VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.07.2012 - 1 VK 20/12
Fundstelle
openJur 2013, 15167
  • Rkr:
Tenor

1.) Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei weiter bestehender Vergabeabsicht eine EU-weite Ausschreibung durchzuführen.

2.) Die bei der Vergabekammer angefallenen Verfahrenskosten sowie die der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen hat die Antragsgegnerin zu tragen.

3.) Die Beiziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt. 4.) Die bei der Vergabekammer entstandenen Verfahrenskosten werden auf xxx € festgesetzt. Die Antragsgegnerin ist jedoch gebührenbefreit.

Gründe

I.

Das Nachprüfungsverfahren betrifft die Einführung eines öffentlichen Fahrrad-Vermietungssystems im Stadtgebiet des Stadtkreises xxx.

Eine EU-weite Ausschreibung fand nicht statt. Auf der Homepage der Stadt xxx ist unter dem Stichwort „200 Mieträder für xxx“ nachzulesen:

„Gemeinsames Ziel der Stadt xxx, der Stadt xxx und des xxx-Kreises ist, gemeinsam für die gesamte Region ein einheitliches und für den interkommunalen Verkehr nutzbares Fahrradvermietungssystem zu ermöglichen. Konkret schlägt die Stadtverwaltung dem Gemeinderat vor, in xxx ein System mit 200 Rädern an 22 Standorten im Stadtgebiet einzurichten. Die Standorte liegen in erster Linie an Haltepunkten des Regionalverkehrs und der Straßenbahnen sowie wichtigen öffentlichen Einrichtungen. Das Konzept sieht vor, dass Räder jeweils nur an einer Station gemietet und an einer beliebigen Station wieder zurückgegeben werden müssen; sie dürfen nicht im Stadtgebiet abgestellt werden. Als Betreiber ist die Firma xxx vorgesehen, die in mehr als 30 deutschen Städten Fahrradverleihsysteme betreibt, für Mobilität auf dem xxx Katholikentag sorgt und dort künftig auch dauerhaft Räder verleiht. Um ein einheitliches Fahrradvermietungssystem in der Region zu haben, soll auch in xxx„ Fa. xxx die Konzession erteilt werden. Die Stadt xxx hatte Angebote von vier potenziellen Betreibern eingeholt. Da ein Fahrradvermietungssystem derzeit nicht vollständig wirtschaftlich selbsttragend betrieben werden kann, ist vorgesehen, dass der Betreiber einen Investitionszuschuss in Höhe von 198.000 Euro erhält. Laufende Betriebskosten fallen für die Stadt nicht an, diese werden vom Betreiber durch die Nutzungsgebühren und durch Werbeeinnahmen gedeckt. …

Die endgültige Entscheidung über die Einrichtung des Fahrradverleihsystems wird der Gemeinderat voraussichtlich am 28.06.2012 treffen.“

Eine der oben genannten vier potenziellen Betreiberinnen, welche ein Angebot bei der Antragsgegnerin eingereicht hatte, ist die Antragstellerin. Nachdem diese über eine Pressemitteilung im Internet am 22.05.2012 erfuhr, dass die Stadt xxx beabsichtige, der Firma xxx den Zuschlag zu erteilen, rügte sie mit Schreiben vom 25.05.2012, dass die geplante Vergabe ohne eine entsprechende Bekanntmachung und Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens gegen das Vergaberecht verstoße und sie in ihren Rechten dadurch verletzt werde.

Mit Schreiben vom 06.06.2012 wies die Antragsgegnerin die Rüge zurück und führte aus, dass es sich bei dem in Aussicht genommenen Vertrag um eine Dienstleistungskonzession handle. Die Firma xxx erhalte nur einen einmaligen Zuschuss und ein erheblicher Teil des Betriebsrisikos verbleibe bei der Konzessionärin. Es sei auch ein transparentes und diskriminierungsfreies Beteiligungsverfahren durchgeführt worden und die Firma xxx sei 2011 in dieses eingebunden gewesen. Eine Bezuschlagung habe jedoch nicht erfolgen können, da auch das überarbeitete Angebot der Firma xxx mit reduzierten Gesamtkosten deutlich über dem Angebot der Firma xxx gelegen habe.

Daraufhin reichte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22.06.2012 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Baden-Württemberg ein und beantragte, der Antragsgegnerin zu untersagen, mit der Firma xxx einen Vertrag über den Betrieb eines öffentlichen Fahrrad-Vermietsystems für das Stadtgebiet xxx ohne Durchführung eines ordnungsgemäßen EU-weiten Vergabeverfahrens abzuschließen. Vorsorglich wurde beantragt, die Unwirksamkeit eines eventuell zwischen der Antragsgegnerin und der Firma xxx geschlossenen Vertrags festzustellen. Weiterhin wurde (hilfsweise) beantragt, andere geeignete Maßnahmen zur Verhinderung einer Rechtsverletzung der Antragstellerin zu treffen. Ferner wurde beantragt, der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsverfolgungskosten der Antragstellerin aufzuerlegen, die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären und der Antragstellerin Akteneinsicht zu gewähren. Im Wesentlichen griff die Antragstellerin ihr Rügevorbringen auf und vertiefte dieses. Die beabsichtigte Vergabe stelle keine Dienstleistungskonzession dar, sondern einen Dienstleistungsauftrag, der einem Vergabenachprüfungsverfahren zugänglich sei. Aufgrund der wirtschaftlichen Absicherung durch den „Investitionszuschuss“ in Höhe von 198.000 € werde der Firma xxx das Betriebsrisiko des Fahrrad-Vermietungssystems im Wesentlichen abgenommen.

