VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.01.2012 - 1 VK 66/11
Fundstelle
openJur 2013, 23247
  • Rkr:
Tenor

1. Dem Nachprüfungsantrag vom 22.12.2011 wird stattgegeben.

2. Es wird festgestellt, dass der öffentlich-rechtliche Vertrag über die thermische Behandlung von Klärschlamm zwischen der Beigeladenen und der Antragsgegnerin vom 22.08.2011 unwirksam ist.

3. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, soweit sie an dem konkreten Beschaffungsvorhaben festhält, den Auftrag über die Verwertung von Klärschlamm im Rahmen eines förmlichen Verfahrens nach dem vierten Teil des GWB zu vergeben.

4. Die Kosten des Verfahrens werden auf xxx € festgesetzt.

5. Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

6. Die Kosten für das Verfahren und die Aufwendungen der Antragstellerin für ihre zweckentsprechende Rechtsverfolgung werden der Antragsgegnerin auferlegt. Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst. Die Antragsgegnerin als Kommune ist von den Gebühren befreit.

Gründe

I.

Die Antragstellerin war mit der Entsorgung des bei der Antragsgegnerin anfallenden Klärschlamms beauftragt. Der Auftrag umfasste sowohl die Klärschlammentwässerung, den Klärschlammtransport und dessen Verwertung/Entsorgung. Dieser im Dezember 2008 abgeschlossene Vertrag sah eine Vertragslaufzeit von 3 Jahren mit Verlängerungsoptionen bis zu einer maximalen Laufzeit von 5 Jahren vor. Im Falle einer Vertragsverlängerung wurde für den Zeitraum ab dem 01.01.2012 eine pauschale Erhöhung von 3 % gemäß § 14 Nr. 7 des Vertrages vereinbart. Die Antragstellerin ging Anfang 2011 auf die Antragsgegnerin zu, um Verhandlungen bezüglich der Vergütung ab dem 01.01.2012 zu führen, da die ursprünglich vorgesehene Pauschalerhöhung um 3 % aus Sicht der Antragstellerin nicht ausreichend wäre. Per E-Mail vom 18. März 2011 bot die Antragstellerin die Preise ab 2012 wie folgt an:

Verwertung: Stofflich und thermisch pro Tonne xxx € inklusive Transport- und Containergestellung.

Verwertung: Thermisch pro Tonne xxx € inklusive Transport- und Containergestellung.

Die Preise wurden auf zwei Jahre fest angeboten.

Mit Schreiben vom 24. März 2011 kündigte die Antragsgegnerin den bestehenden Vertrag zum 31.12.2011. Als Kündigungsgrund wurde angegeben, dass die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis gekommen sei, dass sie die Klärschlammentwässerung und -verwertung neu ausschreiben wolle.

Unter dem 22.08.2011 wurde zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ein öffentlich-rechtlicher Vertrag über die thermische Behandlung von Klärschlamm abgeschlossen. Die in diesem Vertrag nicht enthaltenen Leistungen der Klärschlammentwässerung und des Klärschlammtransports zum Klärwerk xxx schrieb die Antragsgegnerin öffentlich aus. Für diese ausgeschriebenen Leistungen forderte die Antragstellerin die Ausschreibungsunterlagen an. Mit Schreiben vom 14. und 26. September 2011 erfolgte die Übersendung der Ausschreibungsunterlagen durch die Antragsgegnerin. Die Antragstellerin hat hierzu kein Angebot abgegeben. Das Ausschreibungsverfahren bezüglich der Klärschlammentwässerung und des Klärschlammtransports sah nach der Leistungsbeschreibung eine Angebotsabgabe bis 02. November 2011 vor. Gemäß Nachfrage der Kammer sind die Verträge zur Klärschlammentwässerung und zum Klärschlammtransport noch nicht unterschrieben; eine Information an das zu bezuschlagende Unternehmen sei jedoch bereits erfolgt. Die Leistungsbeschreibung sieht u.a. den Transport von entwässertem Klärschlamm zum Klärwerk xxx ab dem 01.01.2012 vor und es ist vorgesehen, die Verträge mit den Auftragnehmern über eine Laufzeit von 3 Jahren mit Option auf Verlängerung bis zu einer maximalen Laufzeit von 8 Jahren abzuschließen.

Der öffentlich-rechtliche Vertrag vom 22.08.2011 zwischen der als Anlieferer bezeichneten Antragsgegnerin und der als kommunaler Erfüllungsgehilfe bezeichneten Beigeladenen sieht eine unbestimmte Vertragslaufzeit ab dem 01.01.2012 vor. Die Laufzeit des Vertrages ist während der ersten 5 Jahre fest und kann nicht gekündigt werden. Danach verlängert sich der Vertrag automatisch um jeweils zwei weitere Jahre, wenn er nicht von einem Vertragspartner mit einer Frist von mindestens 6 Monaten zum jeweiligen Ende der Laufzeit gekündigt wird.

