LAG Köln, Beschluss vom 21.02.2013 - 6 TaBV 43/12
Fundstelle
openJur 2013, 22655
  • Rkr:

Für die Übernahme der Übernachtungskosten eines Betriebsratsmitglieds anlässlich einer Schulungsteilnahme nach § 37 Abs. 6 BetrVG kann es unter dem Gesichtspunkt der überholenden Kausalität auf die konkreten Umstände zum Zeitpunkt der Schulung ankommen: Ist die Übernachtung bei objektiver Betrachtung wegen extrem winterlicher Verhältnisse erforderlich, so sind die Kosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu übernehmen, unabhängig davon, wann die Hotelbuchung vorgenommen wurde.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 15.02.2012 - 7 BV 152/11 -

abgeändert:

1 Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, das Betriebsratsmitglied D V von der Inanspruchnahme durch die Firma W , I f B , aus deren Rechnung vom 10.12.2010 - RG-Nr.: 1052913 - in Höhe von 314,16 € freizustellen.

2 Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Erstattungsfähigkeit von Übernachtungskosten, die anlässlich der Schulungsteilnahme eines Betriebsratsmitglieds in der Zeit vom 07. bis zum 10.12.2010 in Höhe von 314,16 € angefallen sind.

Der Betriebsrat hat beantragt,

der Antragsgegnerin aufzugeben, sein Mitglied D V von der Inanspruchnahme durch die Firma W , I f B , aus deren Rechnung vom 10.12.2010 - RG-Nr.: 1052913 - in Höhe von 314,16 € freizustellen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 15.02.2012 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen, weil die Kosten für die Hotelübernachtung nicht im Sinne des § 40 BetrVG erforderlich gewesen seien. Frau V habe lediglich 44 km vom Schulungshotel entfernt gewohnt, so dass ihr eine tägliche Anreise ohne Weiteres zumutbar gewesen wäre. Auch die schwierigen Wetterverhältnisse in der Zeit vom 07. - 10.12.2010 hätten die Übernachtungen nicht nachträglich erforderlich werden lassen. Maßgeblich für die Beurteilung sei der Zeitpunkt der Kostenverursachung, hier der Buchungszeitpunkt vom 04.11.2010. Zu diesem Zeitpunkt sei die Wettersituation im Dezember 2010 nicht absehbar gewesen.

Mit seiner Beschwerde macht der Betriebsrat geltend, es könne nicht richtig sein, wenn das Arbeitsgericht ausschließlich auf den Zeitpunkt der Hotelbuchung vom 04.11.2010 und die dortigen Witterungsverhältnisse abstelle. Selbst wenn zu jenem Zeitpunkt die Erforderlichkeit der Hotelübernachtung nicht gegeben gewesen sei, so sei hier ein Fall der überholenden Kausalität eingetreten, weil zum Zeitpunkt der Schulung die Erforderlichkeit der Übernachtung vorgelegen habe. Genauso wäre der Fall nämlich zu beurteilen gewesen, wenn die Hotelbuchung nicht Anfang November 2010 veranlasst worden wäre und Frau V sich an Ort und Stelle wegen der widrigen Witterungsverhältnisse entschieden hätte, im Schulungshotel zu übernachten. Anfang Dezember 2010 habe Deutschland unter Schnee und Eis gelegen. Insbesondere in der Zeit vom 07. - 10.12.2010 habe durchgehend Eis- und Schneeglätte geherrscht, so dass es Frau V nicht zuzumuten gewesen sei, am 07., 08., und 09.12.2010 abends sowie am 08., 09. und 10.12.2010 morgens jeweils mit dem Pkw von der Schulung nach Haus und alsdann im Berufsverkehr von zu Hause wieder zur Schulung zu fahren.

Der Betriebsrat beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Köln vom 15.02.2012 - 7 BV 152/11 - der Antragsgegnerin aufzugeben, das Betriebsratsmitglied D V von der Inanspruchnahme durch die Firma W , I f B , aus deren Rechnung vom 10.12.2010 - RG-Nr.: 1052913 - in Höhe von 314,16 € freizustellen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie meint, es habe in der fraglichen Zeit das übliche Winterwetter geherrscht, so dass die tägliche Anreise zur Schulung in angepasster Fahrweise ohne Weiteres möglich gewesen sei. Im Übrigen verteidigt sie den angefochtenen Beschluss aus Rechtsgründen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Beschwerdegericht hat aufgrund des Beschlusses vom 08.11.2012 (Bl. 167 d. A.) eine Auskunft beim Deutschen Wetterdienst eingeholt, ob im Großraum K -B zwischen dem 07. und dem 10.12.2010 Schnee- und Eisglätte herrschten, die den Straßenverkehr erheblich beeinträchtigten. Die amtliche Auskunft ist unter dem Datum des 23.11.2012 erteilt worden (Bl. 172 ff. d. A.).