Die von xx durch Nutzungsgebühren und Werbung auf den Fahrrädern erzielbaren Einnahmen seien im Vergleich zu dem Investitionszuschuss von untergeordneter Bedeutung.

Sie seien jedenfalls so gering, dass sie keine äquivalente Gegenleistung für die Dienstleistung darstellten (wird näher ausgeführt). Ausgehend von prognostizierten Gesamtkosten der Fa. xxx in Höhe von xxx € decke der „Investitionszuschuss“ der Antragsgegnerin 57,39 % und damit den überwiegenden Teil der bei Vertragsdurchführung anfallenden Gesamtkosten ab. Schließlich sei auch der Schwellenwert von 193.000 € überschritten, der gelte, weil das Vergabeverfahren bereits im Juni 2011 eingeleitet worden sei und damit noch die alte Rechtslage gelte. Mit dem Investitionskostenzuschuss in Höhe von 198.000 € und den Benutzungsgebühren sowie den aus der Werbung zu erzielenden Umsätzen betrage das Auftragsvolumen bei einer Gesamtvertragslaufzeit von fünf Jahren auf jeden Fall mehr als xxx €. Die Antragstellerin sei antragsbefugt, da sie durch die Abgabe ihrer Angebote vom 02.07.2011 und vom 05.09.2011 wiederholt ihr Interesse an dem zu vergebenden Auftrag bekundet habe. Der Antrag sei auch begründet, da die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nur im Rahmen eines wettbewerblichen und transparenten Vergabeverfahrens zulässig sei und die Antragstellerin durch die beabsichtigte Direktvergabe in ihren Rechten verletzt werde.

Die Antragsgegnerin wurde mit (Fax-)Schreiben vom 22.06.2012 über den Nachprüfungsantrag informiert.

Mit Beschluss der Vergabekammer vom 02.07.2012 wurde die Firma xxx zum Verfahren beigeladen.

Mit Schriftsatz vom 29.06.2012 beantragt die Antragsgegnerin, den Nachprüfungsantrag abzulehnen und trägt im Wesentlichen wie folgt vor: Eine Zuschlagserteilung sei noch nicht erfolgt. Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da er die Vergabe einer Dienstleistungskonzession zum Gegenstand habe. Ferner sei das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin zu verneinen. Der Antrag betreffe keinen öffentlichen Auftrag nach § 99 Abs. 4 GWB, sondern eine Dienstleistungskonzession, die nicht Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens sein könne. Der Vertrag, welcher zwischen der Antragsgegnerin und der Firma xxx abgeschlossen werden solle, sei als Dienstleistungskonzession zu bewerten, da die Firma xxx trotz der Gewährung eines Investitionskostenzuschusses einen erheblichen Teil des wirtschaftlichen Risikos trage. Der Vertrag sehe in § 3 eine Zweckbindung des Investitionskostenzuschusses vor für die Anschaffung von Fahrrädern, bauliche Vorleistungen zur Installation der Stationen, Aufbau von Stelen sowie die Anschaffung von Fahrradständern. Bei zweckwidriger Verwendung habe die Stadt einen Rückzahlungsanspruch. Der Zuschuss dürfe deshalb nicht für die Betriebskosten verwendet werden. Diese trage die Firma xxx vollumfänglich selbst. Die Betriebskosten würden von der Firma xxx auf xxx € bis xxx € jährlich geschätzt, mithin auf mindestens xxx € für die fünfjährige Vertragslaufzeit. Bei einer zurückhaltenden Schätzung der Betriebskosten auf xxx € für fünf Jahre und der einmaligen Investitionskosten von 198.000 € (zusammen xxx €) ergebe sich eine Kostendeckung von 36,13 %. Bei Zugrundelegung von xxx € Betriebskosten jährlich, ergebe sich eine Kostendeckung von 26,47 %. Zudem trage die Firma xxx auch hinsichtlich der Investitionskosten ein Kostenrisiko, da der Vertrag nunmehr anstatt 20 Stelen (Stationen) 22 Stelen und anstatt 200 Fahrradständern/Stellplätze nunmehr 250 Fahrradständer/Stellplätze vorsehe. Weiterhin seien die Standorte für die Stationen verbindlich von der Stadt vorgegeben, ohne dass durch die Stadt eine Gewähr für die Geeignetheit der Orte übernommen werde. Die Firma xxx müsse die Konzession vollumfänglich ausüben, auch wenn die einzelnen Standorte unprofitabel sein sollten. Auch dies erhöhe das wirtschaftliche Risiko für die Firma xxx. Der Antragstellerin fehle auch das Rechtsschutzbedürfnis, da sie sich auf die Konzeption der vertraglichen Ausgestaltung des Vermietsystems festgelegt habe. Das Modell einer Verkaufs-oder Vermietlösung werde in xxx aber nicht zur Anwendung kommen, da die Stadt nicht bereit sei, das Betriebsrisiko zu tragen. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch darauf, ihre Konzeption in xxx umzusetzen.

