VG Düsseldorf, Beschluss vom 28.02.2013 - 6 L 297/13
Fundstelle
openJur 2013, 20074
  • Rkr:

Wird eine Fahrerlaubnis nach vorherigem Verzicht wiedererteilt, führt dies regelmäßig zur Löschung aller Punkte im Verkehrszentralregister, wenn die Wiedererteilung nach Ablauf einer Frist im Sinne von § 4 Abs. 10 Satz1 StVG erfolgt und der Wiedererteilung eine - im Ergebnis für den Fahrerlaubnisbewerber positive - medizinischpsychologische Begutachtung vorausgeht, die die Fahrerlaubnisbehörde gerade wegen der mit den Punkten bewerteten Verstöße angeordnet hat.

Ob die Löschungswirkung unmittelbar aus der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis oder aus einer entsprechenden Anwendung von § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG folgt, kann jedenfalls dann offenbleiben, wenn die punktebewehrten Verkehrszuwiderhandlungen allesamt vor Abgabe der Verzichtserklärung begangen wurden (hier bejaht).

Eine Entziehung der Fahrerlaubnis kommt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG auch außerhalb des Punktesystems wegen Wegfalls der Fahreignung über § 3 Abs. 1 StVG im Einzelfall auch ohne vorherige Anordnung einer medizinischpsychologischen Begutachtung in Betracht. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Betroffene nach einer vormaligen Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Punktesystem, der Vorlage eines positiven medizinischpsychologischen Gutachtens und der Neuerteilung der Fahrerlaubnis binnen kurzer Zeit und in rascher Folge neuerlich Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr begeht, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Juni 2011 - 16 B 212/11 -, NZV 2011, 572. (hier: bei drei Geschwindigkeitsüberschreitungen um 21 bzw. 22 km/h binnen sechs Monaten verneint)

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage (- 6 K 2768/12 -) gegen die Ordnungsverfügung vom 10. Februar 2012 wird hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung (Ziffer 5.) und insoweit angeordnet, als die Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützt worden ist (Ziffer 1.).

Die aufschiebende Wirkung der Klage (- 6 K 2768/12 -) gegen die Ordnungsverfügung vom 10. Februar 2012 wird hinsichtlich der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins (Ziffer 4.) und insoweit wiederhergestellt, als die Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 3 Abs. 1 i. V.m. § 11 Abs. 7 FeV gestützt worden ist (Ziffer 3.).

Soweit die Ordnungsverfügung bereits vollzogen ist, wird die Aufhebung der Vollziehung angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wurde mit Urteil des Landgerichts Kleve vom 9. Mai 1994 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich wurde ihm seine Fahrerlaubnis entzogen (- 1 KLs 8/94 - 5 Js 667/93 -). Nach Ablauf der bis zum 8. Mai 1996 laufenden Sperrfrist erteilte der Oberstadtdirektor der Stadt F dem Antragsteller am 24. April 1998 eine Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3.

In der Folgezeit fielen beim Antragsteller zahlreiche punkterelevante Ereignisse vor. Nachdem der Antragsteller Mitte 2007 23 Punkte erreicht hatte und unter dem 26. Juli 2007 durch die Stadt E als zuständige Fahrerlaubnisbehörde zu der beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angehört wurde, erklärte der Antragsteller am 9. August 2007 den Verzicht auf seine Fahrerlaubnis.

Am 24. Februar 2010 beantragte er die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis. Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete hierauf unter dem 10. Mai 2010 die Beibringung eines Gutachtens einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung an. Die gutachterlich zu beantwortende Fragestellung ging mit Blick auf die wiederholten erheblichen Verkehrszuwiderhandlungen des Antragstellers dahin, ob zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch zukünftig erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde.

Das Gutachten des TÜV Nord - medizinischpsychologisches Institut - vom 30. Juni 2010 bescheinigte dem Antragsteller selbstkritische Einsicht in sein früheres Fehlverhalten, eine Veränderbarkeit des persönlichen Verhaltens, sowie eine gewachsene Verantwortung und Reife, für die nach Angaben des Antragstellers der Tod seines Vaters und die Geburt seines Kindes prägend gewesen seien. Daher sei zukünftig nicht mehr von fortgesetzten oder massiven Verstößen des Antragstellers im Straßenverkehr auszugehen. Hierauf wurde dem Antragsteller am 7. Juli 2010 erneut die Fahrerlaubnis (Klassen A und BE) erteilt.

