OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.10.2012 - 15 Verg 12/11
Fundstelle
openJur 2013, 15284
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer des Landes Baden-Württemberg vom 30.11.2011 - 1 VK 60/11 - geändert:

Es wird festgestellt, dass der Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen vom 23.8./28.10.2011 ("Konzessionsvertrag zur Sicherstellung und Finanzierung der Gewährleistung einer ausreichenden Verkehrsbedienung der Allgemeinheit im Linienbündel L.") über die Verkehrsbedienung der Stadtbuslinien 601-605 in L. unwirksam ist.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer und die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der jeweils zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen.

Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre notwendigen Aufwendungen selbst.

3. Der Beschwerdewert wird festgesetzt auf 398.344,97 €.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Zurückweisung ihres Nachprüfungsantrages betreffend die Vergabe von fünf Buslinien des öffentlichen Personennahverkehrs der südhessischen Stadt L. ("Linienbündel L.").

Die Antragstellerin ist ein im dortigen Bereich ansässiges Unternehmen, das die Verkehrsleistungen erbringen möchte. Der für den lokalen öffentlichen Personennahverkehr mit Bussen zuständige Landkreis Bergstraße hat seine Aufgaben gem. § 6 Abs. 1 des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr in Hessen vom 1.12.2005 (GVBl. I 2005, 786) auf die Antragsgegnerin übertragen.

Die Antragsgegnerin hat am 14.4.2010 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union eine Vorinformation nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/07 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße (Amtsblatt L 315 v. 3.12.2007, S. 1, im Folgenden: VO 1370/07) veröffentlicht und mitgeteilt, dass sie beabsichtige, gemäß Art. 5 Abs. 3 VO 1370/07 zum 13.12.2011 einen Dienstleistungsauftrag im Sinne der VO 1370/07 in Form einer Dienstleistungskonzession zu vergeben und dass sie das Vergabeverfahren voraussichtlich im April 2011 einleiten werde.

Mit Schreiben vom 4.8.2010 an die Stadt L. brachte die Antragstellerin ihr Interesse an einer Beteiligung am dortigen öffentlichen Personennahverkehr und an einer von ihr vorgeschlagenen Direktvergabe zum Ausdruck. Mit e-mail vom 21.6.2011 wiederholte sie dies. Der Magistrat der Stadt erklärte in einem Schreiben vom 24.6.2011 an die Antragsgegnerin, dass "die Erhaltung des steuerlichen Querverbundes bei der Beteiligungsgesellschaft" wichtig sei. Die Antragstellerin unterbreitete mit Schreiben vom 29.7.2011 ein Angebot auf der Basis des damals geltenden Fahrplanes sowie ein Nebenangebot auf der Basis eines "optimierten" Fahrplanes (Initiativ-Angebot).

Mit e-mail vom 10.8.2011 ("Preisanfrage") forderte die Antragsgegnerin die Beigeladene und die Antragstellerin zur Vorlage eines verbindlichen Angebotes bis 16.8.2011 auf. Als Anlagen waren beigefügt der vorgesehene Konzessionsvertrag, als Anlage 2 eine Zusammenstellung der Qualitätsanforderungen und die Fahrpläne der Linien 601 bis 605. Nach § 2 Abs. 3 des Konzessionsvertrages sollen der auszuwählende Bieter ("N.N.") und die "Verkehr und Tourismus L. GmbH & Co. KG" (im Folgenden: VTL) gemeinsam als Betreiber im Sinne der VO 1370/07 auftreten. Dabei soll intern die VTL die kaufmännischen Aufgaben und N.N. die Organisation des Fahrbetriebes übernehmen. Nach § 2 Abs. 9 des Konzessionsvertrages gewährten die Konzessionsgeber (die Stadt L. und die Antragsgegnerin) den Konzessionsnehmern (der VTL und N.N.) "das ausschließliche Recht zum Betrieb der vertragsgegenständlichen Linien". Nach § 8 Abs. 1 des Konzessionsvertrages gewährt die Antragsgegnerin den Konzessionsnehmern einen Jahreszuschuss von 242.000 € (in einer Kalkulation als "Bestellmittel Land/VRN" bezeichnet). Darüber hinaus übernimmt die Stadt L. folgende weitere Leistungen (§ 8 des Konzessionsvertrages):

" …(6) Zum Ausgleich der von der Stadt im öffentlichen Interesse der städtischen Nahverkehrsversorgung zusätzlich abverlangten Anforderungen übernimmt die Stadt den sich aus der Saldierung des Betriebsaufwandes von N.N. gem. Abs. 7, den eigenen Aufwendungen der VTL aus diesem Vertrag und den von der VTL erwirtschafteten  Tarifeinnahmen und gesetzlichen Ausgleichsleistungen ergebenden Finanzierungsbedarf im Rahmen des Ergebnisabführungsvertrages mit der Beteiligungsgesellschaft Stadt L. GmbH.

(7) Die VTL übernimmt im Innenverhältnis der Konzessionsgeber den sich aus der Anlage 3 ergebenden Betriebsaufwand von N.N. …"

Die den versandten Unterlagen als Anlage 3 beigefügte Tabelle zur Eintragung der "Zuschusssätze je Kilometer" für jedes der vorgesehenen acht Betriebsjahre war (versehentlich) bereits ausgefüllt. Sie enthielt, von der Antragstellerin zunächst unbemerkt, die von der Beigeladenen bereits angebotenen Sätze.

Unter dem 12.8.2011 rügte die Antragstellerin die Fristsetzung zur Angebotsabgabe als unangemessen kurz, ebenso die Mitteilung vom 11.8.2011 ("Bieterinformation 1") über die Mindestsitzplatzzahl ("Midibus Mindestens 20 17 Sitz- u. 15 Stehplätze, Standardbus (bis 15 Meter): Mindestens 30 Sitzplätze"). Abgesehen von einer Verlängerung der Angebotsfrist bis 19.8.2011 ("Bieterinformation Nr. 2" vom 15.8.2011) wurden die Rügen mit e-mail vom 15.8.2011 zurückgewiesen.

Am 13.8.2011 erschien im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union eine "Berichtigung" der Vorinformation vom 14.4.2010 mit dem Hinweis, dass die vorgesehene Vergabe "nicht nach Art. 5 Abs. 3, sondern zum Fahrplanwechsel am 11.12.2011 als Schwellenwertdirektvergabe nach Art. 5 Abs. 4 VO 1370/07" erfolge.

Auf Anfrage der Antragstellerin vom 15.8.2011 teilte die Antragsgegnerin mit "Bieterinformation Nr. 3" vom 17.8.2011 mit, dass die Bewertung nach der Gesamtsumme der über die Laufzeit sich errechnenden Zuschüsse erfolge.

Mit Schreiben vom 17.8.2011 rügte die Antragstellerin neben der ungenügenden Angebotsfrist, dass unklar sei, nach welchem Verfahren die Vergabe durchgeführt werde und dass die Angebotskalkulation hinsichtlich des vorgesehenen Subunternehmers O. und des Fehlens einer Preisanpassungs- bzw. Bagatellklausel ein "ungewöhnliches Wagnis" enthalte. Die Rüge wurde mit e-mail vom gleichen Tage zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 29.08.2011 rügte die Antragstellerin erneut eine unzumutbar kurze Frist zur Vorlage des Angebots, eine nachträgliche Veränderung der verlangten Busqualitäten (die Mindestsitzplatzzahl sei nur im Hinblick auf das Angebot des Mitbewerbers von 20 auf ungewöhnliche 17 herabgesetzt worden) und legte ein überarbeitetes Angebot vor. Mit e-mail vom 30.8.2011 wurde die Rüge zurückgewiesen.

Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 25.10.2011 erhob die Antragstellerin weitere Rügen. Die Schwellenwerte der Vergabeverordnung seien überschritten. Eine Dienstleistungskonzession liege nicht vor, so dass eine Ausschreibung in Form eines offenen Verfahrens stattfinden müsse. Das gewählte Verfahren sei jedenfalls nicht transparent, fair und diskriminierungsfrei, die Direktvergabe mangels Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 4 VO 1370/07 unzulässig.

Mit Schreiben vom 27.10.2011 wurden die Rügen zurückgewiesen. Die Konzessionsnehmer hätten das vollständige Ertragsrisiko zu tragen, so dass ausschließlich Art. 5 Abs. 2 ff. VO 1370/07 einschlägig und die Direktvergabe an ein mittelständisches Unternehmen mit weniger als 23 Fahrzeugen zulässig sei.

Die Antragsgegnerin kam zum Ergebnis, dass die Beigeladene über die Gesamtlaufzeit das günstigere Angebot eingereicht habe. Aus den von der Beigeladenen angebotenen Zuschusssätzen errechnete sich über die Gesamtlaufzeit des Vertrages (8 Betriebsjahre) bei 339.017 Gesamt-km ein Betrag von 7.966.899,50 €; mit den von der Antragstellerin angebotenen Zuschusssätzen ergab sich ein höherer Betrag. Mit Schreiben vom 23.8.2011 wurde der Beigeladenen der Konzessionsvertrag zur Unterzeichnung zugesandt. Im Anschluss an die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom Freitag, 28.10.2011, wurde der von der Antragsgegnerin, der VTL und der Beigeladenen bereits im August 2011 gezeichnete Vertrag auch für die Stadt L. unterschrieben.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 28.10.2011 ging bei der Vergabekammer am 31.10.2011 ein. Die Antragstellerin ist der Auffassung, §§ 102 ff. GWB seien auf Direktvergaben analog anwendbar. Es handele sich um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag. Der Schwellenwert (§ 2 Nr. 3 VGV) von € 193.000,00 werde erheblich überschritten. Sie habe die unzulässige Direktvergabe rechtzeitig gerügt.

Die Antragsgegnerin habe die "Voraussetzungen" der VO 1370/07 sowie des Vergaberechts nicht eingehalten. Die VO 1370/07, jedenfalls aber deren Art. 5 Abs. 4, seien nicht anwendbar, da Entscheidungen des nationalen Gesetzgebers dazu, ob Ausgleichszahlungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen Begünstigungen in Form von Beihilfen darstellen, nicht gefallen seien. Die Anforderungen von Art. 5 Abs. 2 - 6 VO 1370/07 seien ausweislich von Art. 5 Abs. 1 VO 1370/07 subsidiär zum allgemeinen Vergaberecht; sie seien nur anzuwenden, wenn dieses aufgrund Vorliegens einer Dienstleistungskonzession nicht vorrangig anzuwenden sei.

Eine Direktvergabe setze eine Dienstleistungskonzession voraus. Diese liege nicht vor, da die Beigeladene keinen wesentlichen Teil des Vertriebsrisikos trage. Der Konzessionsvertrag enthalte in § 8 Abs. 6 eine pauschale Verlustabdeckungszusage der Beteiligungsgesellschaft Stadt L. GmbH (im Folgenden: BGL). Im Zweifel sei nicht von einer Dienstleistungskonzession, sondern von einem Dienstleistungsauftrag auszugehen.

Selbst wenn es sich um eine Dienstleistungskonzession handele und Art. 5 Abs. 4 VO 1370/07 anwendbar wäre, lägen dessen Voraussetzungen nicht vor. Es könne nicht schlicht freihändig vergeben werden. Die Grundsätze der Transparenz, Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung seien nicht eingehalten worden. Die Verdingungsunterlagen seien ihr wesentlich später zugesandt worden als der Beigeladenen. Sie seien zudem an deren Angebot, insbesondere hinsichtlich der Mindestzahl an Sitzplätzen (anfangs 20, erst nach "Bieterinformation 1" vom 11.8.2011 nur noch 17), angepasst worden. Zudem werde sie gegenüber dem verpflichtend als Subunternehmer zu beauftragenden Unternehmen (O. Reisen) diskriminiert.

Die Mitteilung der Preise der Mitbewerberin stelle einen so gravierenden Fehler dar, dass eine Neudurchführung der Ausschreibung geboten sei. Direktvergaben im öffentlichen Personennahverkehr seien durch das Grundgesetz, durch § 8 Abs. 4 PBefG und §§ 19, 20 GWB als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung untersagt. Untersagt sei eine Mischvergabe an die Beigeladene und die VTL. Die Veröffentlichung genüge nicht den Anforderungen des Art. 7 Abs. 2 VO 1370/07. Überkompensationen seien entgegen den Anforderungen der Art. 4, 6 VO 1370/07 nicht ausgeschlossen. Die Überkompensation habe Nichtigkeit des Vertrages gemäß § 134 BGB i.V.m. Art. 108 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Folge. Art. 5 Abs. 7 VO 1370/07 verweise klar auf das Gemeinschaftsrecht insgesamt und damit auch auf die Vorschriften über (nicht modifizierte) Beihilfen. Die Antragstellerin hat beantragt festzustellen, dass

1. die am 14.4.2010 bekannt gemachte und am 13.8.2011 berichtigte Direktvergabe unwirksam ist und

2. diese die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt,

hilfsweise für den Fall, dass die Antragsgegnerin die Leistungen freiwillig europaweit ausschreibt oder dauerhaft von der Beschaffung Abstand nimmt, festzustellen, dass

3. die vorgenannte Direktvergabe unwirksam war und

4. diese die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hat.

Die Antragsgegnerin erachtet den Nachprüfungsantrag für unzulässig, hilfsweise unbegründet. §§ 102 ff. GWB seien auf Direktvergaben nach VO 1370/07 nicht anwendbar. Der Antragstellerin fehle die Antragsbefugnis, da sie selbst eine Direktvergabe ausdrücklich gewünscht und sich auf dieses Verfahren eingelassen habe. Eine formale Ausschreibung habe sie erst gefordert, als sie realisiert habe, das schlechtere Angebot eingereicht zu haben und ihre sonstigen Interventionsversuche gescheitert seien. Die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 4 VO 1370/07 seien erfüllt. Die Beigeladene betreibe 21, die Firma O. 2 Fahrzeuge.

Die Beigeladene macht ergänzend geltend, die Antragstellerin sei ihrer Rügeobliegenheit nicht nachgekommen.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen. §§ 102 ff. GWB seien zur Sicherstellung des gebotenen effektiven Rechtsschutzes und wegen Sachnähe zwar analog anzuwenden. Eine einheitliche Zuständigkeit für die Nachprüfung sämtlicher Vergaben von Aufträgen im Verkehrsbereich angesichts der schwierigen Abgrenzung von Dienstleistungsauftrag und -konzession sei sachlich geboten. Der maßgebliche Schwellenwert werde erreicht. Ein Rechtsschutzinteresse sei jedoch nicht zu erkennen. Die Antragstellerin habe die von der Antragsgegnerin gewählte Vorgehensweise der Direktvergabe ausdrücklich gut geheißen. Ihr widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) führe zur Verneinung des Rechtsschutzinteresses. Es komme deshalb nicht entscheidend darauf an, ob das Nachprüfungsverfahren nicht bereits vor Erteilung des Zuschlages am 28.10.2011 hätte betrieben werden müssen.

Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag weiter. Sie stütze sich auf § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB; beide Varianten der Vorschrift seien erfüllt.

