Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 25.04.2013 - 9 UF 36/13
Fundstelle
openJur 2013, 24209
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der (am 8. März 2013 erlassene) Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 7. März 2013 – Az. 33 F 14/13 – aufgehoben, soweit das Kind F… K… betroffen ist.

Vorsorglich wird klarstellend festgestellt, dass damit zugleich den vorangegangenen, am 13. Februar und 28. Februar 2013 erlassenen Beschlüssen des Amtsgerichts Oranienburg – Az. 33 F 14/13 – keinerlei Rechtswirkung mehr beizumessen ist.

Gerichtskosten für das Verfahren erster Instanz und für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 1.500 EUR festgesetzt.

II. Dem Kindesvater wird für das Beschwerdeverfahren mit Wirkung ab dem 4. April 2013 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … in B… bewilligt.

Gründe

1.

Mit ihrer am 15. März 2013 beim Amtsgericht eingegangenen (sofortigen) Beschwerde wendet sich die Kindesmutter gegen den – im Verfahren nach §§ 49 ff, 54 FamFG und nach Anhörung am 5. März 2013 sowie der Kindesanhörung am 6. März 2013 ergangenen - Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 7. März 2013, soweit dieser das am …. Oktober 2002 geborene Kind F… K… betrifft. Mit dem angefochtenen Beschluss ist ein – im Wege einstweiliger Anordnung ohne vorherige Anhörung ergangener – Beschluss vom 13. Februar 2013 in der geänderten Fassung des Beschlusses vom 27. Februar 2013 bestätigt worden, wonach der zuvor gemäß § 1626a Abs. 2 BGB allein sorgeberechtigten Kindesmutter die gesamte Personen- und Vermögenssorge für den (wohl) am …. Oktober 2002 geborenen F… K… entzogen und schlussendlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Kindesvater übertragen und im Übrigen das Jugendamt des Landkreises … als Pfleger bestellt worden ist.

Zuvor hatte der Kindesvater im November 2012 ein Hauptsacheverfahren bei dem Amtsgericht Oranienburg eingeleitet mit dem Ziel, ihm allein die elterliche Sorge für F… K… zu übertragen, hilfsweise der Kindesmutter die elterliche Sorge zu entziehen (Az. 33 F 174/12). Begründet hat er dies mit der Behauptung, die Kindesmutter verhindere – nachdem es bis April 2011 regelmäßigen und sehr harmonischen Umgang zwischen Vater und Sohn gegeben habe – nunmehr mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln einen Umgang und setze den Sohn einer sehr schädlichen Beeinflussung aus mit dem Ziel, die bestehende Vater-Sohn-Bindung nachhaltig zu zerstören. In diesem Verfahren, das später mit einem weiteren Verfahren betreffend das Sorgerecht für das jüngere Kind der Antragsgegnerin, S… St…, verbunden worden ist, hat das Amtsgericht am 5. Februar 2013 einen Beweisbeschluss erlassen, mit dem die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet wird.

Gestützt auf einen – durch den zuvor nicht angekündigten Umzug der Kindesmutter am 7. Februar 2013 nach S…/Nordrhein-Westfalen veranlassten – (erneuten) Antrag des Kindesvaters auf vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn oder das Jugendamt vom 11. Februar 2013 hat das Amtsgericht Oranienburg die angefochtenen Entscheidungen mit einem Umgangsboykott und einer daraus abzuleitenden Erziehungsunfähigkeit der Mutter und dem Verdacht, die Mutter werde möglicherweise mit dem Sohn nach Bosnien oder Kroatien ausreisen oder ggf. auch dem Kind etwas antun, und schließlich mit der Feststellung begründet, die Kindesmutter habe sich ihren Verpflichtungen in dem hiesigen Sorgerechts(hauptsache)verfahren dadurch vollständig entzogen, dass sie sich am 7. Februar 2013 eigenmächtig nach Nordrhein-Westfalen abgesetzt habe. Die Abänderung der ursprünglichen Übertragung des Sorgerechts auf das Jugendamt als Amtsvormund erfolgte, nachdem der Amtsvormund nach Rücksprache mit dem Jugendamt am jetzigen Wohnort der Mutter und Inaugenscheinnahme der Häuslichkeit die Entscheidung getroffen hatte, das Kind F… bei der Mutter zu lassen, weil er dessen Wohl eher durch eine Herausnahme als durch einen Verbleib bei der Mutter gefährdet sah. Daraufhin hat das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater übertragen. Diesem wurde der Sohn am 5. März 2013 übergeben. Der Vater bestimmte den Aufenthalt des Kindes bei seinen Eltern, zu denen der Junge jedenfalls bis zum Frühsommer 2011 ein gutes Verhältnis gehabt haben soll.

