VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.08.2010 - 8 S 2322/09
Fundstelle
openJur 2013, 14960
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 9. September 2009 - 1 K 436/09 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 116.220,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Berufung ist aus den in der Antragsbegründung geltend gemachten Zulassungsgründen nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) nicht zuzulassen.

Das angefochtene Urteil verneint die Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens "Nutzungsänderung und Umbau einer bestehenden Verkaufsfläche/Gaststätte in zwei Spielecenter gem. § 33i GewO mit je 8 Geldspielautomaten" des Klägers. Dieses Vorhaben verstoße bereits gegen § 15 Abs. 3 LBO, weil das "Spielcenter 1" keinen zweiten Rettungsweg aufweise; ein vorhandenes Toilettenfenster genüge den Anforderungen nach § 14 Abs. 5 LBOAVO nicht. Das Vorhaben sei aber auch nach § 2 der - gemäß § 233 Abs. 3 BauGB und § 173 Abs. 3 BBauG als einfacher Bebauungsplan fort geltenden - Ortsbausatzung der Beklagten vom 07.03.1957 (OBS) bauplanungsrechtlich unzulässig. Diese Vorschrift regele die Zulässigkeit von Anlagen im "Gemischten Gebiet" der Baustaffel 2, in der auch das Baugrundstück liege. Zwar seien Spielhallen danach nicht ausdrücklich ausgeschlossen. § 2 OBS sei aber unter Berücksichtigung von § 6 BauNVO auszulegen, da die Baunutzungsverordnung bei der Auslegung übergeleiteter Bebauungspläne Anhaltspunkte für die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe bieten könne, mit denen die Zweckbestimmung eines Baugebiets allgemein festgelegt werde. In einem Mischgebiet sei das Vorhaben unzulässig, weil die beiden "Spielcenter" mit Nutzflächen von 97,25 m2 und 96, 45 m2 als Einheit anzusehen seien und damit den für kerngebietstypische Vergnügungsstätten anzunehmenden Schwellenwert von 100 m2 überschritten. Zwar könnten die Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 24.11.2005 - 4 C 8.05 - (BauR 2006, 648) an die Selbstständigkeit zweier Spielhallenbetriebe stelle, erfüllt werden. Damit stehe aber die bauliche Selbstständigkeit der "Spielcenter" noch nicht fest. Ob zwei selbstständige Betriebe baulich als Einheit zu betrachten seien, hänge davon ab, in welcher Beziehung sie zueinander stünden und wie sie wahrgenommen würden. Die geplanten "Spielcenter" würden nach Auffassung der Kammer aber so betrieben werden, dass sie sich ergänzten. Dafür sprächen die Planungsgeschichte, der Umstand, dass der Kläger offensichtlich kein Interesse an der Genehmigung nur einer Spielhalle auf dem Baugrundstück habe, die Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe für das Projekt einen Betreiber an der Hand gehabt, der eine Spielstätte gehobener Art habe einrichten wollen, sowie die Lebenserfahrung, dass Vermieter oder Betreiber von Spielhallen unter einem Dach in der Regel bestrebt seien, sie so zu betreiben, dass sie sich nicht gegenseitig Konkurrenz machten. Aber auch dann, wenn die "Spielcenter" baulich nicht als Einheit anzusehen seien, verstieße das Vorhaben jedenfalls gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, weil im Grenzbereich zwischen überwiegend gewerblicher Nutzung und der Wohnnutzung südlich der Kreuzung xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx zwei Spielhallen auf einem Grundstück konzentriert würden. Nach dem ergänzend anzuwendenden § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO solle schon eine einzige kerngebietstypische Spielhalle aus dem Mischgebiet herausgehalten werden. In den beiden "Spielcentern" könnten jedoch mehr Gewinnspielgeräte als in einer kerngebietstypischen Spielhalle aufgestellt werden, da § 3 Abs. 2 Satz 1 SpielV die Gesamtzahl der Geld- und Warenspielgeräte einer Spielhalle auf 12 begrenze. Besucher einer Spielhalle würden, wie nach den Ergebnissen einer ifo-Studie aus dem Jahr 2008 festzustellen sei, im Wesentlichen von Geldgewinnspielgeräten angezogen. Aufgrund ihrer Größe und der Konzentration an einem Ort seien von den beiden "Spielcentern" deshalb auch dann, wenn kein aufeinander abgestimmtes Angebot an Spielgeräten vorliege, Auswirkungen zu erwarten, die an der Grenze zur anschließenden überwiegenden Wohnbebauung unzuträglich seien.