Die Antragstellerin hält ihren Nachprüfungsantrag für zulässig und begründet mit der Folge, dass der ohne europaweite Ausschreibung de-facto abgeschlossene öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen nach § 101b Abs. 1 Ziffer 2 GWB von Anfang an unwirksam wäre. Der Nachprüfungsantrag wäre weder zu spät erhoben worden noch verwirkt. Bis zu dem Gespräch am 30. November 2011 zwischen dem Vertriebsleiter der Antragstellerin, Herrn xxx und der Antragsgegnerin sei die Antragstellerin davon ausgegangen, dass es sich bei der Beauftragung der Beigeladenen um einen Vertrag mit einem Volumen von yyy € (Vertragslaufzeit 3 Jahre bei einer Menge von 1.400 t/Jahr und Preis pro t. von xxx €) handele, der den Schwellenwert für eine europaweite Ausschreibungspflicht (193.000,00 €) nicht erreiche. Erst durch das Gespräch am 30. November 2011 sei der Antragstellerin bekannt geworden, dass der Vertrag mit der Beigeladenen aufgrund der vereinbarten Konditionen bei einem vermeintlich angenommenen Preis von xxx €/t. und einer Vertragslaufzeit von 5 Jahren europaweit hätte ausgeschrieben werden müssen. Die Antragstellerin hätte auch bis zum 30.11.2011 zu recht davon ausgehen können, dass die Beigeladene zu einem Preis von xxx €/t. entsorge. Der Preis von xxx €/t. sei seit Jahren konstant und in der Branche bekannt. Dass die Beigeladene den Preis bei Abschluss des Vertrages mit der Antragsgegnerin angehoben habe, könne und müsse die Antragstellerin nicht wissen. Demnach greife nach Auffassung der Antragsstellerin weder die Ausschlussfrist in § 101b Abs. 2 GWB noch wäre das Recht auf Nachprüfung verwirkt. Ein zur Verwirkung führendes widersprüchliches Verhalten vor Stellung des Nachprüfungsantrages sei seitens der Antragstellerin nicht erkennbar. Vielmehr habe die Antragsgegnerin sich nicht an die Ankündigung im Kündigungsschreiben vom 24.03.2011 gehalten und die Klärschlammverwertung ohne Ausschreibung vergeben. Die Antragstellerin sei auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Die Antragstellerin habe ein Interesse am Auftrag, da sie selbst ein qualifizierter Entsorgungsfachbetrieb sei und eine eigene moderne Klärschlammverbrennungsanlage besäße, über die der Auftrag ausgeführt werden könne. Der Antragstellerin drohe auch ein Schaden durch das gesetzeswidrige Verhalten der Antragsgegnerin. Durch die unterlassene Ausschreibung sei der Antragstellerin die Möglichkeit genommen, ein Angebot abzugeben und so den Auftrag möglicherweise zu bekommen. Im Übrigen wäre die Verbrennung von Klärschlamm für Dritte durch die Verbandssatzung der Beigeladenen nicht gedeckt und würde deshalb auch dem im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung widersprechen.

Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Die Ausschreibungspflicht für die Verwertung der Klärschlämme der Antragsgegnerin sei weder aus dem Gesichtspunkt der sogenannten „Inhouse-Vergabe" noch aus dem Gesichtspunkt einer „nichtinstitu-tionalisierten/horizontalen interkommunalen Zusammenarbeit" weggefallen. Unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom 09.06.2009 (nachfolgend „Hamburgfall") läge keine „echte Zusammenarbeit" mit dem Ziel einer gemeinsamen Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe vor. Vielmehr läge hier ein Auftrag in Form eines freien, entgeltlichen Dienstleistungsvertrages vor und die Antragsgegnerin kaufe sich die Entsorgungsleistung ein.

Die Antragstellerin beantragt nach §§ 101b, 107 GWB

1. festzustellen, dass der Vertrag der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen über die Entsorgung des Klärschlammes aus der Kläranlage xxx von Anfang an unwirksam ist,2. die Antragsgegnerin für den Fall, dass sie an dem Entsorgungsvorhaben festhält, zu verpflichten, den Auftrag über diese Leistungen nur im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens mit vorheriger europaweiter Bekanntmachung zu vergeben.

Neben diesen Sachanträgen wird u.a. die Feststellung begehrt, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten seitens der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Nachprüfungsantrag vom 22.12.2011 als unzulässig zurückzuweisen bzw. hilfsweise als unbegründet abzulehnen. Neben diesem Sachantrag wird um Notwendigerklärung der Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten für die Antragsgegnerin und um Kostentragung durch die Antragstellerin gebeten.

Der Nachprüfungsantrag vom 22.12.2011 sei nach Auffassung der Antragsgegnerin nicht fristgerecht erhoben worden. Der Nachprüfungsantrag wäre nicht innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis vom (hier behaupteten) Vergaberechtsverstoß geltend gemacht worden. Die Antragstellerin wisse bereits seit Ende September, dass die Beigeladene entsprechend beauftragt wäre. In dem Gespräch Ende November 2011 mit dem Vertriebsleiter der Antragstellerin hätte Herr xxx von der Stadt xxx lediglich bestätigt, dass die Vertragslaufzeit 5 Jahre betrage. Die Antragstellerin habe davon ausgehen müssen, dass der maßgebliche Schwellenwert überschritten sei; sie habe hiervon seit mindestens September 2011 Kenntnis erlangt. Auch sei der Nachprüfungsantrag verwirkt. Eine Antragsbefugnis sei nicht gegeben, da die Antragstellerin im Falle einer Ausschreibung keine realistische Chance auf einen Zuschlag gehabt hätte.

Nach Auffassung der Antragsgegnerin verkenne die Antragstellerin Inhalt und Bedeutung der angesprochenen Entscheidung des europäischen Gerichtshofes vom 09.06.2009. Eine Ausschreibungspflicht bestünde nicht, da der verfahrensgegenständliche Vertrag eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung im Zuge einer interkommunalen Zusammenarbeit sei. Durch die getroffene Vereinbarung würde einerseits die öffentliche Aufgabe der Kommune zur Abwasserbeseitigung und im speziellen der Klärschlammentsorgung, sichergestellt, zum anderen würde dadurch ein wirtschaftlicher Betrieb auf Seiten des Zweckverbandes gewährleistet und ermöglicht.

