VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.03.2013 - A 9 S 1872/12
Fundstelle
openJur 2013, 20695
  • Rkr:

1. Homosexuelle bilden in Kamerun eine "soziale Gruppe" im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG.

2. Auch öffentlich bemerkbare homosexuelle Verhaltensweisen sind nicht grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG ausgenommen. 3. Homosexuelle in Kamerun unterliegen nach derzeitiger Erkenntnislage keiner Gruppenverfolgung. Deshalb bedarf es in jedem Einzelfall, in dem ein Antragsteller geltend macht, er werde wegen seiner sexuellen Ausrichtung verfolgt, einer Gesamtwürdigung seiner Person und seines gesellschaftlichen Lebens und darauf aufbauend einer individuellen Gefahrenprognose.

a) Zu prüfen ist dabei, wie sich der einzelne Schutzsuchende bei seiner Rückkehr im Hinblick auf seine sexuelle Ausrichtung verhalten wird und wie wichtig diese Verhaltensweise für seine Identität ist.

b) Nicht beachtlich ist, ob er mit Rücksicht auf drohende Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 RL 2004/83/EG auf das behauptete Verhalten verzichten würde. Erst recht darf nicht angenommen werden, dass ein Schutzsuchender nur dann tatsächlich von einer Verfolgung bedroht ist, wenn er sich trotz der drohenden Verfolgungshandlung in dieser Weise verhalten würde und praktisch bereit wäre, für seine sexuelle Orientierung Verfolgung auf sich zu nehmen. Würde er jedoch aus nicht unter Art. 9 RL 2004/83/EG fallenden Gründen - etwa aus persönlichen Motiven oder aufgrund familiären oder sozialen Drucks oder Rücksichtnahmen - ein bestimmtes Verhalten im Herkunftsland nicht ausüben, ist ein solcher Verhaltensverzicht zu berücksichtigen.

c) Je mehr ein Schutzsuchender mit seiner sexuellen Ausrichtung in die Öffentlichkeit tritt und je wichtiger dieses Verhalten für seine Identität ist, desto mehr erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass er verfolgt werden wird.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 14. Juni 2012 - A 6 K 737/12 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der nach seinen Angaben am ...1977 in Douala geborene Kläger ist kamerunischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Bamileke an. Er ist ledig, christlichen Glaubens und spricht Französisch, Bamileke und etwas Englisch. Vor seiner Ausreise lebte er in Yaoundé in Kamerun. Seine Mutter und vier Geschwister leben in Kamerun; sein Vater ist 1993 verstorben. Der Kläger reiste am 16.11.2011 mit dem Flugzeug nach Deutschland ein.

Am 06.12.2011 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter. Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 17.01.2012 gab er an, er sei homosexuell. Er sei am 11.02.2011 von der Polizei verhaftet, zusammengeschlagen und an der Lippe verletzt worden, so dass sie stark geblutet habe. Bei einem der nachfolgenden Krankenhausbesuche habe er vor der Polizei fliehen können und habe Kamerun verlassen. Grund für die Verhaftung sei gewesen, dass er seinen Freund M... bei dessen Ankunft zu einer Geburtstagsfeier in der Öffentlichkeit umarmt und geküsst habe. Nachbarn, die dies gesehen hätten, sowie die Polizei seien kurz darauf in die Wohnung eingedrungen, in der die Feier stattgefunden habe. Der Kläger übergab dem Bundesamt eine Fotografie, auf der er mit einem Pflaster an der rechten Oberlippe zu sehen ist.

Mit Bescheid vom 15.03.2012 lehnte das Bundesamt (1.) den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte (2.) fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen. Außerdem stellte es (3.) fest, dass die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde (4.) zur Ausreise aufgefordert, ihm wurde die Abschiebung nach Kamerun angedroht.

Am 04.04.2012 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat seinen bisherigen Vortrag ergänzt und vertieft. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2012 ist der Kläger vom Einzelrichter persönlich angehört worden. Wegen seiner dortigen Angaben wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung in der Akte des Verwaltungsgerichts verwiesen (A 6 K 737/12). Der ursprüngliche Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, ist in der mündlichen Verhandlung nicht mehr gestellt worden.

Mit Urteil vom 14.06.2012 hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen das Verfahren eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen worden ist, hat den Bescheid des Bundesamtes vom 15.03.2012 hinsichtlich Ziffer 2 und 4 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Kläger habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen, dass er im Jahr 2000 zur Erkenntnis gekommen sei, homosexuell veranlagt zu sein, und seither sein Leben entsprechend gestaltet habe. Offen ausgelebte Homosexualität sei in Kamerun gesellschaftlich geächtet. Homosexuelle Handlungen seien in Kamerun auch dann strafbar, wenn sie unter erwachsenen Männern im Einverständnis aller Beteiligten erfolgten. Sie würden mit Gefängnis zwischen sechs Monaten und fünf Jahren sowie Geldstrafe bestraft. Auch Untersuchungshaft wegen des Verdachts der Homosexualität sei möglich. Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe werde Art. 347bis Code Pénal, der lediglich homosexuelle Handlungen bestrafe, von den Strafverfolgungsbehörden in der Praxis falsch angewandt, indem Personen schon wegen Homosexualität verhaftet und verurteilt würden und nicht nur dann, wenn tatsächlich homosexuelle Handlungen vorlägen. Dementsprechend würden Personen allein aufgrund einer (auch nur vermuteten) homosexuellen Orientierung ohne Anklage in Untersuchungshaft genommen und der Unzucht angeklagt, bevor überhaupt nach Beweisen für die Homosexualität gesucht werde. Es komme zu willkürlichen Festnahmen aufgrund vermuteter Homosexualität. Unter diesen Umständen bestehe eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Kläger wegen seiner gleichgeschlechtlichen Neigungen in Kamerun Freiheitsentziehung drohe. Dabei könne für die Beurteilung der Schwere der dem Kläger drohenden Gefahr auch nicht außer Acht bleiben, dass ihm schon im Falle der bloßen vorläufigen Festnahme aufgrund einer Anzeige Polizeigewalt, extralegale Exekution oder langjährige Untersuchungshaft unter erbärmlichen Bedingungen drohten. Es könne ihm auch nicht zugemutet werden, das persönlichkeitsprägende Merkmal der Homosexualität zu unterdrücken oder zu verheimlichen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 13.07.2012 die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 11.09.2012 hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (A 9 S 1510/12).

Am 27.09.2012 hat die Beklagte die Berufung begründet. Das Verwaltungsgericht habe zunächst zu Recht dem Kläger nicht geglaubt, dass er vorverfolgt ausgereist sei. Jedoch hätte das Verwaltungsgericht auch im Übrigen aufgrund der allgemeinen Lage keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung annehmen dürfen. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14.06.2011 werde Homosexualität nur in Einzelfällen strafrechtlich verfolgt. Vielmehr gebe es in Kamerun ein homosexuelles Leben, das aber nicht öffentlich gemacht werde.

Das Urteil des EuGH vom 05.09.2012 (Rs. C-71/11 u.a.) sei auf den vorliegenden Fall nur bedingt übertragbar. Es beziehe sich auf einen anderen Verfolgungsgrund. Gleichwohl habe die Beklagte entschieden, in Übertragung dieser Grundsätze einen Schutzsuchenden wegen seiner individuellen sexuellen Prägung nicht mehr auf eine mögliche Verhaltensanpassung zur Vermeidung einer Verfolgung zu verweisen. Dazu sei die Beklagte nach Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.09.2004, S. 12, ber. ABl. L 204 vom 05.08.2005, S. 24 - im Folgenden: RL 2004/83/EG) befugt. Notwendig sei eine doppelte Prognose: Zunächst zum konkret im Einzelfall tatsächlich nach Rückkehr zu erwartenden Verhalten und sodann zu den gerade hieran anknüpfenden Reaktionen seitens der in Betracht zu ziehenden Verfolgungsakteure. Der EuGH habe eine Prüfung und Feststellung im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen gefordert, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr laufe, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Eine begründete Furcht liege vor, sobald im Hinblick auf die persönlichen Umstände vernünftigerweise anzunehmen sei, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland Betätigungen vornehmen werde, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzten. Sei nach der Einzelfallprüfung davon auszugehen, dass sich der Kläger nach Rückkehr lediglich in zurückgenommener Weise verhalten werde, und zeige sich nach der Quellenlage nicht, dass ein beachtliches Gefährdungsrisiko in Anknüpfung an dieses Verhalten bestehe, sei die Situation nicht anspruchsbegründend. Soweit die Verhaltensanpassung auf subjektive Befürchtungen für den Fall eines darüber hinausgehenden Handelns zurückzuführen sei, stelle dies zwar eine Beeinträchtigung des Einzelnen dar. Die Beeinträchtigung müsse jedoch eine Intensität im Sinne von Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG erreichen. Dies sei dann nicht erkennbar. Die Verhaltenseinschränkung erreiche nicht die Schwere einer Verletzung nach Art. 3 EMRK, weil die Verhaltensveränderung nicht erzwungen sei, sondern darauf zurückgehe, dass der Kläger - unabhängig von den ihn leitenden Motiven - es von sich aus für geboten halte, sein Verhalten entsprechend einzuschränken.

Zu prüfen sei daher, wie sich der Kläger vor dem Verlassen seines Heimatlandes verhalten habe, wie er sich seither hier verhalte und ob sich dies bei der Gesamtbetrachtung als Konsequenz einer bestehenden Persönlichkeitsprägung zeige. Dabei könne es nicht allein auf die subjektive Sicht des Schutzsuchenden ankommen. Vielmehr sei auch nach der Rechtsprechung des EuGH zu prüfen, wie sich der Betreffende vernünftigerweise verhalten werde. Bislang sei nicht feststellbar, dass der Kläger in Kamerun kein den dortigen Verhältnissen angepasstes Leben führen werde, sondern darüber hinaus gehe. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger sich bei einer Rückkehr an der gesellschaftlichen Wirklichkeit in seinem Heimatland orientieren werde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 14.06.2012 - A 6 K 737/12 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist der Kläger auf seine bisherigen Angaben. Er sei in seinem Heimatland misshandelt und in Haft genommen worden.

Mit Beschluss vom 31.10.2012 hat der Senat dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt. Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung des Senats persönlich angehört worden. Insoweit wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 07.03.2013 verwiesen.

Der Senat hat die Erkenntnismittel, die in der den Beteiligten am 04.02.2012 übermittelten Liste sowie in dem Schreiben des Senats vom 15.02.2013 (AS 307) genannt sind, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Des Weiteren sind die „Briefing Note“ des Bundesamtes vom 18.02.2013 „Kamerun - Todesdrohungen gegen Menschenrechtsanwälte“ und die Länderinformation von der Homepage des Auswärtigen Amtes „Kamerun, Stand Oktober 2012“ in die mündliche Verhandlung eingeführt worden. Zudem hat der Senat beim Auswärtigen Amt, bei Amnesty International und bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe Auskünfte eingeholt. Sie sind den Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht worden.

Dem Senat liegt die den Kläger betreffende Akte des Bundesamts vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf diese Akte, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie die in das Verfahren eingeführten Auskünfte verwiesen.

Gründe

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung (vgl. § 124a Abs. 6 VwGO) der Beklagten ist nicht begründet.

I.