II. Die nach den §§ 87, 89 ArbGG zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist begründet.

1. Der mit der Beschwerde weiter verfolgte Freistellungsantrag des Betriebsrats ist zulässig. Insbesondere ist der Betriebsrat antragsbefugt. Zu den Kosten des Betriebsrats gehören auch die Schulungskosten seiner Mitglieder. Soweit einzelne Betriebsratsmitglieder für den Besuch betriebsverfassungsrechtlicher Seminare Zahlungsverpflichtungen eingegangen sind, ist der Betriebsrat als Gremium berechtigt, den Arbeitgeber auf Freistellung bzw. Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen (vgl. nur BAG 17.11.2010 - 7 ABR 113/09 -, juris m. w. N.).

2. Der Antrag ist auch begründet. Die Arbeitgeberin ist nach den §§ 40 Abs. 1, 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG verpflichtet, das Betriebsratsmitglied D V von der Inanspruchnahme wegen der Übernachtungskosten in Höhe von 314,16 € beim Besuch der Schulung "Betriebsverfassungsrecht Teil I" in der Zeit vom 07. -10.12.2010 freizustellen.

Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Arbeitsgericht zugrundegelegt, dass zu den vom Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragenden Kosten für nach § 37 Abs. 6 BetrVG erforderliche Schulungen neben den eigentlichen Seminargebühren auch die notwendigen Reise- und Übernachtungskosten des Betriebsratsmitglieds gehören (vgl. BAG, 19.03.2008 - 7 ABR 2/07 - m. w. N.). Zwischen den Beteiligten besteht auch weder Streit darüber, dass die Schulungsveranstaltung vom 07. - 10.12.2010 die Voraussetzungen des § 37 Abs. 6 BetrVG erfüllt, noch dass die Teilnahme von Frau V auf einem ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss beruht. Im Rahmen dieses Beschlusses hat das betroffene Betriebsratsmitglied selbst zu entscheiden, ob es am Tagungsort und möglicherweise im Tagungshotel übernachtet, welche Verpflegung es wählt und welches Verkehrsmittel es benutzt. Ein besonderer Betriebsratsbeschluss ist hierfür nicht erforderlich, weil die Notwendigkeit des konkreten Kostenanfalls bei einem Streit hierüber ohnehin nach objektiven Kriterien zu überprüfen ist (vgl. BAG, 23.06.2010 - 7 ABR 113/08 -, juris, für den Fall einer notwendigen Kinderbetreuung).

Die Kosten in Höhe von 314,16 € für die drei Übernachtungen vom 07. - 10.12.2010 waren hier erforderlich, weil dem Betriebsratsmitglied angesichts der seinerzeit herrschenden ungünstigen Witterungsbedingungen eine tägliche An- und Abreise zum Tagungsort unzumutbar war. Aus der amtlichen Auskunft des Deutschen Wetterdienstes vom 23.11.2012 (Bl. 172 ff. d. A.) ergibt sich, dass in der Region K /B in der Zeit vom 07. - 10.12.2010 durchgehend Eis- und Schneeglätte anzutreffen waren. Dabei wurden Schneehöhen von 5 - 12 cm gemessen (vgl. Bl. 173 d. A.). Dies bestätigt auch der vom Betriebsrat vorgelegte Bericht des Internet-Portals "Der Westen" vom 09.12.2010, in dem es auszugsweise heißt (Kopie Bl. 126 d. A.):

"Chaotischer Tag auf NRWs Straßen: Glätte und Schnee führten zu vielen Unfällen und bremsten Busse und Bahnen aus. Der Wetterdienst warnt vor weiteren schauerartigen Schneefällen. Im Osten kann es zu Schneeverwehungen kommen.

Schnee und Glatteis haben am Donnerstag zu zahlreichen Behinderungen in Nordrhein-Westfalen geführt. Die Leitstelle der Polizei in NRW zählte von Mittwochmittag bis Donnerstagmittag 1200 witterungsbedingte Unfälle mit 99 Verletzten - davon 13 Schwerverletzte.

