LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2012 - L 2 SO 2371/11
Fundstelle
openJur 2013, 15586
  • Rkr:

Im gesetzlichen Auftragsverhältnis nach § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V i.V.m. §§ 93 SGB X findet § 111 SGB X keine Anwendung. Die Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X greift nicht zu Lasten der erstattungsberechtigten gesetzlichen Krankenkassen.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. April 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.728,34 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin von der Beklagten die Erstattung von Aufwendungen verlangen kann, die ihr durch die Krankenbehandlung des nicht krankenversicherten Sozialhilfeempfängers P. B. (B) in den Zeiträumen vom 5.1.2004 bis 20.12.2004 (geltend gemachte Aufwendungen in Höhe von 3.541,48 EUR) und vom 31.1.2005 bis 26.8.2005 (geltend gemachte Aufwendungen in Höhe von 2.186,86 EUR), in Höhe von insgesamt 5.728,34 EUR entstanden sind.

Die Klägerin übernahm im vorliegend streitigen Zeitraum vom 1.1.2004 bis 31.8.2005 die Krankenbehandlung für nicht krankenversicherte Sozialhilfeempfänger und Empfänger laufender Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Baden-Württemberg. Einzelheiten zur Umsetzung der Leistungserbringung nach § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V, insbesondere für das Meldeverfahren, die Sicherstellung der ärztlichen Inanspruchnahme, die Verwaltungskostenerstattung, die Abschlagszahlung und das Abrechnungsverfahren wurden in einer Rahmenvereinbarung vom 14.11.2003 geregelt, geschlossen zwischen den Krankenkassen bzw. Krankenkassenverbänden und den Trägern der Sozialhilfe in Baden-Württemberg (Bl. 40 ff. der SG-Akte). Die Abrechnung und Erstattung der Leistungsaufwendungen wird unter Ziffer X geregelt: Die Krankenkassen nehmen danach vierteljährliche Abrechnungen vor, welche jeweils getrennt nach Empfängern von Leistungen nach dem SGB XII und Leistungen nach dem AsylbLG die dort näher aufgeführten Angaben enthalten müssen. Eine Regelung bezüglich einer Ausschlussfrist oder Verjährung von Ansprüchen enthält die Rahmenvereinbarung nicht.

Die Klägerin rechnete die Aufwendungen für die Arznei- und Hilfsmittel über ein IT-Verfahren quartalsweise ab. Im Jahr 2004 wurden bei der Übernahme der Verordnungsdaten in das Abrechnungsprogramm aufgrund eines Programmfehlers lediglich 12 % des tatsächlichen Aufwendungsvolumens für die Arznei- und Hilfsmittel in Rechnung gestellt.

Mit Schreiben vom 8.9.2006 (Bl. 9 SG-Akte) teilte die Klägerin dem Städtetag Baden-Württemberg mit, dass eine Nachberechnung bei den Leistungsausgaben für betreute Sozialhilfeempfänger nach § 264 SGB V erforderlich sei. Es werde insgesamt zu Nachforderungen in Höhe von ca. 18 Millionen EUR kommen. Bei der Übernahme der Verordnungsdaten in das Abrechnungsprogramm sei es aufgrund eines Programmfehlers ab dem Jahr 2004 zu einer In-Rechnung-Stellung von lediglich 12 % des tatsächlichen Arzneimittelvolumens gekommen. Dieser Fehler sei zwischenzeitlich behoben, so dass eine vollständige Rechnungsstellung mit der nächsten Quartalsabrechnung (drittes Quartal 2006) veranlasst werden könne. Die Berechnung und Rechnungsstellung der Leistungsausgaben für die betreuten Sozialhilfeempfänger würden sich leider häufig nur mit zeitlicher Verzögerung abschließen lassen. Außerdem seien als Abschlagszahlung für die budgetierten Leistungen dem Sozialhilfeträger pro Haushaltsvorstand für das erste Quartal 2004 93,00 EUR, für die Quartale 2 bis 4 jeweils 90,00 EUR in Rechnung gestellt worden. Nach der vorliegenden Endabrechnung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg hätte die Klägerin jedoch je Sozialhilfeempfänger im Jahr 2004 insgesamt eine durchschnittliche Pauschale in Höhe von 403,58 EUR entrichtet. Auch diesen Differenzbetrag würde sie in einer gesonderten Rechnung für jedes Quartal genau auflisten und nachberechnen. Die Zahlen für die in Anspruch genommenen Einzelleistungen für das Jahr 2004 und das erste Quartal 2005 würden nunmehr vorliegen und mit der Abrechnung für das zweite Quartal 2006 in Rechnung gestellt. Die Berichtigungen für die Jahre 2005 und 2006 würde sie vornehmen, sobald die entsprechenden Zahlen vorlägen.