Die Beigeladene war in der mündlichen Verhandlung zugegen und erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Beigeladene wolle im Rahmen ihrer freien Kapazitäten zur besseren Auslastung der bestehenden Anlagen Klärschlamm Dritter aus Bayern und Baden-Württemberg behandeln (verwerten oder beseitigen). Auf Nachfrage der Vergabekammer zur vorgelegten Zweckverbandssatzung in der Fassung vom 18.06.2009 wurde seitens der Beigeladenen erklärt, dass für diese Aufgabenerweiterung zur Klärschlammbehandlung Dritter (insbesondere von Gemeinden und Abwasserzweckverbänden, die nicht Verbandsmitglieder sind) beabsichtigt sei, die Verbandssatzung zukünftig entsprechend zu ändern. Die ohne Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung anwesende Beigeladene stellte keinen Antrag in der mündlichen Verhandlung.

Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten und wegen der Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2012 wurde mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert. Nach einer Verhandlungsunterbrechung wurde seitens der Vergabekammer eine Frist zur Mitteilung über außergerichtliche Lösungsversuche der Beteiligten zum 27. Januar 2012 gesetzt. Im Hinblick hierauf wurde der Termin zur Entscheidung durch die Vergabekammer nach § 113 Abs. 1 GWB bis zum 13.02.2012 verlängert. Mit Telefaxen vom 27. Januar 2012 wurde der Vergabekammer mitgeteilt, dass die nach der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2012 geführten Gespräche trotz redlichen Bemühens auf beiden Seiten nicht von Erfolg gekrönt waren und deshalb um Entscheidung innerhalb der verlängerten Entscheidungsfrist gebeten wird.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.

1. Die Vergabekammer Baden-Württemberg ist nach § 104 Abs. 1 GWB zuständig. Der geschätzte Auftragswert für die Entsorgung des Klärschlamms über einen Zeitraum von 5 Jahren übersteigt den für eine europaweite Ausschreibung erforderlichen Schwellenwert in Höhe von 193.000,00 €. Für das Nachprüfungsverfahren geht die Kammer von einem Auftragswert von über xxx € und unter xxx € aus.

2. Gerügt werden muss der Verstoß gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht. Der Zulässigkeit des Begehrens der Antragstellerin steht nicht § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB alter Fassung entgegen, wonach der Nachprüfungsantrag unzulässig ist, soweit die Antragstellerin den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren erkannt und nicht unverzüglich gerügt hat. Der als Präklusionsvorschrift ausgestaltete § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB alter Fassung sollte nach der Vorstellung des Gesetzgebers unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben der Einleitung unnötiger Nachprüfungsverfahren durch Spekulationen mit Vergabefehlern entgegenwirken. Schon nach seinem Wortlaut war § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB alter Fassung auf Verstöße im Vergabeverfahren bezogen und beschränkt. Das schließt es aus, eine zur Präklusion führende Rügeobliegenheit anzunehmen, wenn der öffentliche Auftraggeber überhaupt kein Vergabeverfahren durchführt. Diese Beschränkung der Rügepräklusion nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB alter Fassung auf Vergabeverfahren wird auch durch die Neufassung des § 107 Abs. 3 GWB aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 bestätigt, wonach die Rügepräklusion für die Fälle der Defacto-Vergabe (§ 101b GWB) nun ausdrücklich ausgeschlossen ist (§ 107 Abs. 3 Satz 2 GWB neuer Fassung). Die am 05. Dezember 2011 erfolgte Rüge der vergaberechtswidrigen Auftragsvergabe vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens war daher im Rechtssinne nicht erforderlich, schadet aber auch nicht.

