OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.01.2013 - 13 B 971/12
Fundstelle
openJur 2013, 16769
  • Rkr:

Die infolge eines - auch verfahrensfehlerhaft durchgeführten - Überbuchungsverfahrens erfolgte Besetzung von Studienplätzen führt grundsätzlich weder zu einer Rechtsverletzung des Bewerbers um einen "außerkapazitären" Studienplatz, noch vermittelt sie diesem einen Rechtsanspruch auf Zuweisung eines solchen.

Bei der Ausgestaltung des Auswahlverfahrens zum Masterstudium bei einem Überhang zugangsberechtigter Bewerber muss der aus dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss folgenden Qualifikation maßgeblicher Einfluss zukommen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 2. August 2012 geändert.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Kosten beider Rechtszüge trägt die Antrag­stellerin.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdever­fahren auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Die von ihr fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO, geben Anlass, den angefochtenen Beschluss abzuändern.

Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anord­nung verpflichtet, die Antragstellerin nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhält­nissen des Sommersemesters 2012 zum Master-Studiengang Wirtschaftswissen­schaften im ersten Fachsemester vorläufig zuzulassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsgegnerin habe die kapazitäre Sollzahl von 21 Studienplätzen als variable Größe behandelt und mit der Zulassung von 58 Studien­bewerbern eine deutliche Überbuchung vorgenommen. Ihr den Bewerbern entge­genkommendes Verhalten führe dazu, dass bei einer ‑ wie hier ‑ greifbar anzuneh­menden ausreichenden Kapazität eine zusätzliche Zulassungsverpflichtung bestehe. Es spreche einiges dafür, dass die Antragstellerin auch innerhalb der festgesetzten Kapazität zum Studium zuzulassen wäre. Bei der Ausgestaltung des Zugangs- wie auch des späteren Auswahlverfahrens müsse der aus dem ersten berufsqualifizie­renden Abschluss folgenden Qualifikation maßgeblicher Einfluss zukommen. Ob die von der Antragsgegnerin vorgenommene Vergabepraxis diesen Anforderungen ge­nüge, sei zweifelhaft, könne aber wegen des der Antragstellerin zustehenden außerkapazitären Zulassungsanspruchs letztlich offen bleiben.

Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin führt zur Auf­hebung des angegriffenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags der Antrag­stellerin.

1. Der Antragstellerin steht kein außerkapazitärer Zulassungsanspruch wegen Über­buchung zu.

Mit der Überbuchung durch die Zulassung von mehr Bewerbern, als dies nach der festgesetzten Zulassungszahl geboten ist, soll den Hochschulen ermöglicht werden, die Studienplätze möglichst vollständig im ersten Zulassungsdurchgang zu besetzen (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 4, § 23 Abs. 2 Satz 1 VergabeVO NRW). Die Bindung der Hochschule an die Zulassungszahl dient - ausgehend davon, dass die Zulassungs­zahl entsprechend den Vorgaben der Kapazitätsverordnung kapazitätserschöpfend festgesetzt ist - der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Hochschulbetriebes, also dem Schutz der Rechte von Hochschule, Hochschullehrern und eingeschriebe­nen Studenten. Die infolge eines - auch verfahrensfehlerhaft durchgeführten - Über­buchungsverfahrens erfolgte Besetzung von Studienplätzen jenseits der festgesetz­ten Kapazität führt deshalb grundsätzlich weder zu einer Rechtsverletzung des Be­werbers um einen "außerkapazitären" Studienplatz, noch vermittelt sie diesem einen Rechtsanspruch auf Zuweisung eines solchen.

Vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18. Juni 2006 - 1 N 07 -, juris; Rn. 7; vgl. auch Maier, Zur überobligatorischen Vergabe von Stu­dienplätzen durch staatliche Hochschulen, DVBl. 2012, 615 (621).

