BFH, Urteil vom 26.10.2011 - VII R 50/10
Fundstelle
openJur 2013, 18338
  • Rkr:
Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist als Rechtsanwältin in A berufstätig. 2004 übernahm sie auf Bitten ihres Vaters als dessen Treuhänderin die Kommanditeinlage der X-GmbH & Co. KG (X-KG), sämtliche Geschäftsanteile der Komplementär-GmbH (X-GmbH) und die Geschäftsführung der X-GmbH. Die X-KG hatte sämtliche Dienstleistungen für die Y-GmbH, die in B ein Altenpflegeheim betrieb und deren Geschäftsführer der Vater war, übernommen. Faktisch führte der Vater, den die Klägerin in vollem Umfang bevollmächtigt hatte, sämtliche Geschäfte. Diese Tätigkeit überwachte die Klägerin nicht.

2005 wurde die X-KG wegen unberechtigter Entnahmen des Vaters insolvent. Als die Klägerin 2007 davon erfuhr, stellte sie umgehend Insolvenzantrag. Das Insolvenzverfahren wurde einen Monat nach dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Y-GmbH eröffnet, die zeitgleich --wie auch der Vater selbst-- insolvent geworden war.

Wegen rückständiger, von Februar bis November 2006 fällig gewordener Umsatzsteuer und Säumniszuschläge der X-KG nahm der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Klägerin 2007 in Höhe von 76.655 EUR in Haftung. Der Bescheid ist bestandskräftig. Insgesamt belaufen sich die aus der Insolvenz der X-KG und X-GmbH herrührenden Schulden der Klägerin wegen Steuern, Sozialabgaben und Schuldanerkenntnissen gegenüber dem Insolvenzverwalter auf rund 200.000 EUR.

2008 bot die Klägerin sämtlichen Gläubigern den Abschluss eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplans an, nach dem sie aufgrund eines von ihrem Ehemann in Aussicht gestellten Darlehens in Höhe von 15.000 EUR in den folgenden fünf Jahren die Abtretung ihrer pfändbaren Gewinne aus ihrer selbständigen Tätigkeit gegen Befreiung von der Restschuld in Aussicht gestellt hatte. Zugleich teilte sie mit, die zuständige Rechtsanwaltskammer habe im Hinblick auf § 14 Abs. 2 Nr. 7 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) bereits ein Verfahren zum Entzug der Zulassung eröffnet und warte nur noch die Entscheidung über den Schuldenbereinigungsplan ab. Bis auf das FA und eine weitere Finanzbehörde stimmten die Gläubiger dem Plan zu. Das FA lehnte in Abstimmung mit dem anderen FA sowohl die Teilnahme an dem Verfahren im Hinblick auf § 305 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) als auch den Erlass der Haftungsschuld ab.

Nach einem weiteren erfolglosen Antrag der Klägerin, an einem von ihr vorgeschlagenen Schuldenbereinigungsverfahren teilzunehmen, lehnte das FA wiederum einen Erlassantrag der Klägerin ab, den sie im Wesentlichen mit der Gefahr der Existenzvernichtung infolge des wegen Vermögensverfalls zu erwartenden Widerrufs ihrer Anwaltszulassung begründet hatte. Eine Beteiligung an einer außergerichtlichen Bereinigung sei nicht möglich und außerdem fehle es sowohl an der Erlassbedürftigkeit als auch an der Erlasswürdigkeit der Klägerin.

Das Finanzgericht (FG) gab einem daraufhin von der Klägerin gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz statt und gab dem FA im Wege einer einstweiligen Anordnung auf, "die Vollstreckung einstweilig einzustellen, und zwar bis einen Monat nach Bekanntgabe einer erneuten Entscheidung ... über den mit der Teilnahme am Schuldenbereinigungsplan verbundenen Erlass."

Das FA wies den Einspruch zurück. Einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO gebe es nur im Fall des der Klägerin nicht möglichen Verbraucherinsolvenzverfahrens. Zudem fehle es für einen Erlass nach § 227 der Abgabenordnung (AO) an der Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit. So stehe nicht fest, dass der Widerruf der Rechtsanwaltszulassung im Fall der Versagung des Erlasses unmittelbar bevorstehe. Aber selbst ein drohender Widerruf der Zulassung geböte den Erlass der Forderungen nicht, denn andernfalls würden die Angehörigen rechtsberatender Berufe gegenüber nicht zulassungsabhängigen Berufstätigen begünstigt. Der Klägerin sei zuzumuten, ggf. eine andere juristische Tätigkeit auszuüben. Zudem sei der Lebensunterhalt der Familie der Klägerin angesichts der erheblichen Einkünfte ihres Ehemannes auch im Fall des Verlusts der Anwaltszulassung nicht gefährdet. An der Erlasswürdigkeit der Klägerin fehle es, da sie es dem Vater ermöglicht habe, den Steuerschaden herbeizuführen, indem sie sich vom Vater als Treuhänderin habe vorschieben lassen und die Pro-forma-Geschäftsführung übernommen habe.

