LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.05.2012 - 5 Ta 3/12
Fundstelle
openJur 2013, 15427
  • Rkr:

1. Für die Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgebenden Werts gemäß § 63 Abs. 2 GKG kommt es gemäß § 40 GKG ausschließlich auf den Zeitpunkt der Einleitung des Rechtszuges an.

2. § 40 GKG wird jedoch für den Fall der Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter mit einer geänderten Klage auf Feststellung von Forderungen zur Insolvenztabelle durch § 182 InsO verdrängt. In diesem Fall ist daher ein Stufenstreitwert zu bilden (Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgebenden Werts vor und ab der Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter mit unterschiedlicher Streitwerthöhe).

Tenor

1. Auf die Beschwerde des beklagten Insolvenzverwalters wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 08.12.2011 - 23 Ca 2295/10 - abgeändert.

Der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert vor Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter wird auf 53.960,75 EUR, danach auf 12.979,32 EUR festgesetzt.

2. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beschwerde betrifft die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts gemäß § 63 Abs. 2 GKG.

Im Ausgangsverfahren wandte sich der Kläger gegen die ihm am 26.02.2010 zugegangene ordentliche Arbeitgeberkündigung der Schuldnerin vom 25.02.2010 zum 30.04.2010 (Antrag zu 1), machte für den Fall der Stattgabe der Kündigungsschutzklage die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits geltend (Antrag zu 2), begehrte die Zahlung rückständiger Provisionen i.H.v 36.124,96 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5.208,31 EUR (Antrag zu 3), hilfsweise die Auskunft über näher bestimmte Geschäftsabschlüsse in der Zeit vom 01.03.2007-28.02.2009 (Antrag zu 3a) sowie die Bezahlung einer Provision i.H.v.7 % des sich aus der Auskunft ergebenden Nettoumsatzes (Antrag zu 3b) und verlangte die Berichtigung eines ihm erteilten Zeugnisses betreffend mehrere Punkte (Antrag zu 4) sowie die Bezahlung von Urlaubsabgeltung i.H.v. 6.169,11 EUR (Antrag zu 5).

Nach Unterbrechung des Verfahrens wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der verklagten Schuldnerin nahm der Kläger den Rechtsstreit gegen den Insolvenzverwalter auf. Unter Rücknahme der Klage im übrigen begehrte er nur noch die Feststellung einer Forderung i.H.v. 42.293,11 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5.208,31 EUR (Stand: 19.03.2010) und 363,45 EUR (Stand: 24.06.2011) zur Insolvenztabelle.

Der Rechtsstreit endete durch Vergleich, in dem der Insolvenzverwalter sich zur Feststellung einer Forderung i.H.v. 12.500,00 EUR (6.169,11 EUR Urlaubsabgeltung sowie 6.330,89 EUR Provision) zur Insolvenztabelle verpflichtete. Damit sollten sämtliche Ansprüche erledigt sein.

Das Arbeitsgericht hat den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert auf 51.044,08 EUR festgesetzt (eine Quartalsvergütung des Klägers i.H.v.8.750,01 EUR für den Antrag zu 1 zuzüglich der Nennwerte der bezifferten Hauptforderungen von 36.124,96 EUR für den Antrag zu 3 und 6.169,11 EUR für den Antrag zu 5). Eine vom Insolvenzverwalter beantragte Streitwertreduktion auf 1/10 nach Aufnahme des Rechtsstreits gegen ihn hat es mit der Begründung abgelehnt, § 182 InsO finde keine Anwendung.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Insolvenzverwalters, mit der er die begehrte Streitwertherabsetzung weiterverfolgt.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, sondern diese dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde des Insolvenzverwalters ist statthaft (§ 68 Abs. 1 S. 1 GKG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 68 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 S. 2 GKG) und auch im übrigen zulässig, aber nur teilweise begründet. Das Arbeitsgericht hat den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert mit einer einheitlichen Festsetzung auf 51.044,08 EUR vor Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter zu gering (1.), danach aber zu hoch bemessen (2.). Die Wertfestsetzung war deshalb auf 53.960,75 EUR vor Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter und danach auf 12.979,32 EUR zu korrigieren - unter Zurückweisung der Beschwerde im übrigen.

