LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.03.2013 - L 19 AS 2278/12 NZB
Fundstelle
openJur 2013, 20254
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 25.09.2012 - S 14 AS 357/12 - wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt S aus C für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides für 08-10/2010.

Der am 00.00.1984 geborene Kläger war von 09/2009 bis 10/2010 geringfügig beschäftigt. Er verdiente u.a. in den Monaten 08-10/2010 je 400 EUR, die ihm auch in diesen Monaten zuflossen.

Nach Abschluss der Schule beantragte er Ende Juni 2010 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ohne Angabe seines Einkommens. Er lebte in einer Wohngemeinschaft mit drei weiteren Personen. Die Unterkunftskosten betrugen für die gesamte Wohnung monatlich 480,70 EUR zzgl. 64 EUR für die Heizung.

Der Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 07.07.2010 Leistungen nach dem SGB II für 07-12/2010 in Höhe von monatlich 495,16 EUR (359 EUR Regelleistung, 136,26 Leistungen für die Unterkunft).

Im September 2010 nahm der Kläger ein Studium auf, für das ihm Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) gewährt wurden. Auf einen gegenüber dem BAföG-Amt geltend gemachten Erstattungsanspruch zahlte dieses dem Beklagten für 09-11/2010 1.485,48 EUR. Der Beklagte hob die Leistungsbewilligung ab 09/2010 mit Bescheid vom 01.12.2010 auf.

Óber einen Datenabgleich erfuhr der Beklagte in 12/2010 von der geringfügigen Beschäftigung des Klägers und hörte diesen am 21.12.2010 zunächst zu einer Aufhebung der Leistungen für 07-10/2010 in Höhe von 960 EUR, nach Mitteilung des Klägers, er habe während eines Praktikums kein Geld verdient und einer Bestätigung des Arbeitsgebers, in 06-07/2010 sei tatsächlich kein Entgelt gezahlt worden, mit Schreiben vom 25.01.2011 zu einer Aufhebung für 08-10/2010 in Höhe von 720 EUR an.

Am 08.02.2011 hob der Beklagte die mit Bescheid vom 07.07.2010 gewährten Leistungen ("Regelleistung") für 08-10/2010 "ganz" in Höhe von 720 EUR für 08-10/2010 auf und forderte die Erstattung dieses Betrages. Dabei stützte er sich auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).

Am 12.07.2011 stellte der Kläger einen Óberprüfungsantrag nach § 44 SGB X, den der Beklagte mit Bescheid vom 04.01.2012 ablehnte. Hiergegen legte der Kläger am 18.01.2012 Widerspruch ein, den der Beklagte am 30.03.2012 unter Darstellung, wie sich die monatlichen Erstattungsbeträge errechneten, zurückwies.

Am 25.04.2012 hat der Kläger Klage erhoben. Der Bescheid vom 08.02.2011 sei zu unbestimmt. Es sei nicht klar, in welcher Höhe für welchen Monat die Leistungen aufgehoben würden. Dies führe nach einem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10.08.2011 (L 15 AS 1036/09) zur Rechtswidrigkeit des Bescheides.

Der Beklagte hat den angefochtenen Bescheid im Rahmen eines vom Kläger angenommenen Teilanerkenntnisses am 25.09.2012 für 09-10/2010 und in Höhe von 480 EUR aufgehoben.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 04.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2012 und den Bescheid vom 08.02.2011 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, der aufgehobene Bescheid, die Höhe der aufgehobenen Leistungen und der Aufhebungszeitraum seien aus dem Verfügungssatz zu entnehmen gewesen. Dies sei ausreichend, zumal das Einkommen immer gleich hoch gewesen sei. Spätestens mit dem Widerspruchsbescheid vom 30.03.2012 sei eine Heilung eingetreten.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25.09.2012 abgewiesen. Dass der Aufhebungsbescheid keine Aufstellung für die einzelnen Monate enthalten habe, stelle keinen Bestimmtheitsmangel dar, sondern betreffe allein die Frage der Begründung. Es hat die Berufung nicht zugelassen.

Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 31.10.2012 zugestellte Urteil am 28.11.2012 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt S aus C beantragt. Die Ausführungen des Sozialgerichts zur Bestimmtheit wichen sowohl von der bereits benannten Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen als auch vom Urteil des Bundessozialgerichts vom 15.08.2002 (B 7 AL 66/01 R) ab. Aus ersterer ergebe sich auch, dass eine Heilung im Widerspruchsbescheid nach Ablauf der Jahresfrist nicht möglich sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Zulassung, da der Wert des verbliebenen Beschwerdegegenstandes - Aufhebung der Leistungen für 08/2010 in Höhe von 240 EUR - einen Betrag von 750 EUR nicht übersteigt.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtsache grundsätzliche Bedeutung hat

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgericht abweicht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Zulassungsgründe in diesem Sinn liegen nicht vor.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse genügt nicht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 144 Rn 28 ff mwN; vgl. auch BSG Beschluss vom 24.09.2012 - B 14 AS 36/12 B = juris Rn 4 zu § 160 SGG). Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein (vgl. BSG Beschluss vom 15.09.1997 - 9 BVg 6/97 - zu § 160 SGG). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein.

Die Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides im Bereich des SGB II zu stellen sind (zur Abhängigkeit der Bestimmtheitsanforderungen vom materiellen Recht Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 33 Rn 3), ist durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hinreichend geklärt. Das Bundessozialgericht aus ausdrücklich ausgeführt: "Nach § 33 Abs 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dieses Erfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz bzw. die Verfügungssätze der Entscheidung (BSG SozR 4-5910 § 92c Nr 1 RdNr 11) als auch auf den Adressaten eines Verwaltungsaktes. Insofern verlangt das Bestimmtheitserfordernis als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung zum einen, dass der Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten " (Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 154/11 R = juris Rn 16; vgl. auch weitere Nachweise im Urteil des Senats vom 23.07.2012 - L 19 AS 566/12 = juris Rn 60).

Im Hinblick auf Erstattungsbescheide ist die Nennung des Gesamterstattungsbetrages ausreichend (vgl. BSG Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 153/10 R = juris Rn 35 ff.; Beschluss vom 22.07.1999 - B 11 AL 91/99 = juris Rn 3; vgl. hierzu auch Krasney in KassKomm, § 33 SGB X Rn 7).

Ob eine (monatsweise) Aufschlüsselung der Aufhebung im Rahmen der Aufhebungsentscheidung wie im Recht der Arbeitsförderung (vgl. BSG Urteil vom 02.06.2004 - B 7 AL 58/03 R = juris Rn 18; Urteil vom 15.08.2002 - B 7 AL 66/01 R = juris Rn 15) erforderlich ist (offen gelassen von BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 154/11 R = juris Rn 17; Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 153/10 R = juris Rn 35), wenn es wie hier um gleichbleibendes Einkommen geht, und ob der Bescheid vom 08.02.2011 unter Einbeziehung des Bewilligungsbescheides vom 07.07.2010 sowie angesichts gleichbleibenden Einkommens nicht bereits diesen Anforderungen genügt (vgl. zur Einbeziehung weiterer Erkenntnisquellen BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R = juris Rn 16; Engelmann aaO), kann dahinstehen.

Denn jedenfalls aus dem im Óberprüfungsverfahren nach § 44 SGB X erlassenen Widerspruchsbescheid vom 30.03.2012 ergibt sich, in welcher Höhe (nämlich monatlich in Höhe von 240 EUR) die Leistungen aufgehoben werden.

Ein Widerspruchsbescheid ist in die Prüfung der Bestimmtheit einzubeziehen (vgl. Engelmann aaO Rn 4, 10 mwN insbesondere aus der Rechtsprechung des BVerwG; Müller-Grune in Eichenhofer/Wenner, SGB I, IV, X, 2012, § 33 SGB X Rn 4; vgl. auch BSG Urteil vom 02.06.2004 - B 7 AL 58/03 R = juris Rn 18; Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 154/11 R = juris Rn 15, Rn 17; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 16.12.2009 - L 9 AS 477/08 = juris Rn 39 f.; OVG NRW Beschluss vom 22.01.1998 - 8 A 940/96 = juris Rn 45 ff.; offen gelassen von BSG Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R = juris Rn 18).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger angeführten Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10.08.2011 (L 15 AS 1036/09). Dieses betrifft zunächst einen Fall, in dem anders als hier mit dem aufgehobenen Bescheid Leistungen in unterschiedlicher Höhe festgesetzt worden waren. Das Landessozialgericht prüft dort zudem den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid "in der Gestalt des Widerspruchsbescheides" und geht von einer Unbestimmtheit sowohl des Ausgangs- als auch des Widerspruchsbescheides aus (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen vom 10.08.2011 - L 15 AS 1036/09 = juris Rn 20 f.; vgl. zur Einordnung dieser Entscheidung Beschluss des Senats vom 16.01.2013 - L 19 AS 2368/12 B = juris Rn 30 ff.).