Der von der Klägerin --mit dem ausdrücklichen Ziel einer Schuldenbereinigung zur Vermeidung des Entzugs der Anwaltszulassung-- weiterverfolgten Klage gab das FG mit dem Tenor statt:

"Der Beklagte wird ... verpflichtet, der Klägerin die mit Haftungsbescheid vom ... festgesetzten Steuern und die darauf entstandenen Zinsen und Säumniszuschläge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erlassen, soweit sie nicht innerhalb von sechs Jahren in Durchführung des von der Klägerin vorgeschlagenen und ihren übrigen Gläubigern angenommenen Schuldenbereinigungsplans getilgt worden sind."

Nach Auffassung des FG war das dem FA nach § 227 AO eingeräumte Ermessen im Streitfall auf Null reduziert. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Zustimmung zu dem Schuldenbereinigungsplan und einen insoweit bedingten und durch Nebenbestimmungen konkretisierten Erlass. Die persönliche Unbilligkeit sei gegeben, weil ohne Erlass im Rahmen des Schuldenbereinigungsplans die wirtschaftliche Existenz der Klägerin als Rechtsanwältin wegen des dann zu erwartenden Widerrufs der Anwaltszulassung vernichtet würde. Der Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Ehemann sei insoweit unbeachtlich, zumal grundsätzlich auf die Dauer der Ehe beschränkt. Eine den Erlass hindernde Erlassunwürdigkeit sei nicht erkennbar. Insbesondere habe sie durch die unterlassene Kontrolle ihres Vaters nicht billigend in Kauf genommen, dass er gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen werde. Angesichts des langjährig erfolgreichen Betriebs des Altenheims habe sie kein Misstrauen hegen müssen. Aber selbst bei fehlender Erlasswürdigkeit müsse bei gehöriger Abwägung des Allgemeininteresses gegen die Pflichtverletzung wegen des verfassungsrechtlichen Gewichts der Berufsfreiheit dem Existenzerhalt der Klägerin Vorrang gegeben werden.

Das FA begründet die Revision zum einen damit, dass der Urteilstenor mangels hinreichender Bestimmtheit und Bestimmbarkeit unwirksam sei. Es sei nicht hinreichend erkennbar, was von ihm verlangt werde, ein sofortiger Erlass unter der auflösenden Bedingung der --im Einzelnen ungewissen-- Durchführung eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplans oder ein künftiger, von der Durchführung eines nicht klar bezeichneten Schuldenbereinigungsplans abhängiger und deshalb zeitlich und inhaltlich unbestimmter Erlass oder die verbindliche Zusicherung eines zukünftigen Erlasses, auf die mangels gesetzlicher Grundlage kein Rechtsanspruch und auch kein Anspruch auf eine diesbezügliche Ermessensentscheidung bestehe.

Des Weiteren habe das FG die Erlassbedürftigkeit der Klägerin zu Unrecht bejaht. Der Widerruf der Anwaltszulassung sei keinesfalls notwendige Folge der Ablehnung des Erlassantrags. Abgesehen davon habe das FG verkannt, dass auch von der Klägerin ohne Verstoß gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 des Grundgesetzes (GG) eine Veränderung ihrer juristischen Betätigung verlangt werden könne.

Erlasswürdig sei die Klägerin nicht, weil sie als Rechtsanwältin ihre Geschäftsführerpflichten habe kennen müssen und sie sich nicht mit persönlichen Umständen wie Schwangerschaft, räumlicher Distanz oder dem bislang ungestörten persönlichen Verhältnis zu dem die Geschäftsführertätigkeit faktisch ausübenden Vater entschuldigen könne.

Schließlich habe das FG die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht beachtet, wonach eine Existenzgefährdung als alleiniger Erlassgrund ausscheide, wenn wegen bestehender familienrechtlicher Unterhaltsansprüche keine Gefahr der Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe bestehe.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG die Klage abzuweisen, hilfsweise den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin bezieht sich auf ihr Vorbringen im Beschwerdeverfahren, verteidigt die Entscheidung des FG und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht, § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Ablehnung des FA, der Klägerin die Haftungsschuld nach Maßgabe der von ihr formulierten Bedingungen zu erlassen, ist nicht zu beanstanden.