3. Der Nachprüfungsantrag ist innerhalb der Ausschlussfristen zur Geltendmachung der Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages nach § 101b Abs. 2 GWB gestellt worden. Danach kann die Unwirksamkeit des Vertrages nach Abs. 1 nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes (relative Ausschlussfrist), jedoch nicht später als 6 Monate nach Vertragsschluss (absolute Ausschlussfrist) geltend gemacht worden ist. Die Frist von 30 Tagen beginnt frühestens mit dem Abschluss des Vertrages zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen und verlangt Kenntnis in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht - ähnlich wie bei § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB - ( OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.08.2011, VII -Verg 33/11). Verlangt wird demnach nicht nur die positive Kenntnis der tatsächlichen Grundlage, sondern auch der Rechtsfolge (nämlich, dass das Geschehen rechtswidrig ist). Dabei reicht es nicht aus, dass die Verletzung der Pflichten erkennbar war. Eine Unkenntnis, selbst wenn sie durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet sein mag, genügt nicht (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.10.2009, Az.: 1 VK 51/09, IBRRS 73086). Soweit es auf die Kenntnis des Verstoßes ankommt, hat der Auftraggeber die Kenntnis des Unternehmens nachzuweisen. Nach Auffassung der Vergabekammer konnte die Antragsgegnerin die Angaben des um Nachprüfung begehrenden Unternehmens, wonach die Antragstellerin bis zum Gespräch vom 30. November 2011 von einem Vertragsvolumen von xxx € ausging, nicht widerlegen. Die Angaben der Antragstellerin, wonach erst durch das Gespräch vom 30.11.2011 der Antragstellerin bekannt geworden ist, dass der Vertrag aufgrund der vereinbarten Konditionen (Vertragslaufzeit von 5 Jahren und Preis über xxx €/t) europaweit hätte ausgeschrieben werden müssen, sind nicht durch die Antragsgegnerin widerlegt. Nach Auffassung der Vergabekammer konnte die Antragstellerin bis zum 30.11.2011 davon ausgehen, dass es sich bei dem angegriffenen Vertrag um einen 3-Jahres-Vertrag handele und dass der Preis von xxx €/t, der seit Jahren konstant und in der Branche bekannt sei, zugrundezulegen sei. Der Umfang des Auftrags (xxx t/a) war der Antragstellerin von der vertragsmäßigen Durchführung der Entsorgung bekannt. Die Beigeladene bestätigte in der mündlichen Verhandlung, dass der Preis seit mehreren Jahren bis in das Jahr 2011 hinein bei xxx €/t konstant gelegen wäre. Außerdem ist nach Auffassung der Vergabekammer auch keine Fallgestaltung gegeben, wonach die Kenntnis der Antragstellerin in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht einen solchen Grad erreicht hätte, dass ein weiteres „Verharren in Unkenntnis" nur so gewertet werden könne, dass hierin ein mutwilliges Sich-Verschließen vor der Kenntnis eines Vergaberechtsverstoßes gesehen werden muss (vgl. BGH vom 26.09. 2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.07.2006, Verg 27/06). Hieran sind strenge und vom Auftraggeber darzulegende Anforderungen zu richten. Auch ist bei der relativen Ausschlussfrist zu bedenken, dass wenn ein Bieter nach seiner laienhaften Wertung zunächst nur den Verdacht hat, ein bestimmtes Verhalten des Auftraggebers sei als Vergaberechtsverstoß anzusehen und er deshalb Rechtsrat einholt, die Kenntnis des Verstoßes und damit der Fristbeginn erst mit Zugang des einen Vergaberechtsfehler diagnostizierenden Rechtsrats beginnt (VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 07.01.2008, 2 VK - 5/07; im Ergebnis ebenso OLG Celle, Beschluss vom 05.07.2007, 13 Verg 8/07). Dieser Rechtsrat wurde nach dem Gespräch vom 30.11.2011 umgehend eingeholt und die Unwirksamkeit im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes geltend gemacht.

Auch die absolute Ausschlussfrist von 6 Monaten ist vorliegend noch nicht abgelaufen, da der öffentlich-rechtliche Vertrag mit der Beigeladenen am 22.08.2011 geschlossen worden ist.

4. 4. Anders als die Antragsgegnerin annimmt, ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nicht gemäß § 242 BGB wegen Verwirkung unzulässig.

Für eine ausnahmsweise anzunehmende Verwirkung genügt allein der Ablauf eines längeren Zeitraums seit der positiven Kenntnis nicht. Vielmehr erfordert eine Verwirkung zudem, dass der Auftraggeber wegen des Verhaltens des von der Vergaberechtsverletzung betroffenen Unternehmens darauf vertrauen darf, dass das Unternehmen seine Schutzansprüche nicht mehr geltend machen wird, dass er tatsächlich darauf vertraut hat und dass deswegen der Nachprüfungsantrag gegen Treu und Glauben verstößt. Dabei kommt es auch darauf an, ob der Auftraggeber aufgrund seines berechtigten Vertrauens, ein Nachprüfungsantrag werde nicht mehr gestellt, bereits weitreichende Maßnahmen durchgeführt hat, so dass ihm durch die späte Geltendmachung der Ansprüche mittels eines Nachprüfungsverfahrens ein unzumutbarer Nachteil entsteht. Die Frage, ob ein Recht verwirkt ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei der Art und Bedeutung des Anspruchs, der Intensität des vom Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestandes und dem Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten besondere Bedeutung zukommen (vgl. BGH NJW 2007, 2183). Dieser allgemeine, aus § 242 BGB abgeleitete Grundsatz gilt auch im Vergaberecht. Es entspricht der vergaberechtlichen Rechtsprechung und Literatur, dass eine späte Einleitung des Nachprüfungsverfahrens gegen Treu und Glauben verstoßen kann, wenn der Rechtschutz Begehrende erst dann Rechtsmittel einlegt, wenn der Gegner und die sonstigen Beteiligten nicht mehr mit einem Verfahren rechnen (Weyand, IBR-Online-Kommentar Vergaberecht, § 107 GWB Rand-Ziffer 16.3.7.4).

Diesen Maßstab zugrundegelegt kann die Vergabekammer eine zur Verwirkung führende Sachverhaltskonstellation nicht erkennen. Es fehlt bereits an einem Anknüpfungspunkt für einen ausreichenden Vertrauenstatbestand, auf den sich die Antragsgegnerin verlassen haben könnte und wegen dessen die späte Einleitung des Nachprüfungsverfahrens für sie als eine mit Treu und Glauben unvereinbare Härte erscheinen muss. Insbesondere konnte die Antragsgegnerin aus der Tatsache, dass die Antragstellerin kein Angebot für die ausgeschriebenen Transport- bzw. Entwässerungsleistungen abgegeben hat, nach Auffassung der Vergabekammer nicht folgern, dass die Antragstellerin keinen Nachprüfungsantrag mehr hinsichtlich der Verwertung der Klärschlämme stellen wird. Im Übrigen kann die Vergabekammer nicht erkennen, dass der Auftraggeber aufgrund seines berechtigten Vertrauens, ein Nachprüfungsantrag würde nicht mehr gestellt, bereits weitreichende Maßnahmen durchgeführt hat, so dass ihm durch die späte Geltend-machung der Ansprüche mittels eines Nachprüfungsverfahrens ein unzumutbarer Nachteil entsteht (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29. Oktober 2009, 13 Verg 8/09). Die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht unterschriebenen Transportverträge stellen nach Auffassung der Vergabekammer wahrlich keine im Vertrauen bereits durchgeführte weitreichende Maßnahme dar.