Die Vergabekammer bestimmte am 03.07.2012 einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 19.07.2012 . Dieser Termin wurde auf Antrag der Antragstellerin mit Schreiben der Vergabekammer vom 12.07.2012 wieder aufgehoben. Gleichzeitig wurde mit Zustimmung aller Beteiligter ein neuer Termin für eine mündliche Verhandlung auf den 25.07.2012 festgelegt und die Entscheidungsfrist für die Vergabekammer bis einschließlich 10.08.2012 verlängert. Weiterhin wurden in der Verfügung der Vergabekammer vom 12.07.2012 die Vergabenachprüfungsverfahren 1 VK 20/12 und 1 VK 21/12 zur mündlichen Verhandlung miteinander verbunden.

Am 16.07.2012 (und ergänzend am 23.07.2012) erhielt die Antragstellerin (beschränkte) Akteneinsicht durch Übersendung eingescannter Teile der Vergabeakte inklusive Begleitschreiben.

Mit Schriftsatz vom 19.07.2012 nimmt die Antragstellerin zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 29.06.2012 und nach erfolgter Akteneinsicht Stellung. Sie ergänzt und vertieft ihren bisherigen Vortrag und trägt im Wesentlichen vor: Der Nachprüfungsantrag sei statthaft, da ein Dienstleistungsauftrag im Sinne von § 99 Abs. 4 GW und keine Dienstleistungskonzession Gegenstand der Vergabe sei. Der Investitionszuschuss, den die Antragsgegnerin zu zahlen habe, liege deutlich über der Schwelle, bis zu der eine Konzession angenommen werden könne. Dies gelte selbst dann, wenn die von der Antragsgegnerin mitgeteilten Gesamtkosten für Investitionen und Betrieb richtig sein sollten und der Zuschuss nur 36,13% der Gesamtkosten ausmachen sollte. Die Zuzahlung habe vorliegend keinen Ausnahmecharakter mehr, sondern stelle ein prägendes Element des Geschäftsmodells dar. Nach der Rechtsprechung des BGH sei eine solche Bezuschussung eine echte Vergütung, die dem Vertrag Auftragscharakter verleihe. Die Antragsgegnerin gehe zudem darüber hinweg, dass nach dem Geschäftsmodell der Beigeladenen der überwiegende Teil der Werbeeinnahmen von kommunalen Unternehmen und damit mittelbar von der Antragsgegnerin bezahlt werden solle. Die Finanzierungsquote liege somit weit über 50%. Weiterhin hält die Antragstellerin die von der Antragsgegnerin zugrunde gelegten Betriebskosten der Beigeladenen von xxx € bis xxx € für überhöht und vergleicht diese mit ihren eigenen Betriebskosten. Das technisch anspruchsvollere und nutzungsintensivere System der Antragstellerin habe jährliche Betriebskosten von rund xxx € netto bzw. xxx € brutto. Die Betriebskosten der Beigeladenen schätzt die Antragstellerin auf die Hälfte der Kosten der Antragstellerin, mithin auf xxx € brutto jährlich. Insofern läge der Investitionszuschuss bei fast 50 % der Gesamtkosten (xxx € x5 = xxx €). Ferner zweifelt die Antragstellerin die Höhe der Einnahmen der Beigeladenen aus Nutzungsentgelten für die Fahrradvermietung und Werbung an (wird näher ausgeführt). Überdies übernehme die Beigeladene kein wesentliches Betriebsrisiko und werde der EU-Schwellenwert von 193.000 € deutlich überschritten (wird beides detailliert ausgeführt). Schließlich sei die Antragstellerin auch antragsbefugt und habe ein nachweisbares Rechtsschutzbedürfnis. Soweit die Antragsgegnerin sich auf eine bestimmte vertragliche Konstruktion des Vermietungsmodells festgelegt habe, die sie im Falle der Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens verfolge, werde die Antragstellerin dies bei der Erarbeitung ihres Angebots selbstverständlich berücksichtigen. Es treffe nicht zu, dass die Antragstellerin an einem System des aktuell favorisierten Zuschnitts von vornherein nicht interessiert sei. Soweit die Antragstellerin bisher ein anderes System angeboten habe, liege das daran, dass die Antragsgegnerin mangels ordnungsgemäßem Verfahren keine klaren Vorgaben und Erwartungen geäußert habe.

Am 24.07.2012 führt die Antragstellerin nach der ergänzend gewährten Einsicht in den Entwurf des Konzessionsvertrags vertiefend aus, dass auch dieser Vertrag bestätige, dass es sich tatsächlich um einen Dienstleistungsauftrag handle.

Insbesondere würden der Beigeladenen nach dem Geschäftskonzept der Vertragspartner Werbeeinnahmen jedenfalls zu einem erheblichen Teil garantiert und würde der Beigeladenen quasi eine Monopolstellung für ein öffentliches Fahrradverleihsystem mit garantierten Werbemöglichkeiten eingeräumt.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2012 wurde mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage ausführlich erörtert. Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin halten ihre schriftsätzlich gestellten Anträge aufrecht. Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Zum übrigen Vorbringen der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Vergabeakten der Antragsgegnerin Bezug genommen, die der Kammer vorlagen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (A) und begründet (B).

A Zulässigkeit

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

1.) Das Vergabenachprüfungsverfahren ist statthaft. Gemäß §§ 102, 104 Abs. 2 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) unterliegt die Vergabe öffentlicher Aufträge der Nachprüfung durch die Vergabekammern. Die Antragsgegnerin ist als Gebietskörperschaft öffentlicher Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 GWB.