1. Die Revision ist bereits begründet und das Urteil wegen Verstoßes gegen die Grundordnung des Verfahrens aufzuheben, weil die Urteilsformel (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO) des finanzgerichtlichen Urteils unklar ist und auch nicht in einem bestimmten Sinn zweifelsfrei ausgelegt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juli 1993 VIII R 67/91, BFHE 173, 480, BStBl II 1994, 469; BFH-Beschlüsse vom 5. August 2010 IX B 30/10, BFH/NV 2010, 2104; vom 14. November 2005 X B 106/05, BFH/NV 2006, 580; vom 11. November 2005 XI B 171/04, BFH/NV 2006, 349).

Wie das FA in der Revisionsbegründung zutreffend ausgeführt hat, ist der Entscheidung nicht zweifelsfrei zu entnehmen, welche Verpflichtung das FG dem FA auferlegt hat. Selbst wenn man bei wohlwollendem Verständnis den Tenor so verstehen kann, dass das FA --in welchem rechtlichen Kleid auch immer-- verpflichtet wird, die nach der vereinbarungsgemäßen Erfüllung eines Schuldenbereinigungsplans dann noch verbliebene Haftungsschuld zu erlassen, so bleibt unklar, welcher Schuldenbereinigungsplan zugrunde liegt, ob er mit den übrigen Gläubigern überhaupt zustande kommt und wann der Erlass auszusprechen ist. Das FA hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin im Laufe des Verfahrens mehrere Schuldenbereinigungspläne unterbreitet hat, so dass schon die Laufzeit der Schuldentilgung und damit auch ungewiss ist, für welche Zeiträume die Klägerin ihre pfändbaren Einkünfte abzuführen hat.

2. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Sie ist spruchreif.

a) Ein vor dem FG einklagbarer Anspruch auf Beteiligung des FA an einem Schuldenbereinigungsverfahren ergibt sich nicht aus der Insolvenzordnung.

Zwar verlangt die Insolvenzordnung zur Vermeidung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens nach §§ 304 ff. InsO den Versuch einer außergerichtlichen Schuldenbereinigung. Die Zustimmung der Gläubiger zu einem Schuldenbereinigungsplan i.S. des § 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO wäre aber gemäß § 309 InsO beim Insolvenzgericht einzuklagen.

b) Auch aus dem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 11. Januar 2002 (BStBl I 2002, 132), der ermessensregelnde "Kriterien für die Entscheidung über einen Antrag auf außergerichtliche Schuldenbereinigung (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO)" enthält, auf deren Einhaltung ein Steuerschuldner aufgrund der damit eingetretenen Selbstbindung der Verwaltung grundsätzlich Anspruch hat (BFH-Urteil vom 29. März 2007 IV R 14/05, BFHE 217, 525, BStBl II 2007, 816, unter II.2. der Gründe, m.w.N.), kann die Klägerin keinen Anspruch auf Zustimmung des FA ableiten. Denn dieser Erlass gilt nur im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens nach §§ 304 ff. InsO, das für die Klägerin nicht in Betracht kommt. Denn das Verbraucherinsolvenzverfahren können nur nicht selbständig Tätige wählen (§ 304 Abs. 1 Satz 1 InsO; Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 14. November 2002 IX ZB 152/02, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2003, 591). Die Klägerin will aber ihre selbständige Anwaltstätigkeit fortsetzen.

c) Als Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Beteiligung des FA an dem von der Klägerin gewünschten Schuldenbereinigungsverfahren kommt im Streitfall allein § 227 AO in Betracht.

Nach § 227 AO können Steuern erstattet oder erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Die Unbilligkeit kann dabei in der Sache selbst oder in der Person des Steuerpflichtigen begründet liegen.

Der Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit voraus. Nur die Erfüllung beider Voraussetzungen lässt die Einziehung der Steuer als unbillig erscheinen. Deshalb reicht für die Ablehnung eines Erlasses bereits die Verneinung einer Voraussetzung aus (BFH-Beschlüsse vom 18. August 1988 V B 71/88, BFH/NV 1990, 137; vom 9. Dezember 2009 IX B 132/09, BFH/NV 2010, 646).

Da die Entscheidung über die Gewährung oder Versagung von Billigkeitsmaßnahmen eine Ermessensentscheidung ist (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603), können Gegenstand der richterlichen Kontrolle nur diejenigen für die Verwaltungsentscheidung maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse sein, die der Finanzbehörde im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen (ständige Rechtsprechung, Senatsurteil vom 30. Oktober 1990 VII R 106/87, BFH/NV 1991, 509, m.w.N.).