5. Die Antragstellerin ist gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als in der Branche tätiges Unternehmen sich mit den im Streit stehenden Dienstleistungen beschäftigt und sie nachvollziehbar dargelegt hat, bereit und in der Lage zu sein, sich um einen solchen Auftrag zu bewerben. Die Antragstellerin ist ein qualifizierter Entsorgungsfachbetrieb und besitzt eine eigene moderne Klärschlammverbrennungsanlage, über die der Auftrag ausgeführt werden könnte. Die Antragstellerin will geklärt haben, ob die Beauftragung der Beigeladenen ein öffentlicher - ausschreibungspflichtiger - Beschaffungsauftrag ist oder nicht. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften möglicherweise verletzt ist. Auch ist nach Auffassung der Vergabekammer ein drohender Schaden ausreichend dargelegt, da durch die unterlassene Ausschreibung der Antragstellerin die Möglichkeit genommen wurde, ein Angebot im transparenten Verfahren abzugeben und so den Auftrag möglicherweise zu bekommen. Die Ausführungen der Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin im Falle einer Ausschreibung keine realistische Chance auf einen Zuschlag gehabt hätte und die zum Beleg dessen vorgelegte Vergleichsberechnung, vermögen die Kammer nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Vielmehr genügt es insoweit nach Auffassung der Vergabekammer, dass nicht offensichtlich ausgeschlossen ist, dass die Antragstellerin in einem Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten hätte (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29.10.2009, 13 Verg 8/09).

6. Der öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen vom 22.08.2011 ist ein öffentlicher Auftrag im Sinne von § 99 Abs. 1 und 4 GWB, der ohne die Beteiligung anderer Unternehmen unmittelbar an die Beigeladene erteilt wurde. Das ist gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB vergaberechtlich unzulässig. Die Vereinbarung wird somit gemäß § 101b Abs. 1 GWB für unwirksam erklärt.

Gemäß § 101b Abs. 2 GWB hat die Antragstellerin fristgemäß die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt.

Gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB ist ein Vertrag von Anfang an unwirksam, wenn der Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist.

Der Vertragsschluss mit der Beigeladenen erfolgte ohne andere Unternehmen zu beteiligen. Die Antragsgegnerin ging von der Zulässigkeit einer solchen Direktvergabe bei der Entsorgung von Klärschlämmen bei einem ausschließlich in öffentlicher Hand befindlichen Unternehmen aus. Dies lässt sich u.a. der Vorlage zu TOP 4 der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats vom 15.08.2011 entnehmen, wonach auf eine Ausschreibung verzichtet werden könne, da es sich um einen vergaberechtlichen Sonderfall handele und es sich bei dem Zweckverband um ein ausschließlich in öffentlicher Hand befindliches Unternehmen handele.

Der öffentlich-rechtliche Vertrag vom 22.08.2011 ist vergaberechtlich als öffentlicher Dienstleistungsauftrag im Sinne von § 99 Abs. 1 und 4 GWB einzuordnen. Öffentliche Aufträge sind gemäß § 99 Abs. 1 GWB entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Nach den vertragsgegenständlichen Regelungen soll die Beigeladene als kommunaler Erfüllungsgehilfe vom Anlieferer die Entsorgung der städtischen Klärschlämme jährlich bis zu xxx t Klärschlamm mit einem Trockensubstanzgehalt von ca. 25 % (vgl. § 2 Ziffer 3 des öffentlich-rechtlichen Vertrages) im Rahmen seiner Anlagenzulassung und im Rahmen einer Beistandsleistung übernehmen und dafür ein in § 7 des öffentlich-rechtlichen Vertrages geregelte Vergütung erhalten. Der Entgeltbegriff ist weit auszulegen und erfasst unzweifelhaft die geregelte Vergütung.

Insofern liegt ein Dienstleistungsvertrag im Sinne des § 99 Abs. 4 GWB vor.

Nach § 97 Abs. 1 GWB beschaffen öffentlicher Auftraggeber Dienstleistungen nach Maßgabe der §§ 97 ff. GWB im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren. Von dieser Pflicht zur Durchführung zum Vergabeverfahren sind die sogenannten In-House-Vergaben und die interkommunalen Vereinbarungen ausgenommen.

Der öffentlich-rechtliche Vertrag vom 22.08.2011 zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ist vorliegend weder als In-House-Vergabe (A.) noch als zulässige interkommunale Vereinbarung (B.) gerechtfertigt gewesen.

) Eine In-House-Vergabe liegt nicht vor, weil die Antragsgegnerin über die Bei-

geladene keine Kontrolle wie über ihre eigene Dienststelle ausüben kann. Die Antragsgegnerin ist nicht Mitglied im Zweckverband. Auch kann sie über die Mitgliedsgemeinden des Zweckverbands keine Kontrolle wie über ihre eigene Dienststelle ausüben.

B) Der öffentlich-rechtliche Vertrag mit der Beigeladenen war auch nicht als interkommunale Vereinbarung dem Vergaberechtsregime entzogen.

(1) Vereinbarungen zwischen Verwaltungseinheiten sind nicht von vornherein dem Anwendungsbereich des Vergaberechts entzogen. Dies hat der EuGH im Urteil vom 13. Januar 2005 (EuGH C-84/03) grundsätzlich entschieden. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des EuGH auch für den Fall, dass ein öffentlicher Auftraggeber mit einer privaten Gesellschaft, die sich rechtlich von ihm unterscheidet, einen Vertrag schließt (EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005, Rs.C-26/03; private Gesellschaft wird zu 100 % von öffentlichen Stellen gehalten - Stadt Halle -). Damit hat aber der EuGH nicht bestimmt, dass das Vergaberecht auf jede Form einer Kooperation staatlicher oder kommunaler Stellen anzuwenden ist. Vielmehr hat der EuGH, im Hamburgfall im Urteil vom 09. Juni 2009 es für zulässig geachtet, dass eine öffentliche Stelle die ihr im allgemeinen Interesse obliegenden Aufgaben mit ihren eigenen Mitteln und auch in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen gemeinsam erfüllen darf, ohne gezwungen zu sein, sich an externe Einrichtungen zu wenden. Dabei ist es ohne Belang, ob diese kommunale Kooperation aufgrund der Vorgaben des Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit erfolgt oder in der Rechtsform einer vertraglichen Vereinbarung. Der EuGH macht im Hamburgfall keine Unterschiede zwischen mandatierenden und delegierenden Zuständigkeitsvereinbarungen (vgl. hierzu Portz, Vergaberecht 2009, 702 ff.; Gruneberg, Jänicke, Kröcher, ZfBR 2009, 754 ff. mit Hinweis auf die bisherigen Entwicklungen in der nationalen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 05.05.2004 und 21.06.2006; OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.09.2004; OLG Naumburg, Beschlüsse vom 03.11.2005 und 02.03.2006). Der EuGH stellt vielmehr im Hamburgfall entscheidend darauf ab, ob die beteiligten öffentlichen Einrichtungen eine gemeinsame Aufgabe erfüllen wollen. Durch das Abstellen auf die gemeinsame Wahrnehmung einer allen (kommunalen) Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe („regionaler Entsorgungsverbund") sowie auf die Dauerhaftigkeit des Vertrages (20 Jahre), war im Hamburgfall eine ähnliche Intensität der Zusammenarbeit wie bei einem kommunalen Zweckverband gegeben. Die bisher für eine nicht gegebene Ausschreibungspflicht als erforderlich angesehene Erfüllung der sogenannten In-House-Kriterien, die ersichtlich bei horizontal-vertraglichen Kooperationen nicht passen, haben damit ein vergaberechtsfreies aliud bekommen. Damit ist die vergaberechtsfreie Kooperation nicht mehr länger - wie noch in der Vergangenheit - auf eine Übertragung kommunaler Aufgaben auf gemeinsam getragene institutionelle Einrichtungen (Zweckverbände, gemeinsame Gesellschaften) begrenzt. Die Rechtsform der Zusammenarbeit ist daher nicht mehr entscheidend als Abgrenzungskriterium; vielmehr können auch bei rein öffentlich-rechtlichen (horizontalen) Verträgen zwischen Kommunen nicht ausschreibungspflichtige Sachverhalte gegeben sein. Nach der EuGH-Entscheidung im Hamburgfall unterfällt die Zusammenarbeit nicht dem Vergaberechtsregime, wenn die öffentlichen Einrichtungen die gemeinsame Wahrnehmung einer in allen obliegenden Aufgabe vereinbaren. In dem konkreten Fall ging es um die thermische Abfallverwertung, die als öffentliche Aufgabe gemeinsam erfüllt werden sollte, indem die vier südlich an Hamburg angrenzenden Landkreise mit der Stadtreinigung Hamburg, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, einen Vertrag über eine Laufzeit von 20 Jahren über die Entsorgung ihrer Abfälle in einer neu zu errichtenden Müllverbrennungsanlage abgeschlossen haben. Der Hamburgfall ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass nicht nur die Landkreise, sondern auch die Stadtreinigung Hamburg als Dienstleistungserbringer öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger sind und dass nur eine Kostenerstattung ohne Gewinnmarge ohne Beteiligung Privater vereinbart ist.

(2) Ausgehend von der vorgenannten Rechtsprechung hält die Vergabekammer den zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 22.08.2011 als vertragliche Rechtsgrundlage zunächst durchaus geeignet, eine solche Kooperation begründen zu können. Allerdings wird in den öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht die „Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden Aufgabe" vereinbart, die man zukünftig gemeinsam erfüllen will. Der Begriff der „Aufgabe" bezieht sich auf die Zuständigkeiten, die die staatlichen Einrichtungen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben haben. Dabei geht die Vergabekammer davon aus, dass konkret auf die Zuständigkeit abzustellen ist, die die einzelne öffentliche Einrichtung kraft Gesetzes tatsächlich hat. Die gemeinsame Aufgabe muss somit jedem Vertragspartner einer solchen Vereinbarung auch einzeln obliegen; der jeweilige einzelne Vertragspartner muss zur Erfüllung dieser Aufgabe gesetzlich verpflichtet sein. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH sind Vereinbarungen zwischen öffentlichen Einrichtungen grundsätzlich nicht vom Vergaberecht befreit. Im Übrigen handelt es sich um eine Ausnahmeregelung, die eng auszulegen ist und der Hamburgfall darf nicht als Freibrief für vergaberechtsfreie interkommunale Kooperation missverstanden werden.