2.) Bei dem beabsichtigten Auftrag handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag nach § 99 Abs. 1 und Abs. 4 GWB, der dem Anwendungsbereich des 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) unterliegt. Entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin liegt vorliegend keine Dienstleistungskonzession nach Art. 1 Abs. 4 Richtlinie 2004/18/EG vor. Unbestrittener Maßen ist der 4. Teil des GWB nicht auf Dienstleistungskonzessionen anzuwenden (s. hierzu insbesondere BGH, Beschluss vom 23.01.2012 -X ZB 5/11 sowie vom 08.02.2011 -X ZB 4/10 und EuGH, Urteil vom 10.11.2011, C -348/10), sondern nur auf Dienstleistungsaufträge.

Dass es sich bei dem öffentlichen Fahrrad-Vermietsystem um einen Dienstleistungsauftrag und nicht um eine Dienstleistungskonzession handelt, ergibt sich nach Auffassung der Vergabekammer aus nachfolgenden Erwägungen:

Das deutsche Recht enthält nur eine Definition der Baukonzession (§ 99 Abs. 6 GWB), nicht aber eine Definition der Dienstleistungskonzession. Es ist insoweit auf die Rechtsprechung des EuGH abzustellen sowie auf die Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2004/17/EG und 2004/18/EG. In beiden Fällen, d.h. sowohl bei der Dienstleistungskonzession als auch bei einem Dienstleistungsauftrag, wird ein Unternehmen mit der Durchführung einer Dienstleistung beauftragt. Bei einem Dienstleistungsauftrag zahlt der Auftraggeber ein Entgelt für die vom Auftragnehmer zu erfüllende Dienstleistung. Die zu erfüllende Dienstleistung wird vom Auftraggeber mehr oder weniger konkret vorgegeben und die Handlungsspielräume des Auftragnehmers sind mehr oder weniger weit. Im Gegensatz dazu erhält der Konzessionär anstatt ein Entgelt für seine zu erbringende Leistung das Recht zur Verwertung der eigenen Leistung als Vergütung. Gegebenenfalls erhält er zusätzlich zu diesem Recht aber auch noch eine Vergütung

(s. hierzu BGH, Beschluss vom 08.02.2011, X ZB 4/10, S. 21). In der Regel hat der Konzessionär einen weiten Handlungsspielraum bei der Umsetzung seines Konzepts. Der wesentliche Unterschied zwischen einer Konzession und einem Auftrag besteht aber darin, dass ein Konzessionär das wirtschaftliche Risiko für seine Dienstleistung trägt und er die Gefahr für den Ausfall seines Vergütungsanspruchs oder der Nichtinanspruchnahme seiner Leistung trägt. Mit den Worten des BGH ausgedrückt, ist es „für die Dienstleistungskonzession charakteristisch, dass der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung in der Weise den Risiken des Marktes ausgesetzt ist, dass er das damit einhergehende Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt“ (BGH, Beschluss vom 08.02.2011, X ZB 4/10 mit Verweis auf EuGH, Vergaberecht 2007, 604). Der Dienstleistungs-Auftragnehmer trägt dagegen für eine Dienstleistung nur das gewöhnliche Wagnis bei seiner Angebotskalkulation, das jedem Auftrag immanent ist (wie z.b. das Risiko steigender Löhne oder steigender Preise für Rohstoffe). Dabei ist auf das zu tragende wirtschaftliche Risiko abzustellen und alle risikoerhöhenden und risikoverringernden Faktoren sind gegenüber zu stellen. Es ist zu werten, ob und inwieweit der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung im jeweiligen Einzelfall tatsächlich den Risiken des Marktes ausgesetzt ist und er das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt. Bei dieser Gesamtbetrachtung aller Umstände sind die Marktverhältnisse in dem Bereich des öffentlichen Fahrradvermietsystems ebenso zu berücksichtigen wie die vertraglichen Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit. Insbesondere sind vorliegend deshalb die Regelungen des Vertragsentwurfs auszuwerten (a) und ist der der Beigeladenen in Aussicht gestellte Investitionszuschuss in Höhe von 198.000 € unter Berücksichtigung der Marktsituation näher zu betrachten (b).

(a) Die Regelungen des Vertragsentwurfs sprechen zum Teil sowohl für einen Dienstleistungsauftrag als auch für eine Dienstleistungskonzession.

Zumindest nicht gegen eine Dienstleistungskonzession spricht -wie dies die Antragstellerin meint -, dass die Antragsgegnerin nach § 2 Abs. 15 des als „Konzessionsvertrag mit Zuschuss“ bezeichneten Vertrags die Option auf eine um 30% gegenüber dem Listenpreis vergünstigte Buchung der Werbung auf den Fahrrädern hat. Denn auch wenn es zutreffen sollte, dass sich bereits städtische Tochterunternehmen oder von der Stadt beaufsichtigte Unternehmen im Vorfeld auf solche Fahrradwerbung festgelegt haben sollten, so ist dies weder verbindlich vereinbart, noch als Pflicht und somit als risikomindernde Einnahmequelle für die Beigeladene im Vertrag festgelegt. Vielmehr ist in dem Vertrag ausdrücklich ausgeführt, dass die an den eingesetzten Fahrrädern befindlichen Informationsflächen die Firma xxx auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung Dritten zur Werbebelegung überlässt.