Die Klägerin hat mangels Erlassbedürftigkeit keinen Anspruch auf (Teil-)Erlass ihrer Schulden, die ablehnende Entscheidung des FA ist auch nicht ermessensfehlerhaft.

Persönliche Unbilligkeit in Gestalt der Erlassbedürftigkeit liegt vor, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde.

aa) Das ist der Fall, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (BFH-Urteil vom 27. September 2001 X R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176, m.w.N.).

Das FA hat den Lebensunterhalt der Klägerin und ihrer Familie wegen der Einkünfte und des Vermögens ihres Ehegatten nicht als durch die Haftungsinanspruchnahme gefährdet angesehen. Die Klägerin hat diesen Sachverhalt noch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat zugestanden.

Es entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die Frage der Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts bei Eheleuten nicht ohne Berücksichtigung der Grundsätze des Familienunterhaltsrechts zu beurteilen. Dies gilt jedenfalls bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Mai 2007 XI S 4/07 (PKH), BFH/NV 2007, 1620; vom 31. März 1982 I B 97/81, BFHE 135, 410, BStBl II 1982, 530, m.w.N.; vom 3. Oktober 1988 IV S 5/86, BFH/NV 1989, 411; anschließend auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. August 1990  8 C 42/88, NJW 1991, 1073; grundlegend Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Februar 1961  1 BvR 314/60, BVerfGE 12, 180, BStBl I 1961, 63, unter B.III.). Bei einem Erlassantrag nicht getrennt lebender Eheleute ist danach die persönliche Erlassbedürftigkeit für die Ehegatten unter Einbeziehung ihrer gemeinsamen Einkommens- und Vermögenslage zu würdigen.

Der Streitfall bietet keine Veranlassung, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Daran ändert auch nichts, dass das FG die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Klägerin bejaht hat, weil ihr Unterhaltsanspruch auf die Dauer der Ehe beschränkt und die wirtschaftliche Existenz der Klägerin über die Ehezeit hinaus nur durch ihre eigene Berufstätigkeit gesichert sei. Den Widerspruch zur zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung begründet das FG nicht. Die Möglichkeit, dass der Unterhaltsanspruch künftig wegfallen kann, muss --da es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung ankommt-- unberücksichtigt bleiben. Das FA hat zutreffend darauf hingewiesen, dass bei veränderter Sachlage ein erneuter Erlassantrag gestellt werden kann.

bb) Es entspricht auch der BFH-Rechtsprechung, wenn das FA in einem möglichen Widerruf der Rechtsanwaltszulassung der Klägerin keine einen Erlass erfordernde Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz gesehen hat.

Richtig ist allerdings, dass die Klägerin mit einem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechnen muss, wenn die von ihr angestrebte außergerichtliche Schuldenbereinigung mangels Zustimmung des FA scheitert, und dass mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls greift, die zum Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft führt, es sei denn, durch den Vermögensverfall sind die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO).

Abgesehen davon, dass die Ablehnung des Erlasses durch das FA nicht unmittelbar den Widerruf der Rechtsanwaltszulassung zur Folge hat, sondern erst der Insolvenzantrag --der, sofern vom FA gestellt, ebenfalls eine nachprüfbare Ermessensentscheidung voraussetzt-- zur Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO führen könnte, würde selbst ein unmittelbar drohender Widerruf der Anwaltszulassung die Erlassbedürftigkeit der Klägerin nicht begründen. Dem Urteil sind keine Feststellungen zu entnehmen und es ist auch sonst nicht ersichtlich, weshalb es der Klägerin nicht möglich oder zumindest nicht zumutbar sein sollte, eine andere Erwerbstätigkeit als die einer Anwältin aufzunehmen. Angesichts ihrer juristischen Qualifikation ist die Bandbreite der möglichen Berufe nicht gering. Aber selbst Tätigkeiten ohne juristische Qualifikationsanforderungen wären ihr angesichts ihrer Verpflichtung, größtmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um die Abgabenschulden zu begleichen, grundsätzlich zumutbar.