Der Kläger hat auch zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Republik Kamerun vorliegen, und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 6 AufenthG und § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - vom 28.07.1951 (BGBl. 1953 II S. 559), wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 RL 2004/83/EG ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Die RL 2004/83/EG ist vorliegend auch noch maßgeblich, weil nach Art. 40 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 - Neufassung der RL 2004/83/EG) diese Richtlinie erst mit Wirkung vom 21.12.2013 aufgehoben wird.

Nach Art. 2 Buchst. c RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung entsprechen den Voraussetzungen, die von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für das Vorliegen einer „Verfolgungsgefahr“ verlangt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.03.2012 - 10 C 7/11 -, Juris Rn. 12). Sie liegen vor, wenn dem Schutzsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Schutzsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118/90 -, BVerwGE 89, 162).

Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG). Unter einer eine Vorverfolgung begründenden unmittelbar drohenden Verfolgung ist eine bei der Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung zu verstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45/92 -, DVBl. 1994, 524).

Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237/80 -, Juris Rn. 13). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9/96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308/81 -, BVerwGE 65, 250). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O., 99).

Diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung wird in Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG modifiziert. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5/09 -, BVerwGE 136, 377, und vom 01.06.2011 - 10 C 25/10 -, InfAuslR 2011, 408; vgl. auch EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 Buchst. c und e RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“, zu diesem Begriff: EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteile vom 01.03.2012, a.a.O, Rn. 12, und vom 18.04.1996 - 9 C 77/95 -, Juris Rn. 6; Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33/07 -, ZAR 2008, 192). Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten beziehungsweise Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung beziehungsweise einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 02.03.2010, a.a.O.). Dadurch wird der Vorverfolgte beziehungsweise Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden beziehungsweise schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010, a.a.O.). Demjenigen, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, kommt die Beweiserleichterung unabhängig davon zugute, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können; der Verweis auf eine inländische Fluchtalternative vor der Ausreise ist nicht mehr zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52/07 -, BVerwGE 133, 55).

Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010, a.a.O.). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011 - 10 B 32/11 -, Juris Rn. 7).

Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Buchst. a) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchst. a beschriebenen Weise betroffen ist (Buchst. b). Beim Flüchtlingsschutz bedeutet allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011, a.a.O., Rn. 7). Art. 9 Abs. 3 RL 2004/83/EG bestimmt, dass eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL 2004/83/EG genannten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen muss.

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15/05 -, BVerwGE 126, 243; Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24/06 -, Juris Rn. 7). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158/94 -, BVerwGE 96, 200) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006, a.a.O.). Das Konzept der Gruppenverfolgung steht mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Richtlinie 2004/83/EG in Einklang (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11/08 -, NVwZ 2009, 1237; vgl. zur Gruppenverfolgung zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 -, Juris; Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, Juris Rn. 27 ff.).

Die Bundesrepublik Deutschland hat in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG von der den Mitgliedstaaten in Art. 8 RL 2004/83/EG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, internen Schutz im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG verlangt von den Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Gemäß Absatz 3 kann Absatz 1 auch angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 20/08 -, Juris Rn. 14; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.02.2012 - A 3 S 1876/09 -, Juris Rn. 27 ff.).

2. Bei Anwendung dieser Vorgaben hat der Kläger Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG, weil er die Voraussetzungen hierfür erfüllt.

a) Der Senat ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass der Kläger homosexuell ist und deshalb zu einer „sozialen Gruppe“ im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und Art. 2 Buchst. c sowie Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG gehört.

aa) Homosexuelle bilden in Kamerun eine „soziale Gruppe“ im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und Art. 2 Buchst. c sowie Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG.

(1) Eine Gruppe gilt insbesondere als eine soziale Gruppe in diesem Sinne, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und wenn die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet. Als sexuelle Ausrichtung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten.

(a) Nach der vor Inkrafttreten der RL 2004/83/EG ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht stellte nur die irreversible Homosexualität ein Persönlichkeitsmerkmal dar, an das Verfolgungsmaßnahmen ebenso wenig geknüpft werden durften wie beispielsweise an die in Art. 1 A Nr. 2 GK genannten Merkmale der Rasse, Nationalität, Religion oder politischen Überzeugung. In diesem Sinne asylrelevant war allerdings nicht bereits die bloße, auf gleichgeschlechtliche Betätigung gerichtete Neigung, der nachzugeben mehr oder weniger im Belieben des Betreffenden steht, sondern nur die unumkehrbare Festlegung auf homosexuelle Triebbefriedigung. Nur eine homosexuelle Veranlagung, bei welcher der Betreffende außerstande ist, eine gleichgeschlechtliche Betätigung zu unterlassen, war den schicksalhaft zufallenden persönlichen Eigenschaften wie Rasse oder Nationalität vergleichbar. Hingegen war es nicht - auch - Merkmal der Irreversibilität der homosexuellen Veranlagung, dass der Umgang mit Sexualpartnern des gleichen Geschlechts die einzige Form ist, in der die betreffende Person sich sexuell zu betätigen vermag. Auch eine neben einer heterosexuellen Orientierung vorhandene homosexuelle Triebrichtung, welcher der Betreffende aus eigener Kraft auf Dauer und immer erneut nicht zu widerstehen bzw. auszuweichen vermag und die deshalb immer wieder zur Vornahme homosexueller Handlungen führt, war irreversibel. Auch für eine gleichgeschlechtliche Veranlagung dieser Art trafen die Gründe zu, welche die irreversible Homosexualität zu einem asylrelevanten Persönlichkeitsmerkmal machten (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.03.1988 - 9 C 278/86 -,BVerwGE 79, 143, und vom 17.10.1989 - 9 C 25/78 -, NVwZ-RR 1990, 375; Beschluss vom 15.09.2005 - 1 B 12/05 -, Juris).

Die EU-Kommission hat in der Begründung ihres Vorschlags für die RL 2004/83/EG die sexuelle Ausrichtung dagegen nicht zu den angeborenen oder unveränderlichen, sondern zu identitätsprägenden Merkmalen gezählt, deren Verzicht nicht verlangt werden soll. Zugleich hat sie ausgeführt, dass der Verweis auf das Geschlecht oder die sexuelle Ausrichtung nicht implizierten, dass Frauen und Homosexuelle diesen Verfolgungsgrund in jedem Fall geltend machen könnten. Ob er Anwendung finden könne, hänge von den jeweiligen Umständen und der Situation im Herkunftsland sowie den Merkmalen der Verfolgung und des Verfolgten ab (KOM <2001> 510 endg., S. 24).

Auch nach der nach Inkrafttreten der RL 2004/83/EG herrschenden Meinung werden die sexuelle Ausrichtung und mithin auch die Homosexualität zu den Merkmalen gerechnet, die für die Identität so bedeutsam sind, dass die Betreffenden nicht gezwungen werden sollten, auf sie zu verzichten (vgl. UNHCR, Guidelines on International Protection No. 9, 23.10.2012, Rn. 44 ff., siehe zur Bedeutung der UNHCR Guidelines: Art. 35 Abs. 1 GFK und BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, Juris Rn. 38; ferner: Hruschka/Löhr, NVwZ 2009, 205, 210; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 25 Rn. 2; Titze, ZAR 2012, 93, 95; Markard, Asylmagazin 2013, S. 74, 80; Göbel-Zimmermann/Masuch, in: Huber <Hrsg.> AufenthG, 2010, § 60 Rn. 83; auch: VG Oldenburg, Urteil vom 13.11.2007 - 1 A 1824/07 -, Juris Rn. 25; VG Frankfurt <Oder>, Urteil vom 11.11.2010 - VG 4 K 772/10.A -; VG Hamburg, Urteil vom 17.02.2011 - 4 A 265/10 -; VG Regensburg, Urteil vom 07.10.2011 - RN 5 K 11.30261 -; VG Stuttgart, Urteil vom 15.08.2012 - A 8 K 344/11 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 26.09.2012 - 23 K 3686/10.A -, Juris Rn. 51 ff.). Darauf, ob der Betroffene auf Homosexualität „unentrinnbar schicksalhaft festgelegt“ ist und er insoweit „irreversibel geprägt“ ist, kommt es nach der herrschenden Meinung nicht mehr an.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hatte Zweifel, ob Homosexualität als sexuelle Ausrichtung im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 RL 2004/83/EG anzusehen ist und ein hinreichender Verfolgungsgrund sein kann oder ob es einer ergänzenden Präzisierung bedarf, und hat diese Frage dem EuGH vorgelegt (vgl. Beschluss vom 23.11.2010 - 13 A 1013/09.A -, Juris Rn. 40 ff.). Die Vorlage hat sich später erledigt, nachdem der EuGH den Namen des Klägers auf seiner Website öffentlich gemacht und das Bundesamt daraufhin dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.02.2011 - 13 A 1013/09.A -, Juris). Derzeit sind beim EuGH mehrere, miteinander verbundene Vorabentscheidungsersuchen des niederländischen Raad von State vom 27.04.2012 anhängig (Rs. C-199/12, C-200/12 und C-201/12).

(b) Eine solche Vorlage nach Art. 267 AEUV hält der Senat nicht für erforderlich, weil er keine Zweifel hinsichtlich der Auslegung der RL 2004/83/EG hat. Entscheidend für die Einordnung von Homosexualität und des Merkmals der „sexuellen Ausrichtung“ als identitätsprägendes Merkmal im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG ist, dass der EGMR Fragen der sexuellen Selbstbestimmung und des Geschlechtslebens unter den von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Begriff des „Privatlebens“ subsumiert (vgl. EGMR, Urteil vom 27.09.1999 - 33985/96 u.a. - „Smith u. Grady“ -, NJW 2000, 2089 f.; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 8 Rn. 19 ff.). Sie fallen daher auch in den Schutzbereich von Art. 7 der Charta der Grundrechte der EU, die nach ihrem Art. 51 Abs. 1 Satz 1 bei der Auslegung und der Durchführung der RL 2004/83/EG zu beachten ist (vgl. Jarass, Charta der EU-Grundrechte, 2010, Art. 7 Rn. 8). Daher ist nicht eine unentrinnbare Neigung maßgebend, sondern die frei gewählte sexuelle Bestimmung (vgl. Marx, a.a.O., § 25 Rn. 4 ff.; Titze, a.a.O., S. 95). Die oben dargestellte einschränkende Bezugnahme der Kommission in der Begründung des Richtlinienentwurfs auf die Umstände des Herkunftslandes hat ihre Grundlage in der in Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Satz 1 Spiegelstrich 2 RL 2004/83/EG genannten Voraussetzung, die selbständig zu prüfen ist.

(2) Diese in Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Satz 1 Spiegelstrich 2 RL 2004/83/EG genannte Voraussetzung für das Vorliegen einer „sozialen Gruppe“ ist hinsichtlich Kamerun gegeben. In Kamerun ist davon auszugehen, dass Homosexuelle eine deutlich abgegrenzte Identität besitzen, weil sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden. Es ergibt sich aus allen vorliegenden Quellen unzweifelhaft, dass Homosexualität in Kamerun nicht für „normal“ gehalten wird.

(3) Auch öffentlich bemerkbare homosexuelle Verhaltensweisen sind nicht grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG ausgenommen.

(a) Darauf könnte zwar hindeuten, dass von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Satz 1 Spiegelstrich 1 RL 2004/83/EG nur solche identitätsprägenden Merkmale geschützt sind, die so bedeutsam sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zudem findet sich - anders als in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/83/EG mit Blick auf den Begriff „Religion“ - nicht der Hinweis, dass neben dem privaten Bereich auch die Praxis im öffentlichen Bereich geschützt sei. Daraus wird teilweise abgeleitet, dass das Ausleben der sexuellen Ausrichtung nur hinsichtlich des Lebens im Verborgenen bzw. im privaten Bereich geschützt sei. Dem Betreffenden sei es daher zumutbar, seine Veranlagung nur im nichtöffentlichen Bereich seines Heimatlandes auszuleben (vgl. VG Hamburg, Urteil vom 17.02.2011 - 4 A 265/10 -; vgl. zu entsprechenden Zweifeln: OVG NRW, Beschluss vom 23.11.2010, a.a.O.; auch: BVerwG, Beschluss vom 09.12.2010 - 10 C 19/09 -, Juris Rn. 34 und 52). So hatte das Bundesverwaltungsgericht noch im Jahr 1988 entschieden, dass der strafrechtliche Zwang, sich entsprechend den im Herkunftsland geltenden herrschenden sittlichen Anschauungen zu verhalten und hierdurch nicht im Einklang stehende Verhaltensweisen zu unterlassen, für denjenigen, der sich ihm beugt, keine politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. darstelle. Das Asylrecht habe nicht die Aufgabe, möglicherweise gewandelte moralische Anschauungen in der Bundesrepublik über homosexuelles Verhalten in anderen Staaten durchzusetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.03.1988, a.a.O., 149 f.).

(b) Ausgehend von der jüngsten Rechtsprechung des EuGH ist dieser Auslegung von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG jedoch nicht zu folgen.

Zwar gibt es auch Grenzen für den Schutzbereich des Merkmals „sexuelle Ausrichtung“. Dies folgt schon daraus, dass nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Satz 3 RL 2004/83/EG darunter keine Handlungen fallen, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten. Diese Einschränkung gilt freilich nur insoweit, als die betreffenden nationalen Regelungen vor Art. 8 EMRK und Art. 7 der Charta der Grundrechte der EU Bestand haben. Die einvernehmliche Betätigung unter Erwachsenen im Privatbereich ist danach grundsätzlich geschützt und darf strafrechtlich nicht geahndet werden (vgl. EGMR, Urteil vom 22.10.1981 „Dudgeon“ -, NJW 1984, 541). Gemäß Art. 8 EMRK und Art. 7 der Charta der Grundrechte der EU kann allerdings die Ausübung sexueller Praktiken in der Öffentlichkeit - und zwar homo- und heterosexueller Art gleichermaßen (vgl. Art. 14 EMRK und Art. 21 Abs. 1 Charta der Grundrechte der EU) - weiterhin wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses (vgl. etwa § 183a StGB) untersagt werden (vgl. Marx, a.a.O., Rn. 30).

Für den Verfolgungsgrund der Religion hat der EuGH am 05.09.2012 entschieden, dass bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten können, auf einen bestimmten Aspekt der Ausübung der Religionsfreiheit - etwa die öffentliche Ausübung - zu verzichten (vgl. EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 05.09.2012 - Verb. Rs. C-71/11 und C-99/11 „Y. und Z. ./. Deutschland“ -, Rn. 73 ff.). Die Unterscheidung, ob der Eingriff in einen Kernbereich („forum internum“) oder in die religiöse Betätigung in der Öffentlichkeit („forum externum“) erfolgt, wurde vom EuGH für nicht vereinbar mit Art. 10 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/83/EG befunden (vgl. Urteil vom 05.09.2010, a.a.O., Rn. 63 ff.). Bei der Prüfung der Verfolgungshandlung darf nicht darauf abgestellt werden, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird. Maßgeblich ist allein die Art und Schwere der Repression. Bei der Prüfung einer Gefahr muss die Behörde objektive und subjektive Gesichtspunkte berücksichtigen. Der subjektive Umstand, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis in der Öffentlichkeit, die Gegenstand der beanstandeten Einschränkung ist, zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, ist ein relevanter Gesichtspunkt für die Größe der Gefahr, der der Antragsteller in seinem Herkunftsland wegen seiner Religion ausgesetzt wäre. Der EuGH hat weiter hervorgehoben, dass sich die Frage, ob eine Verfolgung durch Verzicht auf eine bestimmte Handlung vermieden werden kann, dann nicht stellt, wenn der Betroffene bereits verfolgt war oder unmittelbar mit Verfolgung bedroht worden ist (vgl. Urteil vom 05.09.2010, a.a.O., Rn. 74).

Diesem Urteil ist das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 20.02.2013 gefolgt (10 C 20/12 u.a.). In der diesbezüglichen Pressemitteilung vom 20.02.2013 (die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor) heißt es: Ein Ausländer ist als Flüchtling anzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen der öffentlichen oder privaten Ausübung seiner Religion verfolgt wird. Auch ein durch strafrechtliche Sanktionen erzwungener Verzicht auf die Ausübung der Religion in der Öffentlichkeit kann zur Flüchtlingsanerkennung führen. Dann aber muss die Ausübung gerade dieser religiösen Praxis für den Betroffenen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sein. Zwar ist nicht jeder Eingriff in die Religionsfreiheit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung. Doch können schwere Eingriffe auch in die öffentliche Religionsausübung zur Flüchtlingsanerkennung führen. Die öffentliche Glaubensbetätigung muss dann für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Andernfalls bliebe der Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten.

Vor diesem Hintergrund können nach Auffassung des Senats auch im Rahmen von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG - abgesehen von den auch in den Mitgliedstaaten der EU strafbaren Handlungen (vgl. Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Satz 3 RL 2004/83/EG) - nicht bestimmte Verhaltensweisen von vornherein für verzichtbar angesehen werden (vgl. Titze, a.a.O.; Markard, a.a.O., 76 ff.; UNHCR, a.a.O., Rn. 30 ff.). Der Wortlaut der Richtlinie differenziert nicht zwischen heimlichen und nicht verheimlichten Verhaltensweisen. Maßgebend ist allein das identitätsprägende Merkmal als solches. Die betreffende Verhaltensweise muss für die Identität des Betroffenen bedeutend und besonders wichtig sein. Bei einer anderen Auslegung würden die Ziele, die mit der RL 2004/83/EG sowie der Genfer Flüchtlingskonvention erreicht werden sollen, von vornherein in Frage gestellt. Eine Verfolgung bleibt nämlich auch dann eine Verfolgung, wenn der Betroffene nach Rückkehr in sein Herkunftsland die Möglichkeit hat, sich bei der Ausübung seiner Rechte und Freiheiten diskret zu verhalten, indem er seine Sexualität und seine politischen Ansichten sowie seine Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft verheimlicht oder davon Abstand nimmt, nach seiner sexuellen Ausrichtung zu leben (vgl. Schlussantrag von Generalanwalt Bot vom 19.04.2012 - Verb. Rs. C-71/11 und C-99/11 -, Rs. C-71/11 und Rn. 103 ff.).

(c) Zu prüfen ist daher, wie sich der Schutzsuchende bei seiner Rückkehr im Hinblick auf seine sexuelle Ausrichtung verhalten wird und wie wichtig diese Verhaltensweise für seine Identität ist. Bei der auf einer Gesamtwürdigung der Person des Schutzsuchenden beruhenden Prognose des Verhaltens in seinem Herkunftsland ist nicht beachtlich, ob er mit Rücksicht auf drohende Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 RL 2004/83/EG - etwa einer zu erwartenden Strafverfolgung - auf das behauptete Verhalten verzichten würde. Denn hierbei handelt es sich um ein Vermeidungsverhalten, das vom Schutzsuchenden angesichts der Ziele der RL 2004/83/EG nicht verlangt werden kann, weil es kausal im Sinne von Art. 9 Abs. 3 RL 2004/83/EG auf einer drohenden Verfolgung beruht. Daher darf - entgegen der Auffassung des Bundesamtes - erst recht nicht angenommen werden, dass ein Schutzsuchender nur dann tatsächlich von einer Verfolgung bedroht ist, wenn er sich trotz der drohenden Verfolgungshandlung in dieser Weise verhalten würde und praktisch bereit wäre, für seine sexuelle Orientierung Verfolgung auf sich zu nehmen. Würde er jedoch aus nicht unter Art. 9 RL 2004/83/EG fallenden Gründen - etwa aus persönlichen Gründen oder aufgrund familiären oder sozialen Drucks oder Rücksichtnahmen - ein bestimmtes Verhalten im Herkunftsland nicht ausüben, ist ein solcher Verhaltensverzicht bei der Beurteilung, ob der schutzsuchende Flüchtling im Sinne von Art. 2 Buchst. c RL 2004/83/EG ist, zu berücksichtigen (so auch für das Vereinigte Königreich: Supreme Court, Judgement vom 07.07.2010 <2010> UKSC 31, Lord Hope, Rn. 22 und Lord Rodger, Rn. 82; ebenso: Markard, a.a.O., 789; krit.: Titze, a.a.O., 98 f., und Weßels, International Journal of Refugee Law, Vol. 24 (2013), Nr. 4, S. 815; siehe zu möglichen Prüfkriterien bei der Gesamtwürdigung: UNHCR, a.a.O., Rn. 49 und 63). Dabei darf die gesellschaftliche Wirklichkeit, in der sexuelles Verhalten tendenziell im Privaten stattfindet, nicht ausgeblendet werden. Denn das Ziel des europäischen Asylsystems und der Genfer Flüchtlingskonvention besteht nicht darin, einem Einzelnen immer dann Schutz zu gewähren, wenn er in seinem Herkunftsland die in der Charta der Grundrechte der EU oder in der EMRK eingeräumten Rechte nicht in vollem Umfang tatsächlich ausüben kann, sondern darin, die Anerkennung als Flüchtling auf Personen zu beschränken, die der Gefahr einer schwerwiegenden oder systematischen Verletzung ihrer wichtigsten Rechte ausgesetzt sind und deren Leben in ihrem Herkunftsland unerträglich geworden ist (so EuGH, Urteil vom 05.09.2012, a.a.O., Rn. 58 ff.; Generalanwalt Bot, Schlussantrag vom 19.04.2012, a.a.O., Rn. 28).

bb) In Anwendung dieser Maßstäbe ergibt sich die Homosexualität des Klägers und damit seine Zugehörigkeit zu einer „sozialen Gruppe“ im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG aus Folgendem:

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger - zumindest auch - homosexuell ist (vgl. auch die vom UNHCR, a.a.O., Rn. 49 und 63, für bedeutsam gehaltenen Prüfelemente). Das Vorbringen des Klägers zu seinen persönlichen Verhältnissen sowie zu seinem Sexualverhalten machte auf den Senat den Eindruck, dass er von selbst Erlebtem berichtet. Der Kläger hat angegeben, seit dem Jahr 2000 - also im Alter von 23 Jahren - gemerkt zu haben, dass er „sich mit Männern besser fühle“. Davor sei er zwar auch mit Frauen ausgegangen und habe etwas mit Frauen gehabt. Der Wechsel sei jedoch ein natürlicher Vorgang gewesen. Vor dem Verwaltungsgericht hatte der Kläger dazu angegeben, dies sei keine allmähliche Entwicklung gewesen. Sowohl vor dem Verwaltungsgericht als auch vor dem Senat hat der Kläger angegeben, M...-... sei seine erste homosexuelle Beziehung gewesen, sie habe seit dem Jahr 2000 bis zur Ausreise im Jahr 2011 angedauert. Vor seiner Verhaftung am 11.02.2011 habe er ihn nicht zum ersten Mal öffentlich geküsst. Dies sei ein Reflex, den man nicht kontrollieren könne. Allerdings habe man nicht zusammengelebt. Nach seiner Flucht habe er M... von der Elfenbeinküste aus eine E-Mail geschrieben, jedoch keine Antwort erhalten. Er habe seit dem Vorfall keinen Kontakt mehr mit ihm. Vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger angegeben, er habe mit M... keinen Kontakt mehr, weil er keine Handynummer von ihm besitze. Diese Angabe ist plausibel, weil der Kläger in seiner Anhörung in anderem Zusammenhang angegeben hat, die Polizei habe ihm sein Portemonnaie sowie sein Handy weggenommen. In Deutschland hatte der Kläger nach eigenen Angaben nur eine kurze Beziehung zu einer Person außerhalb Baden-Württembergs. Allerdings ist auch hier angesichts des ländlichen Wohnorts des Klägers und seiner Sprachschwierigkeiten nachvollziehbar, dass er es trotz der Freiheit in Deutschland schwer hat, eine neue homosexuelle Beziehung zu finden. Für den Senat glaubhaft hat der Kläger weiter angegeben, in Kamerun hätten seine Arbeitskollegen nichts von seiner Homosexualität gewusst, nur einige Freunde. Seine Familie in Douala habe zunächst nur vermutetet, dass er homosexuell sei. Nach seiner Festnahme am 11.02.2011 hätten sie es jedoch erfahren. Gleichwohl hätten sie ihn nicht verstoßen. Er sei weiterhin in der Nachfolge seines Vaters der „Chef“ der Familie bzw. des Clans. Die Blutsbande seien insoweit stärker. Probleme mit der Polizei habe er bis zum Vorfall vom 11.02.2011 nicht gehabt.

Der Senat geht vor diesem Hintergrund weiter davon aus, dass sich der Kläger bei einer Rückkehr nach Kamerun wie bisher verhalten wird und dass dies für seine Identität besonders wichtig ist.

b) Von diesen persönlichen Verhältnissen und einem daraus abzuleitenden wahrscheinlichen Verhalten des Klägers ausgehend droht ihm von staatlicher Seite derzeit Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a sowie Art. 6 Buchst. a und Art. 9 RL 2004/83/EG, insbesondere in Form einer unverhältnismäßigen und diskriminierenden Strafverfolgung (Art. 9 Abs. 2 Buchst. c RL 2004/83/EG).

aa) Auf der Grundlage des festgestellten homosexuellen Verhaltens bzw. des Verfolgungsgrunds im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/843/EG ist im Rahmen der Verfolgungsprognose zu prüfen, ob dem Schutzsuchenden deswegen die beachtliche Gefahr einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 RL 2004/83/EG droht. Dabei ist es unerlässlich, den Begriff der Verfolgungshandlung von allen anderen Arten diskriminierender Maßnahmen abzugrenzen. Es ist somit zu unterscheiden zwischen dem Fall, dass eine Person bei der Ausübung eines ihrer Grundrechte einer Beschränkung oder einer Diskriminierung ausgesetzt ist und aus persönlichen Gründen oder zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen oder ihres sozialen Status auswandert, und dem Fall, dass die Person einer so schwerwiegenden Beschränkung unterliegt, dass sie Gefahr läuft, dadurch ihrer wichtigsten Rechte beraubt zu werden, ohne den Schutz ihres Herkunftslands erlangen zu können (so Generalanwalt Bot, Schlussantrag vom 19.04.2012, a.a.O., Rn. 29). Handlungen, die gesetzlich vorgesehene Einschränkungen des Rechts auf Privatleben im Sinne von Art. 7 der Charta der Grundrechte der EU und Art. 8 EMRK darstellten, ohne deswegen dieses Recht zu verletzten, sind von vornherein ausgeschlossen, weil sie durch Art. 52 Abs. 1 der Charta gedeckt sind. Zudem können Handlungen, die zwar gegen Art. 7 der Charta der Grundrechte der EU und Art. 8 EMRK verstoßen, aber nicht so gravierend sind, dass sie einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf, nicht als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und Art. 1 A GFK gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 05.09.2012, a.a.O., Rn. 60 f.).

Bei der Verfolgungsprognose kann allerdings eine scharfe Trennung zwischen einem in die Öffentlichkeit gerichteten bzw. öffentlich bemerkbaren Verhalten, das geeignet ist, Verfolgungshandlungen (wie etwa Strafverfolgung) hervorzurufen, und einem diskreten Leben in der Praxis nicht leicht gezogen werden (vgl. auch Weßels, a.a.O.). Denn kein Mensch lebt völlig frei von gesellschaftlichen Beziehungen. Damit steht jeder mit seinem Verhalten mehr oder minder in der Öffentlichkeit. Auch kann die homosexuelle Veranlagung die Persönlichkeit eines Menschen so sehr prägen, dass sie sich nur begrenzt verheimlichen lässt. Daher bedarf es in jedem Einzelfall, in dem ein Schutzsuchender geltend macht, er werde wegen seiner sexuellen Ausrichtung verfolgt, einer Gesamtwürdigung seiner Person und seines gesellschaftlichen Lebens und darauf aufbauend einer individuellen Gefahrenprognose. Je mehr ein Schutzsuchender dabei mit seiner sexuellen Ausrichtung in die Öffentlichkeit tritt und je wichtiger dieses Verhalten für seine Identität ist, desto mehr erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass der Betreffende verfolgt werden wird. Bei der Würdigung sind das bisherige Leben des Schutzsuchenden in seinem Heimatland, sein Leben hier in Deutschland sowie sein zu erwartendes Leben bei einer Rückkehr in den Blick zu nehmen.

bb) Dem Kläger droht eine solche Verfolgung allerdings nicht - wie das Verwaltungsgericht der Sache nach angenommen hat - schon allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Gruppe der Homosexuellen in Kamerun.

(1) Denn nach derzeitiger Erkenntnislage unterliegen Homosexuelle in Kamerun wegen des Fehlens der hierfür erforderlichen Verfolgungsdichte keiner Gruppenverfolgung. Der Begriff der Zugehörigkeit zu einer „sozialen Gruppe“ im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG ist von der „Gruppe“ im Sinne des Konzepts der Gruppenverfolgung zu unterscheiden. Eine soziale Gruppe kann unabhängig davon vorliegen, ob alle Mitglieder verfolgt werden. Von der Verfolgungsdichte für alle Gruppenmitglieder würde jedoch die widerlegliche Verfolgungsvermutung für den einzelnen Schutzsuchenden abgeleitet (vgl. Göbel-Zimmermann/Masuch, a.a.O., Rn. 82).

(a) In den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln wird zur Gefahr einer Strafverfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. c RL 2004/83/EG durch den Staat Kamerun wegen Homosexualität Folgendes ausführt:

Art. 347bis Code Pénal sieht bei gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis 5 Jahren und eine Geldstrafe zwischen 20.000 und 200.000 CFA-Francs BEAC (etwa 30 bis 300 EUR) vor (vgl. die Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Senat vom 06.12.2012; Auskunft von Amnesty International - AI - an den Senat vom 13.12.2012; Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe - SFH - an den Senat vom 07.11.2012, S. 1). Die Regierung hat wohl angekündigt, das Strafgesetzbuch dahingehend zu verschärfen, dass gegen Personen wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen ein Strafmaß von bis zu 15 Jahren Gefängnis und eine Geldstrafe in Höhe von bis zu zwei Millionen CFA-Francs BEAC (ca. 3.050 EUR) verhängt werden kann. Allerdings hat sie das Vorhaben bisher nicht umgesetzt. Es haben nach der Ankündigung des ehemaligen Justizministers im Jahr 2011 keine weiteren Debatten dazu stattgefunden (SFH, Auskunft vom 07.11.2012, S. 1 f.; AI, Auskunft vom 06.12.2012).

Soweit homosexuelle Personen diskret leben, wird dies nach Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Senat vom 06.12.2012 von der Gesellschaft zumeist - zumindest in den urbanen Gebieten (Yaoundé, Douala, Bamenda) - toleriert und von den Strafverfolgungsbehörden erst verfolgt, wenn eine Anzeige erstattet wird. Wer Homosexualität dagegen öffentlich lebt, läuft dringende Gefahr, dafür seitens der Strafverfolgungsbehörden bestraft zu werden zu werden. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Mai 2011 wird Homosexualität in Einzelfällen verfolgt. Verurteilungen stehen oft in Verbindung mit anderen Straftaten wie etwa Bestechung oder - aus dem Bereich der „Offenses Sexuelles“ - die Verletzung des Schamgefühls Dritter im privaten Bereich, was den Tatbestand der Nötigung miteinschließt („Outrage privé à la pudeur“, Art. 295). Aufgrund der Rechtslage sind Homosexuelle gezwungen, ihre Beziehungen zu verbergen. Festnahmen und Verurteilungen aufgrund homosexueller Handlungen sind zwar selten, kommen jedoch vor. Zumeist führen Denunziation oder üble Nachrede zu diesen Festnahmen. Am 26.03.2010 wurden in der Lobby eines großen Hotels in Duala ein australischer Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation, die für Rechte von Homosexuellen eintritt, sowie zwei Kameruner von Polizisten in Zivil festgenommen. Der Vorwurf, gegen Art. 347bis des kamerunischen Strafgesetzbuchs verstoßen zu haben, ließ sich nach Augenzeugenberichten nicht nachvollziehen. Nichtsdestotrotz wurden die drei Männer in Haft genommen und erst drei Tage später aufgrund der Intervention der Menschenrechtsanwältin Alice Nkom wieder freigelassen. Es ist in Kamerun nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.12.2012 weiter nicht unüblich, unzutreffenden Vorwürfen ausgesetzt zu werden. Dies ist ein beliebtes Mittel, eine Person zu diffamieren und zu schwächen. Dabei wird häufig der Vorwurf der Korruption verwendet; aber auch der Homosexualität. Eine statistische Aussage über die Häufigkeit kann naturgemäß nicht getroffen werden. Sie hält sich jedoch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes im Bereich von weniger als zehn Fällen landesweit pro Jahr.

Zur Praxis der Strafverfolgung hat Amnesty International am 13.12.2012 Folgendes mitgeteilt:

„Seit 2005 werden in Kamerun Personen aufgrund ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen sexuellen Orientierung zunehmend Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Inhaftierungen und anderen Formen von Menschenrechtsverletzungen. Die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker äußerte im Mai 2005 ihre große Sorge über die wachsende Intoleranz gegenüber sexuellen Minderheiten in Kamerun.

Auch bei bloßer, unbestätigter Homosexualität droht in Kamerun Strafverfolgung, wenn Menschen nach Ansicht ihrer Umwelt zum Beispiel Kleidung tragen oder Verhaltensweisen und Eigenschaften zeigen, die nicht ihrem Geschlecht entsprechen. Dabei ist es unerheblich, welche sexuelle Orientierung oder sexuelle Identität sie tatsächlich haben. Solche Menschen werden diskriminiert, sind gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt und werden häufig von Menschen ihrer Umgebung angezeigt und von der Polizei willkürlich festgenommen. Angehörige der Polizei werden bei jedem Hinweis auf Homosexualität aus der Bevölkerung tätig.