Die Einzelheiten der punkterelevanten Entwicklung ergeben sich aus der nachfolgenden tabellarischen Auflistung:

Lfd. Nr.

Datum

Ereignis

Rechts-/ Bestandskraft

Tilgung

Punkte

einzeln

Punkte insg.

27.12.1998

OWi Geschwindigkeit(21 km/h innerorts)

12.03.1999

12.03.2004

02.02.1999

OWi Geschwindigkeit(28 km/h innerorts)

22.05.1999

22.05.2004

23.07.2002

OWi Geschwindigkeit(33 km/h innerorts)

12.12.2002

12.12.2007§ 29 Abs. 6 S. 4 StVG

12.03.2004

Tilgung 1. § 29 Abs. 6 S. 4. StVG (kein § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVG wg. Sperrfrist bis 1996)

-1

12.10.2003

OWi Termin HU um mehr als8 Monate überschritten

30.12.2003

30.12.2008§ 29 Abs. 6 S. 4 StVG

07.12.2003

OWi Führen eines Kfz mit mehr als 0,5 ‰ (0,72 ‰)AG Oberhausen (- 331 Js-OWi 1789/04 26 OWi 946/04 -)

21.12.2004

Keine Tilgungsreife, da von § 29 Abs. 6 S. 4 StVG ausgenommen und Hemmung, § 29 Abs. 6 S.1 StVG

12

22.03.2004

Verwarnungwegen 1.-3., 5. (9 Punkte)

§ 4 Abs. 5 S. 1 StVG (-), 13 P.

22.05.2004

Tilgung 2. § 29 Abs. 6 S. 4. StVG (kein § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVG wg. Sperrfrist bis 1996)

-3

02.07.2004

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)

AG Duisburg (- 331 Js 1918/04 19 Cs 747/04 -)

Bekanntwerden bei FE-Behörde: 03.08.2005

Urt./SB vom 1.12.2004Rechtskraft18.12.2004

16

10

07.06.2005

OWi Rotlichtverstoß

21.07.2005

21.07.2010§ 29 Abs. 6 Satz 4 StVG

19

11

§ 4 Abs. 5 Satz 2 StVG

-2

17

12

07.09.2005

Anordnung Aufbauseminar

zugestellt: 09.09.2005wg. Erreichen von 17 P. aus 3.-5., 8., 9.

13

1.12.2005

Entziehung Fahrerlaubnis

zugestellt: 09.12.2005

14

16.-30.12.05

Teilnahme Aufbauseminar

15

10.01.2006

Aufhebung der Entziehung der Fahrerlaubnis

16

03.02.2007

OWi Geschwindigkeit(34 km/h außerorts)

06.04.2007

Tilgungsreife06.04.2012

20

17

16.04.2007

Mitteilung KBA: 22 P. (11. unberücksichtigt)

18

31.05.2007

OWi Geschwindigkeit(32 km/h außerorts)

09.08.2007

Tilgungsreife09.08.2012

23

19

09.08.2007

Verzicht auf Fahrerlaubnis

20

12.12.2007

Tilgung Nr. 3, § 29 Abs. 6 S. 4 StVG

-3

20

21

30.12.2008

Tilgung Nr. 5, § 29 Abs. 6 S. 4 StVG

-2

18

22

24.02.2010

Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis

23

10.05.2010

Anordnung MPU

24

30.06.2010

MPU-Gutachten TÜV Nord

25

07.07.2010

Neuerteilung Fahrerlaubnis

-18

26

21.07.2010

Tilgung Nr. 10, § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG

(-3)

Nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis kam es im Jahr 2011 erneut zu punkterelevanten Verkehrsverstößen des Antragstellers:

Lfd. Nr.