Dementsprechend kann der auf die Zuweisung eines außerkapazitären Studienplat­zes klagende Bewerber nur erfolgreich sein, wenn trotz erfolgter kapazitätsverzeh­rend wirkender Überbuchung,

vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Februar 2012 ‑ 13 C 73/11 -, juris, Rn. 7, sowie Beschluss vom 15. Juni 2011 - 13 C 55/11 -, juris, Rn. 6 ff. (zur ka­pazitätsverzehrenden Wirkung einer Überbuchung bei unzutreffender Prognose),

gleichwohl weitere Studienplätze nicht in das Vergabeverfahren einbezogen wurden und bei Einhaltung der normativ vorgegebenen Verteilungsmaßstäbe ungenutzt blie­ben und unwiederbringlich verlorengingen. Insoweit verbleibt es bei dem Grundsatz, dass Art. 12 Abs. 1 GG den Staat zur Ausnutzung und Auslastung von Kapazitäten (Kapazitätserschöpfungsgebot) und zur gleichheitskonformen Verteilung von Kapa­zitäten verpflichtet. Das Kapazitätserschöpfungsgebot begründet ein Recht auf Teil­habe an und auf Ausschöpfung der tatsächlich vorhandenen, nach den Regelungen der Kapazitätsverordnung unter Beachtung auch der Rechte der Hochschule ermit­telten Ausbildungskapazität.

Vgl. insoweit zum Kapazitätserschöpfungsgebot OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2011 - 13 C 67/11 -, juris, Rn. 2 m.w.N.

a) Ob vom Vorliegen nicht erschöpfter Kapazitäten schon dann auszugehen ist, wenn die Hochschule durch eine von vornherein beabsichtige Überschreitung die Sollzahl nach der Zulassungszahlenverordnung als variable Größe behandelt und eine deutliche Überbuchung vornimmt,

vgl. den einen Einzelfall mit greifbar weiterer Kapa­zität betreffenden Senatsbeschluss vom 26. Januar 2011 - 13 B 1640/10 -, juris, Rn. 32, sowie Schemmer, Überbuchung und Schaffung weiterer Studienplatzkapazitäten, DVBl. 2011, S. 1338 (1339f.),

kann offen bleiben. Dies dürfte allenfalls in Ausnahmefällen anzunehmen sein.

Für eine solche Annahme bietet die Überbuchungspraxis der Antragsgegnerin jedenfalls keinen Anlass. Die Antragsgegnerin hat mit der Beschwerde für den Senat nachvollziehbar sowie durch eidesstattliche Versicherung belegt erklärt, der von ihr gewählte Überbuchungsfaktor von etwas unter 3 sei gewählt worden, um die Ver­gabe der nach der Zulassungszahlenverordnung ausgewiesenen Studienplätze sicherzustellen. Im Wintersemester 2011/12 seien für den Masterstudiengang Wirt­schaftswissenschaften 38 Plätze ausgewiesen worden. Im seinerzeitigen Verfahren habe die Universität Bielefeld 75 Zulassungen ausgesprochen. Von den 75 Bewer­bern hätten 43 die Annahme des Studienplatzes erklärt, 35 den Antrag auf Ein­schreibung gestellt und sich letztlich tatsächlich nur 15 ein- bzw. umgeschrieben. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung sei im folgenden Sommersemester ein etwas höherer Überbuchungsfaktor gewählt worden. Die Antragsgegnerin nehme Über­buchungen - teilweise mit einem Faktor von bis zu 7 - auch in anderen Studiengän­gen vor, ohne die in der Zulassungszahlenverordnung ausgewiesene Höchstzahl zu überschreiten.

Die Erklärung der Antragsgegnerin, sie habe mit der Überbuchung nur die Besetzung aller verfügbaren Studienplätze sicherstellen wollen, wird durch die Erhöhung der Zulassungszahlen von 33 auf 37 für den Masterstudiengang Wirtschaftswissen­schaften für das Wintersemester 2012/2013 nicht in Frage gestellt. Die Erhöhung der Studienplatzzahl im Wintersemester 2012/2013 beruhte nicht auf einer von der An­tragsgegnerin veranlassten Überbuchung. Sie ergab sich vielmehr in Folge einer er­neuten Kapazitätsberechnung, die eine Änderung der Verordnung über die Festset­zung von Zulassungszahlen und die Vergabe von Studienplätzen im ersten Fachse­mester für das Wintersemester 2012/2013 vom 20. Juni 2012 (GV.NRW. S. 230 (244)) erforderlich machte (vgl. Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von Studienplätzen im ersten Fachsemester für das Wintersemester 2012/2013 vom 12. November 2012 (GV. NRW. S. 580 (594)).