1. Der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert vor Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter

a) Die gemäß § 42 Abs. 3 S. 1 GKG erfolgte Bewertung des Kündigungsschutzantrags zu 1 mit einer Quartalsvergütung des Klägers i.H.v.8.750,01 EUR lässt Ermessensfehler nicht erkennen und wird von den Beteiligten auch nicht angegriffen, so dass sich weitere Ausführungen des Beschwerdegerichts hierzu erübrigen.

b) Den Weiterbeschäftigungsantrag zu 2 hat das Arbeitsgericht zutreffend nicht bewertet. Dieser war im Verhältnis zum Kündigungsschutzantrag eventualkumuliert und ist nach dessen Rücknahme nicht mehr zur Entscheidung angefallen.

c) Die Festsetzung der Zahlungsanträge zu 3 (rückständige Provision) und zu 5 (Urlaubsabgeltung) mit den Nennwerten der beziffert eingeklagten Forderungen von 36.124,96 EUR und 6.169,11 EUR entspricht der gängigen Praxis zu § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Die mit den Hauptforderungen geltend gemachten Zinsen wirken sich trotz ihrer bezifferten Geltendmachung nicht streitwertmäßig aus (Hartmann Kostengesetze 41 Aufl. Anhang I zu § 48 GKG (§ 3 ZPO) Rn. 142 sowie Anhang I zu § 48 GKG (§ 4 ZPO) Rn. 26; Zöller/Herget ZPO 29. Auflage § 4 ZPO Rn. 11).

d) Die Hilfsanträge zu 3a und 3b sind im Hinblick auf die vergleichsweise Erledigung des Hauptantrags zu 3 nicht angefallen und damit auch keiner Bewertung zu unterziehen. Im übrigen hätten sie mit dem Hauptantrag zu 3 eine wirtschaftliche Einheit gebildet, weshalb eine Werteaddition ausgeschieden und nur vom höchsten Antrag - dem Hauptantrag zu 3 - auszugehen gewesen wäre.

e) Das Arbeitsgericht hat übersehen, den Antrag zu 4 (Zeugnisberichtigung) aus dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 06.09.2010 (Bl. 113 der Akte) zu bewerten.

Im Hinblick auf die von Amts wegen vorzunehmende Wertfestsetzung ist dies nunmehr vom Beschwerdegericht nachzuholen.

Aufgrund dessen, dass der Kläger eine Zeugnisberichtigung in mehreren Punkten (ungeknickt, aktueller Briefbogen, ergänzte Tätigkeitsbeschreibung und Verhaltensbeurteilung sowie Bedauernsformel) begehrt hat, erscheint der Ansatz einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung i.H.v.2.916,67 EUR gerechtfertigt.

f) Die Werte sämtlicher Anträge sind gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren. Daraus resultiert ein Gesamtstreitwert von 53.960,75 EUR.

2. Der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert ab der Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter

a) Ab diesem Zeitpunkt ist von einem geringeren Streitwert auszugehen.

aa) Für die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren gemäß § 63 Abs. 2 GKG kommt es gemäß § 40 GKG ausschließlich auf den Zeitpunkt der Einleitung des Rechtszuges, mithin denjenigen der Klageeinreichung bzw. Klageerweiterung an. Wertmindernde Änderungen während der Instanz wirken sich deshalb auf den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert nicht aus. Insoweit ist dem Arbeitsgericht beizutreten.

bb) § 40 GKG wird jedoch für den Fall der Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter mit einer geänderten Klage auf Feststellung von Forderungen zur Insolvenztabelle durch § 182 InsO verdrängt.

aaa) Der Wert des Streitgegenstands einer Klage auf Feststellung einer Forderung, deren Bestand vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden ist, bestimmt sich nach § 182 InsO nach dem Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist.

bbb) § 182 InsO gilt grundsätzlich für alle Klagen gemäß §§ 179, 180 InsO auf Feststellung einer bestrittenen Insolvenzforderung (MüKo-InsO/Schumacher 2. Auflage § 182 InsO Rand Nr. 3). Unerheblich ist, ob die Feststellung durch Neuklage (§ 180 Abs. 1 InsO) oder Prozessaufnahme (§ 180 Abs. 2 InsO), positive Feststellungsklage des Gläubigers (§ 179 Abs. 1 InsO) oder negative Feststellungsklage des bestreitenden Insolvenzverwalters betrieben wird (§ 179 Abs. 2 InsO). § 182 InsO gilt für die Berechnung des Zuständigkeits-, Rechtsmittel- und Gebührenstreitwerts (MüKo-InsO/Schumacher 2. Auflage § 182 InsO Rand Nr. 3).

