LG Hamburg, Beschluss vom 20.01.2012 - 329 T 107/11
Fundstelle
openJur 2013, 23688
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 08.12.2011 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 08.12.2011 (219d XIV 38577/07) aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Beteiligte zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

4. Dem Betroffenen wird Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. bewilligt.

Gründe

I.

Der Betroffene ist t. Staatsangehöriger.

Er reiste erstmals im Jahre 2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Der Betroffene wurde darauf am 14.11.2002 abgeschoben. Im Jahre 2007 reiste er erneut ein und stellte einen Asylfolgeantrag, der ebenfalls abgelehnt wurde. Am 17.07.2007 wurde der Betroffene erneut abgeschoben.

Am 27.10.2011 wurde er auf einer Obstplantage in der Straße F. in 2... H. anlässlich einer Kontrolle der Erntehelfer durch das Hauptzollamt angetroffen. Nachdem er zunächst angegeben hatte, r. Staatsbürger zu sein, räumte er auf Vorhalt seine Identität ein und gab an, ohne Pass nach Deutschland gereist zu sein.

Am 28.10.2011 erging gegen ihn ein Untersuchungshaftbefehl wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts.

Die Beteiligte ersuchte die Staatsanwaltschaft Hamburg mit Schreiben vom 28.10.2011 um Erteilung des Einvernehmens mit der Abschiebung. Am 17.11.2001 wiederholte die Beteiligte das Ersuchen und bat um Mitteilung des Termins zur Hauptverhandlung.

Unter dem 18.11.2011 erklärte die Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen mit der Abschiebung des Betroffenen.

Die Hauptverhandlung in der Strafsache war auf den 13.12.2011 terminiert worden. Am 06.12.2011 stellte die Beteiligte den Antrag, gegen den Betroffenen Sicherungshaft anzuordnen. Dieser wurde am 08.12.2011 vor dem Amtsgericht angehört.

Das Amtsgericht hat sodann gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 08.12.2011 antragsgemäß Sicherungshaft bis zur Abschiebung des Betroffenen, längstens bis 8 Wochen nach Ende der Untersuchungshaft im Verfahren 628 Ds 427/11 (164 Gs 979/11), angeordnet.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 08.12.2011. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft lägen nicht vor.

Am 09.12.2011 veranlasste die Beteiligte die Vorführung des Betroffenen beim t. Generalkonsulat am 13.12.2011. Der Betroffene hatte sich zuvor geweigert, einen Antrag auf Erteilung eines Passersatzpapiers auszufüllen.

Der Betroffene wurde am 13.12.2011 vom Amtsgericht Harburg zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Die Fortdauer der Untersuchungshaft wurde angeordnet. Gegen das Urteil legte der Betroffene Berufung ein, gegen die Haftentscheidung Beschwerde.

Am 27.12.2011 erfragte die Beteiligte beim t. Generalkonsulat den Sachstand. Von dort wurde mitgeteilt, dass man den Vertreter des Betroffenen angeschrieben habe, noch keine Rückantwort vorliege und deshalb noch keine Erteilung eines Passersatzpapiers zugesagt werden könne. Derselbe Sachstand wurde anlässlich einer weiteren Anfrage am 10.01.2012 mitgeteilt.

Mit Beschluss vom 06.01.2012 hat das Landgericht Hamburg den Haftbefehl vom 28.10.2011 in der Fassung der Haftfortdauerentscheidung vom 13.12.2011 aufgehoben, da nach Maßgabe der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 06.12.2011 (Az. C-329/11) das Strafverfahren gegen den Betroffenen nicht habe durchgeführt und er nicht in Untersuchungshaft habe genommen werden dürfen.

Die Kammer hat die Ausländerakte des Betroffenen beigezogen.

II.

1. Die Beschwerde gegen die Anordnung der Sicherungshaft ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG, §§ 58, 59, 63 FamFG zulässig und auch begründet.

Die Anordnung von Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 3 AufenthG ist aufzuheben. Die Inhaftnahme war unzulässig, da sie sich nicht auf die kürzest mögliche Dauer beschränkt hat, § 62 Abs. 1 S. 2 AufenthG.

Die Abschiebungshaft ist als Überhaft im Hinblick auf die angeordnete Untersuchungshaft im Verfahren 628 Ds 427/11 angeordnet worden. Bei der weiteren Vorbereitung des Vollzugs der Abschiebung wurde gemäß der Stellungnahme der Beteiligten vom 18.01.2012 in der Zeit vom 28.10.2011 bis zum 9.12.2011 wegen der vorrangigen Behandlung des Strafverfahrens zugewartet. Nach Maßgabe der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 06.12.2012 (Az. C-329/11, Juris) ist dies unzulässig. In den Gründen der Entscheidung wird unter Ziff. 45. ausgeführt, dass dem Erfordernis, die Abschiebung innerhalb kürzester Frist vorzunehmen, nicht genügt wird, wenn vor der Vollstreckung oder dem Erlass der Rückkehrentscheidung ein Strafverfahren durchgeführt wird. Dem Betroffenen wurde im Strafverfahren allein ein Verstoß gegen das AufenthG vorgeworfen. In diesem Verfahren durfte der Betroffene daher, wie das Landgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 06.01.2012 ausgeführt hat, nicht in Untersuchungshaft genommen und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, da die Höchstdauer der vorrangigen Abschiebungshaft nicht erschöpft war (vgl. EuGH, a. a. O., Ziff. 50). Die Staatsanwaltschaft hätte vielmehr ihr Einvernehmen mit der Abschiebung des Betroffenen unverzüglich erteilen müssen, so dass die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung ohne von den Behörden verursachte Verzögerungen hätte betrieben werden können. Dass sich die tatsächlich eingetretene Verzögerung nicht ausgewirkt hätte, weil der Betroffene nicht an der Beschaffung der Passersatzpapiere mitwirkt, steht nicht fest. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Papiere ohne die Mitwirkung des Betroffenen umso eher vorliegen, je früher das Konsulat um die Ausstellung ersucht wird.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 69 Abs. 3, 81 FamFG.

3. Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 70 Abs. 2 FamFG zugelassen.

4. Dem Betroffenen war gemäß § 76 Abs. 1 FamFG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.