OLG Hamm, Urteil vom 19.01.2005 - 3 U 179/04
Fundstelle
openJur 2013, 23949
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. April 2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die am ...1968 geborene Mutter der Klägerin hatte 1985 ein gesundes Kind gebo­ren. Im Mutterpass ist für die Folgejahre u.a.  dokumentiert: "1986 Abort VI. Schwan­gerschaftsmonat, 1987 Abort Mens V ..."(Bl. 23 d.A.). 1990 wurde ein weiteres, ge­sundes Kind geboren. 1994 war die Mutter der Klägerin erneut schwanger. Errech­neter Entbindungstermin für die Klägerin war der 25.10.1994.

Am Freitag, den  15.7.1994 um 0.50 Uhr suchte die Mutter der Klägerin die  Frauen­klinik des Beklagten zu 1) auf, weil die Mutter Flüssigkeitsabgang aus der Scheide bemerkt hatte. Dokumentiert ist: "Patientin kommt i.d. 26. SSW zur Aufnahme wg. Flüssigkeitsabgang...z.Zt. kein Anhalt für FW-Abgang...". Ein noch in der Nacht ge­fertigtes, erstes CTG sowie ein am Morgen des 15.7.1994 geschriebenes zweites CTG blieben ohne Befund. Die Beklagte zu 2) war und ist Oberärztin der Frauenklinik des Beklagten zu 1). Sie dokumentierte am 15.7.1994 um 14.00 Uhr: "Ø FW-Ab­gang" (Bl. 399 d.A.).

Am 16.7.1994 dokumentierte die Beklagte zu 2) um 10.00 Uhr: "CTG: KMA einge­engt + tachykard, 180 spm" (drittes CTG). Irrtümlich notierte die Beklagte zu 2) als Datum den 17.7.1994. Für 14.30 Uhr ist dokumentiert: "CTG-Kontrolle: KMA einge­engt, nicht mehr so tachykard" (viertes CTG).

Gegen 18.20 Uhr rief die Zeugen Dr. M die Beklagte zu 2) telefonisch her­bei. Für 19.00 ist dokumentiert: "CTG-Kontrolle: KMA sehr eingeengt" (fünftes CTG). Um 19.10 Uhr dokumentierte die Zeugin Dr. M:  "ausf. Gespräch mit Pat. u.  Ehemann, dass das Kind möglicherweise nicht lebensfähig oder aber auch lebens­lang behindert. Eltern entschließen sich zur sectio" (Bl. 400 d.A.).

In der von der Mutter der Klägerin unterzeichneten Einwilligungserklärung dokumen­tierte die Zeugin Dr. M: "Ausf. aufgeklärt, dass Kind möglicherweise (hohe Prozentzahl) nicht überlebensfähig oder behindert".

Aufgrund eines sechsten CTG dokumentierte die Beklagte zu 2) um 19.50 Uhr: "CTG: eingeengt bis silent, nach nochmaligen Gespräch mit dem Ehepaar Ent­schluss zur sectio caesarea. Info OP/ Anästhesie + Kinderklinik (Dr. N2...". Wegen der weiteren Einzelheiten der Entbindungsdaten und der  Dokumentation des Geburtsverlaufes wird auf Bl. 398-402 d.A. Bezug genommen.

Die Klägerin wurde um 20.30 Uhr geboren (Gewicht: 660 gr, Länge 31 cm, PH art. 7,30, venös: 7,35). Sie  wurde auf der Frühgeborenen-Intensivabteilung des Beklag­ten zu 1) durch den Kinderarzt Dr. C weiterbehandelt.