Der Städtetag Baden-Württemberg verwies mit Schreiben vom 18.10.2006 (Bl. 11 SG-Akte) darauf, am 8.9.2006 erstmals die endgültigen Zahlen für den budgetierten wie auch den nicht budgetierten Teil der Gesamtabrechnung für das Jahr 2004 sowie der daraus resultierenden Nachberechnungen erhalten zu haben. Nachforderungen in dieser Höhe für bereits abgeschlossene Haushaltsjahre würden die Kommunen vor erhebliche haushaltsrechtliche und finanzielle Probleme stellen und bedürften einer intensiven rechtlichen Überprüfung. Erschwerend käme hinzu, dass die Landeswohlfahrtsverbände Baden und Württemberg-Hohenzollern zum 31.12.2004 aufgelöst worden seien. In einem weiteren Schreiben vom 11.12.2006 (Bl. 13 SG-Akte) führten der Städtetag Baden-Württemberg und der Landkreistag Baden-Württemberg aus, bezüglich der ambulant-ärztlichen Leistungen sei es für die Sozialhilfeträger erkennbar gewesen, dass bisher lediglich Abschlagszahlungen in Rechnung gestellt wurden. Bei den Arzneimittelkosten sei jedoch eine Nachberechnung zumindest teilweise aufgrund der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X nicht mehr möglich. Denn die Klägerin habe die Nachberechnung erstmals mit Schreiben vom 8.9.2006 geltend gemacht. Nach § 111 Satz 1 SGB X sei der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend mache. Soweit Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuches abweichende Regelungen enthielten, hätten diese nach § 37 SGB I Vorrang. Im SGB V, insbesondere in § 264 SGB V gebe es keine entsprechende Regelung, weshalb die allgemeinen Regelungen der §§ 102 ff. SGB X, somit auch § 111 SGB X anwendbar seien. § 264 Abs. 7 SGB V stelle eine Erstattungsregelung dar. Dies spräche ebenfalls dafür, die Ausschlussfrist anzuwenden. Denn Sinn und Zweck der Ausschlussfrist im Erstattungsbereich sei es, klare Verhältnisse darüber zu schaffen, ob eine Erstattungspflicht bestünde und den Erstattungspflichtigen vor einer überraschenden Geltendmachung weit zurückliegender Ansprüche zu schützen. Die mit der Nachforderung einhergehenden haushaltsrechtlichen Probleme der Stadt- und Landkreise sollten mit der Ausschlussfrist vermieden werden. Leistungen bis August 2005 seien damit von einer Erstattung ausgeschlossen, da die Klägerin diese erstmals mit Schreiben vom 8.9.2006 geltend machte.

Mit Schreiben vom 13.3., 14.3. und 17.3.2008 machte die Klägerin Aufwendungen für den Zeitraum vom 1.1.2004 bis 31.3.2006 für erbrachte Krankenbehandlungsleistungen der Sozialhilfeempfänger und Asylbewerber aus dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten geltend. Die Nachforderungen gegenüber der Beklagten beliefen sich auf insgesamt 2.291.064,40 EUR. Bezüglich der Nachberechnung der Leistungsausgaben für den nicht krankenversicherten Sozialhilfeempfänger B übersandte die Klägerin mit Schreiben vom 9.4.2008 eine Einzelaufstellung der Leistungsaufwendungen (vgl. Bl. 27 ff. SG-Akte) und machte Aufwendungsersatz in Höhe von insgesamt 5.728,34 EUR geltend. Die Aufwendungen erstreckten sich für die Zeiträume vom 5.1.2004 bis 20.12.2004 auf einen Betrag von 3.541,48 EUR und vom 31.1.2005 bis 26.8.2005 auf einen Betrag von 2.186,86 EUR.