Vor diesem Hintergrund kann die „gemeinsame Aufgabe" nicht generell die Entsorgung von Abfällen sein, die nach nationalem Recht in der Verwertung und Beseitigung besteht, sondern gemeinsame Aufgabe der am Vertrag beteiligten öffentlichen Einrichtungen muss die Aufgabe sein, die die Einrichtung tatsächlich erfüllt bzw. wofür sie konkret zuständig ist. Vorliegend ist die Antragsgegnerin als Besitzerin der Klärschlämme gemäß § 5 Abs. 2 KrW-/AbfG allein zur „Verwertung" verpflichtet bzw. zuständig, und nicht etwa die Beigeladene. Im Bereich der Verwertung von Klärschlämmen kann der Zweckverband somit erst tätig werden, wenn ihm diese Aufgabe übertragen wird. Es handelt sich nicht um eine originäre Aufgabe des Zweckverbandes, die er unabhängig vom Willen der Antragsgegnerin einfach wahrnehmen kann. Es kann somit nicht festgestellt werden, dass die beiden Vertragspartner gemeinsame Aufgaben zukünftig einfach in der Form einer Kooperation erfüllen wollen.

Vielmehr bedient sich die Antragsgegnerin der Beigeladenen als einer außerhalb ihrer selbst stehenden Leistungserbringerin und beauftragt diese mit der alleinigen Durchführung einer Aufgabe, die der Beigeladenen kraft Gesetzes so nicht zusteht. Die Antragsgegnerin will die in ihre Zuständigkeit fallende Verwertung von Klärschlämmen nicht mehr selbst oder mit Eigenbetrieben oder gemeinsam mit einer anderen öffentlich-rechtliche Körperschaft erfüllen, die die gleiche Zuständigkeit hat, sondern durch einen anderen Marktteilnehmer, hier die Beigeladene, durchführen lassen. Insofern liegt ein Beschaffungsvorgang vor, und nicht etwa die Absicht, eine öffentliche Aufgabe nunmehr gemeinsam wahrzunehmen. Vergaberechtlich bedeutet dies aber, dass die Antragsgegnerin sich damit ihrer Zuständigkeit „entledigt" hat. Ausweislich der vertragsgegenständlichen Regelungen soll künftig allein die Beigeladene diese Zuständigkeit übernehmen und für die Erfüllung sämtlicher abfallwirtschaftlicher Aufgaben im Zusammenhang mit der ordnungsgemäßen Entsorgung des vom Anlieferer anzudienenden Klärschlamms zuständig sein. Der im Streit stehende öffentlich-rechtliche Vertrag vom 22.08.2011 stellt sich somit nach Auffassung der Vergabekammer als Beschaffungsvorgang dar und nicht etwa als eine Form der Zusammenarbeit zwischen Behörden, um eine ihnen allen obliegende Aufgabe gemeinsam zu erfüllen. Die in § 6 des öffentlich-rechtlichen Vertrages enthaltene Absichtserklärung der Zusammenarbeit oder die in § 5 geregelte Aufgabenerfüllung durch Dritte bei etwaiger Mehrkostentragung durch den Anlieferer (bei Verbrennung in einer Ersatzeinrichtung) führt nach Auffassung der Vergabekammer nicht zu einem anderen Ergebnis.

Das Zustandekommen des öffentlich-rechtlichen Vertrages stellt sich der Vergabekammer auch nicht als Ergebnis einer Initiative zur interkommunalen Zusammenarbeit dar. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung ist die Initiative von der Antragsgegnerin ausgegangen, die nach der Sitzungsvorlage geleitet von fiskalischen Vorteilen (städtische Abwasserbeseitigung nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt; fehlende Gewinnmaximie-rung des Zweckverbandes; Umsatzsteuerbefreiung des Zweckverbandes; relativ kurze Transportwege) für die nächsten 5 Jahre eine kostengünstige Entsorgungsmöglichkeit ihrer Klärschlämme gesucht hat bei der Beigeladenen, die diese Verwertung im Rahmen ihrer freien Restkapazitäten (unter Einbezug der Einrichtungen des Ausfallverbunds zur thermischen Behandlung von Klärschlamm) in diesem Zeitraum mit Verlängerungsoptionen erfüllen will. Ob die Dauerhaftigkeit des Vertrags, die möglicherweise als Indiz für die gemeinsame öffentliche Aufgabenerfüllung zu sehen sein könnte, hier ebenso wie im Hamburgfall (20 Jahre im Vergleich zu einem unbefristeten auf 5 Jahre fest abgeschlossenen Vertrag mit Verlängerungsoptionen) gewertet werden könnte, wird seitens der Vergabekammer im Übrigen bezweifelt.

Im Ergebnis liegt somit ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag im Sinne von § 99 Abs. 1 und 4 GWB vor, der unter Beachtung der §§ 97 ff. GWB zu vergeben ist.

Die Vereinbarung mit der Beigeladenen war gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB aufgrund eines Gesetzes nicht gestattet.

Eine solche gesetzliche Ausnahme für den in Streit stehenden Auftrag liegt hier nicht vor. Direktvergaben sind beispielsweise gemäß § 4 Abs. 3 VgV oder § 3 Abs. 4 EG-VOL/A (Dringlichkeit) zulässig.