Die Klägerin hält den Kaiserschnitt für nicht indiziert. Sie führt u.a. Geh- und Lernbe­hinderungen auf die Frühgeburtlichkeit zurück.  Sie verlangt Schmerzensgeld und Ersatz materiellen Schadens, im Wesentlichen für Pflegeleistungen ihrer Eltern.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie, zu Händen der ge­setzlichen Vertreter, aufgrund der Ereignisse der Behandlung ab dem 15.7.1994 und der Geburt vom 16.7.1994 ein angemessenes Schmerzensgeld - Vorstellung: 400.000,- DM -  zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und das mit 2% über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Landesbank verzinst wird,

2.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie aufgrund der Ereig­nisse der Behandlung ab dem 15.7.1994 und der Geburt vom 16.7.1994 einen Betrag von 3.187,12 € zu zahlen nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung,

3.

festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aufgrund der Behandlung ab dem 15.7.1994 und der Geburt vom 16.7.1994 entstanden ist, soweit der Anspruch nicht auf einen anderen Sozialversiche­rungsträger übergegangen ist oder noch übergeht.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens nebst ergänzender Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr.     Dr. habil. X ab­gewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Be­zug genommen (§ 540 I Nr. 1 ZPO).

Mit der Berufung wiederholt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Vortrag und macht darüber hinaus im Wesentlichen geltend: Angesichts ihres geringen Geburtsgewichts sei die Frühgeburtlichkeit extrem gewesen. Eine intrauterine Infektion habe nicht vor­gelegen; allenfalls habe es sich um eine beginnende Infektion gehandelt.  Der Infek­tionsverdacht hätte durch weitere Untersuchungen abgesichert werden müssen.  Hinweise auf einen vorzeitigen Blasensprung seien nicht dokumentiert. Ein (zeitlich möglicher) Oxytocin-Belastungstest sei nicht vorgenommen worden. Ferner hätte der CRP-Wert bestimmt werden müssen sowie die Leukozytenkonzentration. Die Ärzte der Klinik des Beklagten zu 1) hätten das in der Klinik vorhandene Doppler-Sonogra­fiegerät benutzen müssen. Jedenfalls hätte ihre Mutter in eine Klinik verlegt werden müssen, in der ein solches Gerät vorhanden sei. Die Ärzte der Klinik des Beklagten zu 1) und die Beklagten zu 2) hätte die Verdachtsdiagnose einer intrauterinen Infek­tion tatsächlich nicht als Entscheidungsgrundlage genommen.  Ihre Mutter habe am 16.7.1994  zwei kontraindizierte Tabletten erhalten. Ihre Eltern seien auch nicht hin­reichend über das Risiko der sectio für extrem Frühgeborene - nämlich weitrei­chende Behinderungen - aufgeklärt worden.

Die Klägerin beantragt,

das am  27.4.2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld - 4 O 591/01 - aufzuheben und nach den in I. Instanz zuletzt ge­stellten Anträgen zu erkennen, mit der Maßgabe, dass auch hinsichtlich des Antrages zu 1) Zinsen ab Klagezustellung zu gewähren seien,

hilfsweise das am 27.4.2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landge­richts Bielefeld - 4 O 591/01 - aufzuheben und die Sache einschließlich des ihr zugrunde liegenden Verfahrens zurückzuverweisen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie machen im Wesentlichen geltend: Die Indikation zur Notsectio sei aus ex ante-Sicht korrekt und verständlich gewesen.  Frühgeburtlichkeit sei septischen Zustän­den vorzuziehen. Das hochpathologische CTG um 19.50 Uhr habe sofortiges Han­deln notwendig gemacht. Weitergehende Untersuchungen hätten keine für die sectio relevanten Erkenntnisse gebracht und überdies Zeit gekostet. In Zusammenschau mit dem Umstand, dass die Mutter der Klägerin anamnestisch bereits zweimal ein Kind in der fortgeschrittenen Schwangerschaft verloren haben, sei die sectio ange­sichts der kontinuierlichen Verschlechterung der CTG indiziert gewesen. Insbeson­dere der von der Mutter der Klägerin beschriebene Flüssigkeitsabgang sowie auch die Tachykardie und eingeengte Herzfrequenz hätten für eine Infektion gesprochen. Weitere Untersuchungen seien nicht geboten gewesen, insbesondere nicht der Ein­satz des Dopplersonografie-Gerätes, weil dafür 1994 in der 26. SSW noch Erfahrun­gen gefehlt hätten. Im Übrigen sei diese Untersuchung auch nicht geeignet, den Ver­dacht eines vorzeitigen Blasensprunges zu entkräften. Ein Oxytocin-Belastungstest hätte in der 26. SSW keine relevanten Erkenntnisse für die Entscheidung zur sectio gebracht. Die Ermittlung des biophysikalischen Profils seit 1994 nicht etabliert gewe­sen. Das Ergebnis einer bakteriologischen Scheidenabstrich-Untersuchung wäre erst nach Tagen verfügbar gewesen. Im Übrigen könne keine Infektion auch dann nicht ausgeschlossen werden, wenn dabei keine pathogenen Keime festgestellt werden. Die Klinik des Beklagten zu 1) sei bereits 1994 ein neonatologisches Zentrum gewe­sen. Der Zeuge Dr. C habe Anfang 1995 als erster Arzt des Kammergebietes die Facharztbezeichnung für Neonatologie erworben. Die Beklagte zu 2) und die Zeugin Dr. M hätten die Eltern der Klägerin am 16.7.1994 über die Risiken der Beendigung der Schwangerschaft durch sectio ebenso wie über die Risiken der Nichtbeendigung der Schwangerschaft aufgeklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Behand­lungsunterlagen, das Sitzungsprotokoll und den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 19. Januar 2005 über die ergänzende Anhörung des Sachver­ständigen Prof. Dr.     Dr. habil. X und die Vernehmung der Zeugen Dr. M und Dr. C Bezug genommen.