Mit Schreiben vom 4.4.2008 (vgl. Bl. 24 SG-Akte) lehnte die Beklagte die Erstattungsforderung der Klägerin für den Zeitraum 1.1.2004 bis 31.8.2005 für weitere Arzneimittelkosten in Höhe von 1.754.966,89 EUR ab. Sie berief sich auf die Ausschlussfrist des § 111 SGB X. Bei ihrer Entscheidung habe sie Ermessen ausgeübt und das öffentliche Interesse an einer wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Steuermitteln sowie an einer rechtmäßigen Verwaltungspraxis der Forderung nach Kostenerstattung für verfristete Auftragsleistungen nach § 264 SGB V gegenübergestellt. Das öffentliche Interesse an einer sparsamen Verwendung von Steuergeldern habe überwogen, ungerechtfertigte steuerfinanzierte Sozialhilfeausgaben zu vermeiden. Dagegen trete das Interesse der Klägerin zurück, zumal wegen der fehlerhaften Datenverarbeitung auch Regressansprüche gegenüber Dritten in Betracht kommen könnten.

Die Beteiligten vereinbarten in der Folge, in zwei Musterverfahren klären zu lassen, ob die Sozialhilfeträger unter Bezugnahme auf § 111 SGB X die Erstattung von Aufwendungen verweigern können (vgl. Bl. 24 f. SG-Akte).

Am 28.5.2008 hat die Klägerin wegen der Aufwendungserstattung in Sachen des B Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, bei der übernommenen Krankenbehandlung handele es sich um eine Auftragsangelegenheit, zu deren Wahrnehmung sie durch den Gesetzgeber explizit gegen Kostenerstattung verpflichtet sei. Der Gesetzgeber habe durch die Aufnahme des Absatzes 2 in § 264 SGB V kein Versicherungsverhältnis oder ein Quasiversicherungsverhältnis begründen wollen, sondern nur ein leistungsrechtliches Verhältnis zwischen den leistungsverpflichteten Krankenkassen und den von ihnen begünstigten Hilfeempfängern. Auf diese Auftragsangelegenheit seien die allgemeinen Erstattungsregelungen der §§ 102 ff. SGB X, insbesondere die Ausschlussfrist des § 111 SGB X nicht anwendbar. Denn zwischen den Aufwendungs- und Erstattungsansprüchen bestünden strukturelle Unterschiede. Das Auftragsverhältnis stelle ein Sonderrechtsverhältnis dar, welches abschließend sei. Andernfalls wäre eine teils unterschiedliche, teils übereinstimmende Regelung desselben Rechtstatbestandes für unterschiedliche Sachverhalte in einem und demselben Gesetz kaum verständlich. Auch nach dem Sinn und Zweck des § 111 SGB X käme dieser nicht zur Anwendung. Denn der Zweck bestehe darin, dass dem Interesse des Erstattungspflichtigen Rechnung getragen werden solle, möglichst Klarheit über etwaige Erstattungsansprüche zu erhalten. Ein solches Schutzbedürfnis bestünde im Rahmen des § 264 SGB V nicht. Die Sozialhilfeträger wüssten, dass die Krankenkassen für nicht versicherte Sozialhilfeempfänger im Krankheitsfalle eine Behandlung übernehmen müssten. Anders als bei den allgemeinen Erstattungspflichten nach den §§ 102 ff. SGB X stelle sich der Sozialhilfeträger im Rahmen des § 264 SGB V gerade darauf ein, dass auf ihn Aufwendungsersatzforderungen für erbrachte Krankenbehandlungen für diejenigen Leistungsempfänger, für die kein Krankenversicherungsschutz bestehe, zukommen würden. Damit müssten die Sozialhilfeträger jederzeit mit Erstattungsforderungen rechnen. Ein anderes Ergebnis ginge einseitig zu Lasten der Krankenversicherungsträger.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat im Rahmen der Klageerwiderung zunächst ausgeführt, dass § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V eine neue eigenständige Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung zum Inhalt habe. Die Übernahme der Krankenbehandlung von nicht versicherten Sozialhilfeempfängern und Leistungsberechtigten nach § 2 AsylbLG stelle eine originäre Aufgabe der Krankenkassen dar. Sie legte ein Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 27.05.2004 vor. Daraus ergebe sich, dass die Regelungen der §§ 102 ff. SGB X anwendbar seien, da sich aus § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V nichts anderes ergebe. Demnach seien Ansprüche auf Erstattung der Aufwendungen im Zeitraum vom 5.1.2004 bis 20.12.2004 mit 3.541,48 EUR und vom 31.1.2005 bis 26.8.2005 mit 2.186,86 EUR verfristet, da der Anspruch erst am 08.09.2006 gegenüber dem Städtetag Baden-Württemberg geltend gemacht wurde und damit nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen sei. Nach dem Bekanntwerden des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.6.2008 (B 1 KR 30/07 R) hat die Beklagte weiter ausgeführt, da das BSG von einem gesetzlichen Auftragsverhältnis ausgehe, sei § 93 SGB X einschlägig, wonach beim gesetzlichen Auftrag nur bestimmte Regelungen zum vereinbarten Auftrag gälten. Zur Frage der Aufwendungserstattung enthalte § 264 Abs. 7 SGB V eine unvollständige Regelung hinsichtlich Fragen wie Ausschlussfrist, Rückerstattung, Verjährung. Deshalb müsse auf die allgemeinen Regelungen über die Erstattung von Ansprüchen der Leistungsträger untereinander zurückgegriffen werden (§§ 102 bis 114 SGB X).

Mit Urteil vom 18.4.2011 hat das SG die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 5.728,34 EUR zu zahlen. Der Anspruch ergebe sich aus § 264 Abs. 7 Satz 1 SGB V. § 111 SGB X sei nicht anwendbar. Dies ergebe sich aus fehlenden Verweisen in § 93 SGB X und § 264 SGB V auf § 111 SGB X. Die Regelungen des § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V seien insoweit abschließend.

Gegen das ihr am 12.5.2011 mit Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat die Beklagte am 9.6.2011 die vom SG zugelassene Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.

Die Beklagte/Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgarts vom 18. April 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin/Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf ihr bisheriges Vorbringen und auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Klägerin sowie auf die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

I.

Die form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und statthafte Berufung ist zulässig. Richtige Klageart zur Erreichung des angestrebten Ziels der Klägerin ist die allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG, da im Verhältnis der Beteiligten ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Beklagte ist als nach § 264 Abs. 7 SGB V in Anspruch genommener örtlicher Träger der Sozialhilfe richtiger Beklagter.

II.

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG mit Urteil vom 18.4.2011 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 5.728,34 EUR zu zahlen. Denn die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen, die durch die Übernahme der Krankenbehandlung des Leistungsempfängers B entstanden sind.

Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, § 264 Abs. 7 Satz 1 SGB V (in der ab 1.1.2004 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 152 des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes - GMG - vom 14.11.2003, BGBI. I, 2190; geändert m.W.v. 1.1.2005 durch Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl. I, 3022). Danach werden die Aufwendungen, die den Krankenkassen durch die Übernahme der Krankenbehandlung nach den Abs. 2 bis 6 entstehen, von den für die Hilfe zuständigen Trägern der Sozialhilfe oder der öffentlichen Jugendhilfe vierteljährlich erstattet. Als angemessene Verwaltungskosten einschließlich Personalaufwand für den Personenkreis nach Abs. 2 werden gemäß § 264 Abs. 7 Satz 2 SGB V bis zu fünf vom Hundert der abgerechneten Leistungsaufwendungen festgelegt. Wenn Anhaltspunkte für eine unwirtschaftliche Leistungserbringung oder -gewährung vorliegen, kann der zuständige Träger der Sozialhilfe oder der öffentlichen Jugendhilfe gemäß § 264 Abs. 7 Satz 3 SGB V von der jeweiligen Krankenkasse verlangen, die Angemessenheit der Aufwendungen zu prüfen und nachzuweisen.

Unstreitig sind der Klägerin Aufwendungen für die Krankenbehandlung des Leistungsempfängers B nach § 264 Abs. 2 bis 6 SGB V in Höhe von 5.728,34 EUR inkl. Verwaltungskosten in den Zeiträumen vom 5.1.2004 bis 20.12.2004 und vom 31.1.2005 bis 26.8.2005 entstanden. Anhaltspunkte für eine unwirtschaftliche Leistungserbringung oder -gewährung liegen nicht vor.