Es kam sodann trotz erheblicher Bemühungen der Mutter und einem entsprechend geäußerten Wunsch des Kindes vorläufig nicht zu einem persönlichen Kontakt zwischen Mutter und Sohn. Über die Verantwortung dafür streiten die Beteiligten.

Der Senat hat mit Beschluss vom 3. April 2013 antragsgemäß nach § 64 Abs. 3 FamFG die Vollziehung der F… K… betreffenden Beschlüsse einstweilen bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens ausgesetzt. F… ist daraufhin (spätestens am 8. April 2013) in den mütterlichen Haushalt zurückgekehrt.

Die Kindesmutter hält unter näherer Darlegung ihrer Wahrnehmung der Ereignisse seit Anfang Februar 2013 den Entzug des gesamten Personen- und Vermögenssorgerechts im Eilverfahren für nicht gerechtfertigt, jedenfalls für unverhältnismäßig, zumal die zu erwartenden nachteiligen Folgen eines gegen den erklärten Kindeswillen erzwungenen Wechsels des Lebensmittelpunktes unter Verlust seiner Hauptbezugsperson für das seelische Wohl des Kindes nicht (ausreichend) abgewogen worden sei. Sie betont, dass sowohl der ursprünglich eingesetzte Amtsvormund als auch das Jugendamt am neuen Wohnort der Kindesmutter eine Herausnahme des Jungen aus dem mütterlichen Haushalt ausdrücklich nicht befürworteten und das Amtsgericht – diese fachliche Einschätzung ignorierend – erst daraufhin und ohne jede Feststellung zur Erziehungsfähigkeit des Kindesvaters und dessen konkreten Möglichkeiten zur Ausübung desselben diesem das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen hat.

Im Jugendamt O… war es zwischenzeitlich in dieser Angelegenheit zwischen dem FD Sozial Pädagogische Dienste und dem eingesetzten Amtspfleger zu einem offenen Konflikt über die richtige Vorgehensweise unter dem Aspekt des Kindeswohls und in Bezug auf die Regelung aller sonstigen wichtigen Belange des Kindes zu einem faktischen Handlungsstillstand gekommen, wie der ursprünglich als Amtsvormund und später als Amtspfleger eingesetzte Beteiligte zu 4. in seinen Schreiben vom 15. und 22. März 2013 (Bl. 356 und 366 ff. GA) sowie vom 28. März 2013 (Bl. 503 f. GA) eindrucksvoll geschildert und zuletzt dahin ergänzt hat, dass F… unter der Trennung von seiner Mutter und seinem Bruder leide. Der Beteiligte zu 3. hält die angefochtene Entscheidung (wohl) für richtig und führt in seiner Stellungnahme vom 12. April 2013 eine Vielzahl von konkreten Hinweisen für eine – seit Jahren - bestehende ganz massive Bindungsintoleranz der Kindesmutter an. Die bei dem Jungen bestehenden Verhaltensauffälligkeiten könnten nach der dort vertretenen Auffassung ihre Ursache weniger in ADHS haben, sondern vielmehr (auch) Folge innerfamiliärer Störungen und Loyalitätskonflikten sein. Aus Sicht des Jugendamtes habe nach dem – deutlich kritisierten - Wegzug der Kindesmutter die Gefahr einer Chronifizierung der vorliegenden seelischen Kindeswohlgefährdung bestanden. Der Kindesvater habe sich nach der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts verantwortungsvoll verhalten und die Belange des Kindes stets im Blick gehabt. Tatsächlich habe sich F… – den Angaben des Vaters zufolge – nach relativ kurzer Zeit dem Vater geöffnet und positive Gefühle ihm gegenüber zugelassen. Der Beteiligte zu 3. empfiehlt, die angeordnete Begutachtung umgehend durchzuführen. Eine eindeutige Aussage zum Beschwerdeantrag lässt sich den Stellungnahmen der Beteiligten zu 3. und 4. nicht entnehmen.

