VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.07.2012 - 1 S 2603/11
Fundstelle
openJur 2013, 15185
  • Rkr:

1. Eine Regelung in einer Polizeiverordnung, wonach es im zeitlichen und örtlichen Geltungsbereich der Verordnung verboten ist, Glas- oder sonstige zerbrechliche Behältnisse mitzuführen, wenn deren Inhalt bei dauerhaftem Verweilen konsumiert werden soll, ist nur dann durch die Ermächtigungsgrundlage des § 10 i.V. mit § 1 PolG (juris: PolG BW) gedeckt, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das verbotene Verhalten regelmäßig und typischerweise erhebliche Rechtsgutverletzungen zur Folge hat.

2. Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr möglicher Beeinträchtigungen im Gefahrenvorfeld werden durch die Ermächtigungsgrundlage in § 10 i.V. mit § 1 PolG (juris: PolG BW) nicht gedeckt (Fortführung der ständigen Senatsrechtsprechung).

Tenor

§§ 2 und 4 der Polizeiverordnung der Stadt Konstanz zum Schutz des frei zugänglichen Seeufers vor Verunreinigungen und den damit einhergehenden Gefahren vom 21.07.2011 sind unwirksam.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen §§ 2 und 4 der Polizeiverordnung der Stadt Konstanz zum Schutz des frei zugänglichen Seeufers vor Verunreinigungen und den damit einhergehenden Gefahren vom 21.07.2011 (im Folgenden: POV).

Die angegriffenen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

§ 2. Verbot von Glas und anderen zerbrechlichen Materialien

Das Mitführen von Glasflaschen, Gläsern und jeglichen sonstigen Behältnissen aus Glas, Porzellan oder anderen zerbrechlichen Materialien ist, wenn aufgrund der konkreten Umstände die Absicht erkennbar ist, dass deren Inhalt beim dauerhaften Verweilen konsumiert werden soll, im Geltungsbereich nach § 1 I, II dieser Verordnung untersagt.

§ 4. Ausnahmen

(1) Ausgenommen sind konzessionierte Freiausschankflächen und Außenflächen mit Sondererlaubnis zum Ausschank.(2) Ausgenommen sind Angehörige der Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, medizinischen Versorgungsdienste sowie Landratsamt Konstanz und Stadtverwaltung Konstanz in Ausübung ihrer jeweiligen Dienste.(3) Ausgenommen sind Behältnisse, für deren Inhalt der Mitführende eine ärztliche Verordnung besitzt.(4) Die Ortspolizeibehörde kann darüber hinaus von dem Verbot nach § 3 allgemein oder für den Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen. Die Ausnahmegenehmigungen können mit Bedingungen und Auflagen versehen werden.Gemäß § 5 Abs. 1 und 2 POV können vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen das in § 2 niedergelegte Verbot als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Die vom Oberbürgermeister erlassene Polizeiverordnung erlangte am 21.07.2011 die Zustimmung des Gemeinderats, wurde am selben Tage ausgefertigt, am 27.07.2011 in den Amtlichen Bekanntmachungen der Antragsgegnerin im Konstanzer Südkurier bekannt gemacht und trat nach ihrem § 6 am 28.07.2011 in Kraft.

Der 1988 geborene Antragsteller wohnt und studiert in Konstanz. Auf dem Rückweg von der Universität zu seiner Wohnung verweilt er während der Sommermonate abends häufig an der Seestraße am Ufer des Bodensees und auf der gegenüber liegenden Rheinseite auf dem sonnenverwöhnten „Schänzle“. Dabei verzehrte er bislang oft alkoholische und nichtalkoholische Getränke aus Glasflaschen. Daran sieht er sich nunmehr durch die angegriffene Polizeiverordnung gehindert. Er hat deshalb am 14.11.2011 das Normenkontrollverfahren eingeleitet, zu dessen Begründung er vorträgt:

Seine Antragsbefugnis ergebe sich daraus, dass er - wie schon bisher - auch in Zukunft am Bodensee- und am Seerheinufer Getränke aus Glasflaschen verzehren wolle; dies werde ihm durch die angegriffene POV untersagt. Die POV greife in seine allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein und verfehle die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Anforderungen, die an eine Polizeiverordnung zu stellen seien.