Die Klägerin hat die Aufwendungen auch rechtzeitig geltend gemacht, da die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X nicht einschlägig ist. Diese Regelung ist nicht gemäß § 37 SGB I anwendbar. Gemäß § 37 Satz 1 SGB I gelten das Erste und Zehnte Buch für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs, soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt. Vorliegend schließt jedoch § 264 Abs. 7 SGB V i.V.m. §§ 93, 91 SGB X die Anwendung des § 111 SGB X aus.

Gemäß § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Diese Vorschrift ist auf die vorliegende Konstellation nicht anwendbar, wie das SG zutreffend ausgeführt hat (ebenso bereits zutreffend SG Ulm, Urteil vom 16.1.2008 - S 6 SO 2735/06; Steinbach in Hauck/Noftz, SGB X, § 91 RdNr. 12 Stand IV/07 m.w.N.; Böttiger in Wagner/Knittel [Hrsg.], Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, Stand: Juni 2010, § 264 SGB V RdNr.97; a.A. SG Stuttgart, Urteil vom 24.5.2012 - S 7 SO 3816/08; Breitkreuz in LPK-SGB X, 3. Aufl. 2011, § 91 RdNr. 3).

§ 111 SGB X steht im Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB X. Der Zweite Abschnitt regelt Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Im Ersten Abschnitt des Dritten Kapitels ist die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander und mit Dritten geregelt, insb. auch das Auftragsverhältnis (§§ 88 ff. SGB X). Während im Zweiten Abschnitt mit § 111 SGB X eine Ausschlussfrist geregelt ist, enthält der Erste Abschnitt keine Ausschlussfrist bei der Erstattung von Aufwendungen des Auftragnehmers (vgl. §§ 91, 93 SGB X).

Die gesetzlichen Krankenkassen erbringen die Krankenbehandlung für nicht versicherte Sozialhilfeempfänger (vgl. § 48 SGB XII bzw. § 37 BSHG a.F.) nicht als originäre Aufgabe (so noch Dt. Verein, NDV 2004, 320 ), sondern im gesetzlichen Auftrag; die Verpflichtung des ursprünglichen Trägers besteht dem Grunde nach fort. Durch die Regelungen in § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V wird ein gesetzliches Auftragsverhältnis im Sinne des § 93 SGB X begründet (BSG, Urteil vom 17.6.2008 - B 1 KR 30/07 R - BSGE 101, 42 = SozR 4-2500 § 264 Nr. 1; BSG, Urteil vom 28.9.2010 - B 1 KR 4/10 R = SozR 4-2500 § 264 Nr. 3; Huck in Hauck/Noftz, SGB V, § 264 RdNr 14 Stand VII/05; Böttiger in Wagner/Knittel [Hrsg.], Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 264 SGB V RdNr. 5 Stand: Juni 2010; offengelassen von BSG, Urteil vom 28.10.2008 - B 8 SO 23/07 R - BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr. 2 RdNr. 23). Für dieses gesetzliche Auftragsverhältnis gelten neben § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V gemäß § 93 SGB X die in § 89 Abs. 3 und 5 SGB X sowie § 91 Abs. 1 und 3 SGB X enthaltenen Regelungen über die Ausführung des Auftrages und die Erstattung von Aufwendungen. Es wird zwischen den SGB XII-Leistungsempfängern und den Krankenkassen kein (mitgliedschaftliches) Versicherungsverhältnis oder Quasi-Versicherungsverhältnis, sondern nur ein leistungsrechtliches Verhältnis begründet (vgl. BSG, Urteil vom 17.6.2008 a.a.O. unter Hinweis auf BT-Drucks. 15/1525, S. 141). Unbeachtlich ist, dass § 264 SGB V den Begriff des Auftrags an keiner Stelle verwendet (a.A. aber noch VG Düsseldorf, Beschluss vom 21.9.2004 - 22 L 2590/04, das die Vorschriften des Auftragsverhältnisses nicht auf § 264 SGB V anwendet).

Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des ersten Senats des BSG an. § 264 SGB V überträgt den Krankenkassen in Abstimmung mit dem SGB XII die den Sozialhilfeträgern dem Grunde nach obliegende Aufgabe, die den Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechenden Leistungen zu gewähren. Hierzu haben die nicht versicherten Leistungsberechtigten unverzüglich eine Krankenkasse im Bereich des für die Hilfe zuständigen Sozialhilfeträgers zu wählen, die ihre Krankenbehandlung übernimmt (§ 264 Abs. 3 SGB V). Für die Leistungsberechtigten gelten § 11 Abs. 1 SGB V sowie die §§ 61 und 62 SGB V entsprechend (§ 264 Abs. 4 SGB V). Der Gesetzgeber hat in § 264 Abs. 3 bis 7 SGB V Verfahrens- und Erstattungsregelungen geschaffen, die sowohl die Pflichten und Rechte der Krankenkassen und der Träger der Sozialhilfe als auch der Betroffenen selbst festlegen. Die Formulierung des Absatzes 7, der von einer vierteljährlichen Erstattung der Aufwendungen der Krankenkassen durch die zuständigen Träger der Sozialhilfe spricht, soll die Vorgaben des Absatzes 1  Ersatz der vollen Aufwendungen und Übernahme eines angemessenen Teils der Verwaltungskosten  erfüllen. Die genannten Vorschriften des Ersten Abschnitts des Dritten Kapitels SGB X gelten, die den Aufwendungsersatz aus dem Auftragsverhältnis betreffen; nicht jedoch die des Zweiten Abschnitts (§§ 102 ff. SGB X), welche einen anderen Regelungsbereich - Erstattungsansprüche der Leistungsträger - betreffen. Andernfalls wäre eine teils unterschiedliche, teils übereinstimmende Regelung desselben Rechtstatbestandes für unterschiedliche Sachverhalte in einem und demselben Gesetz kaum verständlich (Steinbach in Hauck/Noftz, SGB X, § 91 RdNr. 12 Stand IV/07).

Handelt ein Leistungsträger (hier die Klägerin) aufgrund gesetzlichen Auftrags für einen anderen (hier die Beklagte), gelten nach § 93 SGB X (nur) die §§ 89 Abs. 3 und 5 SGB X sowie § 91 Abs. 1 und 3 SGB X entsprechend. Sonstige Fragen sind den für die einzelnen gesetzlichen Aufträge geltenden Einzelregelungen - hier § 264 SGB V - überlassen worden und müssen dort eigenständig oder durch ausdrücklichen Verweis auf weitere Einzelregelungen des SGB X geklärt werden (Steinbach in Hauck/Noftz, SGB X, § 93 RdNr. 2 Stand IV/07). Somit sind immer die spezialgesetzlichen Regelungen des jeweiligen gesetzlichen Auftragsverhältnisses maßgebend (vgl BSG, Urteil vom 28.9.2010 - B 1 KR 4/10 R = SozR 4-2500 § 264 Nr. 3; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 93 RdNr. 6). In den §§ 89 Abs. 3 und 5 sowie § 91 Abs. 1 und 3 SGB X und in § 264 SGB V finden sich keine speziellen Ausschlussregelungen. Für die Auftragsverhältnisse ist in § 91 Abs. 1 Satz 1 SGB X geregelt, dass der Auftraggeber zur Erstattung verpflichtet ist. Eine Ausschlussfrist wie § 111 SGB X ist nicht vorgesehen.

§ 264 SGB V enthält für den speziellen Tatbestand der Leistungserbringung von Krankenbehandlung durch die Träger der Krankenversicherung eigenständige Regelungen zur Erstattung selbst und zum Umfang des Erstattungsanspruchs, z.B. im Hinblick auf die Regelung einer zu erstattenden Verwaltungspauschale. Damit ist dieses Regelwerk mit den Erstattungsansprüchen nach §§ 102 ff. SGB X nicht zu vergleichen (so auch Eichenhofer in Wannagat SGB X, § 91 RdNr. 4 f.). Es besteht kein Anhalt für die Anwendbarkeit der im Zweiten Abschnitt geregelten Erstattungsvorschriften. Denn insoweit stellt § 264 SGB V ein geschlossenes Regelwerk dar. Wenn der Gesetzgeber hierzu keine Ausschlussfrist bestimmt, ist dies ein sogenanntes beredtes Schweigen und in dem Sinne zu verstehen, dass damit auch keine Ausschlussfrist greifen soll (grundsätzlich hierzu BSG, Urteil vom 31.5.1989 - 9/9a RV 12/87 = HV-INFO 1989, 1984; BSG, Urteil vom 29.5.1991 - 9a RV 10/90 ). Somit gilt das SGB X gemäß § 37 Satz 1 SGB I vorliegend nur eingeschränkt. Letztlich bedarf es einer Ausschlussfrist auch nicht, da gleichermaßen ein Interesse der Beteiligten an rechtzeitiger Abrechnung erbrachter Leistungen besteht und die Beklagte grundsätzlich mit Erstattungsansprüchen der Krankenkasse bezüglich der Leistungsempfänger rechnen muss. Unbenommen bleibt es den Beteiligten, eine solche Ausschlussfrist durch Rahmenvereinbarung zu regeln. Das ist aber vorliegend nicht geschehen.

