OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.04.2013 - 16 A 2905/11
Fundstelle
openJur 2013, 20863
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 4. November 2011 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf ernstliche Richtigkeitszweifel und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Berufungszulassungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

Ernstliche Richtigkeitszweifel sind gegeben, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angegriffenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.

Vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. März 2007 ‑ 1 BvR 2228/02 ‑, juris, Rdnr. 25 (= NVwZ-RR 2008, 1).

Das ist nicht der Fall.

Die Behauptung des Klägers, das zur Wiedererteilung eines Jagdscheins ergangene Urteil beruhe tragend auf der ‑ fehlerhaften ‑ Annahme, für die Prüfung des Vorliegens einer Ausnahme von der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG sei kein Raum, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat im Gegenteil ausdrücklich geprüft, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der ein Absehen von der Regelvermutung rechtfertigen könnte (vgl. Urteilsabdruck S. 5 ff.). Allerdings hat es einen solchen Ausnahmefall zu Recht verneint:

Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Verwaltungsgericht dabei von einem zutreffenden Prüfungsansatz ausgegangen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt eine Abweichung von der Regelvermutung mangelnder Zuverlässigkeit dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich ist danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2008 ‑ 3 B 12.08 ‑, juris, Rdnr. 5 (= NVwZ 2009, 398), wonach die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Widerlegung der Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Waffenrechts vom 11. Oktober 2002 weiterhin anwendbar sind.

Die Maßgeblichkeit einer tatbezogenen Prüfung ergibt sich daraus, dass das Gesetz auf die Verurteilung wegen einer Straftat abstellt, und wird auch durch die Hinweise unter Nr. 5.3 der vom Kläger zitierten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz nicht in Frage gestellt. Abgesehen davon, dass Verwaltungsvorschriften für die Verwaltungsgerichte keine Verbindlichkeit haben, ist dort explizit auf die bisherige Rechtsprechung Bezug genommen und beispielhaft ausgeführt, dass etwa eine ansonsten tadelsfreie Lebensführung nicht genügt, um die Regelunzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG zu widerlegen. Im Übrigen leuchtet nicht ein, warum bei tatbezogener Prüfung dem betroffenen Straftäter jede Möglichkeit der Widerlegung genommen sein sollte. Allein der Umstand, dass es zu einer Verurteilung in bestimmter Höhe gekommen ist, schließt es nicht aus, die Tatumstände im Einzelfall als atypisch zu bewerten.

Das Vorstehende zugrunde gelegt fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Ausnahmefalls. Da die Vermutungsregelung nicht voraussetzt, dass außer dem Vermutungstatbestand weitere nachteilige Umstände über den Betroffenen bekanntgeworden sind, greift sie auch bei einer im übrigen ordnungsmäßigen Führung. Dementsprechend ist auch unerheblich, dass der Kläger erst einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Wenn nach dem Gesetz bereits eine einzige Verurteilung wegen einer der in § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a bis c WaffG genannten Straftaten die Regelvermutung begründet, sofern eine Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen verhängt worden ist, kann die Vermutung grundsätzlich nicht schon dann entkräftet sein, wenn der Betroffene ansonsten strafrechtlich nicht aufgefallen ist. Ebenso wenig wirkt es sich zu Gunsten des Klägers aus, dass die abgeurteilte Tat keinen waffen- bzw. jagdrechtlichen Bezug aufweist. Der Gesetzgeber ist mit Einfügung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG und der Neuregelung des § 5 WaffG von seiner bisherigen Risikoeinschätzung im Bereich des Jagd- und des Waffenrechts abgegangen. Der Versagungsgrund des § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG verknüpft für andere als Falknerjagdscheine das Jagdrecht mit dem Waffenrecht. Wann die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit eingreift, wird wiederum nicht mehr vorrangig nach der Art der begangenen Straftat bestimmt, sondern es wird allgemein auf die Rechtsfolgenseite, nämlich auf die Höhe der verhängten Strafe, abgestellt. Daher kann ein Ausnahmefall nicht mehr damit begründet werden, dass die konkrete Straftat keinen Waffen- bzw. Jagdbezug hatte.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2008 ‑ 3 B 12.08 ‑, a. a. O.

Im Ergebnis nichts anderes gilt für den Einwand des Klägers, seinen Jagdschein freiwillig abgegeben zu haben. Dies mag für eine gewisse Einsicht in sein Fehlverhalten sprechen, stellt aber keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für die tatbezogene Prüfung eines Ausnahmefalls dar.

Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich bei der Versagung eines neuen Jagdscheins nicht um eine unzulässige "Doppelbestrafung". Ein Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) liegt nicht vor. Die Entscheidung des Beklagten hat keinen Sanktionscharakter, sondern dient als ordnungsrechtliche Maßnahme rein präventiven Zielen. Dass der Kläger sie gleichwohl als zusätzliche Strafe empfindet, ändert daran nichts.

Auch wird die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit durch die in § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG i. V. m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG enthaltene Versagungsregelung materiell wirksam eingeschränkt. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dadurch genügt, dass bei etwaigen Besonderheiten des Einzelfalls der Versagungstatbestand nicht greift. Im Übrigen steht dem Gesetzgeber bei der Bewertung, wer in Anbetracht des grundsätzlich entgegenstehenden Sicherheitsinteresses der Bevölkerung ausreichend zuverlässig ist, mit Waffen umzugehen und die Befugnisse aus einem Jagdschein wahrzunehmen, ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zu. Dessen Grenzen sind erst überschritten, wenn die gesetzgeberischen Erwägungen so fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für derartige Maßnahmen mehr sein können.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 16. März 2004 ‑ 1 BvR 1778/01 ‑, juris, Rdnr. 66 (= BVerfGE 110, 141).

Dafür ist nichts ersichtlich. Die der hier einschlägigen Regelvermutung zugrunde liegende Annahme des Gesetzgebers, dass derjenige, der jenseits eines geringfügigen Verstoßes vorsätzlich eine Straftat begeht, regelmäßig Anlass zu der Befürchtung gibt, er könne es auch als Waffenbesitzer am nötigen Verantwortungsbewusstsein fehlen lassen, erscheint vertretbar und nicht offensichtlich unrichtig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die fraglichen Vorschriften des Waffen- und Jagdrechts gerade darauf zielen, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko für Leben und Gesundheit von Menschen möglichst gering zu halten. Sie sind also darauf angelegt, schon im Vorfeld die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eines jeden Einzelnen vor den Gefahren zu schützen, die aus dem Gebrauch von und dem Umgang mit Waffen resultieren. Dieser soll nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem Gesamtverhalten Vertrauen dahin verdienen, dass sie mit der Waffe jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen werden, weil sie sich insgesamt rechtstreu und pflichtbewusst auch den Rechtsgütern Dritter gegenüber gezeigt haben.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2010 ‑ 20 B 612/10 ‑.

Schließlich macht der Kläger ohne Erfolg geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass er bei der Tatbegehung in weitem Umfang ohne den erforderlichen Vorsatz gehandelt habe. Gerichte und Behörden können bei der Anwendung des Regeltatbestands des § 5 Abs. 2 WaffG grundsätzlich von der Richtigkeit der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung ausgehen und dürfen sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme einer waffen- bzw. jagdrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigt. Etwas anderes gilt allenfalls in Sonderfällen, etwa wenn ohne Weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht, oder wenn die Behörde ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2008 ‑ 3 B 12.08 ‑, a. a. O. Rdnr. 9; speziell zur Verurteilung durch Strafbefehl BVerwG, Beschluss vom 30. April 1992 ‑ 1 B 64.92 ‑, juris, Rdnr. 6 (= Buchholz 402.5 WaffG Nr. 64), unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 14. Januar 1981 ‑ 1 B 857.80 ‑, juris, Rdnr. 3 (= Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 77).

Umstände, die nach diesen Maßstäben eine weitere Aufklärung der abgeurteilten Tat dahin erfordert hätten, ob der Kläger vorsätzlich gehandelt hat, sind weder dargetan noch sonst erkennbar. Der Kläger trägt lediglich vor, er habe sich auf Anraten seines Strafverteidigers praktisch nicht verteidigt und den Strafbefehl rechtskräftig werden lassen. Dadurch wird die Richtigkeit seiner Verurteilung nicht in Frage gestellt.

2. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine für die Entscheidung des Streitfalls im Rechtsmittelverfahren erhebliche klärungsbedürftige Rechts- oder Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft.

Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 124 Rdnr. 127 mit weiteren Nachweisen.

Die Zulassungsbegründung zeigt keine solche Frage auf. Unter welchen Voraussetzungen die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 2 WaffG widerlegt werden kann, ist ‑ soweit fallübergreifend zu beantworten ‑ bereits höchstrichterlich geklärt. Dass die danach maßgeblichen Grundsätze in der Verwaltungspraxis möglicherweise uneinheitlich angewendet werden, führt insoweit nicht auf einen weiteren Klärungsbedarf in rechtlicher Hinsicht, sondern bezeichnet ein Problem des Gesetzesvollzugs.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 47 Abs. 1 und 3 sowie 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).