Allein am Morgen gab es im Land 400 Unfälle. Zwei Menschen wurden dabei schwer verletzt, 26 weitere zogen sich leichtere Verletzungen zu. An den Flughäfen im Land wurden wegen des Winterwetters einzelne Flüge gestrichen. Die Bahn hatte wegen der Kälte mit technischen Problemen zu kämpfen.

Allein in K und auf den umliegenden Autobahnen krachte es am Donnerstagmorgen laut Polizeileitstelle 107 Mal. In B -G stürzte ein Baum unter der Schneelast um und fiel auf ein fahrendes Auto..."

Angesichts dieser Wetterverhältnisse war es Frau V nicht zuzumuten, das Seminarhotel täglich von zu Hause aus aufzusuchen und die Fahrten mit dem Auto zurückzulegen. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin und ihr folgend des Arbeitsgerichts kann darin auch keine Besserstellung des Betriebsratsmitglieds gegenüber den übrigen Arbeitnehmern gesehen werden, die trotz der schlechten Witterung täglich den Weg zur Arbeitsstätte und zurück auf sich genommen haben. Abgesehen davon, dass auch der jeweilige Arbeitnehmer für sich die Entscheidung treffen musste, ob er sich trotz der gegebenen Gefährdungslage auf den Weg zur Arbeit machte oder nicht, ist im Hinblick auf eine Schulungsteilnahme zu berücksichtigen, dass diese für ein Betriebsratsmitglied nicht in einer Weise erschwert sein darf, die zu einer Benachteiligung nach § 78 BetrVG oder zu einem Verzicht auf die Schulungsteilnahme führt. Ob die Übernachtungen unter diesem Aspekt notwendig waren, kann nur fallbezogen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Dazu gehört vorliegend auch der Umstand, dass Frau V als Teilzeitkraft zwischen 19.00 Uhr und 23.00 Uhr arbeitet und daher den Weg zur Arbeitsstätte zu Zeiten zurücklegt, in denen kein Berufsverkehr stattfindet und gerade auch das winterliche Unfallrisiko erheblich geringer ist als in den morgendlichen Verkehrszeiten. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin kommt es auch nicht darauf an, eine Eis- und Schneeglätte "örtlich bezogen auf die zurückzulegende Fahrtstrecke zwischen dem Wohnort Frau V und dem Schulungsort" festzustellen. Die vom Deutschen Wetterdienst mitgeteilten Wetterdaten für die Region lassen einen hinreichend sicheren Rückschluss darauf zu, dass außergewöhnliche Straßenverhältnisse herrschten, die mit verlängerten Fahrtzeiten und einem besonderen Unfallrisiko verbunden waren. Ein vernünftiger Dritter durfte unter diesen Umständen die Entscheidung treffen, am Tagungsort zu übernachten.

Auch die konkrete Höhe der Übernachtungskosten begegnet keinen Bedenken, zumal die Arbeitgeberin eine kostengünstigere Übernachtungsmöglichkeit nicht eingewendet hat.

Der Arbeitgeberin ist zuzugeben, dass die Notwendigkeit einer Übernachtung am Schulungsort bezogen auf den Zeitpunkt der Buchung Anfang November 2010 wohl zu verneinen gewesen wäre. Denn bei normalen Straßenverhältnissen wäre dem Betriebsratsmitglied die tägliche An- und Abreise durchaus zumutbar gewesen. Dies schließt allerdings unter dem Gesichtspunkt der "überholenden Kausalität" eine Berücksichtigung der konkreten Umstände zum Zeitpunkt der Schulungsteilnahme nicht aus. Eine ungerechtfertigte Belastung des Arbeitgebers ist damit nicht verbunden, weil es stets auf die objektive Beurteilung der Notwendigkeit des Kostenanfalls ankommt. Ist sie angesichts der konkreten Umstände zu bejahen, so sind die Kosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu übernehmen, unabhängig davon, wann die Hotelbuchung vorgenommen wurde.

III. Die Rechtsbeschwerde wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage, ob eine überholende Kausalität zu berücksichtigen ist, nach den §§ 72 Abs. 2, 92 Abs. 1 ArbGG zugelassen.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss kann von der Antragsgegnerin

R E C H T S B E S C H W E R D E

eingelegt werden.

Für weitere Beteiligte ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Die Rechtsbeschwerde muss

innerhalb einer Notfrist* von einem Monat

nach der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses schriftlich beim

Bundesarbeitsgericht

Hugo-Preuß-Platz 1

99084 Erfurt

Fax: 0361 2636 2000

eingelegt werden.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1 Rechtsanwälte,

2 Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3 Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Rechtsbeschwerdeschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.

Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

Dr. Kalb Schulte Holzberger