Die Sachverhaltsdarstellung der Vergabekammer sei in verschiedenen Punkten unzutreffend. So werde bestritten, dass die Beigeladene und die Firma O. zusammen lediglich über 23 Fahrzeuge verfügten. Letztere sei nicht im Wege der Preisanfrage ausgesucht worden, sondern habe einen Anteil von 25 % an der Leistung voraussetzungslos zugebilligt erhalten. Der "Erhalt des Querverbunds" sei für die Finanzierung des Stadtverkehrs der Stadt L. nicht unabdingbar.

Ein Rechtsschutzinteresse könne ihr nicht abgesprochen werden. Sie habe sich nicht widersprüchlich verhalten.

Sie habe das Vergabeverfahren nicht schon vor dem Vertragsschluss angreifen müssen. Die Antragsgegnerin habe kein Vergabeverfahren durchgeführt, welches zu einer Rügeobliegenheit habe führen können, sondern sich auf die Direktvergabe als ein dem GWB fremdes Verfahren berufen. Sie habe den Nachprüfungsantrag gar nicht früher stellen können. Das Schreiben der Antragsgegnerin vom 27.10.2011 zu ihren Rügen vom 25.10.2011 habe zunächst geprüft und erörtert werden müssen.

§ 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB sei einschlägig, weil die Antragsgegnerin einen öffentlichen Auftrag ohne vorheriges förmliches Vergabeverfahren erteilt habe. Ein solches habe sie durchführen müssen. Eine Direktvergabe kenne das GWB nicht. Es handele sich um eine sog. "unechte de-facto-Vergabe", da die Antragsgegnerin vor Vertragsschluss mit mehreren Unternehmen in Kontakt gestanden habe, der Auftrag dennoch ohne förmliches Vergabeverfahren vergeben worden sei. Eine solche Vergabe sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung überprüfbar, ebenso ein auf diese Weise geschlossener Vertrag.

Folge man der Auffassung der Vergabekammer, dass ein Vergabeverfahren im Sinne des GWB tatsächlich stattgefunden habe, so sei § 101 b Abs. 1 Nr. 1 anwendbar (und der Vertrag wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Vorabinformation gemäß §§ 101 b Abs. 1 Nr. 1, 101 a GWB unwirksam). Die Antragsgegnerin habe den Vertrag erst am 7.11.2011 schließen dürfen.

Soweit die Vergabekammer die Voraussetzungen einer Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 VO 1370/07 für gegeben erachte, fehle es an einer Begründung. Die Antragstellerin beantragt:

1. der Beschluss der Vergabekammer Karlsruhe vom 30.11.2011 - 1 VK 60/11 - wird aufgehoben.

2. Die Antragsgegnerin wird vorbehaltlich einer dauerhaften Aufgabe des Beschaffungswillens angewiesen, das Vergabeverfahren in rechtsfehlerfreien Stand zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.

3. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin durch die Antragsgegnerin in ihren Rechten verletzt ist.

4. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss. Das Schreiben der Antragstellerin vom 4.8.2011 (gemeint ist wohl der 4.8.2010) an die Stadt L. sei ihr nicht zugegangen. Bei der fehlerhaften Bezeichnung der Rechtsform der VTL in dem der Preisanfrage beigefügten Konzessionsvertrag handele es sich um ein auch für die Antragstellerin offensichtliches Redaktionsversehen, das nichts an der Wirksamkeit der Angebote ändere; die Antragstellerin habe selbst das Schreiben vom 29.7.2011 an die "VTL L." gerichtet und in einem Schreiben vom 4.8.2011 von der "BGL/VTL" als Partner gesprochen, sich also bereits damals intensiv mit deren Organisationsstruktur beschäftigt und gewusst, dass die VTL eine GmbH ist.

Verschiedene Schreiben der Antragstellerin zeigten, dass sie entgegen ihrer Darstellung nicht erst mit der e-mail vom 10.8.2011 am Vergabe- bzw. Preisanfrageverfahren beteiligt gewesen sei. Sie habe mit Schreiben vom 10.11.2011 den Vergabevermerk erhalten.

Der Geschäftsführer der Beigeladenen habe im Verhandlungstermin vom 21.11.2011 bestätigt, dass sie und die Firma O. über insgesamt nicht mehr als 23 Fahrzeuge verfügten.

Das auf der Grundlage der VO 1370/07 durchgeführte Vergabeverfahren unterliege nicht den Bestimmungen der §§ 97 ff. GWB. Deren analoge Anwendung sei nicht gerechtfertigt. Dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz könne der von Art. 5 Abs. 7 VO 1370/07 geforderte effiziente und rasche Rechtsschutz nicht abgesprochen werden.

Es gebe keinen Grund, das Verbot widersprüchlichen Verhaltens im Vergaberecht nur eingeschränkt anzuwenden.

Die Vergabe sei aufgrund von Art. 5 Abs. 4 VO 1370/07 erfolgt und nicht als "de-facto-Vergabe"; § 101 b Abs. 1, Nr. 2 GWB sei deshalb weder nach seinem Inhalt noch nach seinem Schutzzweck einschlägig.

Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet, da die Voraussetzungen einer Direktvergabe nach Artikel 5 Abs. 4 VO 1370/07 erfüllt gewesen sei.

Die Beigeladene beantragt gleichfalls, die Beschwerde zurückzuweisen. Die Antragstellerin betreibe nicht ein Personenverkehrsunternehmen, sondern ein Reisebüro. Sie verfüge nicht über die notwendigen personellen und sachlichen Ressourcen.

Schon zum Zeitpunkt ihres Schreibens vom 4.8.2010 habe die Antragstellerin gewusst, dass eine Direktvergabe vorgesehen gewesen sei; jedenfalls müsse sie die Bekanntmachung vom 14.4.2010 (gemeint sein dürfte der 13.8.2011) gegen sich gelten lassen. Spätestens mit Bekanntmachung vom "14.4.2011" (gemeint sein dürfte die Bekanntmachung vom 13.8.2011 mit der "Berichtigung" der Bekanntmachung vom 14.4.2010) habe sie Kenntnis von der gewählten Direktvergabe gehabt, dies aber erstmals mit Schreiben vom 25.10.2011 beanstandet.

Schon damit, dass die Antragstellerin mit Schreiben vom 21.6.2011 ihr Interesse an der streitgegenständlichen Vergabe zum Ausdruck gebracht habe, sei eine rechtliche Sonderverbindung entstanden, die § 242 BGB unterliege. In diesem Rahmen habe die Antragstellerin wiederholt eine Direktvergabe befürwortet (e-mails vom 28.6.2011 und 29.8.2011). Der Geschäftsführer der Antragstellerin sei aufgrund seiner Tätigkeit im Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmer und als Geschäftsführer des Omnibusverbandes Hessen e.V. mit den Voraussetzungen einer Direktvergabe und anderer wettbewerblicher Verfahren vertraut.

Da eine Dienstleistungskonzession anzunehmen sei, sei das GWB nicht anzuwenden. Mangels Vergabeverfahren komme eine Informationspflicht (§ 101 a GWB) nicht in Frage. Für § 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB fehle es an einer "de-facto-Vergabe".

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes, des Vorbringens der Beteiligten und der Gründe der angefochtenen Entscheidung werde auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

A. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

Sie richtet sich gegen eine Entscheidung der Vergabekammer, an deren Verfahren die Antragstellerin beteiligt war (§ 116 Abs. 1 GWB). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt. Der Beschluss der Vergabekammer vom 30.11.2011 wurde dem Antragstellervertreter am 1.12.2011 zugestellt. Die sofortige Beschwerde ging am 12.12.2011 per Fax und damit innerhalb der Beschwerdefrist (§ 117 Abs. 1 GWB) beim Oberlandesgericht Karlsruhe ein. Dieses ist gemäß § 116 Abs. 3 GWB als das Oberlandesgericht am Sitz der Vergabekammer zuständig.

B. Die sofortige Beschwerde ist in der Sache begründet.

I.) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin war zulässig. Der vom 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in §§ 102 ff. GWB vorgesehene Rechtsweg des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer und zum Vergabesenat ist eröffnet.