Das angefochtene Urteil verneint die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens mithin wegen Verstößen gegen § 15 Abs. 3 LBO, § 2 OBS i.V. m. § 6 BauNVO und § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Ist ein Urteil in dieser Weise auf mehrere Begründungen gestützt, die jede für sich den Urteilsausspruch selbständig tragen, ist die Berufung nur zuzulassen, wenn ein Zulassungsgrund für jede dieser Begründungen vorliegt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27. Februar 1998 - 7 S 216/98 - NVwZ 1998, 645; Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124 Rn. 25 m.w.N.). Diesen Anforderungen entspricht die Antragsbegründung nicht. Jedenfalls für die Begründung des angefochtenen Urteils zur Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO liegt nach der Antragsbegründung kein Zulassungsgrund vor. Dahinstehen kann daher, ob im Übrigen einer der geltend gemachten Zulassungsgründe hinreichend dargelegt ist und vorliegt.

1. Aus den in der Antragsbegründung dargelegten - und allein maßgebenden (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) - Gründen bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, das Vorhaben verstoße auch dann, wenn die "Spielcenter" baulich nicht als Einheit anzusehen seien, gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer Gerichtsentscheidung sind zwar immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden sind (vgl.  BVerfG,  Beschluss  vom  10.09.2009 - 1 BvR 814/09 - NJW 2009, 3642 m.w.N.). Das ist nach der Antragsbegründung insoweit aber nicht der Fall.

a) Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht sei bei der Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO von "fehlerhaften Tatsachenfeststellungen" ausgegangen. Die Wohnnutzung südlich der Kreuzung xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx sei nicht im Einwirkungsbereich des Baugrundstücks, wie ein "objektiv durchgeführter Umgriff ohne Weiteres ergeben" würde. Dieser Einwand greift nicht durch.

Die Antragsbegründung erschöpft sich insoweit in einer bloßen Gegenbehauptung zur Tatsachen- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Darin liegt keine "schlüssige Gegenargumentation", die ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der das angefochtene Urteil tragenden Feststellung begründet, die beiden Spielcenter würden im Grenzbereich zwischen überwiegend gewerblicher Nutzung und der Wohnnutzung südlich der Kreuzung xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx konzentriert und seien für diese Wohnbebauung i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzuträglich. Das Verwaltungsgericht hat sich insoweit u.a. auf das Ergebnis eines Augenscheins vor Ort in einem anderen Verfahren (1 K 468/08) gestützt, das es - durch Übersendung der Niederschrift über den Augenschein und der dabei gefertigten Fotos an die Beteiligten - in das vorliegende Klageverfahren eingeführt hat. Die Antragsbegründung setzt sich damit nicht auseinander. Sie legt nicht einmal ansatzweise dar, welche der bei diesem Augenschein festgestellten oder welche sonstigen konkreten Tatsachen ihre Auffassung rechtfertigen oder zumindest nahelegen könnten, die Wohnnutzung südlich der Kreuzung xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx liege außerhalb des Einwirkungsbereichs der geplanten "Spielcenter". Der nicht näher begründete Vortrag, ein "objektiv durchgeführter Umgriff" würde dies "ohne Weiteres ergeben", ist insoweit unsubstantiiert und unschlüssig.

b) Der Kläger beanstandet als unrichtig ferner die Feststellung des Verwaltungsgerichts, in beiden "Spielcentern" könnten insgesamt mehr Gewinnspielgeräte als in einer kerngebietstypischen Spielhalle aufgestellt werden. Darin setze sich die fehlerhafte Annahme einer bauplanungsrechtlich einheitlichen Spielhalle fort. Gerade wenn beide "Spielcenter" nicht als Einheit zu betrachten wären, habe dies zwingend zur Folge, dass nicht durch die "bauplanungsrechtliche Hintertür" die Spielverordnung herangezogen werden könne und das Gericht auf diesem Wege doch noch zu einer unzulässigen baulichen Einheit gelange. Auch dieser Einwand greift nicht durch.  