b) Im Übrigen dürften, soweit sich für das Sommersemester 2012 entsprechend der Erklärung der Antragsgegnerin vom 11. Juni 2012 insgesamt 33 Bewerber tatsäch­lich eingeschrieben haben, vorhandene Kapazitäten ausgeschöpft worden sein. Es lässt sich jedenfalls bei summarischer Prüfung nicht feststellen, dass über die die festgesetzte Aufnahmekapazität (21) deutlich übersteigende kapazitätsdeckende Überlast hinaus weitere außerkapazitäre Studienplätze zur Verfügung stehen. Für eine fehlerhaft erfolgte Kapazitätsberechnung ist auch dem Vorbringen der Antrag­stellerin nichts zu entnehmen.

2. Die Antragstellerin ist weiter nicht wegen eines rechtswidrig ausgestalteten Zulas­sungsverfahrens zum Masterstudium zuzulassen.

Das Zulassungsverfahren ist nicht deshalb rechtswidrig, weil es dazu führen kann, dass Studienbewerbern mit einer deutlich schlechteren Abschlussnote der Vorrang vor der Antragstellerin eingeräumt wird. Soweit das Verwaltungsgericht insoweit den von der Antragsgegnerin nach Maßgabe von Nr. 2 (4) der "Fächerspezifischen Be­stimmungen für das Fach Wirtschaftswissenschaften vom 1. Juli 2011" zu berück­sichtigenden Konsistenzfaktor für bedenklich hält, wirkt sich dies angesichts der Einordnung der Antragstellerin in die bestmögliche Kategorie 4 unstreitig schon nicht zu ihren Lasten aus.

Im Übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung des Senats,

vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Juli 2012 - 13 B 579/12 -, NVwZ 2012, 1419, und vom 18. April 2012 - 13 B 52/12 -, NWVBl. 2012, 352,

dass sich die Voraussetzungen für den Zugang zu einem Masterstudium nach § 49 Abs. 7 des Hochschulgesetzes NRW (HG NRW) und den auf dieser Grundlage er­gangenen Zugangsordnungen der Hochschulen beurteilen. Soweit nach § 49 Abs. 7 Satz 3 HG NRW ein vorangegangener qualifizierter Abschluss von der Hochschule gefordert werden darf, hat sich diese Anforderung unmittelbar auf diesen Abschluss zu beziehen. Dabei darf die Hochschule auch die Einschlägigkeit eines wissen­schaftlichen Studiums für das gewünschte nachfolgende Masterstudium fordern. Ein entsprechendes Anforderungsprofil in Gestalt einer Mindestzahl von Leistungspunk­ten aus bestimmten Gebieten darf die Hochschule grundsätzlich verlangen. Ein Rückgriff auf andere Kriterien ist jedoch grundsätzlich nicht zulässig.

Bei der Ausgestaltung des Auswahlverfahrens bei einem Überhang zugangsberech­tigter Bewerber muss der aus dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss folgen­den Qualifikation maßgeblicher Einfluss zukommen. Dies folgt aus der durch § 3 Abs. 1 Satz 2, § 4 Abs. 6 HZG NRW angeordneten sinnentsprechenden Anwendung von Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Staatsvertrag 2008 im Auswahlverfahren der Hochschulen, nach der dem Grad der Qualifikation bei der Auswahlentscheidung ein maßgeblicher Einfluss zuzukommen hat. Im Rahmen des Zugangs zum Masterstudium tritt gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 HZG NRW an die Stelle des Grades der Qualifikation das Prü­fungszeugnis über den ersten berufsqualifizierenden Abschluss. "Maßgeblicher Ein­fluss" bedeutet, dass dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss unter mehreren bei der Entscheidung zu berücksichtigenden Auswahlkriterien das relativ stärkste Gewicht zukommen muss. Sonstige einschlägige Qualifikationen können im Rahmen der Auswahlentscheidung nur ein untergeordnetes Gewicht haben.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Juli 2012 - 13 B 597/12 -, juris (Notenverbesserungsverfahren, Aus­wahlgespräch), vom 26. Januar 2011 - 13 B 1640/10 -, juris, (Abiturnote, Qualität von Motivationsschrei­ben) und - 13 B 1649/11 - (u.a. Abiturnote).

Die Berücksichtigung eines Konsistenzfaktors nach Nr. 3 (1) i.V.m. Nr. 2 (4) der "Fächerspezifischen Bestimmungen für das Fach Wirtschaftswissenschaften vom 1. Juli 2011" (Anlage zu § 1 Abs. 1 der Prüfungs- und Studienordnung für das Masterstudium (MPO Fw.) an der Universität Bielefeld vom 31. Mai 2009) ist hier­nach nicht zu beanstanden. Mit dem Konsistenzfaktor wird keiner sonstigen, mit dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss nicht unmittelbar im Zusammenhang ste­henden zusätzlichen Qualifikation Bedeutung beigemessen. Vielmehr beinhaltet die Zuordnung zu einer Kategorie von 1 bis 4 sowohl eine Bewertung des wirt­schaftswissenschaftlichen Anteils des qualifizierten Abschlusses als auch die Be­wertung der inhaltlichen Übereinstimmung des eingebrachten Studienabschlusses mit den Kenntnissen und Fähigkeiten, welche für das Masterstudium Wirtschaftswis­senschaften an der Universität notwendig sind. Entsprechendes gilt für die Vergabe der Bonuspunkte nach Nr. 3 (1) i.V.m. Nr. 2 (4) im Falle des - zusätzlichen - Vorlie­gens eines quantitativ ausgerichteten, qualifizierten Abschlusses. Hierbei handelt es sich um Abschlüsse, die Veranstaltungen aus den quantitativen Bereichen, insbe­sondere Mathematik, Statistik, Operations Research und Ökonometrie, mit einem Umfang von mindestens 30 Leistungspunkten enthalten. Die Berücksichtigung des Konsistenzfaktors mag zwar ebenso wie die Vergabe der Bonuspunkte zu einer Bes­serstellung von Studienbewerbern mit schlechterer Abschlussnote gegenüber Be­werbern mit besserer Abschlussnote auf der Rangliste führen. Dies ist aber nicht zu beanstanden, denn die Berücksichtigung des Grads der Qualifikation aus dem be­rufsqualifizierenden Abschluss gebietet es nicht, allein der Abschlussnote ein aus­schlaggebendes Gewicht beizumessen.

Ist die Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens mithin nicht zu beanstanden, kann offen bleiben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die rechts­widrige Ausgestaltung zur vorläufigen Zuerkennung eines Zulassungsanspruchs füh­ren kann.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. April 2012 - 13 B 52/12 -, juris, vom 26. Januar 2010 - 13 B 1649/10 ‑, a.a.O., Rn. 32, (Zulassungsanspruch im Falle der Überbuchung und Behandlung der Zulas­sungszahl als variable Größe); VG Münster, Be­schluss vom 23. November 2012 - 9 L 442/12 -, juris, Rn. 64, (Zulassungsanspruch bei nicht vollständig ausgenutzter Mehrzulassung im Überbuchungsweg).

Lediglich ergänzend mit Blick auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts im an­gefochtenen Beschluss weist der Senat darauf hin, dass die Rechtsmittelbelehrung im Bescheid vom 30. Januar 2012, mit welchem der Antragstellerin das Vorliegen der Zugangsvoraussetzungen bescheinigt wurde, aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses fehlerhaft sein dürfte, soweit auf die Durchführung eines Widerspruchs­verfahren verwiesen wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.