Ebenso spricht auch nicht für das Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags, dass die Firma xxx verpflichtet ist, den Betrieb des Fahrradvermietungssystems vollumfänglich auszuüben. Nach § 2 Abs. 5 dürfen keine Stationen geschlossen werden, Fahrräder dürfen nicht reduziert und freie Werbekapazitäten dürfen nicht ausgelassen werden. Denn auch bei einem Konzessionsvertrag dürfen ökologische, städtebauliche und sonstige Ziele vom Auftraggeber verbindlich vorgeschrieben und dadurch die Handlungsspielräume des Auftragnehmers/Konzessionärs eingeschränkt werden.

Dagegen spricht nach Auffassung der Vergabekammer sehr deutlich für einen Dienstleistungsauftrag, dass das marktwirtschaftliche Risiko der Firma xxx bei der Erzielung ausreichender Einnahmen für Werbung und für das Vermieten der Fahrräder dadurch wesentlich reduziert ist, dass gleichgelagerte Erlaubnisse von der Antragsgegnerin nicht erteilt werden. So ist hierzu in § 2 Abs. 17 des Vertragsentwurfs geregelt: „Die Stadt wird während der Vertragszeit keine Konzessionen für den gewerblichen Betrieb von Fahrradvermietungssystemen an Dritte vergeben (ausschließliche Konzession)“. Ein solcher effektiver Ausschluss von Mitbewerbern auf dem sich in den letzten Jahren entwickelnden und umkämpften Markt, minimiert das Risiko, Investitionen unnötig getätigt zu haben und dass das eigene Fahrradverleihsystem nicht angenommen werden könnte, wesentlich.

(b) Der Investitionszuschuss in Höhe von 198.000 € stellt nach Auffassung der Vergabekammer ein vom Auftraggeber gezahltes beachtliches Entgelt und damit einen entgeltlichen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB dar, da dem Bieter dadurch sein wirtschaftliches Risiko wesentlich minimiert wird. Zwar ist ein Investitionszuschuss grundsätzlich unbedenklich und spricht für sich genommen noch nicht gegen eine Dienstleistungskonzession. Insoweit hat auch der BGH in seiner Entscheidung vom 08.02.2011 -X ZB 4/10 sowie das OLG Karlsruhe in seiner Entscheidung vom 13.07.2005, 6 W 35/05 zu Investitionszuschüssen bzw. Ausgleichszahlungen Stellung bezogen. Nach der Entscheidung des BGH kann bei einer vorgesehenen Zuzahlung „der Vertrag jedenfalls dann nicht als Dienstleistungskonzession vom Anwendungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen werden, wenn die zusätzliche Vergütung oder (Aufwands-)Entschädigung ein solches Gewicht hat, dass ihr bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschusscharakter mehr beigemessen werden kann, sondern sich darin zeigt, dass die aus der Erbringung der Dienstleistung möglichen Einkünfte allein ein Entgelt darstellen würden, das weitab von einer äquivalenten Gegenleistung läge“ (S.24). Nach der Entscheidung des OLG Karlsruhe liegt auch dann eine Dienstleistungskonzession vor, wenn eine Auftraggeberin Ausgleichszahlungen jährlich abnehmend von lediglich 9% bis 4% des prognostizierten Gesamtaufwands abdeckt. Trotz dieser Ausgleichszahlungen werde das Risiko auf die Konzessionärin abgewälzt, die im damals zu beurteilenden Fall zum weit überwiegenden Teil darauf verwiesen war, die Kosten der Verkehrsdienstleistungen durch das Entgelt der Fahrgäste einzufahren.

Es bleibt deshalb festzuhalten, dass eine exakte Prozentzahl, die von den Gerichten definiert wird und auf alle Fälle angewendet werden könnte, nicht existiert. Es ist auch hierbei auf den Einzelfall und die jeweiligen Marktverhältnisse abzustellen. Insoweit führt auch der BGH aus, dass sich wegen der Unterschiedlichkeit der möglichen Fallgestaltungen eine rechnerische Quote nicht festlegen lässt, ob eine Zuzahlung im Vordergrund steht oder überwiegt. Eine schematische Lösung verbiete sich (S. 25). In dem konkret vom BGH zu entscheidenden Fall ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass keine Dienstleistungskonzession vorliege, da durch die Zuwendungen ca. 64 % der bei der Vertragsdurchführung anfallenden Gesamtkosten abgedeckt werden. Damit überwiege die Zuzahlung die erzielten Einnahmen von vornherein ganz erheblich (S. 26). Eine Aussage dahingehend, dass bei einer geringeren Zuwendung keine Abdeckung der Gesamtkosten gegeben sei, trifft der BGH dagegen nicht. Vielmehr hebt er weiter entscheidend darauf ab, dass die Firma, welche den Zuschuss und den Zuschlag erhalten solle, keinem direkten Wettbewerb ausgesetzt sei und auch deshalb das Vertragsrisiko gering sei.

In Deutschland gibt es wohl wenige Großstädte wie z.B. München (nach Aussage der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung), wo ein öffentliches Fahrradvermietsystem ohne eine gleichzeitige Bezuschussung existiert. Allein die Höhe des Investitionszuschusses im Verhältnis zu den von den Bietern zu leistenden gesamten Investitionskosten bewirkt eine Marktbeeinflussung. Je höher der Investitionszuschuss ausfällt, umso geringer wird das wirtschaftliche Risiko des Betreibers des Fahrradvermietsystems, dass das System insgesamt funktioniert. Dabei sieht die Vergabekammer sehr wohl, dass dem Betreiber auch dann noch ein nicht unbeachtliches Betriebsrisiko verbleibt, wenn die Räder und Stelen bezahlt sind. Werden die Fahrräder an den vorgegebenen Stationen nicht angenommen und bleiben die Werbeaufträge aus, brechen die kalkulierten Einnahmen weg und müssen die Fixkosten wie Wartung, Reparatur der Fahrräder etc. weiterhin bezahlt werden. Dennoch sieht die Vergabekammer den vorliegenden Fall nicht vergleichbar mit dem vom OLG Düsseldorf (Beschluss vom 07.03.2012, VII-Verg 78/11) entschiedenen Fall. Dort ist das OLG Düsseldorf zu dem Ergebnis gelangt, dass kein Dienstleistungsauftrag, sondern eine Dienstleistungskonzession vorliege. Der Konzession lag die Sammlung, der Transport und die Verwertung von Alttextilien zugrunde. Bei der Einzelfallbetrachtung war für das OLG wesentlich, dass insbesondere die Höhe des Verwertungserlöses, aber auch die Kosten für die Leerung der Container und den Transport der Alttextilien von der eingeworfenen Menge abhängig seien. Diese dürften über die Vertragslaufzeit erheblichen Schwankungen unterliegen. Jahreszeitlich und konjunkturbedingt dürfte die monatliche Menge der eingeworfenen Alttextilien erheblich variieren. Der Verwertungserlös sei sowohl von der zu verwertenden Menge als auch von den jeweils aktuellen Marktpreisen für Alttextilien abhängig. Überdies erfolgten weiterhin konkurrierende Sammlungen von Alttextilien mittels Altkleidercontainern auf privaten Grundstücken, beispielsweise auf den Parkplätzen von Verbrauchermärkten und durch Haussammlungen gemeinnütziger Organisationen, die mengenmindernd wirksam würden.

Dagegen ist im vorliegend zu entscheidenden Fall das Marktrisiko begrenzt und überschaubar. Die Konkurrenz weiterer öffentlicher Fahrradvermietsysteme ist per Vertrag ausgeschlossen, die Nutzungsentgelte für das Mieten der Fahrräder liegen bei nahezu allen Bietern und in den bestehenden Fahrradmietsystemen anderer Großstädte auf einem ähnlichen und kalkulierbaren Niveau. Auch hinsichtlich der Werbeeinnahmen ist das Betriebsrisiko überschaubar. Es gibt zwar keine verbindlichen Regelungen mit der Auftraggeberin oder mit von dieser rechtlich, fachlich oder politisch beeinflussten sonstigen Partnern. Es gibt jedoch nicht unbeachtliche Unterstützungsleistungen durch die Antragsgegnerin bei der Vermittlung von Werbeaufträgen wie die Vergabekammer den Vergabeakten der Antragsgegnerin entnehmen konnte. Weiterhin entspricht es dem Eigeninteresse der Antragsgegnerin, dass es ein gut funktionierendes, zukunftsfähiges und sich finanziell tragendes öffentliches Fahrradvermietsystem in ihrer Stadt gibt. Diese Intention der Auftraggeberin findet sich auch in § 2 Abs. 5 des (Konzession-) Vertragsentwurfs. Danach dürfen von der Firma xxx keine freien Werbekapazitäten ausgelassen werden. Ausweislich der Präambel des Vertragsentwurfs sind Hauptgründe für die aktive Steuerung des Fahrradvermietungssystems die Stadtbildpflege und das Flächenmanagement. Aus diesen Gründen erscheint eine aktive Unterstützung des Betreibers des öffentlichen Fahrradvermietungssystems durch die Antragsgegnerin gewährleistet und das Betriebsrisiko minimiert. Weiterhin ist nach Auffassung der Vergabekammer das Betriebsrisiko bei einem öffentlichen Fahrradvermietsystem in xxx auch deshalb gegenüber anderen deutschen Großstädten gemindert, da die Stadt xxx mit ihren ca. 147.000 Einwohnern zu der Metropolregion xxx gehört (seit April 2005) und diese Region den siebtgrößten Wirtschaftsraum in Deutschland mit insgesamt 2,4 Mio. Einwohnern darstellt (s. www.m-r-n.com). Die Universitätsstadt ist insbesondere im medizinischen Bereich ein weltbekanntes Aushängeschild und auch im Jahr 2012 wieder als sog. Elite-Uni speziell gefördert (s. xxx Morgen, 15.06.2012). Darüber hinaus zählt xxx nicht nur dank seines Schlosses und seiner Altstadt bei Touristen in-und außerhalb Deutschlands zu einer der beliebtesten deutschen Großstädte mit entsprechenden Besucher-und Übernachtungszahlen (s. www.xxx-marketing.de).

Bei dieser Sachlage hält die Vergabekammer einen Investitionszuschuss von 198.000 € für so wesentlich risikomindernd, dass das wichtige Unterscheidungsmerkmal zwischen einem Dienstleistungsauftrag und einer Dienstleistungskonzession, nämlich das Tragen des wirtschaftlichen Risikos durch den Bieter, deutlich für das Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB spricht. Mit anderen Worten: Nicht der Investitionszuschuss, den die Antragsgegnerin der Beigeladenen zu geben beabsichtigt, spricht gegen das Vorliegen einer Konzession, sondern die Höhe des konkret vereinbarten Investitionszuschusses.

Es kann dabei dahinstehen -und kann von der Vergabekammer letztendlich auch nicht aufgeklärt werden -, welchen Prozentsatz der Zuschuss an den Gesamtkosten der Beigeladenen ausmacht. Insoweit geht die Antragstellerin in ihrer Prognose unter Zugrundelegung der Kalkulation ihrer eigenen laufenden Betriebskosten davon aus, dass die Betriebskosten der Beigeladenen bei lediglich xxx € pro Jahr, und damit bei xxx € auf die fünfjährige Vertragslaufzeit verteilt, liegen. Der Investitionszuschuss von 198.000 € decke damit bereits 50 % der Gesamtkosten ab (Schriftsatz der Antragstellerin vom 19.07.2012). Dagegen geht die Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 29.06.2012) davon aus, dass der Zuschuss nur für die Investitionsmaßnahmen (Anschaffung von Fahrrädern, bauliche Vorleistungen zur Installation der Stationen, Aufbau von Stelen und Anschaffung von Fahrradständern) verwendet werden dürfe und nicht für die Deckung von Betriebskosten. Stelle man dennoch auf die Gesamtkosten für die Investition und den Betrieb des Fahrradvermietsystems ab, so sei von einer Summe von xxx € auszugehen. Diese teile sich in den Investitionszuschuss von 198.000 € und Betriebskosten von jährlich mindestens xxx €, mithin xxx € bei fünfjähriger Laufzeit. Die Kostendeckung betrage deshalb lediglich 36,13 %. Bei Zugrundelegung von jährlichen Betriebskosten der Beigeladenen in Höhe von xxx € -wovon die Beigeladene selbst zuletzt ausging ergebe sich eine Kostendeckung von sogar nur 26,47 %.

Die Vergabekammer hält ein Abstellen auf die Gesamtkosten für notwendig, um eine aussagekräftige prozentuale Risikoabdeckung abbilden zu können, auch wenn die Antragsgegnerin vertraglich abgesichert nur die Investitionskosten bezuschusst und nicht die laufenden Betriebskosten. Das Betriebsrisiko bezieht sich auf die Gesamtheit aller anfallenden Kosten, die sich nicht nur aus der Anschaffung der notwendigen Teile wie Räder, Stelen etc. ergeben, sondern auch aus dem laufenden Betrieb des Vermietsystems.

Unter Zugrundelegung des oben ausgeführten überschaubaren Marktrisikos bei öffentlichen Fahrradverleihsystemen in Großstädten, hält die Vergabekammer auch eine Risikoabdeckung von deutlich über 20 %, nämlich von 26,47 %, in dem konkreten Fall für so hoch, dass bei diesem Anteil nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass der Bieter das Betriebsrisiko ganz oder zu einem wesentlichen Teil übernimmt. Es ist deshalb nicht erforderlich, dass die Risikoabdeckung sogar 36,13 % oder mehr beträgt -wie die Beteiligten streitig vorgetragen haben -, um das Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags im Gegensatz zum Vorliegen einer Dienstleistungskonzession zu begründen.

3.) Der Schwellenwert nach §§ 100 Abs. 1, 127 Nr. 1 GWB i.V.m. §§ 1, 2 Nr. 2, 3 Abs. 1 VgV (Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge -Vergabeverordnung -in Kraft seit 11.06.2010) ist überschritten. Anzuwenden ist die VgV mit Stand 2011. Mangels erfolgter öffentlicher Ausschreibung kann nicht auf einen Bekanntmachungstermin als dokumentierter Beginn eines Vergabeverfahrens zurückgegriffen werden. Es ist jedoch unbestritten, dass die Angebotsaufforderungen und entsprechenden Verhandlungen bereits im Jahr 2011 durchgeführt wurden und damit ein Vergabeverfahren -wenn auch kein ausgeschriebenes Vergabeverfahren eingeleitet wurde. Damit liegt der Beginn des Vergabeverfahrens vor dem Jahr 2012, in dem die neuen Schwellenwerte (jetzt: 200.000 € für Liefer-und Dienstleistungsaufträge) in Kraft getreten sind. Der Auftragswert liegt auch über dem Schwellenwert für Liefer-und Dienstleistungsaufträge von 193.000 € nach §2 Nr. 2 VgV. Die Antragsgegnerin hat keine Schätzung des Auftragswertes gemäß § 3 Abs. 1 VgV in den Vergabeakten dokumentiert. Die Vergabekammer legt deshalb nicht den Investitionszuschuss, der der Beigeladenen gezahlt werden soll und der möglicherweise knapp unter den 193.000 € netto liegt, einer eigenen Schätzung des Auftragswertes zugrunde. Vielmehr nimmt die Vergabekammer mangels anderer belastbarer Zahlen die eingegangenen Angebote aller Bieter als Grundlage für eine Auftragswertschätzung. Sowohl die Mehrzahl als auch der Mittelwert der eingegangenen Angebote liegen deutlich über dem Schwellenwert von 193.000 €. Die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Vergabekammer Baden-Württemberg ergibt sich aus § 104 Abs.1 GWB, § 106 a Abs. 3 GWB, § 1 Vergabenachprüfungsverordnung (VNPVO).

4.) Die Antragstellerin ist überdies antragsbefugt, da sie ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht hat (s. hierzu ibr-online-Kommentar Weyand, Vergaberecht 2010 zu § 107 GWB Rn. 82). Das Interesse am Auftrag ist weit auszulegen. Es liegt in der Regel vor, wenn der Bieter vor Stellung des Nachprüfungsantrages am Vergabeverfahren teilgenommen und einen Vergabeverstoß ordnungsgemäß gerügt hat (BVerfG, B. v. 29.07.2004 -Az.: 2 BvR 2248/03; BGH, B. v. 10.11.2009 -Az.: X ZB 8/09; B. v. 26.09.2006 -Az.: X ZB 14/06; B. v. 01.02.2005 -Az.: X ZB 27/04; OLG Brandenburg, B. v. 07.08.2008 -Az.: Verg W 11/08; OLG München, B. v. 02.08.2007 -Az.: Verg 07/07; B. v. 07.04.2006 -Az.: Verg 5/06; OLG Thüringen, B. v. 30.03.2009 -Az.: 9 Verg 12/08). Die Antragstellerin hat 2011 ein Angebot abgegeben, das jedoch hinsichtlich Risikotragung und Kosten nicht den Vorstellungen der Antragsgegnerin entspricht. Dies lag aber in erster Linie daran, dass die Antragsgegnerin es jedem Bieter selbst überließ, sein eigenes gängiges Konzept anzubieten und die Bieter deshalb nicht im erforderlichen Umfang wissen konnten, worauf es dem Auftraggeber ankommt. Die Bieter konnten deshalb kein auf die Bedürfnisse der Antragsgegnerin maßgeschneidertes Konzept fertigen und anbieten und hatten insoweit keine Chancengleichheit. Es ist deshalb entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin zumindest nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin bei Ausschreibung des Auftrags ein vom bisher gängigen Geschäftsmodell der Antragstellerin abweichendes Konzept verfolgt und damit echte Chancen auf den Zuschlag hat.

B Begründetheit

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.

Die Antragstellerin hat einen Rechtsanspruch darauf, dass der Auftraggeber gemäß § 97 Abs. 7 die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält. Ein Dienstleistungsauftrag gemäß § 99 Abs. 1 und Abs. 4 GWB, der oberhalb des Schwellenwertes liegt, ist von der Stadt xxx als öffentlichem Auftraggeber EU-weit auszuschreiben, damit der Beschaffungsvorgang gemäß § 97 Abs. 1 und Abs. 2 GWB im Wettbewerb und im Wege eines transparenten Vergabeverfahrens bei Gleichbehandlung der Teilnehmer erfolgt.

Dass es sich vorliegend bei dem bereits ohne EU-weite Ausschreibung initiierten Beschaffungsvorgang um einen Dienstleistungsauftrag und nicht um eine Dienstleistungskonzession handelt, hat die Vergabekammer bereits unter A Zulässigkeit Punkt 2) behandelt, da bei Vorliegen einer Dienstleistungskonzession der Weg eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer nicht zulässig gewesen wäre. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird deshalb auf die dortigen Ausführungen verwiesen.

Bei fortgesetzter Vergabeabsicht der Antragsgegnerin sieht es die Vergabekammer als geeignete Maßnahme im Sinne des § 114 Abs. 1 GWB an, die Antragsgegnerin zu verpflichten, eine EU-weite Ausschreibung durchzuführen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 128 Abs. 3 S.1 und Abs. 4 S. 1 GWB.

Ausgehend vom Gebührenrahmen des § 128 Abs. 2 GWB, dem personellen und wirtschaftlichen Aufwand und unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Interesses der Antragstellerin an dem Auftrag sowie dem Umfang und der Schwierigkeit des Verfahrens hält die Kammer eine Gebühr in Höhe von xxx € für angemessen. Sie legt hierzu das von der Antragstellerin gemachte Angebot, das über xxx € und unter xxx € liegt, zugrunde. Aus der Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes, die auch die Vergabekammer Baden-Württemberg aus Gründen der einheitlichen Handhabung der Berechnung der Gebühr als Richtwert zugrunde legt, ergibt sich für den entsprechenden Nettobetrag eine Gebühr in Höhe von xxx €. Eine Abweichung hiervon nach oben oder unten auf Grund der o.g. Kriterien ist vorliegend nicht angezeigt.

Die Antragsgegnerin ist jedoch gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (Verwaltungskostengesetz) gebührenbefreit.

Die Beiziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin war angesichts der Bedeutung und der Schwierigkeit des Falls notwendig. Auch unter Beachtung der Rechtsprechung des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 16.06.2010, 15 Verg 4/10) des OLG Dresden (Beschluss vom 27.07.2010, WVerg 7/10) und des OLG Celle (Beschluss vom 09.02.2011, 13 Verg 17/10) kommt die Vergabekammer zu keinem anderen Ergebnis.

Die Beigeladene war zwar in der mündlichen Verhandlung anwesend, hat sich aber weder aktiv mit Schriftsätzen an dem Verfahren beteiligt noch Anträge gestellt und sich damit an dem Kostenrisiko bei einem möglichen Unterliegen nicht beteiligt. Es entspricht daher der Billigkeit, dass sie ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen selbst trägt und auch mit den Kosten der Antragstellerin nicht belastet wird.