Das involvierte Jugendamt B… am Wohnort der Mutter hat gelegentlich mehrerer Hausbesuche festgestellt, dass F… emotional und sicher an die Mutter angebunden sei und Anzeichen für eine akute oder drohende Kindeswohlgefährdung bei einem Verbleib bzw. einer Rückführung in den mütterlichen Haushalt nicht vorhanden seien. Die Trennung des Kindes von seiner Mutter gegen seinen erklärten Wunsch allein zur Durchsetzung von Besuchskontakten wurde dort ausdrücklich als unverhältnismäßig eingeschätzt. Ferner wurde in Frage gestellt, ob durch die amtsgerichtlich getroffenen Maßnahmen überhaupt eine positive Vater-Sohn-Bindung geschaffen werden könne. Die Mutter habe schließlich signalisiert, die Unterstützung des Jugendamtes in Anspruch nehmen zu wollen, um Besuchskontakte der Söhne mit den Vätern herbeizuführen (Bl. 408 ff. GA).

Der Kindesvater verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seiner – insbesondere auch von entsprechenden Einschätzungen des Verfahrensbeistandes getragenen - Darstellung einer so massiv das Kindeswohl F…s schädigenden Manipulation des Jungen gegen den Vater mit dem – vorläufig noch nicht erreichten - Ziel eines vollständigen Kontakt- und Bindungsabbruchs durch die Mutter, dass F… bereits spürbar psychisch auffällig geworden sei, nämlich an einer emotionalen Störung im Kindesalter leide, für die ausschließlich die Kindesmutter verantwortlich sei. Der Vater betont, er sei durchaus gewillt, nach einer – zur Stabilisierung des Kindes ärztlich empfohlenen – Aussetzung des Umgangs für vier Wochen einen persönlichen Umgang zwischen Mutter und Sohn zu ermöglichen, allerdings nur in begleiteter Form.

Der Verfahrensbeistand hat die ihm im Beschwerdeverfahren eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme nicht genutzt.

Der Senat hat – einer unwidersprochen gebliebenen Ankündigung folgend – im schriftlichen Verfahren nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG entschieden.

2.

Die gemäß §§ 57 Satz 2 Nr. 1, 58 Abs. 1 FamFG statthafte sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht gemäß §§ 63 Abs. 2 Nr. 1, 64 Abs. 1 und 2, 65 Abs. 1 FamFG eingelegt und begründet worden. Das somit zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Die ausdrücklich auf die §§ 1666, 1666 a BGB gestützte Entziehung nicht nur des vollständigen Personensorgerechts, sondern auch noch des Rechts der Vermögenssorge im Verfahren der einstweiligen Anordnung, gestützt auf einen angeblichen Umgangsboykott über einen längeren Zeitraum, die „Instrumentalisierung und Manipulation ihrer Kinder im Alltag, ihrer Uneinsichtigkeit auch gegenüber gerichtlichen Empfehlungen und Androhungen nebst ihrer Unzuverlässigkeit hinsichtlich Absprachen zwischen Familiengericht und Mutter und Mutter und Jugendamt, und aktuell zusätzlich durch die Instrumentalisierung im Rahmen des Verfahrens durch ein Fernsehteam, soweit dies sich zu Lasten der Kinder auswirkt“, ist schon materiell-rechtlich und noch weniger im Eilverfahren gerechtfertigt.