II.

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Schmerzensgeldkapital, Ersatz materieller Schäden und Feststellung der Schadensersatzpflicht  für etwaige weitere Schäden aus § 823 I BGB i. V. mit   § 847 BGB a.F. oder - soweit materielle Schäden in Rede stehen - aus Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages in Ver­bindung mit den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte.   Auch die ergänzende Beweisaufnahme durch den Senat hat weder Behandlungsfehler noch Aufklärungsversäumnisse bei der Betreuung der Geburt  der Klägerin ergeben. In der medizinischen Beurteilung des Geschehens macht sich der Senat die Feststellungen des  erfahrenen Sachverständigen Prof. Dr.     Dr. habil X  zu Eigen, der sein Gutachten in zweiter Instanz erneut eingehend und sachlich überzeugend be­gründet hat.

1.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen war die sectio am Abend des 16.7.1994 objektiv indiziert. Für den Behandler ist die Beurteilungsperspektive vor dem Kaiserschnitt maßgeblich (ex ante), mag sich auch nachträglich (ex post) her­ausgestellt haben, dass tatsächlich kein Amnioninfektsyndrom vorlag. Auch die Klä­gerin zieht diese Beurteilungsperspektive nicht in Zweifel. Selbst der Privatgutachter der Klägerin, Prof. Dr. S, räumt  ein, dass die Entscheidung, eine Schwan­gerschaft zum Wohle des Kindes in der 26. Schwangerschaftswoche zu unterbre­chen, eine der schwierigsten Entscheidung ist, die ein Geburtshelfer treffen muss (Bl.160 d.A.). Der Gerichtsgutachter hat die Entscheidungssituation der Beklagten zu 2) als nicht auflösbares Dilemma bezeichnet. Selbst der weitere Privatgutachter der Klägerin, Dr.  C3, äußert ein gewisses Verständnis für die Entscheidung der Be­klagten zu 2) (Bl. 418 d.A.). Die Entscheidung der Beklagten zu 2) zur sectio war nach den Feststellungen des Gerichtsgutachters nicht zwingend, aber medizinisch vertretbar; sie ist  zu akzeptieren und zu respektieren. Die Medizin zieht, wie der Sachverständige weiter festgestellt hat, Frühgeburtlichkeit septischen Zuständen vor. Diese Erkenntnis hatte sich nach den Ausführungen des Sachverständigen bereits 1994 durchgesetzt,   denn - anders als ein frühgeborenes Kind - habe ein frühgebo­renes Kind, welches zusätzlich noch infiziert sei,  im Grunde keine Chance. Objektiv ergab sich die Indikation zur sectio aus dem Verdacht auf vorzeitigen Blasensprung (unten a.), den tachykarden Herzfrequenzmustern als mögliche Anzeichen einer In­fektion und der dadurch bestehende Infektionsgefahr (unten b.).