Datum

Ereignis

Rechts-/ Bestandskraft

Tilgung

Punkte

einzeln

Punkte insg.

27

20.02.2011

OWi Geschwindigkeit(22km/h außerorts)

14.05.2011

28

10.08.2011

OWi Geschwindigkeit(21km/h innerorts)

26.11.2011

29

30.08.2011

OWi Geschwindigkeit(22km/h innerorts)

28.10.2011

Am 1. Oktober 2011 verzog der Antragsteller von E nach E1. Am 12. Dezember 2011 teilte das Kraftfahrtbundesamt dem Antragsgegner mit, dass der Antragsteller 20 Punkte im Verkehrszentralregister erreicht habe. Hierauf hörte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 12. Januar 2012 zu der beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG an.

Mit Ordnungsverfügung vom 10. Februar 2012 - zugestellt am 17. Februar 2012 - entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis "gemäß § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 Ziffer 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG)" (1.) und wies darauf hin, dass gemäß "§ 80 Abs. 2 Ziffer 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) [...] in Verbindung mit § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG eine Anfechtungsklage gegen diese Verfügung keine aufschiebende Wirkung" habe (2.). Darüber hinaus entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis auch gemäß "§ 3 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 11 Abs. 7 und 46 Abs. 3 FeV [...] mit sofortiger Wirkung" (3.), forderte den Antragsteller zur Abgabe seines Führerscheins binnen drei Tagen auf (4.) und drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld von 250,00 Euro an (5.). Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, die Fahrerlaubnis sei bereits aufgrund der Eintragungen im Verkehrszentralregister (20 Punkte) zu entziehen gewesen. Darüber hinaus habe der Antragsteller dadurch, dass er nach dem positiven Gutachten noch dreimal mit punkterelevanten Verkehrsverstößen aufgefallen sei, seine Nichteignung belegt. Die "sofortige Vollziehung" wurde damit begründet, dass der Antragsteller nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erneut binnen kurzer Zeit drei Verkehrsverstöße begangen habe und sich hierdurch als charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe. Im Interesse der Sicherheit des Straßenverkehrs sei der Antragsteller bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren von der Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen.

Der Antragsteller hat am Montag, den 19. März 2012, die bei Gericht anhängige Klage (6 K 2768/12) erhoben. Er trägt vor, er sei anlässlich seiner Verzichtserklärung durch die Stadt E falsch beraten worden. Wäre ihm nämlich die Fahrerlaubnis entzogen worden, wären die dieser Maßnahme zugrunde liegenden Punkte bereits im Jahre 2007 gelöscht worden, so dass er bei Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht mit Punkten belastet gewesen wäre. Aufgrund der Falschberatung stehe ihm ein Folgenbeseitigungsanspruch dergestalt zu, dass er so zu stellen sei, als wäre ihm die Fahrerlaubnis im Jahre 2007 entzogen worden. Außerdem sei der Punktestand von 20 mit Blick auf § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG, wonach die vor 2007 begangenen Ordnungswidrigkeiten spätestens nach fünf Jahren zu tilgen seien, zu hoch angesetzt. Habe aber der Punktestand im Zeitpunkt der Neuerteilung unter 18 gelegen, hätte der Antragsgegner selbst bei Hinzukommen der weiteren - jeweils mit einem Punkt bewerteten - Zuwiderhandlungen zunächst ein Aufbauseminar anordnen müssen. Da dies nicht geschehen sei, sei der Punktestand gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 zu reduzieren.

Der Antragsteller hat seinen Führerschein im März 2012 bei dem Antragsgegner abgegeben.