Der Senat verkennt nicht, dass es durchaus greifbare Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Kindesmutter – biografisch und/oder persönlichkeits- und/oder krankheitsbedingt - möglicherweise nicht uneingeschränkt und in jeder Beziehung über eine ausgeprägte Erziehungsfähigkeit verfügt, es ihr insbesondere an der inneren Einsicht für die besondere Rolle fehlt, die ein Vater auch nach der Trennung der Eltern im Leben eines Kindes spielt. Man kann sich unter Berücksichtigung aller hier vorliegenden Schriftsätze und Unterlagen auch nicht des Eindrucks erwehren, dass die Mutter in der Vergangenheit (über Jahre) eher nicht alles ihr Zumutbare dafür getan hat, dass F… einen kontinuierlichen und unbelasteten persönlichen Kontakt zu seinem Vater erleben konnte, sondern – durch die Mutter besonders beeinflusst oder auch nur unbewusst - nach und nach eine ablehnende Haltung seiner Mutter übernommen hat. Es spricht auch Einiges dafür, dass der nach Aktenlage eher unstete Lebenswandel mit verschiedenen verhältnismäßig kurze Zeit dauernden ehelichen oder nichtehelichen Partnerschaften und damit zusammenhängenden vielfachen Wechseln von Wohnort und damit sozialem Umfeld und nicht zuletzt männlichen Bezugspersonen für die Entwicklung des heute gut 10-jährigen und wohl auch unter ADHS leidenden F… nicht unbedingt zuträglich gewesen sein dürfte. Möglicherweise hat die Kindesmutter tatsächlich ihre eigenen Bedürfnisse den berechtigten Belangen ihres Sohnes gelegentlich vorangestellt. All diese durchaus berechtigten Bedenken gegen eine Alleinverantwortung der Mutter hinsichtlich des Personensorgerechts für F… boten sicherlich hinreichenden Anlass für die Einleitung eines sorgerechtlichen Hauptsacheverfahrens durch den Kindesvater, der seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 zur Verfassungswidrigkeit der §§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 und 1672 Abs. 1 BGB (abgedruckt u.a. FamRZ 2010, 1403) auch gegen den Willen der Mutter die Beteiligung am elterlichen Sorgerecht oder notfalls auch die Übertragung des alleinigen elterlichen Sorgerechts erreichen konnte, oder auch durch die nach Aktenlage seit 2007 in dem Umgangskonflikt der Beteiligten zu 1. und 2. involvierten Jugendämter in Be… und O…. Die Einleitung des Hauptsacheverfahrens durch den Kindesvater im November 2012 war bei dieser Sachlage durchaus nachvollziehbar und hat – zu Recht – zur Anordnung einer sachverständigen Begutachtung geführt, die einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung unter dem Aspekt des Kindeswohls dient.

Der hier allerdings vorliegende Entzug des gesamten Personen- und Vermögenssorgerechts der Kindesmutter im Wege eines Eilverfahrens war und ist bei der gegebenen Ausgangslage nicht berechtigt. Anlass für diese Maßnahme war ganz offenkundig einzig der Umstand, dass die Kindesmutter „eigenmächtig“ nach Nordrhein-Westfalen verzogen ist, verbunden mit nachgerade wilden, jedenfalls durch keine greifbaren Anhaltspunkte tatsächlich gestützten Spekulationen über eine nachhaltige Verweigerung jeder weiteren Mitarbeit im hiesigen (Hauptsache-)Verfahren und mehr noch über eine Flucht nach Kroatien oder Bosnien, Impulsdurchbrüche der Mutter bis hin zu einem etwaigen erweiterten Suizid. Das Amtsgericht muss dringend daran erinnert werden, dass das elterliche Sorgerecht und insbesondere die §§ 1666, 1666 a BGB kein Instrument zur Disziplinierung schwieriger, vielleicht eher konfrontativ und weniger kooperativ, vielleicht auch – etwa mit der Herstellung einer aufdringlichen Medienöffentlichkeit ohne Rücksicht auf die involvierten Kinder – ungeschickt agierender sorgeberechtigter Eltern ist.

Der Senat bleibt bei seiner – auch im Parallelverfahren betreffend den weiteren Sohn S… St… geäußerten – Einschätzung dahin, dass es bedingt durch die Trennung der bestehenden Partnerschaft zu dem Vater des weiteren Kindes und dem damit einhergehenden Verlust des bisherigen Wohnraums am 5. Februar 2013 hinreichende sachliche Gründe für den am 7. Februar 2013 erfolgten Umzug nach S… in die Umgebung der dort ansässigen Familie gegeben hat. Im Übrigen bietet der vorliegende Fall jeden Anlass, sämtliche Verfahrensbeteiligten darauf hinzuweisen, dass es der allein sorgeberechtigten Kindesmutter überlassen bleiben muss(te), wo sie ihren und des Sohnes Lebensmittelpunkt begründet. Es bestand insbesondere keinerlei Rechtspflicht, das involvierte Jugendamt oder das Amtsgericht oder den Vater vorher um Erlaubnis zu fragen oder diesen Institutionen auch nur in die Überlegungen einzubeziehen. Das Amtsgericht hat in den im hiesigen Eilverfahren ergangenen Beschlüssen auch nicht etwa konkrete Feststellungen getroffen, dass und in welcher Weise durch den Umzug der Mutter der Fortgang des Hauptsacheverfahrens konkret gefährdet wäre.

