BFH, Beschluss vom 19.01.2012 - VI B 98/11
Fundstelle
openJur 2013, 18425
  • Rkr:
Tatbestand

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 2008 begehrten sie die steuermindernde Berücksichtigung unterschiedlicher Ausgaben. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) erkannte hiervon lediglich einen Teil als Werbungskosten bzw. außergewöhnliche Belastungen an.

Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Revision nicht zugelassen.

Die Kläger wenden sich gegen das Urteil des FG. Sie erheben "Beschwerde nach Artikel 19 Abs. 4 GG". Sie begehren die Verweisung an das zuständige Amtsgericht zur Nichtigkeitsfeststellung der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Zur Begründung tragen die Kläger vor, dass die FGO wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) nichtig sei. Durch §§ 150 bis 152 und 154 FGO werde in die Eigentumsfreiheit eingegriffen, ohne dass in diesen Bestimmungen Art. 14 GG genannt werde. Auch fänden sich in der FGO mehrfach Verweise auf die Zivilprozessordnung, in der das Zitiergebot ebenfalls nicht beachtet worden sei. Sobald auch nur eine Vorschrift eines Gesetzes gegen das Zitiergebot verstoße, sei das gesamte Gesetz nichtig. Da hiervon auch § 62 Abs. 4 FGO erfasst sei, bestehe kein Vertretungszwang. Durch den Vertretungszwang werde darüber hinaus der in Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör umgangen. Aus diesen Gründen dürften sich die Kläger vor dem Bundesfinanzhof (BFH) selbst vertreten.

Des Weiteren machen die Kläger geltend, sämtliche nationalen Rechtsnormen, die einen Vertretungszwang vorsähen, seien seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags unwirksam. Sie berufen sich insoweit auf Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh). Denn diese Norm beinhalte lediglich ein Recht auf Beratung, Verteidigung oder Vertretung bei gerichtlichen Verfahren. Die Verpflichtung zu einer Vertretung bestehe jedoch gerade nicht.

Ferner sei das gesamte Einkommensteuergesetz (EStG) und mithin auch § 33 EStG nichtig. Denn das Gesetz verstoße aufgrund seiner Unverständlichkeit gegen das Bestimmtheitsgebot.

Schließlich sei die Erhebung von Gerichtskosten verfassungswidrig. Das Gerichtskostengesetz (GKG) verstoße gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Mit dem Kostenrecht in Finanzgerichtsprozessen werde zudem der Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG eingeschränkt. Auch unterliege die Klage nicht den Bestimmungen des GKG, da sie eine Verfassungsstreitigkeit zum Inhalt habe und dementsprechend als kostenfrei behandelt werden müsse.

Gründe

II. Das Rechtsmittel ist unzulässig.

1. Eine Verweisung an "das zuständige Amtsgericht" kommt nicht in Betracht. Denn gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Schutz des Einzelnen gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt im Bereich der Abgabenangelegenheiten der Finanzgerichtsbarkeit zugewiesen. Nach § 33 Abs. 2 FGO sind Abgabenangelegenheiten alle mit der Verwaltung der Abgaben einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten unter Einschluss der Maßnahmen der Bundesfinanzbehörden zur Beachtung der Verbote und Beschränkungen für den Warenverkehr über die Grenze; den Abgabenangelegenheiten stehen die Angelegenheiten der Verwaltung der Finanzmonopole gleich. Die Kläger wenden sich gegen die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides 2008. Dieser Streit betrifft folglich die Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden, so dass es sich um eine Abgabenangelegenheit i.S. des § 33 Abs. 2 FGO handelt.

An der Eröffnung des Finanzrechtswegs ändert die Auffassung der Kläger nichts, die FGO sei wegen Verstoßes gegen das in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG geregelte Zitiergebot nichtig. Selbst wenn einzelne Vorschriften der FGO gegen das Zitiergebot verstoßen würden, ergäbe sich hieraus lediglich eine Teilnichtigkeit der FGO im Hinblick auf die in Grundrechte eingreifenden Vorschriften. Eine weitergehende Nichtigkeit anderer Vorschriften der FGO, die nicht dem Zitiergebot unterliegen, folgt hieraus jedoch nicht. Denn die Verletzung des Zitiergebots durch eine einzelne Vorschrift eines Gesetzes begründet nur die Nichtigkeit dieser Vorschrift des Gesetzes (BFH-Beschlüsse vom 16. Dezember 2009 V B 23/08, BFH/NV 2010, 1866; vom 22. Juli 2010 V S 8/10, BFH/NV 2010, 2095; jeweils m.w.N.). Eine Nichtigkeit des gesamten Gesetzes kommt nur in Betracht, wenn der ungültige Gesetzesteil mit dem Gesetz im Übrigen derart verflochten ist, dass beide eine untrennbare Einheit bilden (vgl. allgemein Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 19. März 2003  2 BvL 9/98, 2 BvL 10/98, 2 BvL 11/98, 2 BvL 12/98, BVerfGE 108, 1). Hieran fehlt es. Denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Zuständigkeitsregeln des § 33 FGO in Grundrechte eingreifen oder mit in Grundrechte eingreifenden Vorschriften im o.g. Sinne verflochten sind.

2. Der angerufene Senat versteht das Schreiben der Kläger vom 11. September 2011, mit dem sie letztlich die Verfolgung ihrer Rechte begehren, nach dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung als Nichtzulassungsbeschwerde.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind auch außerprozessuale und prozessuale Rechtsbehelfe in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen, wenn es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten fehlt (vgl. etwa BFH-Urteile vom 1. September 1998 VIII R 46/93, BFH/NV 1999, 596; vom 19. Juni 1997 IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6; vom 30. August 1994 IX R 42/91, BFH/NV 1995, 481). Dabei ist im Zweifel davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Rechtsbehelf hat einlegen wollen, der seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft (vgl. etwa BFH-Urteil vom 11. September 1986 IV R 11/83, BFHE 147, 403, BStBl II 1987, 5). Da das FG die Revision nicht zugelassen hat, konnten die Kläger hiergegen mit einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 116 FGO vorgehen.

3. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch allein schon deswegen als unzulässig zu verwerfen, weil die Kläger nicht vertreten sind und damit den Vertretungszwang nach § 62 Abs. 4 FGO nicht beachtet haben.

a) Vor dem BFH muss sich --wie auch aus der Rechtsmittelbelehrung des vorinstanzlichen Urteils hervorgeht-- jeder Beteiligte, sofern es sich nicht um eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder um eine Behörde handelt, durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen; zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften i.S. des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG), die durch solche Personen handeln (§ 62 Abs. 4 FGO). Im Streitfall ist die Beschwerde nicht von einer solchen Person oder Gesellschaft eingelegt worden; die Beschwerde ist daher als unzulässig zu verwerfen.

b) Der in § 62 Abs. 4 FGO niedergelegte Vertretungszwang verstößt --anders als es die Kläger meinen-- nicht gegen höherrangiges Recht.

aa) Entgegen der Rechtsansicht der Kläger greift der in Verfahren vor dem BFH geltende Vertretungszwang nicht in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen ein.

Nach ständiger Rechtsprechung verstößt dieser Vertretungszwang nicht gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG; denn die Anrufung des BFH wird dadurch weder unzumutbar noch in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Februar 2008 VII B 256/07, BFH/NV 2008, 968, m.w.N., sowie BVerfG-Beschluss vom 11. Oktober 1976  1 BvR 373/76, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1977, 33).

Die Kläger werden durch § 62 Abs. 4 FGO ebenfalls nicht unzulässigerweise in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG eingeschränkt. Diese wird nämlich nur in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung --zu der auch § 62 Abs. 4 FGO gehört-- gewährleistet. Unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der Rechtssuchenden und im Interesse der Rechtspflege erweist sich die vom Gesetzgeber getroffene Regelung als geeignet und, wie der Streitfall gerade zeigt, auch als erforderlich, um den mit ihr verfolgten Zweck in verhältnismäßiger Weise zu erreichen. Der vor dem BFH bestehende Vertretungszwang dient zum einen dem Schutz des Gerichts vor einer Belastung mit Rechtsbehelfen, deren Erfolgsaussichten die Beteiligten nach ihrer Vorbildung nicht richtig einzuschätzen in der Lage sind und folglich auch nicht richtig und fachkundig zu führen wissen; zum anderen kommt er aber auch dem Schutz der Rechtssuchenden zugute, die sich durch einen Angehörigen der in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Berufsgruppen vertreten lassen müssen (Spindler in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 62 FGO Rz 26; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO Rz 41). Insbesondere zum Schutz der Rechtssuchenden hat der Gesetzgeber die in diesen Vorschriften genannten Personen standesrechtlichen Regelungen unterworfen. Gemäß § 51 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), § 67 Satz 1 StBerG und § 54 Abs. 1 der Wirtschaftsprüferordnung (WiPrO) müssen sich die zur Vertretung Befugten, z.B. zur Deckung der sich aus ihrer Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren, für Vermögensschäden angemessen versichern. Im Falle des Vermögensverfalls droht ihnen der Widerruf der Bestellung (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG, § 20 Abs. 2 Nr. 5 WiPrO).

Außerdem wird der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch die Regelung des § 62 Abs. 4 FGO nicht verletzt. Denn der Vertretungszwang erweist sich aufgrund des mit ihm verbundenen Entlastungszwecks sachlich als nicht ungerechtfertigt (BVerfG-Beschluss vom 20. August 1992  2 BvR 1000/92, HFR 1992, 729 zur Vorgängervorschrift des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2010, 2095; vom 12. November 2008 X B 203/08, Zeitschrift für Steuern und Recht 2009, R 44).

bb) § 62 Abs. 4 FGO stellt auch keinen Verstoß gegen Art. 47 Abs. 2 Satz 2 EUGrdRCh dar. Danach kann sich jede Person beraten, verteidigen und vertreten lassen. Diese Bestimmung nimmt den Mitgliedstaaten allerdings nicht die Möglichkeit, aus verfahrensökonomischen Gründen vor bestimmten Gerichten einen Vertretungszwang vorzusehen (vgl. Alber in Tettinger/Stern, Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, 2006, Art. 47 Rz 72; Jarass, Neue Juristische Wochenzeitschrift 2011, 1393, 1398).

4. Des Weiteren haben die Kläger Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise vorgetragen.

Soweit die Kläger rügen, das EStG --und damit zugleich die Regelung des § 33 EStG-- sei nicht mit dem GG vereinbar, genügt dies den gesetzlichen Darlegungsanforderungen nicht. Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, so ist zur substantiierten Darlegung eine an den Vorgaben des GG sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des BVerfG orientierte Auseinandersetzung erforderlich (BFH-Beschluss vom 17. November 2009 VI B 73/09, BFH/NV 2010, 452, m.w.N.). In der Beschwerdeschrift ist zu erläutern, gegen welche Verfassungsnormen die angewandte Rechtsnorm verstoßen soll; der geltend gemachte Verfassungsverstoß ist näher zu begründen. Dazu gehört insbesondere eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH (BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 452, m.w.N.). Die bloße Behauptung, das EStG verstoße wegen seiner angeblichen Unverständlichkeit gegen das Bestimmtheitsgebot und sei mithin aus verfassungsrechtlichen Gründen nichtig, entbehrt jeglicher Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG und des BFH.

5. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob die Klage gemäß GKG dem einfachgesetzlichen Kostenrecht unterliege, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen.

Nach § 145 FGO ist die Anfechtung der Entscheidung über die Kosten unzulässig, wenn nicht gegen die Entscheidung über die Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Nach Sinn und Zweck dieser Bestimmung soll das Rechtsmittelgericht davon freigestellt werden, ohne Entscheidung zur Hauptsache isoliert die Kostenentscheidung zu überprüfen. Die aus § 145 FGO resultierende Beschränkung bezieht sich nicht nur auf die Revision, sondern gilt auch für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (BFH-Beschluss vom 11. November 2002 VI B 83/02, BFH/NV 2003, 331, m.w.N.).

Da demzufolge Entscheidungen des Finanzgerichts im Kostenpunkt nur zusammen mit der Hauptsache angefochten werden können, die Kläger jedoch insoweit mit der Beschwerde keine Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO in der § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt haben, ist ihr Rechtsmittel auch aus diesem Grund als unzulässig zu verwerfen.

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus § 128 Abs. 4 Satz 2 FGO. Die dort angeführte Ausnahme von dem in § 128 Abs. 4 Satz 1 FGO angeführten Grundsatz, dass in Kostenstreitigkeiten eine Beschwerde nicht gegeben ist, hat Bedeutung nur für Streitverfahren, deren Gegenstand in der Hauptsache Kosten sind (BFH-Beschluss vom 10. Juli 1997 VIII B 79/96, BFH/NV 1998, 76; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 128 FGO Rz 30, m.w.N.).