Es fehle bereits an der für den Erlass der POV erforderlichen abstrakten Gefahr i.S.v. §§ 1 Abs. 1, 10 Abs. 1 PolG. Von der Gesamtheit der Fälle, in denen Menschen im Geltungsbereich der POV ein zerbrechliches Behältnis mit sich führten, sei es nur in einer verschwindenden Minderzahl von Fällen zu einer unkontrollierten Abfallentsorgung oder gar zu Scherben und damit zu konkreten Verletzungsgefahren für die Allgemeinheit gekommen. Damit verfehle die POV die in der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - ESVGH 60, 65 = VBlBW 2010, 29; und - 1 S 2340/08 - VBlBW 2010, 33) zum Ausdruck gebrachte Anforderung, nach der eine abstrakte Gefahr nur vorliege, wenn der Schadenseintritt regelmäßig und typischerweise zu erwarten sein müsse. Diese Prognose müsse im Hinblick auf die einzelnen Verbotsadressaten gestellt werden können; abzustellen sei sogar auf die Wahrscheinlichkeit einer Störung durch die jeweils verwendete Flasche. Nach diesem Maßstab sei eine abstrakte Gefahr nicht festzustellen. Der Erlass der hier in Rede stehenden Verbote müsse daher dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

Die Regelungen der §§ 2 und 4 POV verstoßen nach Ansicht des Antragstellers zudem gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot. Der Antragsgegnerin gehe es in Wahrheit nicht um die Verletzungsprävention, sondern um die Abfallvermeidung. Ferner sollten im Interesse lärmempfindlicher Anwohner Gruppenbildungen im Uferbereich pönalisiert und damit die Symptome der komplexen Probleme verschleiert werden, die mit der intensiven Nutzung des Seeufers einhergingen.

Die POV verfehle aber auch die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an die Verhältnismäßigkeit ordnungsrechtlicher Verbote zu stellen seien. Die POV sei insoweit schon nicht erforderlich, als ihr räumlicher Anwendungsbereich auch Straßen und Radwege in bis zu 160 m Entfernung vom Seeufer umfasse, auf denen typischerweise niemand barfuß laufe. Die POV sei auch unangemessen, weil sie die Gefahren ausblende, die von Plastikflaschen ausgingen. Diese gäben hormonell wirksame Schadstoffe ab. Insbesondere beim Konsum von Getränken aus Polyethylenterephthalat-Flaschen (PET-Flaschen) nehme der Körper hormonell wirksame Schadstoffe auf. Da es sich zumeist um Einwegflaschen handle, seien Plastikflaschen zudem weniger umweltfreundlich als Mehrwegflaschen aus Glas.

Der Antragsteller beantragt,

§§ 2 und 4 der Polizeiverordnung der Stadt Konstanz zum Schutz des frei zugänglichen Seeufers vor Verunreinigungen und den damit einhergehenden Gefahren vom 21.07.2011 für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie trägt vor: Das Scherbenaufkommen an den Uferabschnitten des Bodensees, auf die die Verordnung anwendbar sei, berge ein erhebliches Verletzungsrisiko. In der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass der Zahl von Schnittverletzungen nicht dadurch beizukommen sei, dass der Polizeivollzugsdienst und die Bediensteten der Ortspolizeibehörde und der Technischen Betriebe der Antragsgegnerin häufigere Kontrollen vorgenommen oder kürzere Reinigungsintervalle eingehalten haben. Auch seien in dem fraglichen Gebiet Entsorgungsbehälter in ausreichender Anzahl vorhanden. Ferner habe man sich durch das Präventionsprojekt „Nachtwanderer“, durch Besprechungen und Diskussionsrunden mit Anwohnern und Jugendlichen in der Seestraße um eine Bewältigung des Problems einer angemessenen „Nutzung des öffentlichen Raumes“ bemüht. Erfolge seien aber erst zu verzeichnen gewesen, nachdem der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin in den Jahren 2007 bis 2011 - zuletzt am 24.05.2011 - insgesamt sieben einmonatige Polizeiverordnungen erlassen habe, durch die ein Glasverbot im öffentlichen Raum der Seestraße, des Heroséparks und am Rheinufer verhängt worden sei. Für die Anwendungsdauer dieser Polizeiverordnungen sei es zu einem Rückgang der Scherben und scherbenbedingter Verletzungen gekommen; nach dem Auslaufen der Verordnungen sei das Scherbenaufkommen - nicht zuletzt durch „flashmobs“ und „facebook-Parties“, auf denen zu einem Flaschenwerfen aufgerufen worden sei - wieder signifikant angestiegen. Damit habe sich der Erlass einer dauerhaften POV als erforderlich erwiesen.