1. Der Rechtsweg zur Vergabekammer und zum Vergabesenat ist eröffnet, da es sich bei dem Gegenstand der Vergabe entgegen der zu gegenteiligen Schlüssen verleitenden Bezeichnung des Konzessionsvertrages nicht um eine Dienstleistungskonzession im Sinne des Vergaberechts, sondern um einen Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 99 Abs. 4 GWB handelt. Damit sind die Vorschriften der §§ 97 ff. GWB und insbesondere der das Nachprüfungsverfahren eröffnende § 102 GWB unmittelbar anwendbar.

a) Sind entgeltliche Dienstleistungen i. S. von § 99 Abs. 1 und 4 GWB Gegenstand der streitgegenständlichen Vergabe, so sind hierauf die §§ 97 ff. GWB anzuwenden (BGH v. 8.2.2011 - X ZB 4/10 = BGHZ 188, 200, Rn. 27 ff., 29 nach Juris).

Gemäß § 99 Abs. 1 GWB sind öffentliche Aufträge entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmern über die Beschaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- und Dienstleistungen zum Gegenstand haben, Baukonzessionen und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen. Dienstleistungskonzessionen sind nach der Terminologie der §§ 102, 99 GWB keine öffentlichen Aufträge, so dass §§ 97 ff. GWB darauf grundsätzlich nicht anzuwenden sind (BGH v. 8.2.2011 - X ZB 4/10 = BGHZ 188, 200, Rn. 29 ff. nach Juris; vgl. schon BayObLG v. 11.12.2001 - Verg 15/01 = VergabeR 2002, 55, Rn. 23 ff.; OLG Stuttgart v. 4.11.2002 - 2 Verg 4/02 = OLGR 2003, 218, Rn. 17 ff., 22 ff.; OLG Brandenburg v. 3.8.2001 - Verg 3/01 = VergabeR 2002, 45, Rn. 69 ff. nach Juris; Zeiss in: JurisPK-Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, § 99 GWB Rn. 187 ff., 196 ff.; Prieß, Handbuch des europäischen Vergaberechts, 3. Aufl., S. 146), da es nicht um einen entgeltlichen Beschaffungsvorgang geht, sondern der Konzessionsnehmer grundsätzlich nur das Recht erhält, das ihm gewährte ausschließliche Recht (die Konzession) auf im wesentlichen eigenes Risiko zu nutzen. Im Gegensatz zur Baukonzession (§ 99 Abs. 6 GWB) ist die Dienstleistungskonzession in § 99 Abs. 1 GWB nicht genannt und in den darauffolgenden Absätzen der Vorschrift nicht definiert. Schon darin kommt zum Ausdruck, dass sie dem Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB nicht unterfällt.

Dienstleistungskonzessionen sind nach der Definition in Art. 1 Abs. 3 lit. b) der Richtlinie 2004/17/EG und in Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG Verträge, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung von Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zu ihrer Nutzung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht. In Anlehnung an diese Begrifflichkeit und den Begriff der Baukonzession (§ 99 Abs. 6 GWB) sind als Dienstleistungskonzessionen anzusehen "vertragliche Konstruktionen..., die sich von einem Dienstleistungsauftrag nur dadurch unterscheiden, dass der Konzessionär das zeitweilige Recht zur Nutzung der ihm übertragenen Dienstleistung enthält [gemeint wohl: erhält] und gegebenenfalls die zusätzliche Zahlung eines Preises vorgesehen ist" (BGH vom 8.2.2011, a.a.O., Rn. 31 nach Juris). Charakteristisch für eine Dienstleistungskonzession ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung dergestalt den Risiken des Marktes ausgesetzt ist, dass er das damit einhergehende Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt (EuGH v. 18.7.2007 - C-328/05 - "Kommission/Italien", VergabeR 2007, 604, Ziff. 34 m.w.N.; EuGH v. 10.9.2009 - C-206/08 - "WAZV Gotha", VergabeR 2010, 48, Ziff. 77). Ob und inwieweit der Konzessionär das Betriebsrisiko zu einem wesentlichen Teil übernimmt, ist unter Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der konkreten Marktbedingungen und vertraglichen Vereinbarungen zu beurteilen (BGH vom 8.2.2011, a.a.O., Rn. 32 ff. nach Juris). Wird neben dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung zusätzlich ein Preis gezahlt, kann je nach den Umständen des Einzelfalles zweifelhaft sein, ob der Vertrag als Dienstleistungskonzession oder öffentlicher Dienstleistungsauftrag zu werten ist (ebenda, Rn. 36).

Für die Abgrenzung der Dienstleistungskonzession zum Dienstleistungsauftrag sind maßgeblich die Umstände des Einzelfalls. Ein Vertrag kann aber jedenfalls dann nicht als Dienstleistungskonzession angesehen werden, "wenn die zusätzliche Vergütung oder (Aufwands-)Entschädigung ein solches Gewicht hat, dass ihr bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschusscharakter mehr beigemessen werden kann," sondern sich daran zeigt, dass die aus der Dienstleistung möglichen Einkünfte allein ein Entgelt darstellen würden, das "weitab von einer äquivalenten Gegenleistung" läge (BGH v. 8.2.2011, a.a.O., Rn. 37 nach Juris).

b) Im vorliegenden Fall ist nach diesen Maßstäben von einem Dienstleistungsauftrag auszugehen.

Bei der Prüfung, ob ein Dienstleistungsauftrag oder eine Dienstleistungskonzession vorliegt, ist unter Beachtung des Vertragsinhalts und der hier gegebenen getrennten Aufgabenverteilung gem. § 2 Abs. 3 des Konzessionsvertrages vergaberechtlich allein auf das Unternehmen abzustellen, das die eigentliche Verkehrsleistung, den Fahrbetrieb, übernimmt. Denn nur dieses ist dem Wettbewerb hinsichtlich der zu vergebenden Verkehrsleistung ausgesetzt, während es sich bei der VTL um eine eng mit der Stadt L. verbundene Betriebsgesellschaft handelt, die für diese im Wesentlichen Marketing- und Vertriebsaufgaben übernimmt.

Die Ausgestaltung der den Bieter nach dem Inhalt des Konzessionsvertrages treffenden Rechte, Pflichten und Risiken zeigt, dass ihm zum einen kein nennenswerter Spielraum bei der Gestaltung seiner Leistungen und der dafür erhobenen Entgelte bleibt, zum anderen die Übernahme des Auftrags, die streitgegenständlichen Personenverkehrsdienstleistungen zu erbringen, für ihn nicht mit nennenswerten Risiken verbunden ist.

Der Umfang der vom Bieter zu erbringenden Leistungen ergibt sich aus den dem Konzessionsvertrag zu § 1 beigefügten Anlagen 1 und 2 (Fahrpläne der Stadtbuslinien 601 bis 605 und Qualitätsanforderungen). Dauerhafte Änderungen des Fahrplanangebotes bedürfen gem. Ziff. 1.5 der Anlage der Zustimmung der Antragsgegnerin und der Stadt L. als Konzessionsgeber. Gem. § 3 Abs. 1 des Konzessionsvertrages sind der Bieter und die VTL als Konzessionsnehmer verpflichtet, die Tarifbestimmungen der Antragsgegnerin nach den Vorgaben der Vergabeunterlagen anzuwenden. Aufgrund der Fahrplanvorgaben ist auch die Länge der zu erbringenden Fahrstrecken vorgegeben; sie wird von den Beteiligten mit 339.017 Jahresfahrplankilometern angegeben. Damit sind Leistungsumfang und zu erhebende Entgelte (Fahrpreise) dem Bieter ohne größere Einflussmöglichkeiten vorgegeben.