Da gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen nach dem Strafgesetzbuch von Kamerun eine Straftat darstellen, bleibt Homosexuellen in Kamerun nur die Möglichkeit, so zu leben, dass ihre sexuelle Orientierung oder Identität in der Öffentlichkeit nicht bekannt wird. Sie müssen in ständiger Angst vor Denunziation oder weiterer Verfolgung leben.

Es ist Homosexuellen in Kamerun de facto nicht möglich, ihre sexuelle Orientierung offen zu leben. Festnahme und gerichtliche Verfolgung sind ihnen gewiss. Ihnen drohen angesichts der sehr weitverbreiteten Homophobie in der Gesellschaft weitreichende Ausgrenzung sowie gewalttätige körperliche oder psychische Übergriffe seitens der staatlichen Behörden, der Bevölkerung, des Gefängnispersonals und der Sicherheitskräfte.

Laut Strafgesetzbuch sind lediglich gleichgeschlechtliche Handlungen verboten. In der Praxis wird das Gesetz jedoch wesentlich weiter ausgelegt. So werden die meisten Betroffenen allein aufgrund ihrer vermuteten sexuellen Orientierung verfolgt, angeklagt und verurteilt. In kaum einem Fall gibt es Zeugenaussagen über mutmaßliche gleichgeschlechtliche Handlungen.

Rechtsstaatliche Prinzipien werden bei den Verfahren nicht hinreichend beachtet. So erfolgt beispielsweise keine ordentliche Beweisaufnahme. Die Anklageerhebung erfolgt nicht entsprechend der Strafprozessordnung Kameruns: So befinden sich verdächtige Personen z.T. mehrere Monate oder Jahre ohne Anklageerhebung oder Anhörung in Untersuchungshaft. Verurteilte Inhaftierte werden mitunter auch nach Ende ihrer Haftstrafe weiterhin im Gefängnis festgehalten. Die Richter unterliegen politischer Einflussnahme und Korruption.

In einigen Fällen werden im Gewahrsam durch psychische oder körperliche Folter und andere Formen der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung Geständnisse erpresst. Hierfür sind z.B. Schläge auf die Fußsohlen im Polizeigewahrsam üblich. Immer wieder berichten homosexuelle Männer, dass sie unter Zwang einer medizinischen Analuntersuchung unterzogen werden, die Folter und anderen Formen von grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen kann und gegen die Achtung der Privatsphäre verstößt.“…

„Da der bloße Verdacht auf Homosexualität für eine Anklage reicht, macht es keinen Unterschied, ob Homosexualität diskret oder indiskret gelebt wird.“…

„Amnesty International verfügt über keine vollständige Liste von Personen, die Opfer von Strafverfolgungsmaßnahmen mit der Begründung ihrer mutmaßlichen sexuellen Orientierung wurden.“ … „Im Zeitraum März 2011 bis März 2012 wurden 17 Menschen festgenommen, weil sie homosexuelle Beziehungen gehabt haben sollen. Die Zahl ist steigend.“

Aus einer „Briefing Note“ des Bundesamtes vom 18.02.2013 ergibt sich, dass Human Rights Watch Präsident Biya aufgefordert hat, etwas gegen die andauernden Todesdrohungen gegen zwei Menschenrechtsanwälte, Alice Nkom und Michel Togué, zu unternehmen, die Personen vertreten, die wegen angeblicher Homosexualität angeklagt sind.

Aus einer weiteren „Briefing Note“ des Bundesamtes vom 14.01.2013 ergibt sich, dass in einem Revisionsverfahren am 07.01.2013 in der Hauptstadt Yaoundé zwei Männer vom Vorwurf der Homosexualität freigesprochen wurden. Sie waren im Juli 2011 festgenommen und im November 2011 wegen Homosexualität zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil war 2011 u.a. damit begründet worden, dass die beiden Frauenkleider getragen hätten. Wie Human Rights Watch im Oktober 2012 berichtete, verbüßten zu diesem Zeitpunkt mindestens vier Personen Haftstrafen wegen Homosexualität. 2011 seinen 14 Personen deswegen angeklagt und 12 davon verurteilt worden.

Aus einer „Briefing Note“ des Bundesamts vom 27.02.2012 ergibt sich, dass erstmals drei Frauen wegen der Vornahme von gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen angeklagt wurden.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hat in ihrer Auskunft an den Senat vom 07.11.2012 zur Strafverfolgungspraxis Folgendes ausgeführt:

„Missachtung der gesetzlichen Grundlagen. In der Praxis werden Personen willkürlich aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten homosexuellen Orientierung ohne Anklage in Untersuchungshaft genommen. 2011 wurden laut Angaben von Amnesty International und des US Department of State zehn bis dreizehn Personen wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen verhaftet. Eine Mehrheit dieser wurde nicht in flagrante delicto ertappt, wie es Art. 347bis des Strafgesetzbuchs vorschreibt, sondern lediglich aufgrund der Vermutung inhaftiert, dass sie homosexuelle Beziehungen unterhalten. Oftmals wurden die rechtlichen Vorgaben doppelt missachtet, einerseits Personen ohne ausreichende Beweislage in Bars oder ihren Häusern verhaftet, und zudem erfolgte dies ohne den benötigten Haftbefehl. Regelmäßig werden Männer festgenommen, weil sie Makeup oder feminine Kleidung tragen, die nicht den traditionellen kamerunischen Kleidern entsprechen, oder weil sie allgemein ein feminines Aussehen haben. Um eine homosexuelle Orientierung nachzuweisen, wird bei manchen Männern eine Analuntersuchung richterlich angeordnet, um Penetration vermeintlich nachweisen zu können. Sowohl Frauen als auch Männer werden in Untersuchungshaft auf verschiedenste Art und Weise, etwa durch Schläge auf die Fußsohlen, dazu gebracht, ihre Homosexualität zu gestehen.

Verurteilungen gemäß Art. 347bis. Im November 2011 wurden drei Männer wegen „homosexueller Handlungen“ für schuldig befunden und erhielten eine Gefängnisstrafe von je fünf Jahren. Drei weitere Männer und eine Frau, welchen vorgeworfen wurde, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu führen, waren im August 2011 verhaftet worden und warteten am Jahresende noch immer in Haft auf die Einleitung eines Gerichtsverfahrens. Amnesty International nennt weitere Personen, die wegen vermeintlichen homosexuellen Handlungen festgenommen und daraufhin vorläufig frei gelassen wurden. Zum Teil wurden diese Personen in die Falle gelockt von Spitzeln und Angehörigen der Sicherheitskräfte, die mit ihnen Kontakt aufnahmen und vortäuschten, homosexuell zu sein. Ein prominenter Fall ist der von Jean-Claude Mbede, der am 28. April 2011 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, nachdem er eine als verdächtig erachtete SMS an einen Bekannten geschickt hatte. Der Bekannte gab vor, sich mit Mbede verabreden zu wollen, zeigte die SMS aber der Polizei, welche Mbede daraufhin bei der vermeintlichen Verabredung auflauerte und festnahm. Im August und September 2011 gab sich ein Hochstapler auf von Homosexuellen rege benutzten sozialen Netzwerken als schwul aus, verabredete sich mit mindestens drei Männern und übergab sie dann umgehend der Polizei. Die verhafteten Männer wurde gezwungen, Schmiergelder zu bezahlen, welche sich der Betrüger und die Polizisten unter einander aufteilten.

Gefängnisbedingungen. Die Haftbedingungen in kamerunischen Gefängnissen werden von internationalen Menschenrechtsorganisationen als inhuman und sogar lebensbedrohlich beschrieben. Zellen sind chronisch überbelegt und verdreckt, Betten und sanitäre Anlagen sind ungenügend vorhanden, Gewalt von Seiten der Sicherheitskräfte und Folter sind weit verbreitet. Inhaftierte homosexuelle Personen werden in den Gefängnissen oft Opfer von Diskriminierung, Schlägen, verbaler und sexueller Gewalt durch andere Häftlinge oder Gefängniswärter. Jugendliche, die angeklagt sind, homosexuelle Handlungen begangen zu haben, erhalten in Hafteinrichtungen nicht den für Minderjährige verlangten Schutz. Einem jungen homosexuellen Mann, der 2005 inhaftiert und im Gefängnis vergewaltigt wurde, wurde zudem der Zugang zu kostenloser medizinischer Versorgung verwehrt. Er starb wenige Tage nach seiner Entlassung an den Folgen einer unbehandelten AIDS-Erkrankung.“

(b) Zu von Seiten nichtstaatlicher Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG drohenden Verfolgungshandlungen enthalten die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel folgende Aussagen:

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hat in ihrer Auskunft an den Senat vom 07.11.2012 ausgeführt:

„Zugehörige der LGBT-Gemeinschaft (erg.: Abkürzung für Lesbian, Gays, Bisexual, Transgender) werden in Kamerun regelmäßig zu Opfern von Belästigung und Erpressung, sowohl von Seiten der Zivilbevölkerung als auch Polizeibeamten und anderen Gesetzeshütern. In Folge dessen sind sie gezwungen, sich unauffällig zu verhalten und ihre sexuelle Identität zu verstecken, indem sie zumeist in heterosexuellen Beziehungen leben. Oftmals sind es Personen im unmittelbaren Umfeld der Opfer, wie zum Beispiel Nachbarn, Vermieter oder Bekannte, welche sie anzeigen und ihnen Homosexualität vorwerfen.

Seit einer homophoben Predigt des Erzbischofs von Yaoundé, Victor Tonyé Bakot, im Dezember 2005, hat sich die Situation für homosexuelle Menschen in Kamerun weiter verschlechter. Als Folgen von Tonyé Bakots Predigt starteten 2006 drei kamerunische Zeitungen eine Hetzkampagne und publizierten Listen mit Namen und Fotos von 'verdächtigen Homosexuellen', viele davon namhafte Politiker und Geschäftsführer. Die Bevölkerung wurde dazu aufgerufen, weitere Homosexuelle anzuzeigen. Am 1. Januar 2010 hat der Erzbischof von Yaoundé erneut in einer öffentlichen Rede homosexuelle Kameruner angeprangert, deren 'unmoralische' Aktivitäten 'gegen christliche Sitten verstoßen' und die deshalb in katholischen Kirchen nicht willkommen seien. Homosexualität wird im öffentlichen Diskurs als 'unafrikanisch' und allgemeines Grundübel der Gesellschaft bezeichnet. Die damit verbundenen Assoziationen sind mannigfaltig, sie reichen von sozialen Problemen wie Kriminalität, Arbeitslosigkeit und Drogenkonsum zu Infektionen und gesundheitlichen Beschwerden, Hämorrhoiden und Inkontinenz. Regelmäßig werden sowohl von Privatpersonen als auch Regierungsangehörigen Vorwürfe von vermuteter Homosexualität benutzt, um Rufmordkampagnen gegen politische Gegner durchzuführen oder Geld zu erpressen.“…

„Fehlender staatlicher Schutz vor Übergriffen. Kameruns Justizsystem ist politisch beeinflussbar, ineffizient und chronisch korrupt. Nur begrenzt wird gegen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte, der Polizei und der Gendarmerie vorgegangen, und auch bei Übergriffen seitens der Zivilbevölkerung existiert eine hohe Straflosigkeit. Justizbehörden sind außerdem nicht in der Lage, die Sicherheit von inhaftierten Personen in Gefängnissen zu gewährleisten. Laut Angaben einer Kontaktperson vor Ort bietet der kamerunische Staat Angehörigen von sexuellen Minderheiten keinerlei Schutz vor Übergriffen seitens der Zivilbevölkerung. Aus Angst, die Täter könnten der Polizei ihre sexuelle Identität offenbaren, verzichten Homosexuelle oftmals auch darauf, Anzeige bei Verbrechen wie Diebstahl, Raub oder Belästigung zu erstatten. Der kamerunische Soziologe Charles Gueboguo hält es für eine bewusste Strategie der kamerunischen Regierung, Homosexuellen keinen Schutz vor Übergriffen zu bieten oder sich gegen die weit verbreitete Homophobie einzusetzen, da dies von anderen wesentlichen Problemen Kameruns wie der stetig steigenden Armut ablenkt. Mit der prekären sozioökonomischen Lage Kameruns ist 'queer bashing' so zu einer legitimen Haltung avanciert, welche der Bevölkerung ein Ventil für andere Sorgen zu bieten scheint.