§ 15 Abs. 1 BauNVO schränkt die Zulässigkeit von Vorhaben, die mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans übereinstimmen oder jedenfalls im Wege einer Ausnahme zugelassen werden können, im Einzelfall ein. Sie dient dem Schutz vor Störungen durch Bauvorhaben, die zwar grundsätzlich nach den §§ 2 bis 14 BauNVO zulässig wären, aber wegen der besonderen Verhältnisse des konkreten Vorhabens der Eigenart des Baugebiets widersprechen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO) oder die Umgebung unzumutbar stören (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Indem das Verwaltungsgericht bei der Anwendung dieser Vorschrift ausdrücklich davon ausgegangen ist, dass die beiden "Spielcenter" nicht aus den zuvor zu § 2 OBS i.V.m. § 6 BauNVO genannten Gründen als Einheit anzusehen seien (vgl. Urteilsabdruck Seite 9, zweiter Absatz, erster Satz), hat es ihre allgemeine Zulässigkeit nach § 2 OBS i.V.m. § 6 BauNVO unterstellt. Aus seinen Erwägungen, mit denen es gleichwohl ausnahmsweise die Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO begründet hat, folgt nichts Anderes, insbesondere liegt darin keine Annahme einer baulichen Einheit "durch die Hintertür". Denn soweit das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang auf die mit beiden "Spielcentern" nach der Spielverordnung rechtlich zulässige Gesamtzahl von Gewinnspielgeräten abgestellt hat, hat es lediglich i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO die Unzulässigkeit einer Konzentration zweier baulich selbstständiger "Spielcenter" am geplanten Standort nach ihrer Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung i. S. dieser Vorschrift angenommen.

c) Soweit der Kläger in Auseinandersetzung mit der Antragserwiderung der Beklagten zu § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ergänzend darlegt, warum das von der Beklagten befürchtete "Kippen in ein Sondergebiet ‘Vergnügen‘" ausscheide, kann dahinstehen, inwieweit der Antragsbegründung zu folgen ist. Denn mit der Gefahr eines solchen "Kippens" hat jedenfalls das Verwaltungsgericht die Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht begründet.

2. Die Rechtssache hat in Bezug auf die vom Verwaltungsgericht bejahte Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO aus den in der Antragsbegründung dargelegten Gründen auch keine grundsätzliche Bedeutung.

Die Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass ausdrücklich oder sinngemäß eine entscheidungserhebliche konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum diese Frage bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärte Probleme aufwirft, die über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam sind und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts durch das Berufungsgericht geklärt werden müssen. Außerdem ist - bei Rechtsfragen ausgehend von den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts - die Entscheidungserheblichkeit der Frage darzulegen; das Aufzeigen einer bloß fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen genügt insoweit nicht.

Diesen Anforderungen entspricht die Antragsbegründung nicht. Sie wirft zwar sinngemäß mehrere für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Fragen auf, und zwar

- "ob mehrere eigentlich selbstständige Betriebe als Einheit betrachtet werden können",

- "ob die vorgenannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts" (das Urteil vom 24.11.2005, a.a.O.) "auch auf die vorliegenden Spielcenter angewandt werden muss",

- "ob der Umstand, dass die beiden Betriebe aus betriebswirtschaftlicher Sicht aufeinander bezogen sein können, den Schluss zulässt, dass es sich um eine Einheit im baurechtlichen Sinne handelt", und

- "ob die Lebenserfahrung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen, wonach ein Vermieter oder Betreiber von Spielhallen in der Regel bestrebt sein wird, dass diese so betrieben werden, dass sie sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen, ausreicht, um zur Annahme einer baurechtlichen Einheit zu gelangen".

Sie legt jedoch weder ausdrücklich noch sinngemäß etwas zur Entscheidungserheblichkeit dieser Fragen in Bezug auf die Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO durch das Verwaltungsgericht dar noch erläutert sie in Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, warum diese Fragen insoweit bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich ungeklärte Probleme aufwerfen, die über den hier zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam sind und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlich geklärt werden müssen. Sämtliche Fragen zielen nur auf die Rechtsmaßstäbe des Verwaltungsgerichts bei der Auslegung von § 2 OBS i.V.m. § 6 BauNVO und deren Subsumption im vorliegenden Einzelfall. Zwar zwingt das verfassungsrechtliche Verbot, den Rechtsweg nicht in unzumutbarer Weise zu erschweren, bei der Prüfung jedes Zulassungsgrundes dazu, den Vortrag des jeweiligen Antragstellers angemessen zu würdigen und ihm bei berufungswürdigen Sachen den Zugang zur zweiten Instanz nicht nur deswegen zu versagen, weil dieser sich nicht auf den nach Auffassung des Gerichts zutreffenden Zulassungsgrund bezogen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.09.2009, a.a.O. m.w.N.). Die Darlegungen des Klägers zum Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erschöpfen sich insoweit jedoch allenfalls in einer Kritik i. S. des Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hinsichtlich der Auslegung und Anwendung von § 2 OBS i.V.m. § 6 BauNVO, nicht aber von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG (600 Euro/qm Nutzfläche der Spielcenter ohne Nebenräume, in Anlehnung an Nr. 9.1.5 des aktuellen Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004, VBlBW 2004, 467).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).