Bei der vorliegenden Vertragsgestaltung - insbesondere durch das in Art. 8 Abs. 7 des Konzessionsvertrages i.V.m. mit der Anlage 3 geregelte Entgelt - erhält das Verkehrsunternehmen ein von den Fahrgeldeinnahmen unabhängiges Festentgelt, ist damit nicht von der Nachfrage nach den angebotenen Verkehrsleistungen abhängig und trägt damit kein diesbezügliches Einnahmerisiko. Damit liegt das wirtschaftliche Risiko nicht beim Unternehmen, sondern beim Auftraggeber (vgl. Hölzl, in: Münchner Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2011, Art. 5 VO 1370/07, Rn. 17: sog. "Bruttovertrag"). Schon aus diesem Grund ist nicht von einer Dienstleistungskonzession auszugehen.

Sichergestellt wird die Entgeltzahlung gem. § 8 Abs. Abs. 1 des Konzessionsvertrages durch den von der Antragsgegnerin gewährten Jahreszuschuss von 242.000 € und die Übernahme des sich gem. § 8 Abs. 6 des Vertrages "aus der Saldierung des Betriebsaufwands" des Bieters und anderen dort bezeichneten Faktoren ergebenden Finanzierungsbedarf durch die Stadt L. in dem dort umrissenen Rahmen.

Abgesehen davon ist die dem Bieter gewährte Vergütung nach ihrer Größenordnung im Bereich um rund 1 Mio. € nicht mehr als bloßer Zuschuss anzusehen. Die demgegenüber aus den Fahrpreisen erzielten Einkünfte liegen weitab von einer äquivalenten Gegenleistung für die von dem Bieter zu erbringenden Verkehrsleistungen. Es kann danach dahinstehen, ob im Zweifel ohnehin vom Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags statt einer Dienstleistungskonzession auszugehen wäre (vgl. EuGH v. 28.1.2010 - C-406/08; OLG München v. 21.5.2008 - Verg. 5/08 = VergabeR 2008, 845, Rn. 40 nach Juris; Vk Münster v. 18.3.2010 - VK 1/10, Rn. 130 nach Juris).

c) Im Hinblick auf die Qualifizierung des Gegenstandes der vorliegenden Vergabe als Dienstleistungsauftrag muss nicht entschieden werden, ob bei anderem Ergebnis (Qualifizierung des Gegenstandes der Vergabe als Dienstleistungskonzession) Rechtsschutz gem. §§ 102 ff. GWB aufgrund einer analogen Anwendung dieser Vorschriften zu gewähren wäre (vgl. OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 - Verg 48/10 = VergabeR 2011, 471, Rn. 38 ff. nach Juris; OLG München v. 26.6.2011 - Verg 6/11 = VergabeR 2011, 848, Rn. 55 ff. nach Juris).

2. Die Vergabekammer beim Regierungspräsidium Karlsruhe war gemäß §§ 104, 106 a Abs. 3 GWB örtlich und sachlich zuständig für die Nachprüfung der Vergabe. Denn maßgeblich ist gem. § 106a GWB der Sitz des Auftraggebers. Die Antragsgegnerin als Auftraggeberin hat ihren Sitz in M.

3. Der streitgegenständliche Auftrag überschreitet den maßgeblichen Schwellenwert (§ 100 GWB, §§ 1, 2 Abs. 9 SektVO) von 387.000,00 €.

a) Maßgeblich für die Bestimmung des Auftragswerts sind im vorliegenden Fall nicht die allgemeinen Vorschriften der Vergabeverordnung (VgV). Es geht zwar um eine Vergabe im Sinne von § 97 Abs. 6 GWB, § 1 VgV. Die Sektorenverordnung (SektVO) vom 23.9.2009 (BGBl. I 2009, 3110) ist aber die gegenüber der Vergabeverordnung speziellere Rechtsvorschrift. Denn es handelt sich um einen Auftrag eines Auftraggebers gem. § 98 Nr. 2 GWB im Zusammenhang mit einer Sektorentätigkeit gem. § 1 Abs. 1 SektVO, nämlich einer Tätigkeit auf dem Gebiet des Verkehrs, wie sie in der Anlage 1 zu § 98 Nr. 4 GWB unter Nr. 4 ("Verkehr") aufgeführt ist: das Erbringen von Verkehrsleistungen, die Bereitstellung und das Betreiben von Infrastruktureinrichtungen zur Versorgung der Allgemeinheit im öffentlichen Personenverkehr im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) mit "Kraftomnibussen". Maßgebend sind deshalb - so jetzt auch § 1 Abs. 2 VgV - für den Schwellenwert die spezielleren Regeln der Sektorenverordnung (SektVO) mit ihrer (dynamischen) Verweisung auf Art. 16, 69 der Richtlinie 2004/17/EG vom 31.3.2004 und die dazu jeweils ergangenen Änderungsverordnungen (zuletzt Verordnung Nr. 1251/2011 der Kommission v. 30.11.2011, vgl. Zeiss, in: JurisPK-VergR, a.a.O., § 2 SektVO Rn. 29.1).

Die Antragsgegnerin ist als juristische Person des privaten Rechts Auftraggeberin im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB, da sie zu dem Zweck gegründet wurde, den öffentlichen Personennahverkehr in der Region Rhein-Neckar als Verkehrs- und Tarifverbund zu organisieren und damit "im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen" (vgl. VK Brandenburg v. 28.1.2003 - Vk 71/02, Rn. 31 ff. nach Juris; VK Düsseldorf v. 2.3.2007 - Vk 05/2007 L, Rn. 76 ff. nach Juris) und ihr alleiniger Gesellschafter der Zweckverband Verkehrsverbund Rhein-Neckar (ZRN) ist, dem wiederum Bundesländer, Landkreise und kreisfreien Städte angehören und so "über ihre Leitung die Aufsicht ausüben" (zur erforderlichen "Staatsnähe" des Auftraggebers nach § 98 Nr. 2 GWB vgl. OLG Düsseldorf v. 6.7.2005 - Verg 22/05, Rn. 19 ff. nach Juris).

Dahingestellt bleiben kann, ob neben der Antragsgegnerin auch die Stadt L. als nach dem Konzessionsvertrag weitere "Konzessionsgeberin" auch (Mit-)Auftraggeberin im Sinne von § 98 GWB ist und ob die Auftraggebereigenschaft materiell-wirtschaftlich zu bestimmen ist (vgl. Diehr, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Aufl., § 109 Rn. 11). Denn die Stadt L. tritt zwar als Mitunterzeichnerin des Konzessionsvertrages in Erscheinung, nicht aber als (Mit-) Auftraggeberin im vergaberechtlichen Sinne. Schon die Vorabinformation vom 14.4.2010 weist allein die Antragsgegnerin als Auftraggeberin des streitgegenständlichen Beschaffungsvorhabens aus. Auf sie sind nach übereinstimmenden Parteivortrag die Aufgaben des für den lokalen öffentlichen Personennahverkehr mit Bussen zuständigen Landkreises gem. § 6 Abs. 1 des hessischen ÖPNVG übertragen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Stadt L. allein durch die Unterzeichnung des Vertrages Aufgaben im Sinne von § 5 Abs. 3 S. 1 ÖPNVG hätte wahrnehmen und als (Mit-)Auftraggeberin der Antragsgegnerin in Erscheinung getreten wäre. Die gesamten Verhandlungen und der Schriftverkehr mit den Bietern wurden vielmehr mit und von der Antragsgegnerin als Auftraggeberin geführt. Die Stadt L. ist daher aus vergaberechtlicher Sicht ebenso wenig wie die VTL als (Mit-)Auftraggeber anzusehen. Da als Auftraggeber im vergaberechtlichen Sinne lediglich die als solche aufgetretene Antragsgegnerin anzusehen ist, kommt deren nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angestellten Überlegungen zur Aufspaltung des Vertrages in Einzelverhältnisse keine entscheidende Bedeutung zu.