Nicht näher begründet und nicht nachvollziehbar ist die Auffassung des FG, der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG schütze die konkret gewählte Berufstätigkeit als Strafverteidigerin und deshalb sei ein Verlangen, auf diese zu verzichten und eine andere juristische Berufstätigkeit aufzunehmen, um in den Genuss eines Teilerlasses im Wege der Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren zu kommen, schlechthin sachwidrig. In Konsequenz dieser Annahme müsste das FA stets Steuerforderungen erlassen, wenn die Gefahr des Widerrufs der Anwaltszulassung wegen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder Eintragung in das Schuldnerverzeichnis nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, § 915 der Zivilprozessordnung --ZPO--, § 284 AO) bestünde. Der Gesetzgeber hat aber diese Instrumente der Vollstreckung generell bereitgestellt, um die Durchsetzung von Abgabenansprüchen möglichst umfassend sicher zu stellen. Das FA hat im Interesse der Allgemeinheit grundsätzlich die Pflicht, Steueransprüche auch im Zwangswege durchzusetzen. Die Wahrnehmung dieser Pflicht ist nicht schon deshalb unbillig, weil sie zu einer erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigung des Steuerschuldners führt (Senatsbeschluss vom 18. Mai 1982 VII B 9/82, juris). Für die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, die ebenfalls den Widerruf der Anwaltszulassung zur Folge haben kann, hat der Senat ausdrücklich klargestellt, dass die Gefährdung der wirtschaftlichen und persönlichen Existenz ein Faktor ist, der allgemein im Rahmen des § 284 AO in Erwägung zu ziehen ist und vom Gesetzgeber sogar bewusst in Kauf genommen wird, um das Ziel der eidesstattlichen Versicherung als Druckmittel zur Steigerung der Zahlungsmoral des Vollstreckungsschuldners zu erreichen (z.B. Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2001 VII B 15/01, BFH/NV 2002, 160).

Der BGH hat dementsprechend Vollstreckungsschutz bei mit den guten Sitten nicht vereinbarer Härte nach § 765a ZPO nicht deshalb gewährt, weil dem Schuldner im Fall der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung der Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft drohte. Läge, so der BGH, in der generellen Möglichkeit des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft schon per se eine sittenwidrige Härte, liefe die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO weitgehend leer, weil aufgrund der Schutzvorschrift des § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO schon von vornherein weder die eidesstattliche Versicherung abgegeben noch ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet werden könnte. Diese Konsequenz laufe ersichtlich dem Schutzzweck des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zuwider (BGH-Beschluss vom 10. Dezember 2009 I ZB 36/09, NJW 2010, 1002).

d) Da das FA nach alledem die Erlassbedürftigkeit der Klägerin und damit die persönliche Unbilligkeit der angefochtenen Entscheidung aus Gründen verneint hat, die auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Ablehnung eines Erlassantrags rechtfertigen, das FG keine weiteren tatsächlichen Umstände festgestellt hat, die bei der Entscheidung über den Erlassantrag von Bedeutung sein können und die Klägerin insoweit auch keine Sachaufklärungsmängel gerügt hat, vermag der Senat keinen Ermessensfehler des FA zu erkennen, der nach § 102 FGO die Aufhebung der Behördenentscheidung und erst recht nicht die Verpflichtung des FA zu der vom FG für richtig gehaltenen Entscheidung rechtfertigt.

Auf die von den Beteiligten unterschiedlich beurteilte Erlasswürdigkeit der Klägerin, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, sie habe sich bei der Übernahme und Wahrnehmung der Geschäftsführeraufgabe in einer psychischen Zwangslage gegenüber ihrem als "Patron" bezeichneten Vater gefühlt, kommt es demnach nicht an.

Der Senat weist darauf hin, dass der BFH in ständiger Rechtsprechung die Haftung eines Geschäftsführers wegen grob fahrlässiger Verletzung seiner steuerlichen Pflichten bejaht, selbst wenn er keine Möglichkeit hatte, innerhalb der Gesellschaft seine rechtliche Stellung als Geschäftsführer zu verwirklichen und die steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Ist der Geschäftsführer nicht in der Lage, sich innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen und seiner Rechtsstellung gemäß zu handeln, so muss er als Geschäftsführer zurücktreten und darf nicht im Rechtsverkehr den Eindruck erwecken, als sorge er für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte der GmbH (vgl. schon BFH-Urteil vom 7. November 1963 V 45/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964, 96). Das gilt grundsätzlich auch für die Kinder und Angehörigen der die Gesellschaft tatsächlich beherrschenden Person, selbst wenn ihnen ihr Amt als Geschäftsführer gegen ihren Willen aufgedrängt worden ist. Eine Ausnahme hat der BFH nur in einem Fall für denkbar gehalten, in dem ein junger Mann von seinem Vater unter Drohungen für Leib und Leben zur Gründung der GmbH gezwungen worden war und der Vater während des Bestehens der GmbH seinen Willen ihm gegenüber stets mit Gewalt durchgesetzt hatte (Senatsbeschluss vom 5. März 1985 VII B 52/84, BFH/NV 1987, 459). Diese Erwägungen sind auch bei der Prüfung eines Erlassbegehrens anzustellen. Die Klägerin hat aber nicht behauptet, in einer vergleichbaren Zwangslage gewesen zu sein.