Das Verbot in § 2 der POV sei auch angemessen. Durch die Beschränkung ihres räumlichen Anwendungsbereichs auf die drei Brennpunkte an der Seestraße, am Heroséparks und an Teilen des Rheinufers, auf das Sommerhalbjahr und auch insoweit nur auf die Abend- und Nachtstunden erfasse die POV zielgenau die anders nicht zu bewältigenden Gefahren einer Verletzung von körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit und Eigentum.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Antragsgegnerin vor. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf diese Akten und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 AGVwGO statthaft. Er ist auch im Übrigen zulässig.

Der Antragsteller ist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt, weil er geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Es genügt dabei, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung möglich erscheint. Davon ist immer dann auszugehen, wenn die Polizeiverordnung oder der auf sie gestützte Vollzugsakt an den Antragsteller adressiert ist, d.h. für diesen ein polizeiliches Verbot oder Gebot statuiert (Senatsurteile vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - a.a.O.; und - 1 S 2340/08 - a.a.O.). So liegen die Dinge hier. Der Antragsteller hält sich auf dem Weg von der Universität zu seiner Wohnung im Sommerhalbjahr immer wieder zu den in § 1 Abs. 2 POV bezeichneten Abendstunden im Geltungsbereich der Polizeiverordnung auf. Dabei führte er vor Inkrafttreten der Polizeiverordnung häufig Glasflaschen mit sich, um an Ort und Stelle alkoholische und nichtalkoholische Getränke zu verzehren. Er wird dabei mit dem Verbot des Mitführens der in § 2 POV bezeichneten Behältnisse konfrontiert. Damit ist das Verbot geeignet, ihn in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) zu beeinträchtigen.

2. Der Antrag ist auch begründet. Die ordnungsgemäß zustande gekommene POV verstößt materiell gegen höherrangiges Recht. Sie wahrt zwar die verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen, hält aber den Anforderungen der §§ 10 ff. PolG nicht stand und verletzt damit die Adressaten in ihrem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG.

a. Die angegriffenen Regelungen der POV entsprechen dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot. Die darin verwendeten Begriffe und Tatbestandsmerkmale sind hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar. Sie genügen damit den Anforderungen, die der Senat in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 27.07.2005 - 1 BvR 668/04 - BVerfGE 113, 348 <375 f.>) in seinen Urteilen vom 15.11.2007 - 1 S 2720/06 - (VBlBW 2008, 134 f. m.w.N.) und vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - (a.a.O.) entwickelt hat. Das gilt gleichermaßen für die Regelung des räumlichen Anwendungsbereichs, für das objektive Tatbestandsmerkmal des Mitführens, das in § 3 Abs. 3 POV definiert wird, und für das subjektive Tatbestandsmerkmal der Verbrauchsabsicht (Senatsurteil v. 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - a.a.O.).

b. Die angegriffenen Regelungen sind jedoch deshalb unwirksam, weil sie sich nicht im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des § 10 i.V. mit § 1 PolG halten. Es fehlt an der für den Erlass einer Polizeiverordnung erforderlichen abstrakten Gefahr.

aa. Eine abstrakte Gefahr liegt nur vor, wenn der Eintritt eines konkreten Schadens regelmäßig und typischerweise zu erwarten ist. Der Senat knüpft insoweit an seinen Beschluss vom 06.10.1998 - 1 S 2272/97 - (ESVGH 49, 66 = VBlBW 1999, 101) und sein Urteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - (ESVGH 60, 65 = VBlBW 2010, 29) an. Danach sind Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr möglicher Beeinträchtigungen im Gefahrenvorfeld durch die polizeiliche Ermächtigungsgrundlage in §§ 1 Abs. 1 i.V.m. 10 Abs. 1 PolG nicht gedeckt. Eine abstrakte Gefahr liegt vielmehr nur dann vor, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und die Polizeibehörden daher Anlass haben, den Schadenseintritt durch den Einsatz abstrakt-genereller Regelungen zu verhindern.

Dabei unterscheidet sich die abstrakte von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden muss; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit derselben Wahrscheinlichkeit in irgend einem Einzelfall ein Schaden einzutreten pflegt, dieser Einzelfall aber ex ante noch nicht identifiziert werden kann, so dass Anlass besteht, dass die Polizeibehörde den Eintritt des Schadens mit einem generell-abstrakten Rechtssatz verhindert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.10.1997 - 3 BN 1/97 - BWGZ 1998, 3 = Buchholz 418.9 TierSchG Nr. 10; Urteil vom 03.07.2002 - 6 CN 8/01 u.a. - BVerwGE 116, 347; Senatsbeschluss vom 06.10.1998 - 1 S 2272/97 - a.a.O.; und Senatsurteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - ESVGH 60, 65 = VBlBW 2010, 29).

Auch die Feststellung einer abstrakten Gefahr verlangt mithin eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose. Der Exekutive kommt in Bezug auf die Frage, ob die vorliegenden Erkenntnisse die Annahme einer abstrakten Gefahr rechtfertigen, keine Einschätzungsprärogative zu (BVerwG, Urteil vom 03.07.2002 - 6 CN 8/01 u.a. - a.a.O.; Senatsurteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - a.a.O.). Vielmehr müssen für die Gerichte hinreichende Anhaltspunkte erkennbar sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen.

Dabei kommt es zwar nicht generell darauf an, dass die tatbestandlichen Handlungen in ihrer Mehrzahl oder auch nur in einer größeren Zahl von Fällen eine konkrete Gefahr begründen oder sogar zum Eintritt einer Störung führen. Je höher der Wert der gefährdeten Rechtsgüter ist und je schwerer die abstrakt drohende Rechtsgutsverletzung im Einzelfall wiegt, desto geringer sind die Anforderungen, die nach Maßgabe der gebotenen Ex-ante-Prognose an die Annahme einer abstrakten Gefahr zu stellen sind (Senatsbeschluss vom 06.10.1998 - 1 S 2272/97 - a.a.O.; und Senatsurteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - a.a.O.). Bei besonders hochwertigen Rechtsgütern reicht es aus, dass sich der Eintritt einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht als ein so seltener und atypischer Kausalverlauf darstellt, dass ein unbefangener Beobachter mit dem Schadenseintritt nicht hätte rechnen müssen. In diesem Sinne genügt bereits die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts. Dagegen werden Risikobewertungen und -bewältigungen im Bereich der Gefahrenvorsorge von den polizeigesetzlichen Verordnungsermächtigungen nicht erfasst; für derartige Regelungen bleibt allein der Gesetzgeber zuständig (Senatsurteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - a.a.O.). An diesen strengen Anforderungen hält der Senat auch im Hinblick darauf fest, dass die Polizeiverordnung - in Abgrenzung zu anderen Formen hoheitlichen Handelns - nur gerechtfertigt ist, wenn der Schwerpunkt der Regelung auf der Abwehr polizeilicher Gefahren liegt.

bb. Die angegriffene POV zielt primär auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Menschen gegen Schnittverletzungen, damit zugleich auf den Schutz der menschlichen Gesundheit ab. Angesichts dieser hochwertigen Rechtsgüter sind die Anforderungen, die an die Annahme einer abstrakten Gefahr zu stellen sind, gemindert. Selbst diesen geminderten Anforderungen hält die POV nicht stand. Der Senat verkennt nicht die Gefährlichkeit gerade verdeckter (namentlich im Uferbereich verborgener) Glas- oder Porzellanscherben und das Risiko, dass es bei einer Verletzung im Einzelfall zu langwierigen und schmerzhaften Komplikationen kommen kann. Es lässt sich aber bereits nicht feststellen, in welchem Umfang es im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin zu Schnittverletzungen aufgrund zerstörter Glasflaschen oder anderer in § 2 POV genannter Gegenstände gekommen ist. Aktenkundig sind lediglich wenige Einzelfälle von Schnittverletzungen. Diese sind für sich genommen von so geringer Zahl, dass sie eine abstrakte Gefahr im Sinne des § 10 Abs. 1 PolG nicht begründen können. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin auch nicht ansatzweise darlegen können, zu wie vielen Fällen solcher Schnittverletzungen es in welchem Zeitraum insgesamt gekommen ist. Ihre allgemeinen, nicht näher belegten Ausführungen, dass es sich um eine erhebliche Anzahl von Verletzungen handele, genügen insoweit nicht für den Nachweis einer abstrakten Gefahr. Eine Hochrechnung der Gesamtzahl der Schnittverletzungen anhand der wenigen aktenkundigen Einzelfälle - die Zulässigkeit einer solchen Hochrechnung unterstellt - scheidet bereits deswegen aus, weil konkrete Anhaltspunkte für die Durchführung einer solchen Hochrechnung weder ersichtlich noch dargelegt sind. Die Antragsgegnerin kann sich insoweit auch nicht darauf berufen, eine genaue Erfassung der Fälle von Schnittverletzungen aufgrund von Glasflaschen und anderer in § 2 POV genannter Gegenstände sei ihr nicht möglich oder zumutbar. Auf das aktenkundige Angebot des Klinikums Konstanz vom 11. Juni 2007, solche Fälle systematisch zu erfassen, ist die Antragsgegnerin nicht eingegangen. Auch mit dem Vorbringen, für die Anwendungsdauer der sieben einmonatigen Polizeiverordnungen sei es zu einem Rückgang der scherbenbedingten Verletzungen gekommen, ist eine Gefahr im Sinne des § 10 Abs. 1 PolG nicht aufgezeigt. Denn konkrete Tatsachen, die den behaupteten Rückgang der Verletzungen belegen, hat die Antragsgegnerin nicht benannt. Ebenso wenig ist der behauptete Anstieg des Scherbenaufkommens nach Auslaufen der einmonatigen Polizeiverordnungen nachgewiesen. Zudem hat die Antragsgegnerin nicht darlegen können, inwieweit die wenigen, von ihr erfassten Schnittverletzungen überhaupt aus dem räumlichen Anwendungsbereich der POV stammen. Auch ließ sich nicht klären, ob die gelegentlichen Schnittverletzungen Einzelner zeitlich und sachlich in einem kausalen Zusammenhang mit Handlungen Dritter stehen, die den Tatbestand des § 2 POV - seine Anwendbarkeit unterstellt - erfüllt hätten. Damit verfehlt die POV die Anforderungen, die selbst mit Blick auf hochwertige Rechtsgüter an die Annahme einer polizeilichen Gefahr zu stellen sind.