Am 14. Februar 2013 hat der Antragsteller um Gewährung gerichtlichen Eilrechtsschutzes nachgesucht. Er trägt unter Ergänzung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens vor, dass er laut einer Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 29. Juni 2012 lediglich noch 17 Punkte aufweise. Die Ordnungswidrigkeit vom 3. Februar 2007 sei nicht mehr verzeichnet. Zu der Entziehung gemäß § 3 Abs. 1 StVG sei der Antragsteller nicht angehört worden. Diesbezüglich enthalte die Ordnungsverfügung auch keine Begründung. Im Übrigen seien die Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Abweichung vom Punktesystem, die nach der Rechtsprechung des OVG NRW (Beschluss vom 10. Dezember 2010 - 16 B 1392/10 -) nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig sei, sei hier bei lediglich drei fahrlässig begangenen und eher geringfügigen Geschwindigkeitsverstößen nicht geboten. Dies gelte nicht zuletzt mit Blick auf die dem MPU-Gutachten zugrunde liegende Fragestellung, die die Klärung einer Neigung zu künftigen erheblichen Verkehrsverstößen gefordert habe.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 10. Februar 2012 hinsichtlich Ziffern 1. und 5. anzuordnen sowie hinsichtlich Ziffern 3. und 4. festzustellen und die Vollziehung bezüglich Ziffer 4. aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß unter Bezugnahme auf das Verwaltungsverfahren,

den Antrag abzulehnen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat Erfolg.

1. Soweit der Antragsgegner die Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützt hat (Ziffer 1.), ist der gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag begründet.

Die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO durch das Gericht vorzunehmende Abwägung zwischen dem privaten Aufschubinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollziehungsinteresse fällt zu Lasten des Antragsgegners aus. Die aufgrund § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG ergangene Entziehung der Fahrerlaubnis stellt sich nach der im Eilrechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Überprüfung als offensichtlich rechtswidrig dar.

Ermächtigungsgrundlage dieser Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG. Ergeben sich demnach 18 oder mehr Punkte im Verkehrszentralregister, so gilt der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen; die Fahrerlaubnisbehörde hat die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Der Antragsteller hatte nach Aktenlage zu dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung maßgeblichen Erlasszeitpunkt die erforderliche Punktzahl von 18 Punkten im Verkehrszentralregister nicht erreicht. Nach der oben unter I. ersichtlichen Auflistung - der Gesamtpunktestand in der Spalte "Punkte insgesamt" ist vom Gericht errechnet worden - hatte der Antragsteller im Zeitpunkt der Zustellung der Ordnungsverfügung am 17. Februar 2012 lediglich 3 Punkte - nicht 18 oder gar 20 Punkte - erreicht.

Zwar waren seinerzeit die von der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 12. Dezember 2011 in Bezug genommenen Verkehrsverstöße Nr. 6 (OWi wegen Alkoholfahrt - 4 P.), Nr. 9 (Unfallflucht - 7 P.), Nr. 16 und 18 (2 OWi Geschwindigkeitsüberschreitung, je 3 P.) sowie Nr. 27. - 29. (3 OWi Geschwindigkeitsüberschreitung, je 1 P.) allesamt noch nicht tilgungsreif. Auch ergeben die hierfür jeweils anzusetzenden Punkte bei bloßer Addition einen Gesamtwert von 20 Punkten.

Diese Berechnung lässt jedoch zunächst eine gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG gebotene Punktereduzierung unberücksichtigt. So war der Punktestand am 21. Juli 2005 von 19 auf 17 zu reduzieren, da die Fahrerlaubnisbehörde bis dahin ein Aufbauseminar nicht angeordnet hatte. Ausgehend hiervon erreichte der Antragsteller in der Folgezeit bis zum 1. Juli 2010 18 Punkte.

Diese 18 Punkte waren im Übrigen am 7. Juli 2010 erloschen, weil dem Antragsteller die Fahrerlaubnis nach seinem im August 2007 erklärten Verzicht am 7. Juli 2010 wiedererteilt worden ist, nachdem er am 2. Juli 2010 ein positives medizinischpsychologisches Gutachten vorgelegt hatte, welches von der Fahrerlaubnisbehörde gerade wegen der mit Punkten bewerteten Verkehrsverstöße angeordnet worden war.

Dabei mag offen bleiben, ob die Löschung der Punkte unmittelbar aus der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vom 7. Juli 2010 folgt,

vgl. VG Berlin, Urteil vom 17. Februar 2010 - 20 A 200.07 -, juris,

oder ob jene letztlich auf einer entsprechenden Anwendung von § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG beruht.

vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 9 L 564/09 -, juris.