Die Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 lit.g) GWB liegen hier nicht vor. Gemäß § 100 Abs. 2 lit.g) GWB gilt der vierte Teil des GWB auch nicht für Aufträge, die an eine Person vergeben werden, die ihrerseits Auftraggeber nach § 98 Nr. 1, 2 oder 3 ist und ein auf Gesetz oder Verordnung beruhendes ausschließliches Recht zur Erbringung der Leistung hat. Der Ausnahmetatbestand setzt ein staatliches Monopol zur Leistungserbringung voraus. In diesem Fall wäre eine Ausschreibung sinnlos, da ohnehin nur der Monopolist den Zuschlag erhalten kann. Die Monopolstellung muss dieses beauftragte Unternehmen aufgrund eines Gesetzes oder einer Verordnung haben, und das Monopol muss im Zeitpunkt der Ausschreibung bereits bestehen und kann nicht erst mit der Auftragserteilung erfolgen. Das ausschließliche Recht, worauf sich die Beigeladene oder die hinter ihr stehenden Mitgliedsgemeinden berufen könnten, müsste ihnen somit bereits vor Auftragserteilung kraft Gesetzes oder Verordnung zugestanden haben, und zwar in der Weise, dass nur sie für die Leistungserbringung in Frage kommen (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.05.2004, Verg 78/03). Denn dann wäre eine Ausschreibung sinnlos, weil kein anderer - insbesondere kein anderes privates Entsorgungsunternehmen - dazu in der Lage wäre, diese Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit der Leistungserbringung zu übernehmen. Die Beigeladene müsste somit allein und nur sie aufgrund eines Gesetzes oder einer Verordnung (KrW-/AbfG) für die Erbringung dieser Leistungen (Verwertung von Klärschlamm) verantwortlich sein und es dürfte deshalb kein privater Unternehmer -beispielsweise die Antragstellerin mit ihrer eigenen Monoverbrennungsanlage -dazu in der Lage sein, diese Verantwortlichkeit zu übernehmen. Für diesen Fall könnte die Antragsgegnerin sich auf § 100 Abs. 2 lit.g) GWB berufen; dessen Voraussetzungen liegen hier jedoch ersichtlich nicht vor (vgl. hierzu für den Fall einer 100 %-igen Tochter eines entsorgungspflichtigen Landkreises VK Münster, Beschluss vom 22.07.2011, Verg 7/11). Damit ist ein solcher Auftrag im Sinne

des § 99 GWB unter Beachtung des 4. Teils des GWB auszuschreiben, soweit auch der entsprechende Auftragswert überschritten wird.

7. Aus der Einordnung des öffentlich-rechtlichen Vertrages als öffentlichen Dienstleistungsauftrag im Sinne von § 99 Abs. 1 und 4 GWB folgt auch die Begründetheit des Nachprüfungsantrages. Denn die Antragsgegnerin hat vorliegend den Vertrag nicht ausgeschrieben, wobei sie sich aber durchaus Gedanken darüber gemacht hat, ob der von ihr beschrittene Weg zulässig ist.

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der öffentlich-rechtliche Vertrag vom 22.08.2011 vergaberechtlich unzulässig war und gemäß § 101b Abs. 1 GWB hiermit für unwirksam erklärt wird.

8. Abschließend weist die Vergabekammer darauf hin, dass die Antragsgegnerin ihren politischen Willen, die Klärschlämme möglichst nicht mehr landwirtschaftlich zu verwerten, auch im Wege einer Ausschreibung weiter verfolgen kann. Denn die inhaltliche Ausgestaltung der Leistungsbeschreibung ist allein Sache der Vergabestelle. Wenn diese vorschreibt, dass nur eine thermische Verwertung der Klärschlämme erfolgen darf, so kann kein Bieter der Vergabestelle eine andere Verwertungsart „vorschreiben". Diesbezüglich gilt, dass der Beschaffungsgegenstand allein durch die Vergabestelle festgelegt wird. Was ausgeschrieben wird, unterliegt dem einseitigen Bestimmungsrecht des Auftraggebers. Der Auftraggeber bestimmt nach seinen Bedürfnissen und Vorstellungen den Gegenstand und Inhalt der Beschaffung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.11.2008, Verg 52/08).

9. Dass die Antragstellerin durch die Vereinbarung gemäß § 114 Abs. 1 GWB tatsächlich in ihren Rechten verletzt ist, ergibt sich daraus, dass sie im Falle einer Ausschreibung sich beteiligen könnte und somit Chancen auf Erhalt eines solchen Auftrages hätte. Die Antragstellerin ist auch nach Aufhebung des öffentlichrechtlichen Vertrages weiterhin in ihren Rechten verletzt, wenn trotz eines bestehenden Bedarfs keine Ausschreibung nach dem 4. Teils des EWB durchgeführt wird. Denn der Antragstellerin ist als in der Branche tätiges Unternehmen das Interesse an einer solchen Ausschreibung mit dem Ziel der Auslastung der eigenen thermischen Anlage nicht abzusprechen.

Die Antragsgegnerin hat gemäß § 128 Abs. 1 GWB als unterliegende Partei die Kosten für das Nachprüfungsverfahren zu tragen. Die Vergabekammer geht von einem Auftragswert von unter xxx € für den gesamten Vertragszeitraum aus, so dass sich nach der Gebührentabelle des Bundes und der Länder eine Gebühr für Amtshandlungen der Vergabekammer in Höhe von xxx € ergibt. Als Gemeinde ist die Antragsgegnerin von den Gebühren befreit.

Gemäß § 128 Abs. 4 GWB hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen. Aufwendungen der Antragstellerin sind erstattungsfähig, soweit die Kammer die Hinzuziehung für notwendig erklärt. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters durch die Antragstellerin war hier notwendig, weil es nicht nur um einfach gelagerte vergaberechtliche Sach-verhalte ging, sondern um schwierige Rechtsfragen mit europarechtlichem Einschlag. Die Antragstellerin verfügt auch nicht über eine Rechtsabteilung oder entsprechende Mitarbeiter zur Beurteilung dieser Rechtsfragen.

Die Beigeladene, die anwaltlich nicht vertreten war und in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt hat, trägt ihre Aufwendungen billigerweise selbst.

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