cc. Die POV ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Abwehr von Scherben als solchen gerechtfertigt. Zwar begründet auch die unerlaubte Entsorgung von Abfall eine Störung der öffentlichen Sicherheit. In der isolierten Betrachtung kommt dieser Störung aber deutlich geringeres Gewicht zu als einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit oder gar der menschlichen Gesundheit. Damit unterliegt sie erhöhten Anforderungen an die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Störung. Diesen Anforderungen genügt die POV nicht. Bei wertender Betrachtung ist es nicht bereits das Mitführen zerbrechlicher Materialien, das zu Scherben führt. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten. Zu ihnen gehört namentlich das Wegwerfen von Glasflaschen und anderen Behältnissen auf einen harten Untergrund, das als weiterer Willensakt erst die entscheidende Ursache für den Eintritt einer Störung setzt. Auch im Hinblick darauf, dass das Verunreinigen öffentlicher Straßen, Wege, Plätze, Anlagen und der dazugehörenden Einrichtungen durch § 7 Abs. 1 der Umweltschutz- und Polizeiverordnung der Antragsgegnerin v. 28.04.2005 ohnehin verboten ist, erweist sich damit das Verbot des Mitführens zerbrechlicher Behältnisse als Maßnahme einer bloßen Gefahrenvorsorge, nicht bereits der Gefahrenabwehr.

dd. Ebenso wenig lässt sich die POV unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Lärm im Uferbereich des Bodensees und entlang des Rheinufers aufrecht erhalten. Dabei kann offen bleiben, ob dieser Zweck überhaupt in Betracht zu ziehen ist, nachdem die Antragsgegnerin die POV ausweislich ihrer Bezeichnung nur gegen „Verunreinigungen und [die] damit einhergehenden Gefahren“ richtet. Jedenfalls verfehlt die POV auch insoweit die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Störung zu richten sind. Nur bei Hinzutreten weiterer Umstände (Gruppenbildung, Alkoholgenuss, Enthemmung) kann das Mitführen zerbrechlicher Gefäße - entfernt - zum Entstehen von Lärmimmissionen beitragen. Damit stellt das verbotene Verhalten für sich genommen noch keine hinreichende Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar (Senatsurteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - a.a.O.). Im Übrigen ist die POV insoweit auch nicht zu einer effektiven Gefahrenabwehr geeignet. Geräuschvolle Menschenansammlungen können sich auch bilden, wenn Personen keinerlei alkoholische Getränke zu sich nehmen, wenn sie - wie es die Antragsgegnerin mehrfach angeregt hat - entsprechende Getränke aus nichtzerbrechlichen Behältnissen konsumieren oder wenn sie zuvor andernorts Alkohol genossen haben.

ee. Mithin verfehlt die angegriffene POV unter jedem Gesichtspunkt die Anforderungen, die an die Annahme einer abstrakten Gefahr i.S.d. §§ 1 und 10 PolG zu stellen sind. § 2 der POV ist deshalb nichtig. Damit ist auch der ebenfalls angegriffene § 4 der POV unwirksam.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss vom 26. Juli 2012

Der Streitwert für das Normenkontrollverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.