Die analoge Anwendung von § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG auf den vorliegenden Fall erscheint nicht ausgeschlossen. Dass die Vorschrift ausdrücklich nur die vor dem Verzicht begangenen Verkehrsverstöße erfassen kann, steht ihrer Heranziehung hier nicht entgegen. Die Zuwiderhandlungen, denen die genannten 18 Punkte zugrunde liegen, hat der Antragsteller nämlich allesamt vor Abgabe der Verzichtserklärung am 9. August 2007 begangen.

Nicht entgegen steht ferner die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, derzufolge ein Verzicht auf die Fahrerlaubnis nicht zur Löschung von Punkten im Verkehrszentralregister nach § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG führt.

Urteil vom 3. März 2011 - 3 C 1.10 -, BVerwGE 139, 120, juris.

Die Kammer geht davon aus, dass die zitierte Entscheidung lediglich eine isolierte Verzichtserklärung betraf und dieser - mit guten Gründen - keine punktelöschende Wirkung beimaß. Im vorliegenden Fall ist jedoch einzustellen, dass dem Antragsteller nach seinem Verzicht die Fahrerlaubnis unter Beachtung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 10 StVG wiedererteilt wurde (dazu sogleich). Legte man in dieser Fallkonstellation schematisch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde, führte dies zu dem nur schwerlich nachvollziehbaren Ergebnis, dass die Fahrerlaubnisbehörde trotz eines Punktestandes von 18 Punkten eine Fahrerlaubnis (wieder)erteilt hätte, die sie folglich von Gesetzes wegen sofort wieder hätte entziehen müssen.

Auch die bei einem Verzicht denkbare Möglichkeit der Manipulation des Punktsystems, der das Bundesverwaltungsgericht erkennbar entgegenwirken will, erscheint vorliegend ausgeschlossen. Die Gefahr der Manipulation des Punktesystems besteht nämlich nicht, wenn die mangelnde Fahreignung aufgrund des (unstreitigen) Überschreitens der 18‑Punkte-Grenze vermutet wird und die Fahrerlaubnis deshalb nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG zwingend zu entziehen wäre. Denn in diesem Fall kommt der Betroffene der Entziehung der Fahrerlaubnis durch den (kostengünstigeren) Verzicht lediglich zuvor. Eine Bevorteilung desjenigen, der auf seine Fahrerlaubnis im Rahmen eines Entziehungsverfahrens verzichtet, wird vermieden, wenn die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in solchen Fällen nur nach Maßgabe des § 4 Abs. 10 StVG erfolgt. Der Betroffene wird dann so gestellt, als ob die Fahrerlaubnis entzogen worden wäre. Ihm darf dann frühestens sechs Monate nach dem Verzicht eine neue Fahrerlaubnis erteilt werden und die Fahrerlaubnisbehörde hat zum Nachweis, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wiederhergestellt ist, in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen (§ 4 Abs. 10 StVG). Hat aber der Betroffene seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wiederhergestellt und dies nach Maßgabe des § 4 Abs. 10 StVG nach Ablauf der sechsmonatigen Sperrfrist durch die Beibringung eines entsprechenden Gutachtens nachgewiesen, findet dies auch durch die Löschung der bisherigen Punkte nach § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG seinen Niederschlag. Die in § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung, demjenigen, dem die Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG entzogen wurde und der die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nach vorheriger - positiver - Begutachtung wiedererlangt hat, Eintragungen vor der Entziehung nicht mehr als Grundlage von Maßnahmen nach dem Punktesystem entgegenzuhalten, korrespondiert auch mit den Fällen, in denen der Betroffene im Rahmen eines Entziehungsverfahrens "freiwillig" auf seine Fahrerlaubnis verzichtet hat. Für diese Auffassung spricht nicht zuletzt der Vergleich von § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG mit § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG: Beruht die Entziehung auf einer nicht rechtzeitigen Teilnahme an einem Aufbauseminar, ist nach § 4 Abs. 11 Satz 3 StVG regelmäßig keine Begutachtung vorgesehen, so dass nach § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG eine Löschung der Punkte gerade unterbleibt. Im Übringen sind die registerrechtlichen Folgen eines Verzichts und einer Entziehung identisch (vgl. § 28 Abs. 3 Nr. 2, 6, 7, § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3; Abs. 5 StVG. Verzicht und Entziehung wirken sich mithin auch hinsichtlich der "Registerwirkungen" gleich aus.