a)

Die Aufnahme der Mutter der Klägerin erfolgte wegen Fruchtwasserabgangs aus der Scheide. Das hatte die Patientin selbst geäußert. Das ist nach den Feststellungen des Sachverständigen ein starker Hinweis auf einen vorzeitigen Blasensprung. Die­ser ist dadurch zwar noch nicht bewiesen. Es ist aber eine konkrete Möglichkeit. Der Verdacht auf Blasensprung ist ein Infektionsindikator.  Der Verdacht ist zunächst nicht zu widerlegen, sondern  bleibt bestehen, bis er durch weitere Untersuchungen  für so unwahrscheinlich erklärt wird, dass die Patientin die Klinik verlassen kann. Deshalb bleiben die Patientinnen in derartigen Fällen einige Tage in der Klinik.

b)

Die tachykarden Herzfreqenzmuster ergaben sich aus den sich stetig verschlech­ternden CTG. Das sechste CTG mag, wie der Sachverständige im Senatstermin festgestellt hat, nicht als  "hoch"-pathologisch zu bezeichnen sein; es sei jedoch  als pathologisch zu bewerten;  es handele sich um das Herzfrequenzmuster eines be­ginnend infizierten Kindes (Bl 250R d.A.). Zuwarten hätte aus ex ante-Sicht ein substantielles Risiko für das Kind bedeutet. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die CTG-Ableitungen ordnungsgemäß angefertigt und interpretiert worden sind.  Nur eines der CTG, nämlich das zweite, welches für die Entscheidung zur sectio ohnehin keine Rolle spielte, zeigte nach den Feststellungen des Sachverständigen den mütterlichen Puls (Bl. 127 d.A.). Der erfahrene Sachverständige hat nicht ver­kannt, dass ein CTG in diesem Stadium der Schwangerschaft aufgrund einer gewis­sen Bandbreite schwierig zu bewerten ist. Die Herzfrequenzmuster müssen, wie er ausgeführt hat,  auch nicht unbedingt etwas zu bedeuten haben; sie können aber etwas bedeuten.

c)

Für die Indikation lässt sich nach den Feststellungen des Sachverständigen schließ­lich auch anamnestisch der intrauterine Fruchttod in der Vergangenheit heranziehen.  Nicht nur in den die Mutter der Klägerin betreffenden Behandlungsunterlagen des Beklagten zu 1), sondern auch im Mutterpass (Bl. 23 d.A.) sind zwei Spätaborte 1986 und 1987 dokumentiert. Die Klägerin hat nur den Spätabort 1987 eingeräumt. Ange­sichts der Dokumentation ist das Bestreiten des zweiten Spätabortes unglaubhaft. Im Übrigen durften die Ärzte des Beklagten zu 1), insbesondere auch die Beklagte zu 2), aufgrund der Dokumentation jedenfalls anamnestisch von zwei Spätaborten aus­gehen.

d)

Für die Beklagte zu 2) standen subjektiv die immer schlechter werden CTG im Vor­dergrund sowie die Anamnese. Es mag sein, dass die Beklagte zu 2) das sechste CTG als "hoch"-pathologisch bewertete. Darauf kommt es nicht an, weil, wie ausge­führt, auch ein "lediglich" pathologisches CTG in Zusammenschau der Gesamtum­stände die sectio indizierte. Es mag schließlich auch sein, dass die Beklagte zu 2) den Verdacht auf Blasensprung bereits am 16.7.1994 für ausgeräumt hielt. Der für die Klägerin tätige Privatgutachter Prof. Dr. S  beanstandet in diesem Zu­sammenhang zu Unrecht, dass die Ärzte des Beklagten zu 1) tatsächlich subjektiv nicht daran gedacht hätten, dass Ursache der Tachykardie eine intrauterine Infektion gewesen sein könne. Das begründet mangels objektiven Fehlverhaltens keinen Be­handlungsfehler. Im Zivilrecht gilt ein objektivierter Fahrlässigkeitsbegriff (BGH, VersR 2003, 1128, 1130; Palandt/ Sprau, BGB, 64. Aufl., § 823 Rn. 158  m. w. N.). Therapiert der Arzt objektiv zutreffend, handelt er objektiv sorgfältig und haftet des­halb nicht (Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl., Rn. 144, 172).