b) Die Gesamtvergütung (§ 2 Abs. 1 S. 1, 3 SektVO) bewegt sich für die Vertragslaufzeit von acht Jahren bei einem Zuschusssatz zwischen 2,75 und 3,20 €/km für die acht vorgesehenen Betriebsjahre bei 339.017 Jahresfahrplankilometern im siebenstelligen Euro-Bereich (vgl. Beschlussvorlage Nr. 2011/229 v. 11.10.2011 für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt L. vom 28.10.2011, dort Anlage 3 [Betriebsaufwand] - Anlage BF 6). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Schätzung des Auftragswerts ist dabei die Einleitung des Vergabeverfahrens, etwa durch die Bekanntmachung der beabsichtigten Vergabe (§ 2 Abs. 9 SektVO). Der maßgebliche Schwellenwert von 387.000 € (siehe oben a) wird damit deutlich überschritten.

c) Einer der Tatbestände von § 100 Abs. 2 GWB, bei deren Vorliegen der 4. Teil des GWB nicht anwendbar ist, liegt soweit nicht vor, insbesondere nicht die Voraussetzungen von § 100 Abs. 2 lit. o) bis t) GWB.

4. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsverfahrens steht entgegen der Auffassung der Vergabekammer ein fehlendes Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin nicht entgegen. Dieses ergibt sich vielmehr aus deren unstreitig bestehenden und vielfach dokumentierten Interesse, den Auftrag zu erhalten und die gesetzlichen Anforderungen an ein faires Vergabeverfahren erfüllt zu sehen.

5. Die Zulässigkeit des Nachprüfungsverfahrens scheitert auch nicht an einer Verletzung des Gebotes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt eines venire contra factum proprium bzw. eines widersprüchlichen Verhaltens der Antragstellerin.

Zwar hat sich die Antragstellerin tatsächlich widersprüchlich verhalten in dem sie sich im Laufe des Verfahrens bis zu ihrem Rügeschreiben vom 25.10.2011 wiederholt für eine Direktvergabe ausgesprochen hat. Doch steht es weder in der Macht der Antragstellerin, die Antragsgegnerin von einer Pflicht zur Durchführung eines den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Vergabeverfahrens zu befreien, noch lässt sich den Äußerungen der Antragsstellerin entnehmen, dass sie rechtswirksam auf die Geltendmachung der ihr als Mitbewerberin zustehenden Rechte im Vergabeverfahren verzichtet hätte. Zweifel an ihrer Eignung bzw. Zuverlässigkeit, die zum Ausschluss von der Vergabe führen könnten, vermag das gezeigte widersprüchliche Verhalten nicht zu begründen.

6. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages steht nicht entgegen, dass er erst nach Erteilung des Zuschlages und Unterschrift aller Beteiligten unter den Konzessionsvertrag bei der Vergabekammer eingegangen ist.

Der Vertrag zwischen der Antragsgegnerin, der Beigeladenen und den übrigen Vertragspartnern wurde zwar bereits mit Unterschrift der Vertreter der Stadt L. am 28.10.2011 abgeschlossen. Der Nachprüfungsantrag ging erst am darauffolgenden Montag, dem 31.10.2011, bei der Vergabekammer ein. Doch kommt zumindest ein Interesse der Antragstellerin an einer Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages gem. § 101b GWB in Betracht.

II.) Die Beschwerde und der Nachprüfungsantrag sind in der Sache begründet. Die Antragstellerin ist in ihren Rechten verletzt (§ 114 Abs. 1 und 2 GWB), was auf ihren Antrag im Nachprüfungsverfahren festzustellen ist.

1. Anzuwendendes Recht

a) §§ 97 ff. GWB sind vorliegend anwendbar. Die Antragsgegnerin ist öffentliche Auftraggeberin, die eine Beschaffung von Dienstleistungen (§ 97 Abs. 1 GWB) im Verkehrsbereich beabsichtigt.

Die Antragsgegnerin ist zwar nicht Auftraggeberin im Sinne von § 98 Nr. 1 GWB, da sie weder Gebietskörperschaft ist noch Sondervermögen einer solchen ist. Sondervermögen sind lediglich nicht rechtsfähige, aber haushaltsmäßig und organisatorisch verselbständigte Vermögensteile einer Gebietskörperschaft; die Antragsgegnerin ist aber rechtsfähig. Sie ist aber Auftraggeberin im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB (siehe oben unter II.B.3.a - S. 16 ff.).

b) Anzuwenden sind danach die in Umsetzung der Richtlinie 2004/17/EG vom 31.3.2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsdienst sowie der Postdienste (sog. Sektorenrichtlinie, Abdruck bei Prieß, a.a.O., Anhang 2, S. 701 ff.) ergangenen Bestimmungen der Sektorenverordnung (SektVO) vom 23.9.2009.

Die Antragsgegnerin ist Auftraggeberin im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB (siehe oben), die auf dem Gebiet des Verkehrs tätig ist (siehe oben). Das Bereitstellen und Erbringen solcher Leistungen erfolgt über öffentliche Aufträge (Dienstleistungsaufträge) im Sinne von § 99 Abs. 4 GWB. Nach ihrem § 4 Abs. 1 findet die SektVO uneingeschränkt Anwendung, da Gegenstand der Vergabe die Dienstleistung "Landverkehr" im Sinne des Anhangs 1 Teil A zur SektVO ist.

Die SektVO löst die bisherigen Abschnitte 3 und 4 der Verdingungsordnungen (VOB/A und VOL/A) mit den insoweit maßgeblichen Vorschriften der Vergabeverordnung ab (vgl. Weyand, Vergaberecht, 3. Aufl., Rn. 13101; Gabriel, in: Münchner Kommentar, a.a.O., Vorbem. SektVO Rn. 3 ff.; Bauer, in: Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, 12. Aufl., Vorbem. SektVO Rn. 8; Horn, in: JurisPK-Vergaberecht, a.a.O., Einleitung Rn. 8; Otting, CuR 2010, 153). Da die SektVO in Umsetzung der Richtlinie 2004/17/EG (sog. Sektorenrichtlinie) ergangen ist, sind deren Vorschriften ergänzend zu berücksichtigen, zumal Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ein Dienstleistungsauftrag ist und keine Dienstleistungskonzession (auf letztere wäre nach ihren Art. 18, Art. 5 die Richtlinie 2004/17/EG nicht anwendbar, vgl. auch EuGH - C-324/98 Teleaustria, dort Ziff. 57 dazu, dass Dienstleistungskonzessionen nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie 93/98 unterfallen; Prieß, a.a.O., S. 145). Die Richtlinie 2004/18/EG (Abdruck bei Prieß, a.a.O., Anhang 1, S. 573 ff.) ist nicht ergänzend heranzuziehen. Sie gilt nach ihrem Art. 12 ausdrücklich nicht für öffentliche Aufträge im Bereich der Verkehrsversorgung; insoweit ist allein die Richtlinie 2004/17/EG einschlägig.

c) Nicht maßgebend für den vorliegenden Sachverhalt sind die Bestimmungen der VO 1370/07 ("Personenverkehrsdienstleistungsverordnung"). Sie ist nach ihrem Art. 12 zwar am 3.9.2009 in Kraft getreten und gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 3 sachlich unter anderem für den hier streitgegenständlichen Personenverkehr auf der Straße.