Vgl. eingehend VG Gelsenkirchen, a.a.O.; VG Berlin, a.a.O.

Nach diesen Grundsätzen sind die Punkte spätestens mit der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis im Juli 2010 gelöscht worden. Als dem Antragsteller aufgrund eines Punktestandes von über 18 Punkten die Entziehung seiner Fahrerlaubnis drohte, hatte er hierauf am 9. August 2007 verzichtet. Er legte sodann am 2. Juli 2010 ein medizinischpsychologisches Gutachten vor, das die seinerzeit zuständige Fahrerlaubnisbehörde in E gerade mit Blick auf die wiederholten und erheblichen - punktebewehrten - Verstöße gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen angeordnet hatte. Das Gutachten kam zu dem nicht offensichtlich unvertretbaren oder widerlegten Schluss, dass der Antragsteller aufgrund familiärer Ereignisse gereift sei und er an Einsichtsfähigkeit und Verantwortungsgefühl gewonnen habe, so dass zukünftig nicht mehr von fortgesetzten oder massiven Verstößen im Straßenverkehr auszugehen sei. Daraufhin erteilte ihm der Antragsgegner am 7. Juli 2010 - weit nach Ablauf der Sperrfrist des § 4 Abs. 10 Satz 1 StVG von sechs Monaten - eine neue Fahrerlaubnis.

2. Soweit der Antragsgegner die Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 7 FeV gestützt hat, war die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.

In diesem Zusammenhang hat die Kammer Ziffer 3. des angefochtenen Bescheides dahingehend ausgelegt, dass der Verweis auf die "sofortige Wirkung" der Entziehung der Sache nach die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO darstellt. Ansonsten gäbe die "Begründung der sofortigen Vollziehung" (S. 4 des Bescheides), derer es nur in diesen Fällen bedarf, keinen Sinn. Folgerichtig hatte auch der Antragsteller unter anderem die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

Das private Aufschubinteresse überwiegt auch hier das öffentliche Vollziehungsinteresse. Die Entziehung auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 7 FeV ist bei summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig, da die nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis begangenen Verkehrszuwiderhandlungen nicht unmittelbar auf die fehlende Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr schließen lassen.

Der Gesetzgeber geht, wie die Regelung des § 4 StVG zeigt, lediglich dann ohne Weiteres von der fehlenden (charakterlichen) Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen aus, wenn zu seinen Lasten 18 Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen sind. Nur in diesem Fall kann eine Ordnungswidrigkeit die entscheidende, die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigende Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ‑ allerdings nur im Zusammenhang mit den bereits zu Lasten des Fahrerlaubnisinhabers zuvor eingetragenen Zuwiderhandlungen ‑ sein. Ist ein derart hoher Punktestand nicht zu Lasten des Fahrerlaubnisinhabers eingetragen, so schließt dies zwar die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht aus, weil die Fahrerlaubnisbehörde nach § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG auch außerhalb des Punktesystems, insbesondere nach § 3 Abs. 1 StVG, eine Fahrerlaubnisentziehung verfügen kann; sie ist in diesem Fall aber gehalten, die Umstände des Einzelfalls sorgfältig zu würdigen, wenn sie außerhalb des Punktesystems zu einer Entziehung schreiten will. Dabei können auch Verkehrsordnungswidrigkeiten, werden sie beharrlich und häufig begangen, (ausnahmsweise) in besonders krassen Fällen die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Mängel oder zumindest die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens wegen (begründeter) Zweifel an der charakterlichen Eignung des Fahrerlaubnisinhabers rechtfertigen, weil bei dieser besonderen Fallgestaltung auf charakterliche Mängel, die sich in der beharrlichen Missachtung der Rechtsordnung (Verkehrsvorschriften) geäußert haben, geschlossen werden kann bzw. solche vermutet werden können.

Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 2. Dezember 1999 - 12 M 4307/99 -, DAR 2000, 133, juris.

Darüber hinaus ist unabhängig von der jeweiligen Punktzahl die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn deren Inhaber nach einer vormaligen Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Punktesystem, der Vorlage eines positiven medizinischpsychologischen Gutachtens und der Neuerteilung der Fahrerlaubnis binnen kurzer Zeit und in rascher Folge neuerlich Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr begeht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Juni 2011 - 16 B 212/11 -, NZV 2011, 572, juris; Beschluss vom 15. März 2012 - 16 B 241/12 -.

Wiegen aber die neuerlichen Zuwiderhandlungen weniger schwer oder ist der zeitliche Abstand zwischen ihnen weniger eng, ist in solchen Fällen nicht von der feststehenden fehlenden Fahreignung auszugehen. Es kommt allenfalls ein Bestehen begründeter Fahreignungszweifel in Betracht. Die Fahrerlaubnisbehörde kann dann im Rahmen des ihr von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV eingeräumten Ermessens die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens verlangen. Die Gutachtensaufforderung muss allerdings erkennen lassen, dass es im jeweiligen Einzelfall gerechtfertigt ist, nicht (nur) nach den grundsätzlich vorrangigen Maßnahmen, die das sogenannte Punktesystem erlaubt, vorzugehen, sondern eine medizinischpsychologische Untersuchung anzufordern.

Bay.VGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 11 CS 11.2708 -, juris.

Diese Vorgehensweise steht in Übereinstimmung mit den Anforderungen der Rechtsprechung. Wer - insbesondere nach vorangegangenem Fahrerlaubnisentzug - häufig und in engerem zeitlichem Zusammenhang Verkehrsverstöße von einigem Gewicht begeht und dadurch zeigt, dass er sich an die Verkehrsordnung nicht halten will, ist fahrungeeignet bzw. gibt Anlass für eine Eignungsüberprüfung.

Vgl. Bay.VGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 11 CS 11.2708 -, juris m.w.N.; Nds. OVG, Beschluss vom 2. Dezember 1999 - 12 M 4307/99 -, DAR 2000, 133, juris; OVG M.-V., Beschluss vom 7. November 2003 - 1 M 205/03 -, juris. Vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2002 - 11 A 286.02 -, NZV 2002, 338, juris, wonach eine fünfmalige erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb von vier Jahren einen Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigen kann. Gleiches gilt für erhebliche oder wiederholte Geschwindigkeitsüberschreitungen, selbst wenn keine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer eingetreten ist, Nds. OVG, Beschluss vom 21. November 2006 - 12 ME 354/06 -, NJW 2007, 313, juris.

Nach Ansicht der Kammer sind diese Verstöße im vorliegenden Fall noch nicht so gehäuft oder so massiv, dass die fehlende Fahreignung des Antragstellers bereits feststehen würde. Es handelt sich um drei Geschwindigkeitsübertretungen, die binnen eines halben Jahres - wenngleich zuletzt zweimal im August 2011 - begangen wurden und jeweils knapp in den punkterelevanten Bereich hineinragen.

Dass der Antragsteller nicht zu einer Entziehung gemäß § 3 Abs. 1 StVG angehört wurde, kann damit hier auf sich beruhen.

3. Bei dieser Sachlage war die aufschiebende Wirkung der Klage auch bezüglich der Aufforderung zur Führerscheinabgabe, die nicht kraft Gesetzes vollziehbar ist (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV), wiederherzustellen und insoweit, da der Führerschein im März 2012 eingezogen wurde, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO auch die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen.

4. Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung war die aufschiebende Wirkung anzuordnen, da es an einer vollstreckbaren Grundverfügung i.S.d. § 55 Abs. 1 VwVG NRW fehlt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Dabei legt die Kammer im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung für die Entziehung der Fahrerlaubnis im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Hälfte des Auffangwertes zugrunde. Die Zwangsgeldandrohung bleibt streitwertmäßig außer Betracht (Ziffer 1.6.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004).