Selbst wenn man – was nicht aus der Luft gegriffen ist – davon ausgeht, dass das seelische Wohl F…s bei einem Verbleib in der mütterlichen Obhut wegen einer absoluten Bindungsintoleranz der Mutter in einem solchen Maße gefährdet wäre, dass eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten wäre, so ist doch weder aus der angefochtenen Entscheidung noch aus den Ausführungen der übrigen Verfahrensbeteiligten nur ansatzweise erkennbar, weshalb im Streitfall der Ausgang des anhängigen Hauptsacheverfahrens nicht mehr abgewartet werden könnte und vielmehr ohne Rücksicht auf eine belastbare Aufklärung der Angelegenheit und insbesondere ohne sorgfältige Abwägung der Kindeswohlaspekte die hier getroffene Eilentscheidung hat ergehen müssen. Es gab – folgt man den Ausführungen des Kindesvaters und des Jugendamtes – seit Jahren (seit 2007) Anhaltspunkte für eine nur eingeschränkte Bindungstoleranz der Mutter, ohne dass allerdings deutlich wäre, mit welcher Konsequenz diese Problematik in den Folgejahren bearbeitet worden wäre. Die offenbar verschiedentlich angestrengten gerichtlichen Sorge- und Umgangsverfahren – die Beteiligten bleiben hier eher vage – scheinen danach nicht zielführend betrieben worden zu sein, ohne dass belastbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dies einzig der Mutter anzulasten gewesen wäre. Der Senat kann sich jedenfalls des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine frühzeitige konsequente Sachaufklärung unterblieben ist. Das kann aber für sich betrachtet nun nicht dazu führen, dass nunmehr im Wege einer Eilentscheidung ein schwerwiegender Sorgerechtseingriff gerechtfertigt wäre. Bei der gegebenen Ausgangslage war und ist der vollständige Entzug des Personen- und Vermögenssorgerechts offenkundig überzogen und unverhältnismäßig. Selbst zur Beseitigung einer konkreten Gefährdung für das Kindeswohl darf nämlich grundsätzlich nur das mildeste Mittel gewählt werden. Im Streitfall ist nicht einmal ansatzweise ersichtlich, weshalb es aus Gründen des Wohls F…s dringend erforderlich sein sollte, die Kindesmutter insgesamt von jeder elterlichen (Mit-)Verantwortung schlichtweg auszuschließen.

Im Übrigen hat ein Eingriff in das Sorgerecht zu unterbleiben, wenn dieser mit anderweitigen Beeinträchtigungen des Kindeswohls einhergeht und bei einer Gesamtbetrachtung zu keiner Verbesserung des Kindeswohls führt (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011, XII ZB 247/11). Im Streitfall ist nicht erkennbar, wie die gegen den wiederholt erklärten Willen des Kindes vollzogene vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für F… auf den Kindesvater mit der Folge eines neuerlichen Wechsels des räumlich-sozialen Umfeldes und insbesondere auch mit der Konsequenz eines mehrwöchigen Kontaktabbruchs und mindestens eines sehr restriktiven (begleiteten) Umgangs zu der ihn seit Jahren betreuenden Hauptbezugsperson, zu der er nach den Feststellungen des involvierten Jugendamtes B… eine gute und tragfähige emotionale Beziehung hat, dem seelischen Wohl des Kindes zuträglich sein soll. Es ist überhaupt nicht erkennbar, dass das Amtsgericht oder die übrigen Verfechter dieses erzwungenen Aufenthaltswechsels auch nur in den Blick genommen haben, welche – natürlich zu erwartenden – psychologisch-emotionalen bzw. seelische Beeinträchtigungen F… dadurch drohen. F… sehnt(e) sich nach seinem Aufenthaltswechsel ausdrücklich nach seiner Mutter und seinem Bruder und war erkennbar nicht glücklicher als zuvor im Haushalt seiner Mutter. Es kommen im Streitfall offen zutage tretende praktische Probleme in der Umsetzung der amtsgerichtlichen Entscheidung hinzu, die weitere Unzuträglichkeiten für den Jungen erwarten ließen, würde der angefochtene Beschluss bestätigt. Der Vater hat – dies war ganz sicher eine wohl ausgewogene Entscheidung – das Aufenthaltsbestimmungsrecht dahin ausgeübt, dass der Junge vorläufig bei seinen Großeltern väterlicherseits seinen Lebensmittelpunkt begründet. Der Senat will auch noch annehmen, dass der Vater und dessen Eltern trotz der unterschiedlichen Wohnsitze die mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht einhergehenden Befugnisse zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens verantwortlich und zum Wohle des Kindes ausüben. Deutlich geworden ist allerdings, dass der eingesetzte Amtspfleger – gründend auf die räumliche Entfernung zwischen Dienstsitz und Wohnsitz des Kindes bei einem fortdauernden Aufenthalt des Jungen in B… – sich außer Stande sieht, die ihm zukommenden Aufgaben sachgerecht wahrzunehmen. Das ist aus Sicht des Kindes eine nicht nur unbefriedigende, sondern unerträgliche Situation. Es bleibt im Übrigen die sehr konkret anstehende Frage, inwieweit der Beteiligte zu 3. in Ansehung des Umstandes, dass weder Vater noch Mutter noch der Junge ihren ständigen Aufenthalt in dessen Amtskreis haben, weiterhin Unterstützung und Hilfe anbieten kann oder wer wann wie in welcher Weise dafür Sorge tragen soll und kann, dass entsprechende Angebote realisiert werden. Auch diese Unsicherheiten, die besondere Bedeutung bei einem durch den erzwungenen Aufenthaltswechsel psychisch belasteten Kind erlangen, finden keinerlei Berücksichtigung in der angefochtenen Entscheidung oder bei den Verfechtern derselben.

Für eine Trennung eines Kindes von der ihn seit Jahren betreuenden Hauptbezugsperson zur Durchsetzung einzig des Umgangsrechts des nicht betreuenden Elternteils im Wege einer Eilentscheidung, parallel zu einem bereits im Zuge der Sachaufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens befindlichen Hauptsacheverfahren muss es schon sehr besondere Gründe geben, die hier – wie vorstehend ausgeführt - nicht erkennbar sind bzw. definitiv nicht vorliegen.

Dies gilt umso mehr, als zu erwarten ist, dass die Kindesmutter – dies ist ihr im Interesse ihrer Kinder jedenfalls dringend anzuraten –, sei es auch zunächst nur unter dem Druck der Sorgerechtsverfahren alles Mögliche und Zumutbare unternehmen wird, um einerseits ihren Söhnen und den jeweiligen Vätern auch in Ansehung der jetzt großen räumlichen Entfernung einen kontinuierlichen persönlichen, unbelasteten Kontakt zueinander zu ermöglichen und andererseits – auch hier zur Entlastung der Kinder - einen zügigen Fortgang der Hauptsacheverfahren durch sachgerechte Mitwirkung an der Begutachtung zu gewährleisten.

Bei der gegebenen Ausgangslage war deshalb der angefochtene Beschluss – ersatzlos - aufzuheben. Einer (Rück-)Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der sonstigen Bestandteile des elterlichen Sorgerechts auf die Kindesmutter bedurfte es nicht. Da die Antragsgegnerin bis zu den angefochtenen Entscheidungen des Amtsgerichts Inhaberin des alleinigen Sorgerechts für das Kind F… K… war, bewirkt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, dass sie das ihr zustehende Sorgerecht wieder uneingeschränkt allein ausüben kann, jedenfalls solange im Hauptsacheverfahren oder – unter geänderten Umständen – auch in einem erneuten Verfahren nach §§ 49 ff. FamFG eine anderweitige bzw. abschließende Entscheidung getroffen wird.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus §§ 40 Abs. 1, 41 und 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 70 Abs. 4 FamFG).

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