RG, Urteil vom 05.02.1918 - V 34/18
Fundstelle
openJur 2013, 20101
  • Rkr:
Tatbestand

Das Schwurgericht, das den Angeklagten demnächst verurteilte, hatte während der Hauptverhandlung eine Grubenfahrt zur Besichtigung der Örtlichkeit unternommen. Der Angeklagte rügte in seiner Revision die Verletzung des § 377 Nr. 5, 6 StPO, indem er geltend machte, daß entgegen dem Grundsatz von der Öffentlichkeit der Verhandlung und von der Teilnahme aller derjenigen Personen, die nach dem Gesetz anwesend zu sein hatten, keine gemeinschaftliche Augenscheinseinnahme und Verhandlung stattgefunden habe. Seine Revision wurde verworfen.

Aus den Gründen

Die gerügten Formverstöße im Sinne von § 377 Nr. 5, 6 StPO liegen nicht vor. Die Vorschrift des § 170 GVG will keineswegs umbedingt, allezeit und jedermann den Zutritt zur Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte gewährleisten und tatsächliche Hindernisse, die sich dem entgegenstellen, stets als eine gesetzwidrige Beschränkung der Öffentlichkeit dem Gerichte zur Last legen. Vielmehr kann unter Umständen, z.B. wegen Kleinheit oder Enge der zu besichtigenden Räume, der völlige Ausschluss des Publikums gerechtfertigt sein, RGSt. Bd. 47 S. 322, und gerade im vorliegenden Falle waren nach der eigenen Darstellung der Revision die äußerst beengten und schwierigen Raumverhältnisse des Leiterschafts und der Ruhebühnen die alleinige und zwingende Ursache, daß nicht gleichzeitig in jedem Augenblick alle Prozeßbeteiligte, geschweige denn das zugelassene Publikum, an diesen Punkten sich aufstellen und aufhalten konnten, sondern gruppenweise die Besichtigung bewirken, die Aussagen der Angeklagten, die Behauptungen der Verteidiger und die Erläuterungen der Zeugen und Sachverständigen usw. anhören und so sich das nötige Verständnis der in Betracht kommenden örtlichen, technischen und persönlichen Verhältnisse verschaffen mussten. Denn der Grundsatz der Öffentlichkeit findet, wie das Reichsgericht dort bemerkt, seine natürliche Schranke in der Unmöglichkeit der Befolgung, in der Unausführbarkeit einer geordneten öffentlichen Verhandlung, in der Notwendigkeit der Bewegungsfreiheit der an der Verhandlung Beteiligten. Derartige Schranken aber, die in erster Linie den Zutritt des Publikums beeinflussen werden, können ihre unvermeidliche Wirkung selbstverständlich auch auf die Anwesenheit der Prozessbeteiligten äußern.

Zitate0
Referenzen0
Schlagworte