ccc) Mit der als herrschend zu bezeichnenden Auffassung (BFH 26.09.2006 - X S 4/06 - ; OLG Koblenz 25.06.2009 - 5 W 414/09 -; OLG Dresden 23.01.2006 - 13 W 1185/05 - jeweils in Juris; MüKo-InsO/Schumacher 2. Auflage § 182 InsO Rn. 6; Hartmann Kostengesetze 41. Aufl. Anhang II zu § 48 GKG (§ 182 InsO) Rn. 3; Schneider Streitwertkommentar 12. Aufl. Rn. 2979) ist deshalb davon auszugehen, dass § 182 InsO eine gegenüber der allgemeinen Wertvorschrift des § 40 GKG speziellere Regelung darstellt.

cc) Dies bedeutet, dass es für den Zeitraum vor der Prozessaufnahme beim Grundsatz des § 40 GKG verbleibt, die Wertberechnung ab dem Zeitpunkt der Prozessaufnahme für das weitere Verfahren sich jedoch nach § 182 InsO richtet, soweit es anschließend um die Feststellung bestrittener Insolvenzforderungen gem. §§ 179, 180 InsO geht. Demgegenüber findet § 182 InsO unter anderem keine Anwendung auf Klagen, die Masseverbindlichkeiten betreffen (BGH 29. Juni 1994 - VIII ZB 28/94 - NJW-RR 1994, 1251; MüKo-InsO/Schumacher 2. Aufl. § 182 InsO Rn. 3 f.), während Anträge, die sich gar nicht gegen den Insolvenzverwalter richten, überhaupt keine Bewertung mehr erfahren.

b) In Anwendung dieser Grundsätze beträgt der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert ab dem Zeitpunkt der Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter 12.979,32 EUR.

aa) Der Bestandsschutzantrag zu 1 ist als Masseforderung einzustufen, weil der Bestand des Arbeitsverhältnisses ursprünglich über den Eröffnungszeitpunkt hinaus im Prozess geltend gemacht worden ist (vgl. hierzu BAG 18. Oktober 2006 - 2 AZR 563/05 - Juris). Dieser ist deshalb nicht zu reduzieren. Im Hinblick auf § 40 GKG kommt es auch nicht darauf an, dass die Kündigungsschutzklage mit Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter zurückgenommen worden ist.

bb) Die mit ihrem Nominalwert von insgesamt 42.293,11 EUR zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen der Klageanträge zu 3 (36.124,96 EUR) und zu 5 (6169,11 EUR) sind mit 10 %, also mit 4.229,31 EUR, zu veranschlagen.

Dies entspricht der nach dem unbestritten gebliebenen Vorbringen des Insolvenzverwalters der bei einer Verteilung der Insolvenzmasse auf die angemeldeten Forderungen zu erwartenden Quote der als einfache Insolvenzforderungen einzustufenden Ansprüche auf rückständige Provisionen und rückständige Urlaubsabgeltung.

cc) Der Zeugnisberichtigungsanspruch zu 4 wirkt sich auf das Verfahren ab Aufnahme des Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter streitwertmäßig nicht (mehr) aus.

Da das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Schuldnerin aufgrund der zurückgenommenen Kündigungsschutzklage gemäß §§ 4, 7 KSchG mit dem 30.04.2010 - und damit vor der Insolvenzeröffnung am 01.06.2011 - beendet worden ist, ist der Beklagte weder in die Arbeitgeberstellung eingerückt noch Schuldner des Zeugnisberichtigungsanspruches geworden. Schuldnerin dieses Anspruchs blieb vielmehr die in Insolvenz gefallene Arbeitgeberin (BAG 23.06.2004 - 10 AZR 495/03 - AP BGB § 630 Nr. 29). Damit ist der Beklagte an dem Verfahren bezüglich des Zeugnisberichtigungsantrags nicht beteiligt (gewesen).

dd) Die gemäß § 39 Abs. 1 GKG vorzunehmende Addition der Streitwerte unter aa und bb ergibt die Summe von 12.979,32 EUR.

III.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG). Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG).