VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.08.2012 - 6 S 1083/12
Fundstelle
openJur 2013, 15211
  • Rkr:
Tenor

Auf den Antrag der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 11. Mai 2007 - 11 K 1188/07 - geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.03.2007 wird wiederhergestellt und angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens.

Der Streitwert wird auf 7.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin vermittelte bis zum 10.12.2007 am Standort … …, Sportwetten an die Fa. ... in Malta. Mit Verfügung vom 08.03.2007 untersagte ihr der Antragsgegner unter Berufung auf das staatliche Sportwettenmonopol, in Baden-Württemberg Sportwetten zu veranstalten, zu vermitteln, hierfür zu werben oder solche Tätigkeiten zu unterstützen und gab ihr auf, die zur Veranstaltung oder Vermittlung solcher Glücksspiele vorgehaltenen Geräte aus den öffentlich zugänglichen Räumen zu entfernen (Ziff. 1). Ferner gab das Regierungspräsidium ihr auf, die untersagten Tätigkeiten unverzüglich einzustellen und die Einstellung der Tätigkeiten dem Regierungspräsidium Karlsruhe schriftlich mitzuteilen (Ziff. 2). Für den Fall, dass die Antragstellerin den Verpflichtungen aus Nrn. 1 und 2 der Verfügung binnen zwei Wochen nach Zustellung der Verfügung nicht nachkommen sollte, wurde ihr ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,-- EUR angedroht (Ziff. 4). Die sofortige Vollziehung von Nrn. 1 und 2 der Verfügung wurde angeordnet (Ziff. 3). Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 11.05.2007 - 11 K 1188/07 - den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Die Klage der Antragstellerin gegen den streitgegenständlichen Bescheid war vor dem Verwaltungsgericht erfolglos. Das vor dem Senat anhängige Berufungsverfahren (6 S 1733/07) ruht seit dem 16.02.2010. Mit Verfügung vom 26.11.2007 setzte der Antragsgegner das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 10.000,-- EUR fest und drohte der Antragstellerin bei weiterer Nichtbefolgung der streitgegenständlichen Verfügung unmittelbaren Zwang an. Die Antragstellerin stellte daraufhin am 10.12.2007 die Vermittlung von Sportwetten ein.  

Die Antragstellerin möchte ihre Vermittlungstätigkeit wieder aufnehmen. Der Antragsgegner ist nicht bereit, bis zum Abschluss des Konzessionierungsverfahrens nach dem Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag (Gesetz vom 26.06.2012 (GBl. S. 385), im Folgenden: GlüÄndStV) an der bisherigen Praxis, von der Vollstreckung nicht bestandskräftiger Untersagungsverfügungen abzusehen, festzuhalten.   

II.

Der Verwaltungsgerichtshof ist als Gericht der Hauptsache (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) zur Entscheidung über den Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO zuständig.   

Der Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist wegen veränderter Umstände zulässig. Die Rechtslage hat sich gegenüber dem früheren Eilverfahren der Antragstellerin in zweifacher Hinsicht geändert. Sowohl die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 08.09.2010 (C-46/08 <Carmen Media Group Ltd.>, NVwZ 2010, 1422; C-316/07 <Markus Stoß u.a.>, NVwZ 2010, 1409; C-409/06 <Winner Wetten GmbH>, NVwZ 2010, 1419) und des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.06.2011 (8 C 2.10, 8 C 4.10) und vom 11.07.2011 ( 8 C 11.10, 8 C 12.10) als auch das Inkrafttreten des GlüÄndStV am 01.07.2012 führen mit Blick auf das staatliche Sportwettenmonopol gegenwärtig zu einer anderen Interessenabwägung, weil der Ausgang des Berufungsverfahrens derzeit jedenfalls als offen zu bezeichnen ist.  

Die Antragstellerin hat entgegen der Ansicht des Antragsgegners auch ein Rechtsschutzbedürfnis am Änderungsverfahren, weil sie die Gewissheit braucht, dass derzeit jedenfalls bis zum Abschluss des Konzessionierungsverfahrens nach dem GlüÄndStV nicht aus dem streitgegenständlichen Bescheid vollstreckt werden wird. Denn sie hat in der Vergangenheit bereits ein Sportwettbüro betrieben und diese Tätigkeit nach der Festsetzung des Zwangsgeldes, also unter "Vollstreckungsdruck" eingestellt. Sie möchte es nunmehr wieder eröffnen. Wie der Antragsgegner gegenüber dem Senat erklärte, kann er keine Erklärung abgeben, wonach bis zum Abschluss des Konzessionierungsverfahrens an der bisherigen Vollstreckungspraxis festgehalten werde. Es stehe noch nicht fest, ob und wann die Vollstreckung bestehender und der Erlass neuer Untersagungsverfügungen wieder aufgenommen werde. Die Antragstellerin auf das Vollstreckungsverfahren zu verweisen, wie es der Antragsgegner vorgeschlagen hat, hält der Senat nicht für sachgerecht, weil sie im gegenwärtigen Zeitpunkt wissen muss, ob sie sich an die Untersagungsverfügung noch halten muss.

Der Antrag ist auch begründet.  

Maßgeblich für die vorzunehmende Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist der Zeitpunkt der Senatsentscheidung. Im gegenwärtigen Zeitpunkt überwiegt das private Interesse der Antragstellerin an der Wiederaufnahme ihres Sportwettbüros das gegenläufige öffentliche Interesse am behördlich angeordneten Sofortvollzug der Untersagungsverfügung. Der Senat geht in seiner Rechtsprechung zur sofortigen Vollziehbarkeit von unter Geltung des GlüStV 2008 (bzw. wie hier des LottStV) erlassenen Untersagungsverfügungen gegenüber Personen, die Sportwetten an ausländische Veranstalter vermitteln, seit der mit Beschluss vom 31.08.2011 - 6 S 1695/11 - (VBlBW 2012, 34) erfolgten Änderung seiner Rechtsprechung von Folgendem aus:

Der Senat ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass das in § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV normierte Sportwettenmonopol mit Unions- und Verfassungsrecht vereinbar ist und dementsprechend glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen gestützt auf das staatliche Monopol rechtmäßig sind (Senatsurteil vom 10.12.2009 - 6 S 1110/07 -, ZfWG 2010, 24). In Eilverfahren fiel deshalb nach ständiger Rechtsprechung des Senats die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche Interessenabwägung grundsätzlich zugunsten des Antragsgegners aus. Davon kann zumindest im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr ausgegangen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit den Urteilen vom 01.06.2011 und vom 11.07.2011 (a.a.O.) die Entscheidungen des Senats, denen diese Rechtsauffassung zugrunde lag, aufgehoben und die entsprechenden Verfahren zurückverwiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es hierzu, dass weitere tatsächliche Feststellungen hinsichtlich der Werbung des Monopolträgers und hinsichtlich des Automatenspiels zu treffen seien, um die - erforderliche - unionsrechtliche Kohärenz des Monopols beurteilen zu können. Diese Feststellungen zu treffen, ist nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, sondern muss einem Berufungsverfahren vorbehalten bleiben.  

Die Untersagungsverfügung dürfte sich entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners auch nicht mit der (nachgeschobenen) Begründung aufrechterhalten lassen, dass die Antragstellerin nicht im Besitz einer Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV sei und dass ihr wegen des Internetverbots eine solche Erlaubnis auch offensichtlich nicht erteilt werden könnte. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des beschließenden Senats geklärt, dass der Erlaubnisvorbehalt unabhängig von der Wirksamkeit des staatlichen Sportwettenmonopols Anwendung findet (BVerwG, Urteil vom 24.11.2010 - 8 C 13.09 -, NVwZ 2011,549; zum nicht "monopolakzessorischen" Erlaubnisvorbehalt bei den sog. Internetverboten BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 8 C 5.10 -.; Senatsbeschluss vom 20.01.2011 - 6 S 1685/10 -, ZfWG 2011, 136). Danach dürfen öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet und vermittelt werden. Eine solche Erlaubnis besitzt die Antragstellerin unstreitig nicht. Der Antragsgegner trägt erstmals in der Antragserwiderung vor, dass der Antragstellerin eine Erlaubnis auch offensichtlich nicht erteilt werden könne, weil sie Sportwetten an einem im Internet tätigen Veranstalter vermittle, durch aufgestellte Monitore zur Abgabe von verbotenen Live-Wetten animiere und ihre Räumlichkeiten nicht standortbezogene Voraussetzungen erfüllten. Unabhängig von den nur unzureichenden Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht findet sich in der streitgegenständlichen Untersagungsverfügung keine einzige inhaltliche Erwägung im Hinblick auf die Erlaubnisfähigkeit der Vermittlungstätigkeit nach § 15 AGGlüStV. Denn der Antragsgegner lehnte - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - von vornherein die Erlaubnisfähigkeit nach § 4 Abs. 1 GlüStV ab, weil die für Baden-Württemberg maßgebliche Rechtslage die Erteilung einer Erlaubnis für die private gewerbliche Veranstaltung von Sportwetten nicht zulasse. Die Ermessensentscheidung des Antragsgegners nimmt somit nicht die individuellen rechtlichen Gesichtspunkte der Erteilungsvoraussetzungen des § 15 AGGlüStV in den Blick, sondern beschränkt sich auf die Wiedergabe der allgemeinen Rechtslage aufgrund des Sportwettenmonopols. Die erstmals im gerichtlichen Verfahren nachgeschobenen Ermessenserwägungen des Antragsgegners dürften den Charakter der Untersagungsverfügung ändern, weil die tragenden Erwägungen des Ausgangsbescheides ausgetauscht werden. Während ursprünglich die Untersagungsverfügung auf das generelle Sportwettenmonopol gestützt worden war, wird sie nunmehr mit dem Fehlen der individuellen Erlaubnisvoraussetzungen nach § 15 AGGlüStV begründet. Es spricht deshalb entgegen der Auffassung des Antragsgegners vieles für eine rechtlich unzulässige Auswechslung der Ermessenserwägungen (vgl. BVerwG, Urteile vom 01.06.2011 - 8 C 2.10 - und - 8 C 4.10 -), die nicht mehr von der nach § 114 Satz 2 VwGO zulässigen Möglichkeit der Ergänzung der Ermessenserwägungen gedeckt sein dürfte. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass der Antragsgegner von einer intendierten Ermessensentscheidung bei Erlass der Untersagungsverfügung ausgegangen ist. Entscheidend für den vorliegenden Fall sind die neuen, anderen Ermessenserwägungen, die sich nicht mehr am Sportwettenmonopol orientieren, sondern die Erlaubnisfähigkeit der Vermittlungstätigkeit der Antragstellerin verneinen. Hierfür dürfte im Übrigen auch die bloße Feststellung, dass die Vermittlungstätigkeit nicht "offensichtlich erlaubnisfähig" sei, unzureichend sein.

Bei der durch den Senat zu treffenden Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin weiter ins Gewicht, dass der Antragsgegner selbst den gesetzlich angeordneten Sofortvollzug mit Schreiben vom 04.10.2010 vorübergehend ausgesetzt hatte und zum damaligen Zeitpunkt - offensichtlich mit Blick auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (a.a.O.) - dem privaten Interesse der Antragstellerin den Vorrang einräumte und die gesetzgeberischen Ziele des § 1 GlüStV zurückstellte. Damit wurde wegen der bestehenden Rechtsunsicherheit dem grundrechtlich geschützten Recht der Antragstellerin auf freie Berufsausübung (Art. 12 GG) und damit einhergehend der unionsrechtlich verbürgten Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nach Art. 56 und Art. 49 AEUV (vgl. hierzu ausführlich Senatsurteil vom 10.12.2009, a.a.O., m.w.N.) trotz fehlender Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV der Vorrang eingeräumt. In der Folgezeit hat sich keine durchgreifende Änderung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zulasten der Antragstellerin ergeben. Die vom Antragsgegner für seine gegenteilige Ansicht herangezogene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.11.2010, a.a.O., hält den Erlaubnisvorbehalt unabhängig von der Wirksamkeit des staatlichen Monopols in den Fällen für anwendbar, in denen das mit der Untersagungsverfügung umgesetzte Verbot (in jenem Fall § 21 Abs. 2 Satz 1 GlüStV) nicht an die problematische Monopolregelung, also den Wettanbieter, anknüpft. In jenem hier nicht in Rede stehenden Fall der Sportwettvermittlung in einem Vereinslokal bejahte es sogar eine Ermessensreduzierung auf Null zulasten des Vermittlers. Für Fälle wie den vorliegenden, wo es um die Vermittlung von Sportwetten über eine Online-Standleitung zu einem Veranstalter im Internet geht, sind hingegen nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 01.06.2011 - 8 C 2.10 - und - 8 C 11.10 -) keine Anhaltspunkte ersichtlich, unter denen ausnahmsweise das behördliche Ermessen auf Null reduziert wäre. Die vom Bundesverwaltungsgericht und vom beschließenden Senat entschiedenen Fälle zum Erlaubnisvorbehalt betreffen Wettveranstalter, die unmittelbar gegen das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV verstoßen. (BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 8 C 5.10 - ; Senatsbeschluss vom 20.01.2011, a.a.O.).  

An dieser Rechtsprechung hält der Senat im Fall der Antragstellerin auch nach Inkrafttreten des GlüÄndStV zum 01.07.2012 (vgl. Bekanntmachung des Staatsministeriums über das Inkrafttreten des GlüÄndStV und des Staatsvertrages über die Gründung der GLK Gemeinsame Klassenlotterie der Länder vom 10. Juli 2012 (GBl. S. 519) fest. Die angefochtene Untersagungsverfügung vom 08.03.2007 stützt sich - ungeachtet der Frage, ob ihr nach dem Inkrafttreten des GlüÄndStV überhaupt noch Geltung beigemessen werden kann - nur auf das staatliche Wettmonopol und konnte den Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2008 überhaupt nicht in den Blick nehmen. Ob das Bundesverwaltungsgericht, wie der Antragsgegner meint, durch die Zulassung der Revision im Verfahren 8 B 33.12 von der Wirksamkeit des Erlaubnisvorbehaltes ausgeht, kann dahinstehen, weil sich der Antragsgegner erstmals in der Antragserwiderung hierzu verhält. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage hält es der Senat für sachgerecht, der Antragstellerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Vermittlung von Sportwetten zu ermöglichen. Denn sie hat im Gegensatz zu vielen anderen Vermittlern ihre Tätigkeit eingestellt, nachdem ihr Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 11.05.2007 abgelehnt worden war. Es ist für den Senat nichts dafür ersichtlich, dass sie, die die Untersagungsverfügung befolgte, schlechter gestellt werden soll als die übrigen Vermittler, die den Verfügungen nicht nachgekommen sind. Es ist auch nichts dafür erkennbar, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit Anlass zu Beanstandungen bei ihrer gewerblichen Tätigkeit gegeben hat oder derzeit geben könnte.  

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 54.1 des Streitwertkatalogs 2004.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.