VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.12.2012 - 4 S 1540/12
Fundstelle
openJur 2013, 15361
  • Rkr:

Eine disziplinarische Maßnahme gegen einen Pfarrer der katholischen Kirche (hier: Verweis und Buße) kann im Verwaltungsrechtsweg nicht überprüft werden.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 03. Juli 2012 - 12 K 1513/12 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.044,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Dort, wo die Kirchen über das Recht zur Selbstbestimmung verfügen, unterliegen sie auch nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit. Dem stehen Art. 19 Abs. 4 GG und § 40 VwGO nicht entgegen. Beide Vorschriften eröffnen die Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen Akte staatlicher Gewalt. Kirchliche Gewalt ist infolge der öffentlichen Rechtsstellung und öffentlichen Wirksamkeit der Kirchen, die sie aus ihrem besonderen Auftrag herleiten und durch die sie sich von anderen gesellschaftlichen Gebilden prinzipiell unterscheiden, zwar öffentliche, aber nicht staatliche Gewalt. Streitigkeiten wegen Maßnahmen, welche die Kirche in Ausübung des ihr verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts getroffen hat, sind auch dann keine öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten im Sinne des § 40 VwGO, wenn die Religionsgesellschaft den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV) besitzt. Dieser Status ist Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit; er soll die Eigenständigkeit und die Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaft unterstützen, sie aber nicht bei der Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten zu einem Handeln in den Formen und mit den Mitteln des öffentlichen Rechts befähigen (BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a.a.O., m.w.N.).

Ein vor jeder staatlichen Einflussnahme geschütztes Selbstbestimmungsrecht steht den Religionsgesellschaften bei rein innerkirchlichen Maßnahmen zu. Das sind Maßnahmen, die materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheiten der Kirchen oder Religionsgemeinschaften anzusehen sind. Auch wenn die Maßnahme „hinübergreift“ in den Bereich des Öffentlichen, des Gesellschaftspolitischen und dort mittelbar wirkt, beseitigt das nicht ihren Charakter als kircheninterne Maßnahme. Erst für kirchliche Maßnahmen, die unmittelbare Wirkung in dem vom Staat zu ordnenden Bereich haben, gilt das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht (BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a.a.O.).

Durch den Zusatz in Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ ist die Garantie der kirchlichen Selbstverwaltung nicht unter einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt gestellt. Es handelt sich bei der Formel nicht um einen Gesetzesvorbehalt. Gesetze, die für alle und damit auch für die Religionsgesellschaften bei der Ordnung ihrer eigenen Angelegenheiten gelten, sind nur solche Rechtsnormen, die für die Kirche dieselbe Bedeutung haben wie für jedermann. Trifft das Gesetz die Kirche in ihrer Besonderheit als Kirche, weil nämlich ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistlich-religiösen Auftrag beschränkend, und damit anders als den normalen Adressaten, bildet es insoweit keine Schranke (BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a.a.O.).

Jede den kircheninternen Bereich ergreifende Reglementierung durch staatliches Gesetz hat diese Wirkung. Eine solche Regelung trifft die Kirche in ihrer ureigenen Funktion, den Glauben zu verkünden, Seelsorge zu betreiben und karitativ tätig zu sein. Die Art und Weise, wie die Kirche diesen geistlich-religiösen Auftrag auffasst und erfüllt, ist staatlicher Reglementierung nicht zugänglich. Dies gilt auch für die durch Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV, Art. 140 GG garantierte Autonomie, die Ämter im Bereich der Seelsorge zu verleihen und zu entziehen. Das Dienstrecht der Geistlichen gehört zum Kernbereich der innergemeinschaftlichen Angelegenheiten der Kirchen. Die Entscheidungen der Kirchen und Kirchengerichte hierzu sind von den staatlichen Gerichten hinzunehmen. Die Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit bezieht sich auch auf die Einhaltung der „fundamentalen Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung“ durch die kirchlichen Stellen, die die Entscheidung getroffen haben (BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a.a.O.).

Auch aus der staatlichen Justizgewährungspflicht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 92 GG) ergibt sich nicht die Befugnis der staatlichen Gerichte, über kircheninterne Maßnahmen zu entscheiden. Aufgrund der Justizgewährungspflicht sind zwar die Gerichte zur Entscheidung aller Rechtsfragen berufen, deren Beantwortung sich nach staatlichem Recht richtet. Im Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirche ist jedoch kein staatliches Recht zulässig, das die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften einschränkt (BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a.a.O.).

