BGH, Beschluss vom 30.01.2001 - 1 StR 481/00
Fundstelle
openJur 2010, 5500
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 6. Juni 2000 im Ausspruch über die Vollstreckungsreihenfolge aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug von einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.

Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Zur Vollstreckungsreihenfolge hat es bestimmt, daß zunächst ein Jahr und acht Monate der Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist; anschließend ist der Angeklagte in einer Entziehungsanstalt und sodann in der Sicherungsverwahrung unterzubringen. Die Revision des Angeklagten rügt allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Sie hat Erfolg, soweit das Landgericht den teilweisen Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet hat; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die Anordnung des Vorwegvollzuges von Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten im Vollzug der Maßregel nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die vom Landgericht dafür gegebene Begründung widerstreitet der vom Gesetzgeber in der gesetzlichen Regelung getroffenen Grundentscheidung (§ 67 Abs. 1 StGB). Tragfähige Gründe dafür, von dieser im Falle des Angeklagten abzuweichen, führt die Strafkammer nicht an; solche liegen auch nicht auf der Hand.

1.

Richtschnur für die Frage des Vorwegvollzuges der Strafe ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 11). Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 67 Abs. 1 StGB soll möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder kranken Rechtsbrechers begonnen werden, weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 4, 12). Gerade bei längerer Strafdauer muß es darum gehen, den Angeklagten frühzeitig von seinem Hang zu befreien, damit er im Strafvollzug an der Verwirklichung des Vollzugszieles arbeiten kann (BGHSt 37, 160, 162; BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 12). Eine Abweichung von der Regelabfolge des Vollzuges bedarf eingehender Begründung (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 10). Steht zu besorgen, daß der an die Maßregel anschließende Strafvollzug den Maßregelerfolg wieder zunichte machen könnte, so müssendafür überzeugende Gründe vorliegen (BGH NStZ 1986, 428; BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 7, Vorwegvollzug, teilweiser 13).

2.

Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht bestimmte Ausnahme nicht gerecht. Es fehlt eine auf die Person des Angeklagten bezogene Würdigung der Umstände des Einzelfalles. Die Strafkammer begründet die nach ihrer Ansicht hier leichtere Erreichbarkeit des Zwecks der Maßregel nach § 64 StGB allein mit der Erwägung, es sei gesicherte Erkenntnis, daß der Verurteilte nach einem erfolgreichen Maßregelvollzug auf Bewährung in die Freiheit entlassen und nicht wieder in den Strafvollzug überstellt werden sollte (UA S. 34). Eine solche "gesicherte Erkenntnis" kann in dieser Allgemeinheit schon deshalb nicht herangezogen werden, weil der Gesetzgeber sich bei der Bestimmung der regelmäßig einzuhaltenden Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 1 StGB) gerade an anderen Gesichtspunkten orientiert und für eine grundsätzlich andere Vollstreckungsfolge entschieden hat. Das Landgericht setzt sich dazu in Widerspruch, wenn es ohne konkrete Würdigung davon abweicht. Dafür hätte es auf den Einzelfall bezogene, tragfähige Gründe anführen müssen.

3.

Dieser Mangel führt zur Aufhebung des Ausspruchs über den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Die zugrundeliegenden Feststellungen können bestehen bleiben, weil lediglich ein Wertungsfehler in Rede steht. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind statthaft.