Ihre Bestimmungen entfalten allerdings für die streitgegenständliche Vergabe im Ergebnis keine Wirkung. Denn die Vergabe hat gem. Art. 8 Abs. 1 S. 2, 5 Abs. 1 S. 2 VO 1370/07 nicht nach den Vorschriften der Verordnung zu erfolgen, sondern nach der Richtlinie 2004/17/EG bzw. nach den auf deren Grundlage und zu deren Erfüllung erlassenen Rechtsvorschriften wie der SektVO. Gem. Art. 5 Abs. 1 VO 1370/07 werden nach den Vorschriften und Verfahren der Richtlinie 2004/17/EG die "Dienstleistungsaufträge bzw. öffentlichen Dienstleistungsaufträge" vergeben (Hölzl, in: Münchner Kommentar, a.a.O., VO 1370/2007, Art. 5 Rn. 1). Für den Anwendungsbereich der VO 1370/07 bleiben damit insbesondere öffentliche Dienstleistungsaufträge mit den Merkmalen einer Dienstleistungskonzession (vgl. Prieß, in: Kaufmann/Lübbig/Prieß/Pünder, VO (EG) 1370/2007, 2010, Art. 5 Rn. 36; Fehling, in: Kaufmann u.a., a.a.O., Einleitung Rn. 84), auf welche die Richtlinie 2004/17/EG nicht anwendbar ist. Um eine Dienstleistungskonzession, für die eine Anwendbarkeit der VO 1370/07 zu diskutieren ist, handelt es sich bei dem vorliegenden Dienstleistungsauftrag aber nicht (siehe oben unter B.I.1).

Soweit ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertritt, Art. 5 VO 1370/07 sei in der Bundesrepublik bereits jetzt anzuwenden, da andere Maßnahmen zur schrittweisen Anwendung der Vorschrift nicht getroffen worden seien (so wohl OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 - VII Verg 48/10, Rn. 59 ff., 90, unter Hinweis auf Kaufmann, in: Kaufmann u.a., a.a.O., Art. 8 Rn. 11; im Ergebnis wohl auch OLG München v. 22.6.2011 - Verg 6/11, Rn. 61 ff.), kann dies im Ergebnis aber aus den im vorletzten Absatz genannten Gründen offen bleiben und bedarf auch keiner weiteren Klärung im Wege einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof oder den Bundesgerichthof. Aus diesem Grunde greifen auch die von der Antragstellerin auf Bestimmungen der VO 1370/07 gestützten weiteren Einwendungen gegen das von der Antragsgegnerin verfolgte Verfahren und dessen Ergebnis nicht.

2. Die Antragsgegnerin hat § 101a GWB und weitere Vorschriften des Vergaberechts nicht eingehalten und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, §§ 101b, 114 GWB.

a) Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin weder unverzüglich über den vorgesehenen Zuschlag an die Beigeladene noch über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung des Angebots der Antragstellerin noch über den vorgesehenen frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses in der von § 101a Abs. 1 GWB vorgesehenen Textform informiert. Zwar ergibt sich aus dem Rügeschreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 25.10.2011, dass die Antragstellerin jedenfalls zu diesem Zeitpunkt darüber informiert war, dass die Beigeladene den Zuschlag erhalten sollte. Doch fehlt es jedenfalls an der gem. § 101a Abs. 1 S. 1 GWB notwendigen Information der Antragstellerin zu den Gründen ihrer Nichtberücksichtigung und den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses und an der dafür gebotenen Textform.

b) Im Hinblick auf die Verletzung von § 101a Abs. 1 GWB ist nicht entscheidend und kann dahinstehen, ob auch die Voraussetzungen des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB vorliegen, obwohl die Antragsgegnerin mit der Antragstellerin neben der Beigeladenen zumindest ein weiteres Unternehmen am Verfahren beteiligt hat (die Anwendbarkeit von § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB ist insoweit insbesondere für den Fall umstritten, dass andere Unternehmen kein Angebot abgeben konnten, weil fehlerhaft eine Bekanntmachung der Vergabe unterblieben ist, vgl. VK Bund v. 1.12.2009 - 3-205/09 Glahs, in: Reidt u.a., § 101b Rn. 12).

c) Die weiteren Voraussetzungen des § 101b Abs. 1 und 2 GWB für eine Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages vom 28.10.2011 liegen vor. Die Antragstellerin hat die Verletzung von § 101a GWB mit dem am 31.10.2011 eingegangenen Nachprüfungsantrag und damit innerhalb von 30 Tagen nach Kenntnisnahme von dem Verstoß gegen die Informationspflicht der Antragstellerin geltend gemacht.

d) Der Verstoß gegen § 101a GWB allein verhilft dem Nachprüfungsantrag jedoch noch nicht zum Erfolg. Vielmehr bedarf es über den Verstoß gegen § 101 a Abs. 1 GWB hinaus einer Rechtsverletzung der Antragstellerin durch die Nichtbeachtung von anderen Bestimmungen des Vergaberechts (vgl. OLG München v. 12.5.2011 - Verg 26/10 = VergabeR 2011, 762, Rn. 73 nach Juris; Glahs, in: Reidt u.a., a.a.O., § 101b Rn. 16). Der Antragsteller muss nachweisen, dass er ohne den zum Verstoß gegen § 101a GWB hinzukommenden Vergabefehler eine echte Chance auf den Zuschlag gehabt hätte (Zeiss, in: JurisPK-Vergaberecht, a.a.O., § 101b Rn. 46 ff.). Kann eine solche über den Verstoß gegen § 101a GWB hinausgehende Rechtsverletzung nicht festgestellt werden, bleibt der Nachprüfungsantrag trotz Verstoßes gegen die Informationspflicht im Ergebnis erfolglos (vgl. Reider in: Münchner Kommentar, a.a.O., § 101 b GWB Rn. 15).

e) Ein für die Feststellung der Unwirksamkeit des Konzessionsvertrags ausreichender weiterer Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften liegt mit der Wahl des "falschen" Vergabeverfahrens vor. Die Antragsgegnerin hat mit der laut Vorinformation vom 13.8.2011 beabsichtigten "Schwellenwertdirektvergabe" nach Art. 5 Abs. 4 VO 1370/07 das falsche Vergabeverfahren gewählt und auch nicht die Anforderungen an anderes, zulässiges Verfahren eingehalten.

aa) Aus den Bekanntmachungen der vorgesehenen Vergabe in Form der Mitteilungen vom 14.4.2010 und vom 13.8.2011 ergibt sich, dass die Vergabe zunächst in Form eines (wettbewerblichen Vergabe-)Verfahrens gem. Art. 5 Abs. 3 VO 1370/07, später - nach Intervention der Antragstellerin - in Form einer "Schwellenwertdirektvergabe" gem. Art. 5 Abs. 4 VO 1370/07 erfolgen sollte. Da gem. Art. 8 Abs. 2, 5 Abs. 1 VO 1370/07 diese Vorschriften auf die streitgegenständliche Vergabe nicht anzuwenden waren, wäre die Wahl der Verfahren gem. Art. 5 Abs. 3, 4 VO 1370/07 allenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn die Vergabestelle befugt war, im Rahmen des tatsächlich gebotenen Verfahrens auf diese Verfahrensarten zurückzugreifen. Aus den Vorschriften der VO 1370/07 selbst kann sich eine Befugnis der Vergabestelle, auf Art. 5 VO 1370/07 zurückzugreifen (so wohl Hölzl, in: Münchner Kommentar, a.a.O., Art. 8 Rn. 6, und Linke, NZBau 2010, 207 trotz der auch von ihnen vertretenen Nichtgeltung von Art. 5 VO 1370/07 infolge der Übergangsvorschrift des Art. 8 Abs. 2 VO 1370/07) aber schon deshalb nicht ergeben, weil gem. Art. 5 Abs. 1 VO 1370/07 für die vorliegende Vergabe eines Dienstleistungsauftrags nicht die Vorschriften der VO 1370/07, sondern die der Richtlinie 2004/17/EG maßgeblich sind.

bb) Tatsächlich geboten war eine Vergabe nach den Vorschriften der Sektorenverordnung. Danach (§ 6 Abs. 1 SektVO) konnte die Antragsgegnerin zwischen einem offenen Verfahren, einem nichtoffenen Verfahren mit Bekanntmachung und einem Verhandlungsverfahren mit Bekanntmachung wählen. In der Wahl des Vergabeverfahrens war die Antragsgegnerin dabei weitgehend frei (vgl. Marx/Hölzl, in: Münchner Kommentar, a.a.O., § 6 SektVO Rn. 1; Bechtold-Otting, GWB, 6. Aufl., § 127 Rn. 16). Sie konnte sich deshalb insbesondere auch für ein Verhandlungsverfahren entscheiden.