Ausgehend davon steht hier eine rein innerkirchliche Maßnahme im Streit. Der Bischof der Antragsgegnerin hat in seinem Dekret vom 22.06.2011 ausgeführt, einen Verweis könne der Ordinarius demjenigen erteilen, aus dessen Lebenswandel ein Ärgernis oder eine schwere Verwirrung der Ordnung entstehe, wobei der Verweis in einer Weise zu erteilen sei, die den besonderen Verhältnissen der Person und der Tat entspreche (can. 1339 § 2 CIC). Einem Verweis könne der Ordinarius nach can. 1340 CIC nach seinem klugen Urteil Bußen hinzufügen, die u.a. darin bestünden, ein Werk der Caritas zu leisten. Entsprechend ist er verfahren und hat dem Antragsteller - gestützt auf can. 1339 CIC und can. 1340 CIC - einen Verweis erteilt und ihm als Buße die Kürzung seiner Bezüge zugunsten eines Fonds ab dem 01.08.2011 um 20% auf die Dauer von drei Jahren auferlegt. Dabei handelt es sich nicht um eine rein vermögensrechtliche, sondern um eine dienstrechtliche, an einen Pflichtenverstoß des Antragstellers anknüpfende disziplinarische Maßnahme. Der Antragsteller ist, wie die Antragsgegnerin vorgetragen hat, zum kanonischen Gehorsam seinem Bischof gegenüber verpflichtet (can. 273 CIC) und unterliegt dem kirchlichen Straf- und Disziplinarrecht (can. 1311 bis 1399 CIC). Die Disziplinargewalt der Kirchen aber ist nicht vom Staat verliehen, sondern eine auf ursprünglicher Gewalt der Kirchen beruhende innerkirchliche Angelegenheit und damit staatlichen Eingriffen entzogen, denn das Disziplinarrecht der Kirche wurzelt als Teil ihres Amtsrechts in ihrem geistlichen Wesen und bildet deshalb einen Kernpunkt ihres Selbstbestimmungsrechts (vgl. dazu Senatsurteil vom 15.11.1968 - IV 181/68 -, NJW 1969, 1363; Senatsbeschlüsse vom 24.07.1973 - IV 401/73 - und vom 20.08.1974 - IV 256/74 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.02.1978 - VIII A 215/75 -, DVBl. 1978, 925).

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen vom 25.11.1982 (2 C 21.78, 2 C 22.78 und 2 C 38.81, jeweils Juris) die Frage erörtert - und letztlich offen gelassen - hat, „ob Kirchenbediensteten wegen ihrer vermögensrechtlichen Ansprüche staatlicher Gerichtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG zukomme, weil die Kirche in diesem Bereich öffentliche Gewalt im Sinne dieser Grundrechtsbestimmungen ausübe“, ist eine vergleichbare Fallgestaltung hier nicht gegeben. Hier geht es nicht um die vermögensrechtlichen Auswirkungen einer innerkirchlichen Maßnahme, sondern um die innerkirchliche - disziplinarische - Maßnahme selbst. Eine derartige Maßnahme ist aber unabhängig von der konkret verhängten Art der Buße der Natur der Sache nach als eigene Angelegenheit der Kirche und damit als eine rein innerkirchliche Maßnahme anzusehen. Die von der Verfassung anerkannte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt würde geschmälert werden, wenn der Staat seinen Gerichten das Recht einräumen würde, innerkirchliche Maßnahmen, die im staatlichen Zuständigkeitsbereich keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten, zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.12.2008 - 2 BvR 717/08 -, NJW 2009, 1195).

Ungeachtet dessen bliebe die Beschwerde aber auch dann ohne Erfolg, wenn man davon ausginge, dass auch in einem Fall wie dem vorliegenden staatlicher Rechtsschutz im Bereich der vermögensrechtlichen Leistungen, die der sozialen Sicherung dienten, zu gewähren wäre. Denn die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller schon keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe, es ihm vielmehr zumutbar sei, seinen Zahlungsanspruch in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgen, wird durch das Beschwerdevorbringen nicht erschüttert. Ebenso wenig hätte der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es wäre auch nichts dafür ersichtlich, dass die vermögensrechtlichen Auswirkungen der Maßnahme der Antragsgegnerin das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verletzten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).