Auch nach seinem Sinn und Zweck greift § 111 SGB X vorliegend nicht. Denn der Zweck der Ausschlussfrist besteht darin, dass dem Interesse des Erstattungspflichtigen Rechnung getragen werden solle, möglichst Klarheit über etwaige Erstattungsansprüche zu erhalten. Ein solches Schutzbedürfnis besteht im Rahmen des § 264 SGB V hingegen nur eingeschränkt. Während der Erstattungspflichtige im Rahmen einer Erstattung nach den §§ 102 ff. SGB X häufig keine Kenntnis von einer Vorleistung eines anderen Versicherungsträgers hat, wissen die Sozialhilfeträger, dass die Krankenkassen nach § 264 SGB V für nicht versicherte Sozialhilfeempfänger im Krankheitsfalle eine Behandlung übernehmen müssen, ob das nun als gesetzlicher Auftrag oder auftragsähnlich qualifiziert wird (s. oben die Nachweise zur RSpr des 1. und des 8. Senats des BSG), spielt insoweit keine Rolle. Anders als bei den allgemeinen Erstattungspflichten nach den §§ 102 ff. SGB X kann sich der Sozialhilfeträger im Rahmen des § 264 SGB V gerade darauf einstellen, dass auf ihn Aufwendungsersatzforderungen für erbrachte Krankenbehandlungen für diejenigen Leistungsempfänger, für die kein Krankenversicherungsschutz besteht, zukommen.

Eine (entsprechende) Anwendung des § 111 SGB X trotz fehlender gesetzlicher Bezugnahme oder Verweisung in den §§ 88 ff. SGB X kommt nach dem Vorstehenden nicht in Betracht. Dagegen spricht auch, dass sich etwa in § 21 BVG ein expliziter Verweis auf die sich aus §§ 107 bis 114 SGB X ergebenden Einwendungen befindet. § 21 BVG stellt ebenso wie § 264 SGB V ein gesetzliches Auftragsverhältnis dar. Im Umkehrschluss kann daraus geschlussfolgert werden, dass es einer expliziten Verweisung bedarf und die Vorschriften der §§ 107 ff. SGB X ohne Verweisung keine Anwendung finden.

Schließlich verstößt die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auch nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch). Hierauf beruft sich die Beklagte sinngemäß, wenn sie darlegt, durch die späte Geltendmachung des Erstattungsanspruchs der Klägerin würden erhebliche haushaltsrechtliche Probleme entstehen. Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung kann jedoch erst greifen, wenn die Klägerin ihre Rechtsstellung unredlich erworben, eigene Pflichten verletzt oder gegenüber der Beklagten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hätte, auf den sich die Beklagte hätte verlassen dürfen. Da § 111 SGB X nicht greift, hat sich die Klägerin rechtmäßig verhalten. Andere Gesichtspunkte, die einen Vertrauenstatbestand bei der Beklagten oder ein treuwidriges Fehlverhalten der Klägerin begründen könnten, sind nicht ersichtlich.

Die Einrede der Verjährung hat die Beklagte weder geltend gemacht, noch ist ein Zeitraum von vier Jahren verstrichen, der nach st. Rspr. des BSG im Verhältnis zwischen Sozialleistungsträgern maßgeblich ist (vgl. etwa BSG, Urteil vom 30.9.1993 - 4 RA 6/92 = FEVS 44, 348). Im Übrigen wäre eine Hemmung der Verjährung durch die Vereinbarung der Beteiligten eingetreten, zunächst in Musterverfahren klären zu lassen, wie die Rechtslage ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. den §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 52 Gerichtskostengesetz (GKG). Dieser richtet sich gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag der Klägerin für ihn ergebenden Bedeutung der Sache. Betrifft der Antrag der Klägerin wie vorliegend eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist gemäß § 52 Abs. 3 GKG deren Höhe maßgebend, hier also 5.728,34 EUR.