Der Einbeziehung des Widerspruchsbescheides in die Bestimmtheitsprüfung steht nicht entgegen, dass dieser (erst) im Óberprüfungsverfahren erging. Dabei kann dahinstehen, ob die Frage der Bestimmtheit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides überhaupt im Rahmen eines Óberprüfungsverfahrens gerügt werden kann (so SG Freiburg Urteil vom 15.11.2011 - S 9 AS 1729/09 = juris Rn 18; vgl. auch Schleswig-Holsteinisches LSG Urteil vom 21.03.2012 - L 6 AS 107/11 = juris Rn 39 ff.; zur grundsätzlichen Anwendbarkeit von § 44 Abs. 1 SGB X auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide Schütze aaO § 44 Rn 16; Merten in Hauck/Noftz, § 44 SGB X Rn 70; zur Beschränkung der Prüfung auf materielles Recht BSG Urteil vom 22.03.1989 - 7 Rar 122/87 = juris Rn 23 f.; Urteil vom 19.02.2009 - B 10 KG 2/07 R = juris Rn 12 f.; zur Ausdehnung dieser Prüfung auf Ermessensfehler und Vertrauensschutzgesichtspunkte BSG Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 25/95 = juris Rn 18 ff. (21 ff.); Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 25/95 = juris Rn 20 ff.; a.A. im Hinblick auf den Vertrauensschutz Steinwedel in KassKomm, § 44 SGB X Rn 41 f.). Auch das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht bezieht in seinem Urteil vom 21.03.2012 (L 6 AS 107/11 = juris Rn 39, 43 f.) ausdrücklich die im Óberprüfungsverfahren ergangenen Bescheide ein (vgl. hierzu auch BSG Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 25/95 = juris Rn 18). Dem mit dem Verfahren nach § 44 SGB X verfolgten Zweck der Herstellung materieller Gerechtigkeit ist ausreichend Rechnung getragen, wenn im Óberprüfungsverfahren der Regelungsinhalt des Ausgangsbescheides präzisiert und damit dem Bestimmtheitserfordernis genügt wird.

Soweit das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Aufhebungsentscheidungen für zu unbestimmt hält, insofern nicht alle betroffenen Bewilligungsbescheide benannt sind (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 16.12.2009 - L 9 AS 477/08 = juris Rn 35; Urteil vom 01.11.2011 - L 9 AS 831/10 = juris Rn 40), kommt es hierauf im vorliegenden Fall nicht an, weil der einzig betroffene Bewilligungsbescheid vom 07.07.2010 im Bescheid vom 08.02.2011 genannt wird.

Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch insofern nicht, als vertreten wird, die Bestimmtheit eines Aufhebungsbescheides setze eine Differenzierung nach der Art der aufgehobenen Leistungen voraus (so etwa LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 30.03.2010 - L 3 AS 138/08 = juris Rn 54; offen gelassen für Aufhebungsentscheidungen von BSG Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 153/10 R = juris Rn 37). Denn die Art der aufgehobenen Leistung ("Regelleistung") wird im Bescheid vom 08.02.2011 genannt.

Es liegt keine Divergenz vor.

Eine Divergenz setzt voraus, dass einerseits ein abstrakter Rechtssatz der anzufechtenden Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte zu entnehmender Rechtssatz nicht übereinstimmen. Diese Abweichung muss zwar nicht bewusst erfolgen. Es muss aber ein die Entscheidung tragender Rechtssatz entwickelt worden sein (vgl. Leitherer aaO § 160 Rn 13, 14, 14a). Hier wurde kein solcher abweichender Rechtssatz entwickelt.

Verfahrensmängel sind nicht gerügt und auch nicht erkennbar.

Mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde wird das Urteil rechtskräftig, § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt S aus C für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg iSv § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) bot.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

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