auch zwingend daraus, dass Ausweichreaktionen bei kundigen Ärzten unvermeidlich wären, wenn das Herauskopieren aus vorhandenen Daten nicht als Befundbericht entschädigt würde. Denn diese Ärzte würden dann einfach die herauskopierten Passagen nicht in einer Anlage aufführen, sondern einen Befundbericht aus der Bezugnahme auf die Fragen (ausreichen würde hier: "Zu 1." usw.) und dem aus der Patientendatei herauskopierten Text erstellen und es damit nicht mehr nachprüfbar machen, ob nur eine Kopierfunktion genutzt worden oder eine Neuformulierung anlässlich der gerichtlichen Anforderung erfolgt ist. Schließlich würde es eine finanzielle Schlechterstellung der Ärzte darstellen, die sich die Möglichkeiten der Datenverarbeitung zunutze machen. Eine derartige Fortschrittsfeindlichkeit kann aber nicht Sinn und Zweck des JVEG sein.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei Verwendung von Auszügen aus einer elektronischen Patientenakte von einem Befundbericht im Sinn der Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG dann auszugehen ist, wenn ohne irgendwelche Schwierigkeiten erkennbar ist, welche Auszüge im Rahmen der Beantwortung der gerichtlichen Befundberichtsanforderung welcher Frage zuzuordnen sind. Die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter dürfen dabei keinesfalls überspannt werden (Leitgedanke der Kostenrechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Grundsatzbeschlüsse vom 14.05.2012, Az.: L 15 SF 276/10 B E, vom 18.05.2012, Az.: L 15 SF 104/11, vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11, und vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11). Ausreichend - aber auch erforderlich - ist es also, wenn der berichtende Arzt aus seiner elektronischen Patientendatei Textpassagen jeweils einer gerichtlichen Frage zuordnet, es sei denn, der in der Sache zuständige Richter kommt zu der Einschätzung, dass die gegebene Antwort als Beantwortung der Frage unverwertbar ist.

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller offensichtlich das ihm in seiner elektronischen Patientenakte zur Verfügung stehende Datenmaterial zu jeder einzelnen Frage ausgewertet und die einschlägigen Passagen in Anlagen aufgeführt, die eindeutig den einzelnen Fragen zugeordnet sind. Ob der Antworttext neu formuliert oder aus einer vorhandenen Datei übernommen worden ist, ist für die Entschädigung ohne Bedeutung. Damit ist bei Berücksichtigung des Umfangs der Ausführungen von einem Befundbericht im Sinn der Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG auszugehen, der mit 21,- € zu entschädigen ist.

2. Schreibauslagen

Im Rahmen der Erstellung eines Befundberichts können Schreibgebühren nicht erstattet werden (vgl. die ausführlichen Erläuterungen im Senatsbeschluss vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11; BSG, Urteil vom 09.02.2000, Az.: B 9 SB 10/98).

3. Porto, Material

Antragsgemäß werden 1,45 € ersetzt.

Insgesamt sind 22,45 € für die Erstellung des Befundberichts vom 28.10.2010 zu erstatten.

Der Kostensenat des Bayerischen Landessozialgerichts trifft diese Entscheidung nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung in voller Besetzung (§ 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).