LGBT-Aktivisten und -Organisationen. Es gibt eine Anzahl von Organisationen in Kamerun, die sich für die Rechte der LGBT-Gemeinschaft einsetzen…. Die Diskriminierung von Personen, die in LGBT-Organisationen tätig sind, ist jedoch weit verbreitet, und Aktivisten setzen sich aufgrund ihres Engagements großen Risiken aus. …“.

Das Auswärtige Amt hat in seiner Auskunft vom 06.12.2012 zu den von privater Seite drohenden Gefahren und zu eventuellem Schutz durch staatliche Stellen Folgendes ausgeführt:

„Die bloße, unbetätigte Veranlagung wird von der Gesellschaft in weiten Teilen toleriert. Homosexuelle können ihre Veranlagung jedoch nicht öffentlich leben. Auch die diskrete Lebensweise wird allenfalls geduldet. Oft weiß man davon, 'schaut aber weg'. Wer Homosexualität offen lebt, läuft dringend Gefahr, Opfer von Diskriminierung bis hin zu physischer Gewalt zu werden. Die großen Kirchen haben sich ausdrücklich gegen die Akzeptanz von Homosexualität ausgesprochen. Diese Haltung spiegelt die der Gesellschaft wider. In den Augen des allergrößten Teils der Gesellschaft ist Homosexualität widernatürlich und krank. Der Staat schützt nach dem Gesetz jeden Bürger gleichermaßen. In der Lebenswirklichkeit in Kamerun wird die Polizei jedoch die von privater Seite drohenden Gefahren für eine Zeitlang in Kauf nehmen und erst auf medialen Druck einschreiten.“

Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Mai 2011 ist ausgeführt (S. 12):

„Aufgrund der Rechtslage sind Homosexuelle gezwungen, ihre Beziehungen zu verbergen. In der öffentlichen Wahrnehmung wird Homosexualität in Zusammenhang mit Gewaltverbrechen und Drogenmissbrauch gebracht, geächtet und verurteilt. Fast alle gesellschaftliche Gruppen, auch zahlreiche Kirchen, an prominenter Stelle auch Vertreter der katholischen Kirche, setzen sich für ein strikteres staatliches Vorgehen gegen Homosexuelle ein. Die Freiheit der sexuellen Orientierung ist nicht als Menschenrecht anerkannt.“

Amnesty International hat in seiner Auskunft an den Senat vom 13.12.2012 Folgendes ausgeführt:

„Züchtigung und Bestrafung durch Mitglieder der Familie, Verstoß aus der Familie, Schuldzuweisungen wie Verdächtigung der Hexerei und Magie sowie Denunzierung durch Angehörige und Bekannte sind hochwahrscheinlich… Religiöse Führer und Medien rufen immer wieder zur Ablehnung und Verfolgung von Homosexualität auf. So veröffentlichten die Zeitungen ‚L’Anecdote‘ und 'Nouvelle Afrique' 2006 eine Liste mit Namen von mutmaßlichen Homosexuellen. Im Juni 2012 schrieb der katholische Geistliche Moses Tazoh in der Zeitung ‚L’Effort camerounais‘, dass die Kirche Homosexualität als widernatürliches, abnormales Verhalten ablehne. Immer wieder wird Homosexualität auch mit Pädophilie gleichgesetzt.

Im Dezember 2011 wurden vier Studenten in Kumba (Südwestregion) von einem jungen Mann beschuldigt, homosexuell zu sein, nachdem er versucht hatte, Geld von ihnen zu bekommen. Da die Studenten ihm dieses Mal kein Almosen gaben, alarmierte der Mann die Nachbarschaft. Daraufhin schlugen und traten Nachbarn die Studenten, so dass sie später medizinisch behandelt werden mussten. Einer der Studenten wurde anschließend von seinem Schwager zur Polizeiwache gebracht und als homosexuell denunziert. Polizeibeamte misshandelten ihn und versuchten, das Geständnis zu erpressen, dass er gleichgeschlechtlichen Sex mit einem seiner Freunde hatte. Die vier Studenten wurden in Polizeigewahrsam genommen und nach neun Tagen in Untersuchungshaft verlegt. Das Gerichtsverfahren ist weiter anhängig. Inzwischen wurden die Männer auf Kaution vorläufig freigelassen.

Von staatlicher Seite können Menschen, die sexuellen Minderheiten angehören, keinerlei Schutz erwarten. Die meisten homosexuellen Personen, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurden, haben Angst, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Sie gehen davon aus, dass die Täter nicht bestraft werden und viele Angehörige der Polizei und der Sicherheitskräfte korrupt sind, Anzeigen nicht weiterleiten und selber gewalttätige Übergriffe an vermeintlichen Homosexuellen verüben…. Regierungsvertreter Kameruns und staatliche Sicherheitskräfte befürworten öffentlich, gezielt gegen Einzelpersonen oder Gruppen von Menschen vorzugehen, die sich für die Rechte von LGBTI-Personen engagieren, und sie zu attackieren…. Die allgegenwärtigen Vorurteile gegen LGBTI-Personen, die in Gesetz und Praxis zementiert werden, schaffen ein Umfeld, in dem die Bevölkerung oft zu Recht glaubt, dass sie LGBTI-Personen mit Straffreiheit diskriminieren kann. Am 27. Juni 2011 wurden beispielsweise zwei junge Frauen in der Zeitung „New Bell District Douala“ von ihren Familienangehörigen der Beteiligung an einer gleichgeschlechtlichen Beziehung bezichtigt. In der Folge gab es Übergriffe auf die Frauen. Aus Angst um das Leben der beiden Frauen riefen einige Familienmitglieder die Polizei. Jedoch wurden die Frauen verhaftet und später freigelassen. Die Behörden haben keine Maßnahmen gegen die Täter ergriffen.“

(c) Zur Frage, ob in Kamerun eine Fluchtalternative im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 RL 2004/83/EG besteht, enthalten die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel folgende Aussagen:

Das Auswärtige Amt hat in seiner Auskunft an den Senat vom 06.12.2012 mitteilt:

„Es gibt in Kamerun geographische und soziale Unterschiede. Im ländlichen Bereich sowie im eher muslimischen Norden werden Homosexuelle eher Schwierigkeiten haben als in urbanen Gebieten. In den Metropolen Jaounde und Douala gibt es informelle Treffpunkte, wo Homosexuelle zusammenkommen. Einblick in die Oberschicht wird in dieser Frage Außenstehenden jedoch nicht gewährt. Die Hinweise auf bestehende einschlägige Institutionen und Treffen sind jedoch allgegenwärtig und glaubwürdig.“

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hat in ihrer Stellungnahme vom 07.11.2012 an den Senat ausgeführt:

„Nach Angaben einer Kontaktperson vor Ort gibt es keine spezifischen sozialen Kreise oder Regionen, in denen sexuelle Minderheiten weniger stigmatisiert und marginalisiert sind. Die Konzentration von LGBT-Organisationen auf gewisse Städte führe aber dazu, dass Homosexuelle nur in diesen Regionen Zugang zu Aktivitäten zur Verteidigung der Rechte als sexuelle Minderheiten und zu juristischer Vertretung haben. Als Folge stammt die Mehrheit der dokumentierten Fälle von Inhaftierungen und Verurteilungen aus diesen urbanen Gegenden. Tatsächlich fanden die Mehrheit der seit 2005 dokumentierten Verhaftungen in der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé und in der verhältnismäßig liberalen Stadt Douala im Südwesten Kameruns statt. Drei Frauen wurden außerdem im ländlichen Grenzdorf Ambam im Süden Kameruns verhaftet. Human Rights Watch berichtet weiter von einer Anzahl von Personen, die in Gefängnissen in Buea und Ebolowa inhaftiert sind, zwei Städten ebenfalls im Südwesten Kameruns.

Bildungsbereich. Homophobie und Stigmatisierung beruhen auch im Bildungsbereich, wo homosexuelle Personen teilweise von Schulen und Universitäten gewiesen werden. So wurde beispielsweise ein junger Mann nach Beendigung seiner Haftstrafe von der Universität, an der er Informatik studierte, ausgeschlossen. Er war im Mai 2005 während einer Razzia in einem Nachtklub in Yaoundé festgenommen und neun Monate später unter Artikel 347bis zu Freiheitsentzug verurteilt worden.“

Amnesty International hat in seiner Auskunft vom 13.12.2012 an den Senat Folgendes mitgeteilt:

„Die Gesetze und Rechtsprechung gelten landesweit. In keiner der 17 Regionen Kameruns wird Homosexualität von Amtsträgern oder gesellschaftlich toleriert. Homosexualität kann in keinem Landesteil offen oder diskret gefahrlos gelebt werden, Homosexuelle sind an allen Orten der ständigen Gefahr der Diskriminierung und Denunziation mit entsprechenden Folgen ausgesetzt.

In den Metropolen Yaoundé und Douala sind die Organisationen für die Rechte von LGBTI-Personen und HIV/AIDS-Prävention, die mit LGBTI-Personen arbeiten sowie die wenigen Anwälte für LGBTI-Rechte ansässig. Zusätzlich gibt es in diesen Städten auch einige Treffpunkte für Homosexuelle. Die Möglichkeiten der Kommunikation und der Internetvernetzung sind besser. Daher befindet sich dort die größte LGBTI-Gemeinschaft. Ebenso sind Medien in diesen Städten vertreten. Folglich gibt es in diesen Städten auch mehr Verfolgung von LGBTI-Personen und die größte Zahl an Verhaftungen.

In ländlichen Regionen und kleineren Städten findet Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung ebenso statt und es kommt zu Verhaftungen. Es gibt weniger Anonymität. Die Bevölkerung ist in den Familien und lokalen Gemeinschaften sowie in religiösen Gemeinden und durch die Tradition stärker eingebunden. Mutmaßliche Homosexuelle werden zusätzlich der Hexerei und Magie beschuldigt. … Homosexuelle der obersten Elite aus Politik, Wirtschaft und Kultur können aufgrund vorhandener finanzieller Möglichkeiten und Beziehungen diskreter leben als Menschen in der Mittel- und Unterschicht. Gleichwohl gab es seit 2005 auch öffentliche Anschuldigungen von Homosexualität gegen bekannte Persönlichkeiten. Bislang ist Amnesty International jedoch kein Fall bekannt, in dem eine dieser Beschuldigungen zu einer Festnahme oder Anklageerhebung geführt hätte. … Der Zugang zur Justiz ist Personen aus der Unterschicht und Mittelschicht dagegen wegen hoher Kosten und langwieriger Prozesse verwehrt. Ferner verlieren sie jeglichen gesellschaftlichen und familiären Rückhalt. Der Beispielsfall verdeutlicht auch, dass Denunzierungen genutzt werden, um Menschen zu schädigen, da Vorwürfe von Homosexualität mit Rufmord gleichzusetzen sind. Es wird versucht, politische Gegner mit diesem Mittel auszuschalten.“

(d) Da diese Erkenntnismittel die Lage Homosexueller in Kamerun im Kern übereinstimmend wiedergeben und auch die Beteiligten insoweit keine Einwendungen erhoben haben, legt der Senat die dargestellte Erkenntnislage seiner tatsächlichen und rechtlichen Prüfung zugrunde. Danach kann eine Gruppenverfolgung der Homosexuellen in Kamerun mangels hinreichender Verfolgungsdichte nicht festgestellt werden. Vielmehr ergibt sich hinsichtlich der drohenden Verfolgungsgefahr ein differenziertes Bild.

(aa) Bei Homosexuellen, die in Kamerun offen ihre Veranlagung leben und dort deshalb als solche öffentlich bemerkbar sind, kann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sie deswegen verfolgt werden. In diesem Fall ist von einem erheblichen Risiko auszugehen, dass sie durch den Staat strafrechtlich verfolgt und in Haft genommen sowie verurteilt werden, was eine Verfolgungsmaßnahme nach Art. 9 Abs. 1 und 2 Buchst. c RL 2004/83/EG darstellt. Zudem widersprechen die sich aus den Erkenntnismitteln (vgl. zusätzlich den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, Stand Mai 2011, S. 7) ergebenden Haftbedingungen gerade für Personen, die als homosexuell angesehen werden, sehr häufig den Anforderungen aus Art. 3 EMRK.

Außerdem ist es beachtlich wahrscheinlich, dass Homosexuelle, die in Kamerun offen ihre Veranlagung leben und dort deshalb öffentlich bemerkbar sind, auch von privater Seite Verfolgungshandlungen erleiden, wie etwa physische Gewalt im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. a RL 2004/83/EG, ohne dass staatliche Stellen in der Lage oder willens wären, hiervor Schutz im Sinne von Art. 7 Abs. 2 RL 2004/83/EG zu bieten.

Nach Art. 7 Abs. 2 RL 2004/83/EG ist generell Schutz gewährleistet, wenn u.a. der Staat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Antragsteller Zugang zu diesem Schutz hat. Für diese Nachprüfung haben die zuständigen Behörden insbesondere die Funktionsweise der Institutionen, Behörden und Sicherheitskräfte einerseits und aller Gruppen oder Einheiten des Drittlandes, die durch ihr Tun oder Unterlassen für Verfolgungshandlungen gegen die betreffende Person im Fall ihrer Rückkehr in dieses Land ursächlich werden können, andererseits zu beurteilen. Nach Art. 4 Abs. 3 RL 2004/83/EG, der sich auf die Prüfung der Ereignisse und Umstände bezieht, können die zuständigen Behörden insbesondere die Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und die Weise, in der sie angewandt werden, sowie den Umfang, in dem in diesem Land die Achtung der grundlegenden Menschenrechte gewährleistet ist, berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 02.03.2010, a.a.O., Rn. 70 f.).

Soweit ersichtlich ist vom Bundesverwaltungsgericht noch nicht geklärt, ob damit das vor Inkrafttreten der RL 2004/83/EG von der Rechtsprechung vertretene Zurechnungsprinzip fortgilt oder ob nun auf die sog. „Schutzlehre“ abzustellen ist (so: VG Karlsruhe, Urteil vom 10.03.2005 - A 2 K 12193/03 -, NVwZ 2005, 725; Marx, a.a.O., § 18 Rn. 17, 26 ff.; Göbel-Zimmermann/Masuch, a.a.O., § 60 AufenthG Rn. 44; Treiber, in: GK-AufenthG, § 60 Rn. 135 <Bearb.-Stand: April 2011>). Fraglich ist damit, wie mit Schutzlücken umzugehen ist, obwohl der Staat an sich schutzwillig ist. Nach der RL 2004/83/EG muss der Einzelne jedenfalls wirksamen Zugang zum nationalen Schutzsystem haben, unabhängig davon, ob der Staat im Übrigen generell Schutz gewährleistet (vgl. EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 02.03.2010, a.a.O., Rn. 70; Marx, a.a.O., § 18 Rn. 28). Dies impliziert wohl, dass das Fortbestehen vereinzelter Verfolgungshandlungen die Wirksamkeit des Schutzes nicht ausschließt, soweit diese effektiv geahndet werden (vgl. Wittkopp, ZAR 2010, 170, 173).

Der Schutz der Grundrechte und der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit sind in Kamerun jedoch nur gering ausgeprägt (vgl. auch den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, Stand Mai 2011, S. 7 bis 9), so dass effektiver Schutz gegen gewalttätige Übergriffe von Privatpersonen - insbesondere eine effektive Strafverfolgung der Täter - nicht allgemein gewährleistet ist. Dies gilt jedenfalls vor dem Hintergrund, dass der Staat Kamerun homosexuelle Handlungen unter Strafe stellt. Der Wille zur Strafverfolgung im Falle von strafrechtlich relevanten Handlungen gegen Homosexuelle ist daher nicht hinreichend gegeben, zumal nach den vorliegenden Erkenntnismitteln gewaltsame Übergriffe nicht nur vereinzelt auch von staatlichen Sicherheitskräften ausgeübt werden.

Diese Aussagen gelten landesweit; auch in großen Städten bestehen diese Gefahren. Denn auch dort werden Personen schon wegen (vermuteter) Homosexualität verhaftet oder unterliegen Gewalttaten von nichtstaatlicher Seite.

(bb) Wird Homosexualität dagegen nicht öffentlich bemerkbar oder gar heimlich gelebt, ist nicht ohne Weiteres mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer drohenden Verfolgung im Sinne von Art. 9 RL 2004/83/EG auszugehen.

Zwar dürften homophobe Äußerungen von Regierungsvertretern, soziale Ächtung und staatliche Diskriminierung das Recht auf Privatleben im Sinne von Art. 7 der Charta der Grundrechte der EU sowie Art. 8 EMRK tangieren. Allerdings sind solche Grundrechtsbeeinträchtigungen noch nicht so gravierend, dass sie zugleich einen Eingriff in die Rechte darstellen, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf. Hierzu zählt insbesondere Art. 3 EMRK, das Verbot der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe. Als unmenschliche Behandlung hat der EGMR eine Behandlung angesehen, wenn sie vorsätzlich war, ohne Unterbrechung länger andauerte und entweder eine Körperverletzung oder intensives physisches oder psychisches Leiden verursachte. Als erniedrigend kann eine Behandlung angesehen werden, wenn mit ihr die Absicht verbunden war, den Betroffenen zu demütigen oder zu erniedrigen und die Behandlung ihn in einer Art. 3 EMRK widersprechenden Weise in seiner Persönlichkeit getroffen hat (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., Art. 3 Rn. 22).

Allerdings kann es auch in Fällen einer im Verborgenen gelebten homosexuellen Veranlagung vereinzelt zu Verfolgungshandlungen kommen. Insoweit besteht jedoch noch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass jeder homosexuell Veranlagte, der die Veranlagung im Verborgenen lebt, eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 RL 2004/83/EG erleiden wird. Insoweit ist die Zahl der Referenzfälle, die sich aus den oben dargestellten Erkenntnismitteln ergibt, im Verhältnis zur vermuteten Gesamtzahl an Homosexuellen in Kamerun zu gering. Die Zahl derjenigen, die wegen des Verdachts einer Straftat im Sinne von Art. 347bis Code Pénal verhaftet wurden, liegt im unteren zweistelligen Bereich. Amnesty International geht in seiner Auskunft vom 13.12.2012 davon aus, dass 17 Personen im Zeitraum März 2011 bis März 2012 festgenommen wurden, weil sie homosexuelle Beziehungen gehabt haben sollen. Auch die Zahl der berichteten sonstigen körperlichen Übergriffe liegt jedenfalls nicht wesentlich höher.

Das Auswärtige Amt geht in seinen Länderinformationen (Stand: 25.02.2013) davon aus, dass in Kamerun geschätzte 20,5 Millionen Menschen leben. Legt man weiter zugrunde, dass davon 40,5 % bis 14 Jahre alt, 20,5 % zwischen 15 und 24 Jahren, 33,8 % zwischen 25 und 59 Jahren und 5,2 % 60 Jahre und älter sind (vgl. die für realistisch befundenen Angaben der Beklagten zur Gesamtbevölkerung) sowie ferner, dass 1 bis 2 % der Frauen und 2 bis 4 % der Männer ausschließlich auf homosexuelles Verhalten festgelegt sind (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch 2011, Stichwort „Homosexualität“), kommt man für die Bevölkerungsgruppe zwischen 15 und 59 Jahren selbst bei der Annahme von nur 1 % an homosexuellen Frauen und Männern zu einer Zahl von 100.000 ausschließlich homosexuell veranlagten und potentiell Homosexualität praktizierenden Menschen. Verglichen damit lässt die Zahl der sich aus den Erkenntnismitteln ergebenden Fälle, die sich im unteren zweistelligen Bereich bewegt, nicht darauf schließen, dass sich die dort geschilderten Verfolgungshandlungen so wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden homosexuell Veranlagten nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Dies gilt auch, wenn man die Schwere der drohenden Gefahr einer körperlichen Verletzung oder einer Inhaftierung, die häufig mit weiteren schweren Menschenrechtverletzungen einhergeht, würdigt. Denn es ist auch zu berücksichtigen, dass nach den oben dargestellten Erkenntnismitteln Verfolgungshandlungen nicht immer nur tatsächlich homosexuell veranlagte Menschen treffen. Vielmehr wird der Vorwurf der Homosexualität auch häufig eingesetzt, um eine Person öffentlich zu diskreditieren oder zu beseitigen. Diese Möglichkeit besteht jedoch potentiell bei jedem erwachsenen Einwohner Kameruns unabhängig von seiner sexuellen Ausrichtung. Allerdings liegt die Wahrscheinlichkeit, dass eine homosexuell veranlagte Person auch ohne handfeste Beweise aufgrund bloßer Verdächtigungen oder aufgrund einer Denunzierung durch Nachbarn, Bekannte oder Kollegen einer Verfolgungshandlung ausgesetzt wird, höher als bei nicht homosexuell veranlagten Menschen. Insgesamt ist jedoch auch dann keine solche Verfolgungsdichte gegeben, dass allein aufgrund des Merkmals der Homosexualität von einer Gruppenverfolgung ausgegangen werden kann.

(2) Die Anwendung des Konzepts der Gruppenverfolgung liegt im Übrigen hier auch deshalb nicht nahe, weil hinsichtlich der Frage, ob eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe vorliegt, die durch das Merkmal der sexuellen Ausrichtung gebildet wird, immer das jeweils von dem betreffenden Schutzsuchenden zu erwartende Verhalten entsprechend der oben dargestellten Maßstäbe der Prüfung des Schutzbegehrens zugrunde zu legen ist. Dies entspricht auch dem Ansatz der RL 2004/83/EG, nach der Anträge auf internationalen Schutz nach Art. 4 Abs. 3 RL 2004/83/EG grundsätzlich individuell zu prüfen sind. Die Richtlinie differenziert nicht danach, ob dem Betroffenen eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder aus individuellen Gründen droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 06.07.2012 - 10 B 19/12 u.a. -, Juris Rn. 4).

Daher bedarf es in jedem Einzelfall, in dem ein Antragsteller aus Kamerun geltend macht, er werde wegen seiner sexuellen Ausrichtung verfolgt, einer Gesamtwürdigung seiner Person und seines gesellschaftlichen Lebens und darauf aufbauend einer individuellen Gefahrenprognose (vgl. oben unter 2 a aa <3> <c> sowie b aa).

cc) Jedoch ist hinsichtlich des Klägers nach einer individuellen Prüfung davon auszugehen, dass ihm von staatlicher Seite - weiterhin - Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 RL 2004/83/EG drohen. Denn es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass er bereits einmal derartige staatliche Verfolgungshandlungen erlitten hat. Insoweit kommt ihm die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG zu Gute. Daher kann hier dahinstehen, ob dem Kläger auch unabhängig von einer Vorverfolgung nach einer bloßen Würdigung der übrigen in seiner Person vorliegenden Umstände bei einer Rückkehr nach Kamerun mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohen würde (zum Maßstab vgl. oben unter 2 a aa <3> <c> sowie b aa).

(1) Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger wegen seiner Homosexualität bereits einer diskriminierenden Strafverfolgung unterzogen wurde (vgl. Art. 9 Abs. 2 Buchst. c und Abs. 3 RL 2004/83/EG). Der Kläger war bis zu seiner Flucht für zehn Tage in einer Polizeistation inhaftiert. Er hat für den Senat glaubhaft angegeben, dass er dort verhört worden sei. Außerdem sei einer der Bewohner des Stadtviertels, in dem der Vorfall passiert sei, als Zeuge vernommen worden. Grund für die Verhaftung sei gewesen, dass der Kläger auf der Straße seinen Freund M... begrüßt, umarmt und geküsst habe. Nach der Begrüßung sei der Kläger mit M... in die Wohnung eines weiteren Freunds gegangen, in der eine Feier stattgefunden habe. Kurz darauf seien Nachbarn mit Schlagstöcken in die Wohnung eingedrungen und hätten gesagt, dies sei ein Haus von Homosexuellen. Die Polizei sei ebenfalls eingetroffen. Er habe aus der Wohnung fliehen können. Ein Polizist habe jedoch das Taxi, mit dem er habe wegfahren wollen, gestoppt und ihn festgenommen. Die diesbezüglichen Angaben des Klägers im Rahmen der verschiedenen Anhörungen sind im Wesentlichen konstant und detailreich, so dass der Senat davon ausgeht, dass der Kläger der Wahrheit entsprechend berichtete. Hierfür spricht auch, dass der Kläger bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung immer in der Lage war, auf die Fragen des Senats und der Beklagten-Vertreterin spontan, anschaulich und nachvollziehbar zu antworten, sodass der Senat ein plastisches Bild von den behaupteten Geschehnissen gewinnen konnte.

Homosexuelle Handlungen sind nach Art. 347bis Code Pénal der Republik Kamerun mit Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren belegt (vgl. nur Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, Mai 2011, S. 12). Da die Strafverfolgung an einen Verfolgungsgrund nach Art. 10 RL 2004/83/EG anknüpft (dazu: Marx, a.a.O., § 14 Rn. 105) und zudem nur für homosexuelle Handlungen gilt (vgl. dazu: Art. 14 EMRK und Art. 21 Abs. 1 Charta der Grundrechte der EU), ist sie diskriminierend im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. c RL 2004/83/EG. Die Strafvorschrift geht jedenfalls über dasjenige hinaus, was nach Art. 8 EMRK in den Mitgliedstaaten der EU strafrechtlich verfolgt werden dürfte (vgl. EGMR, Urteil vom 22.10.1981, a.a.O., 543; implizit zur heutigen Rechtslage nach dem GG vgl. jüngst: BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 19.02.2013 - 1 BvR 3247/09 -; teilweise anders: BVerwG, Urteil vom 15.03.1988, a.a.O., 148 f.). Zudem genügen die sich aus den Erkenntnismitteln ergebenden Haftbedingungen gerade für Personen, die als homosexuell angesehen werden, sehr häufig nicht den Anforderungen aus Art. 3 EMRK.

(2) Nach Überzeugung des Senats wurde der Kläger, der sich wegen des Vorwurfs der Homosexualität nicht festnehmen lassen wollte, außerdem von einem Polizisten verprügelt und an der Lippe verletzt. Die Verletzung an der Lippe hat der Kläger glaubhaft mit einem Foto dokumentiert. Auch war immer noch eine Narbe an der Lippe erkennbar. Er hat dazu plausibel und überzeugend ausgeführt, das Foto sei von dem behandelnden Arzt gefertigt und auf Bitten des Klägers an einen Freund per Mail geschickt worden. Vor dem Verwaltungsgericht hatte der Kläger ebenfalls angegeben, den ihn behandelnden Arzt über den Vorfall informiert zu haben. Der Arzt habe ein Foto von ihm gemacht. Er habe den Arzt gebeten, einen Freund zu informieren.

Mithin hat der Kläger wegen seiner Homosexualität auch physische Gewalt erlitten (vgl. Art. 9 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 RL 2004/83/EG). Die körperliche Verletzung des Klägers durch einen Polizisten ist dem Staat Kamerun zurechenbar. So kann es zwar bei vereinzelten Exzesstaten von Amtswaltern in Betracht kommen, dass diese dem Staat nicht zugerechnet werden können. Der bloße Umstand, dass bestimmte Maßnahmen der Rechtsordnung des Herkunftsstaates widersprechen, berechtigt aber noch nicht dazu, sie als Amtswalterexzesse einzustufen. Vielmehr bedarf es entsprechender verlässlicher tatsächlicher Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten (vgl. dazu: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2011, a.a.O., Rn. 40, m.w.N.). Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich, dass Misshandlungen und Schikane durch Gefängniswärter, Polizisten und Angehörige des Geheimdienstes in der Praxis häufig vorkommen. Übergriffe der Sicherheitskräfte werden in der Regel nicht angemessen verfolgt (vgl. auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, Mai 2011, S. 7 f. und 14).

dd) Des Weiteren bestehen gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von einer solchen Verfolgung bedroht wird. Der Senat legt seiner Beurteilung dabei folgende Erkenntnislage zugrunde:

Amnesty International hat in seiner Auskunft vom 13.12.2012 auf die diesbezügliche Frage des Senats ausgeführt:

„Eine homosexuelle Person, die bereits wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen angeklagt wurde, muss damit rechnen, nach ihrer Rückkehr nach Kamerun verhaftet, angeklagt und verurteilt zu werden. Dabei wirkt sich die Flucht im laufenden Verfahren erschwerend aus, insbesondere wenn die Person aus der Haft geflohen ist. Dieser Umstand wird nicht separat verhandelt, sondern wirkt sich kumulativ auf das Strafmaß aus. Entsprechend Art. 193 des kamerunischen Strafgesetzbuchs kann das Strafmaß zusätzlich um drei Monate bis ein Jahr Gefängnis erhöht werden.

Homosexuelle Gefangene oder solche, die dafür gehalten werden, leiden nicht nur an unmenschlichen Haftbedingungen in kamerunischen Gefängnissen wie Überbelegung, schlechten sanitären Verhältnissen, mangelnder medizinischer Versorgung und unzureichender Essensausgabe. Sie sind davon in besonderem Maße betroffen, da die meisten von ihnen von ihren Familien verstoßen wurden, diese sie daher nicht mit Essen oder Geld versorgen, um z.B. ein Bett und notwendige Medikamente zu erhalten oder Arztkosten zu begleichen.“

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hat in ihrer Auskunft vom 07.11.2012 ausgeführt:

„Rückkehrgefährdung. Für homosexuelle Personen, die in der Vergangenheit vor einer Verurteilung ins Ausland geflüchtet sind, besteht das Risiko, dass die Staatsanwaltschaft bei deren Rückkehr nach Kamerun ein Strafverfahren gegen sie einleitet. Die Tatsache der Landesausreise wird dabei nicht als separates Vergehen behandelt, sondern als erschwerender Umstand gewertet. Teilweise werden Suchbefehle (avis de recherche) für Personen ausgestellt, für die ein Verdacht auf homosexuelle Handlungen vorliegt, dies ist allerdings nicht immer die übliche Praxis. Der betroffenen Person droht unter Umständen, zusätzlich zu der Strafverfolgung aufgrund ihrer sexuellen Identität, auch eine Strafe aufgrund ihrer vergangenen Flucht vor der Verurteilung. Das Strafmaß für Flucht aus Inhaftierung liegt gemäß Art. 193 des kamerunischen Strafgesetzbuchs zwischen drei Monaten und bis zu einem Jahr Gefängnis.“ (Ebenso: SFH, Gutachten vom 14.03.2007, S. 7; SFH, Auskunft vom 06.10.2009, S. 6 f.).

Das Auswärtige Amt hat in seiner Auskunft vom 06.12.2012 mitgeteilt:

„Eine ausstehende Strafverfolgung aus dem Jahr 2011 wird nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes weiterhin aktuell sein und würde mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Rückkehr der Person nach Kamerun wieder aufleben.

Das Auswärtige Amt weist darauf hin, dass derzeit in der Praxis nur die Fälle zu tatsächlichen Gefängnisstrafen führen, bei denen die Beschuldigten durch ihr Verhalten für Aufruhr in der Bevölkerung sorgen.“

Auf der Grundlage dieser weitgehend übereinstimmenden Erkenntnisse geht der Senat davon aus, dass der Kläger damit rechnen muss, bei seiner Rückkehr verhaftet, angeklagt und verurteilt zu werden und eine Haftstrafe verbüßen zu müssen. Dies gilt auch nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes. Denn das Verhalten des Klägers, das für seine Festnahme ursächlich war, hat zu Aufruhr in der Bevölkerung geführt.

Ein etwaiges Vermeidungsverhalten des Klägers wäre im Falle seiner Rückkehr im Übrigen schon mit Blick auf die festgestellte Vorverfolgung unerheblich (vgl. EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 05.09.2000, a.a.O., Rn. 74).

ee) Der Kläger kann bei seiner Rückkehr auch nicht auf eine derzeit bestehende inländische Fluchtalternative (§ 60 Abs. 1 Satz 4 a.E. AufenthG) verwiesen werden. Es ist auf der Grundlage der dargestellten Erkenntnislage nicht ersichtlich, in welchem Landesteil sich der Kläger angesichts der noch ausstehenden Strafverfolgung aufhalten bzw. in welchen er überhaupt unbehelligt einreisen kann. Jedenfalls liegen insoweit keine stichhaltigen Gründe im Sinne von Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG vor, dass ihm eine solche Fluchtalternative zur Verfügung steht.

II.

Das Verwaltungsgericht hat auch über die Anfechtungsklage des Klägers zutreffend entschieden und Ziffer 4 des Bescheids des Bundesamtes vom 15.03.2012 zu Recht aufgehoben. Denn die dort enthaltene Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG hätte die Abschiebungsandrohung nicht erlassen werden dürfen. Der Kläger hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Auf die in erster Instanz hilfsweise geltend gemachten Verpflichtungsanträge auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, die in der Berufungsinstanz anwachsen würden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 19/96 -, BVerwGE 104, 260; Kuhlmann, in: Wysk <Hrsg.>, VwGO, 2011, § 129 Rn. 2), kommt es daher nicht mehr an.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.