(1) Ein offenes Verfahren (§ 101 Abs. 1 GWB) hat die Antragsgegnerin nicht betrieben. Es wurde nicht eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen zur Abgabe von Angeboten aufgefordert.

(2) Ein nichtoffenes Verfahren (§ 101 Abs. 3 GWB) wurde gleichfalls nicht betrieben. Denn es fehlt an einer öffentlichen Aufforderung einer auch nur beschränkten Anzahl von Unternehmen zur Angebotsabgabe. Die beiden Bekanntmachungen vom 14.4.2010 und 13.8.2011 genügen dafür nicht. Sie sind zwar öffentlich gemacht worden, haben aber nicht zur Teilnahme aufgefordert.

(3) Gewählt und betrieben hat die Antragsgegnerin im Ergebnis ein  Verhandlungsverfahren. Denn sie hat sich (ohne vorherige öffentliche Aufforderung zur Teilnahme) an die Beigeladene und die Antragstellerin gewandt, um mit diesen über die Auftragsbedingungen zu verhandeln (§ 101 Abs. 5 GWB). Gem. § 6 Abs. 1 SektVO durfte sie aber nur ein Verhandlungsverfahren mit Bekanntmachung wählen; die Voraussetzungen für eine auch als Direktvergabe bezeichnete (vgl. Marx/Hölzl, in: Münchner Kommentar, a.a.O., § 6 SektVO Rn. 3, und die Legaldefinition in Art. 2 lit. h der VO 1370/07) Vergabe im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Bekanntmachung (§ 6 Abs. 2 SektVO) liegen ersichtlich nicht vor.

Eine Bekanntmachung im Sinne von §§ 6 Abs. 1, 14 Abs. 1, 16 Abs. 1 SektVO hat die Antragsgegnerin jedoch nicht veröffentlicht. Auch wenn die notwendige Bekanntmachung, insoweit hinter den in § 101 Abs. 5 GWB verwendeten Begriff zurückgehend, keine "Aufforderung zur Teilnahme" beinhalten muss, genügen die nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 2 VO erfolgten Vorinformationen vom 14.4.2010 und 13.8.2011 den Anforderungen von § 16 Abs. 1 SektVO und den dort genannten Musterbekanntmachungen im Anhang zur Richtlinie 2004/17/EG (abgedruckt bei Prieß, a.a.O., S. 780 ff.) an eine Bekanntmachung nicht.

4. Die Antragstellerin wird durch die Nichteinhaltung der Informationspflichten und die Wahl des falschen Vergabeverfahrens durch die Antragsgegnerin auch in ihren Rechten verletzt, § 114 Abs. 2 S. 2 GWB. Dafür genügt es, dass sie im Falle einer fortdauernden Beschaffungsabsicht der Antragsgegnerin in einem etwaigen neuen Vergabeverfahren mit einem neuen Angebot erneut die Chance auf Erteilung des Auftrags wahrnehmen kann.

Die Unwirksamkeit des zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossenen Vertrages ist damit gem. § 101b GWB festzustellen. Über die Auswirkungen dieser Feststellung auf das Rechtsverhältnis zu den übrigen Vertragsparteien (VTL und  Stadt L.) und zwischen diesen ist nicht im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zu entscheiden.

III.

1. Einer Beiladung der VTL oder der Stadt L. gem. § 109 GWB bedurfte es nicht.

a) Als Mitunterzeichnerin des Konzessionsvertrags werden die Interessen der VTL zwar durch die beantragte Erklärung der Unwirksamkeit des Vertrags berührt. Sie ist aber kein Unternehmen im Sinne von § 109 GWB, dessen Interesse durch die Entscheidung über den Nachprüfungsantrag berührt wird. Ihr Interesse ist vielmehr ein lediglich mittelbares, da sie an dem ausgeschriebenen Auftrag nicht unmittelbar interessiert (vgl. Reidt, in: Reidt u.a., a.a.O., § 109 Rn. 8; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht: GWB, 4. Aufl., § 109 Rn. 10) ist. Denn Gegenstand der Vergabe und ausgeschriebener Auftrag sind lediglich die vom Bieter zu erbringenden Leistungen im öffentlichen Personennahverkehr, nicht die von der VTL nach dem Inhalt des Konzessionsvertrages zu erbringenden Leistungen. Das für eine Beiladung maßgebende Interesse ist das an dem zu vergebenden Auftrag selbst (Jaeger, in: Münchner Kommentar, a.a.O., § 109 GWB, Rn. 3). Ein solches hat die VTL, die nach dem Inhalt des Konzessionsvertrages und dem sonstigen Vortrag der Beteiligten die ausgeschriebenen Personverkehrsdienstleistungen nicht erbringen (sondern andere Leistungen einbringen) soll aber gerade nicht.

Keiner Entscheidung bedarf, ob eine Beiladung der VTL in analoger Anwendung von § 109 GWB (vgl. OLG Düsseldorf v. 13.2.2007 - VII Verg 2/07 = VergabeR 2007, 406 ff., Rn. 8 ff. nach Juris) hätte erfolgen können. Denn jedenfalls war eine Beiladung der VTL nicht geboten, da es sich um eine von der Antragsgegnerin und der Stadt L. kontrollierte Gesellschaft handelt, deren Interesse durch die Antragsgegnerin in ausreichender Weise wahrgenommen werden kann.

b) Die Stadt L. ist weder als Auftraggeberin (siehe oben B.3.a) noch über § 109 GWB am Verfahren beteiligt. Sie ist kein Unternehmen im Sinne des § 109 GWB. Ihre Beiladung ist aus dem im vorigen Absatz genannten Grunde auch nicht in entsprechender Anwendung von § 109 GWB geboten.

c) Im Übrigen zeigen der vorgelegte Schriftverkehr und die Äußerungen der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren, dass die Interessen der VTL und der Stadt L. von der Antragsgegnerin als Auftraggeberin wahrgenommen werden und diese der Beigeladenen bzw. dem Bieter auf Auftragnehmerseite gegenüberstehen.

2. Die Voraussetzungen für eine Vorlage der von der Antragsgegnerin in dem nach der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz aufgeworfenen Rechtsfragen an den Europäischen Gerichtshof (Art. 267 AEUV) oder für eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof (§ 124 Abs. 2 GWB) liegen nicht vor. Die VO 1370/07 ist im vorliegenden Fall nicht anzuwenden (siehe oben) und die Abgrenzung von Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession ist in der Rechtsprechung geklärt.

3. Die Kostenentscheidung für das Nachprüfungsverfahren beruht auf § 128 Abs. 3, 4 GWB, die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren auf §§ 120 Abs. 2, 78 GWB. Der Beschwerdewert beruht auf § 50 Abs. 2 GKG, wobei die Bruttoauftragssumme der Summe der für die Gesamtlaufzeit vorgesehenen Zuschüsse entsprechend den angebotenen Zuschusssätzen je Kilometer (Anlage 3 zum Konzessionsvertrag und Anlage BF 6, vgl. oben S. 18) von 7.966.899,50 € entspricht.