e)

Die Entscheidung zur Sectio wurde schließlich ermöglicht und gestützt durch die Tat­sache, dass die Klinik des Beklagten zu 1) bereits 1994 als neonatologischer Schwerpunkt mit einer speziellen Intensivstation ausgerüstet war. Das hat der dort tätige Kinderarzt, der Zeuge Dr. C, der auch die Klägerin nach der Geburt be­treute, im Senatstermin glaubhaft ausgesagt.

2.

Weitere Untersuchungen waren vor der sectio nicht geboten. Der Verdacht auf vor­zeitigen Blasensprung konnte nach den Feststellungen des Sachverständigen auch  durch eine Sequenz von Untersuchungen rechtzeitig nicht falsifiziert werden.

Insbesondere dopplersonografische Messungen waren 1994 nicht zu fordern, weil es Erfahrungen im Umgang damit nicht gab. Auch für große Kliniken war das nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht zu fordern. Vor diesem Hintergrund es unschädlich, dass in der Klinik des Beklagten zu 1) zwar ein solches Gerät vorhan­den war, die Ärzte des Beklagten zu 1), einschließlich der Beklagten zu 2), damit bei Untersuchungen von Kindern vor der 30. Schwangerschaftswoche aber keine Erfah­rungen hatten. Zu einer Aussage über die Infektion wäre eine dopplersonografische Untersuchung, die der Sachverständige weiter festgestellt hat, ohnedies nur im Fall  einer schweren Sepsis geeignet gewesen. Das ist aber ein Zustand, den die Be­handler hier gerade nicht eintreten lassen wollten.

Ein Oxytocin-Belastungstest hätte nach den Feststellungen des Sachverständigen nur Erkenntnisse versprochen, wenn Arbeitshypothese eine Placentainsuffizienz ge­wesen wäre (Bl. 142 d.A.). Außerdem ist der Oxytocin-Belastungstest, wie der Sach­verständige im Senatstermin ausgeführt hat, heute verlassen. Den Ärzten des Be­klagten zu 1) kann deshalb nicht vorgeworfen werden, einen solchen Test nicht vor­genommen zu haben. Denn nachträgliche medizinische Erkenntnisse und das Fort­schreiten der medizinischen Wissenschaft wirken sich nach allgemeiner Auffassung zugunsten des Arztes aus, soweit sie sein Verhalten therapeutischen rechtfertigen (BGH, NJW 2003, 1862, 1863; Martis/ Winkhart, Arzthaftungsrecht aktuell, 2003, S.  196 m. w. N.).

Das Ergebnis eines Scheidenabstrichs zur Bestimmung der Keimflora hätte nicht be­reits am Abend des 16.7.1994 zur Verfügung gestanden, sondern erst nach mehre­ren Tagen. Leukozytenkonzentration und CRP-Wert sind im Übrigen unspezifisch. Das hat der Sachverständige bereits in seinem schriftlichen Gutachten festgestellt (Bl.132 d.A.).

Die Beklagte zu 2) musste vor der Sectio auch den Chefarzt nicht unterrichten. Sie war knapp zwei Jahre Oberärztin und damit hinreichend erfahren. Der Gerichtsgut­achter hat das nicht in Zweifel gezogen. 

3.

Die Medikation der  Mutter der Klägerin vor dem Kaiserschnitt war, wie der Sachver­ständige bereits im Rahmen seiner erstinstanzlichen Anhörung festgestellt hat, nicht zu beanstanden (Bl 252R d.A.). Das Medikament Prostigmin wurde überdies erst nach dem Kaiserschnitt gegeben; darüber bestand im Senatstermin kein Streit.

4.

Aufklärungsversäumnisse bestehen nicht. Die Eltern der Klägerin sind durch die Zeugin Dr. M und die Beklagte zu 2)  über die Risiken der Vornahme des Kaiserschnittes aufgeklärt worden. Die Zeugin Dr. M hat dokumentiert: "Ausf. aufgeklärt, dass Kind möglicherweise (hohe Prozentzahl) nicht überlebensfä­hig oder behindert" (Bl. 401 d.A.). Dies hat die Zeugen Dr. M bei ihrer Aus­sage im Senatstermin bestätigt. Die Beklagte zu 2) hat dokumentiert, dass sie da­nach ein nochmaliges Gespräch mit den Eltern geführt habe (Bl. 400 d.A.). Das wird noch durch die glaubhafte Aussage des Zeugen Dr. C abgerundet, der den Eltern vor der Sectio deren Risiken ebenfalls erläutert hat.

Der Vater der Klägerin spricht recht gut deutsch. Diesen Eindruck hatte damals be­reits die Beklagte zu 2). Für den Senat hat sich dieser Eindruck im Senatstermin be­stätigt. Die Mutter der Klägerin spricht selbst zwar nur gebrochen deutsch, versteht es aber. Auch dieser Eindruck hat sich im Senatstermin bekräftig. Im Übrigen macht die Klägerin auch nicht geltend, dass ihre Eltern die Ärzte aufgrund von Sprach­schwierigkeiten nicht verstanden hätten. Die Eltern haben im Senatstermin lediglich Gespräche mit den Ärzten bestritten. Das widerspricht hingegen der Dokumentation, den Aussagen der Zeugen Dr. M und Dr. C und im Übrigen auch den eigenen Angaben der Klägerin in der Klageschrift. Danach seien ihre Eltern vor dem Kaiserschnitt  auf die Möglichkeit einer Behinderung durch Frühgeburtlichkeit  aus­drücklich hingewiesen worden (Bl 9 d.A).

Zu Unrecht beanstandet der Privatgutachter Dr. C3, dass das die Möglichkeit ge­sunden Überlebens ohne Behandlung nicht erläutert worden sei. Zuwarten, auch weiter beobachtendes Zuwarten, war im konkret vorliegenden Fall  keine gleichwer­tige Alternative. Der Sachverständige hat es im Senatstermin  bildhaft mit "würfeln" verglichen. Er hat dazu ausgeführt, unter Inkaufnahme prospektiver Risiken habe zwar die Möglichkeit des Zuwartens bestanden; beide Entscheidungsoptionen impli­zierten Risiken, die sich verwirklichen können. Es sei jedoch objekivwissenschaftlich nicht begründbar, dass Zuwarten eine gleichwertige Alternative sei. Die Entschei­dung in die eine oder andere Richtung hänge von der persönlichen Erfahrung ab. Ein Arzt, dessen Klinik - wie hier - über neonatologische Behandlungsmöglichkeiten verfüge, werde eher aktiv vorgehen als abwarten.   Zuwarten wäre jedenfalls mit dem Risiko einer Infektion behaftet. Wie oben festgestellt, zieht die Medizin jedoch das Risiko der Frühgeburtlichkeit dem Risiko der Infektion vor. Durch Zuwarten können sich die Bedingungen verschlechtern, unter denen das Neugeborene versorgt wer­den kann. Das hat der Sachverständige bereits in erster Instanz ausgeführt (Bl. 252 d.A.). Der Senat verkennt nicht, dass in bestimmten Konstellationen über eine Sectio als Alternative zur Schnittentbindung aufzuklären ist (BGH, NJW 2004, 3703). Dieser Fall betraf jedoch die umgekehrte Fallgestaltung, in der die Behandlungsseite ab­wartend vorgegangen war und ihr - anders als hier - vorgeworfen wurde, sie habe die sectio verspätet angesetzt. Unabhängig davon hat die Zeugin Dr. M auch glaubhaft bekundet, sie sei sich ganz sicher und habe das Bild noch vor Augen, dass sie mit Eltern über die Gefahren gesprochen habe, wenn kein Kaiserschnitt durchgeführt werde.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 II ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Ent­scheidung des Revisionsgerichts nicht. 

Das Urteil beschwert die Klägerin mit mehr als  20.000,- € (Art. 26 Nr. 8 EGZPO).