VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.09.1999 - 10 S 1991/99
Fundstelle
openJur 2013, 11140
  • Rkr:

Zu den Anforderungen an die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Genehmigung zur Änderung eines externen Brennelement-Lagerbeckens in einem Kernkraftwerk.

Gründe

Die beim sachlich zuständigen Verwaltungsgerichtshof (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) gestellten Anträge, die aufschiebende Wirkung der Klagen der Antragstellerinnen gegen die der Beigeladenen vom Wirtschaftsministerium erteilte Genehmigung für die Vornahme von Veränderungen im Kernkraftwerk Obrigheim vom 26.10.1998 wiederherzustellen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO), sind zulässig, aber unbegründet. Das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der - formell einwandfrei angeordneten (§ 80 Abs. 3 VwGO) - sofortigen Vollziehung der Genehmigung überwiegen das entgegengesetzte Interesse der Antragstellerinnen an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen.

Bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage haben die Antragstellerinnen keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür dargetan, daß die angefochtene Genehmigung sie in ihrem Recht auf Vorsorge im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AtG verletzt. Vorsorgedefizite durch den zugelassenen Normalbetrieb des Brennelemente-Lagers machen die Antragstellerinnen nicht geltend. Solche Defizite sind auch nicht erkennbar, da durch die Genehmigung die bisher schon bestandskräftig genehmigten (radioaktiven) Ableitungswerte nicht geändert werden. Die Antragstellerinnen bringen vielmehr vor, die erforderliche Vorsorge sei deshalb nicht getroffen, weil durch den Betrieb des Brennelemente-Lagers das Risiko des Eintritts eines Unfalls im Brennelemente-Lager und mehr noch im Kernkraftwerk selbst, noch verstärkt durch die unmittelbare Nähe des Brennelemente-Lagers, größer würde. Nach Auffassung des Senats bei summarischer Prüfung dürfte aber der Antragsgegner - gestützt auf die eingeholten Gutachten der TÜV ET GmbH und die im Genehmigungsbescheid weiter aufgeführten Gutachten und sonstigen Unterlagen - unter Berücksichtigung dessen, daß nach der Normstruktur des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AtG die Exekutive die Verantwortung für die Risikoermittlung und -bewertung trägt (BVerwG, Urteil vom 19.12.1985 - 7 C 65.82 -, BVerwGE 72, 300, 316), wohl vertretbar zu der Feststellung gelangt sein, daß die gebotene Vorsorge durch die angefochtene (Änderungs-)Genehmigung getroffen ist. Die Antragsbegründung zeigt jedenfalls keine Gesichtspunkte auf, die die behördliche Bewertung der Sicherheit im Hinblick auf einen Störfall durchgreifend in Frage stellen würden. Bei summarischer Prüfung spricht vieles dafür, daß der Antragsgegner auch die Wechselwirkungen zwischen dem Betrieb des Brennelemente-Lagers und des Kernkraftwerks, insbesondere aufgrund der systemtechnischen Verbindung im Bereich der (Not)Kühlung und der Notstromversorgung, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 21.08.1996 - 11 C 9.95 -, BVerwGE 101, 347) mitzubewerten sind, hinreichend gewürdigt und im Ergebnis zutreffend bewertet hat. Eine Prüfung dieser Fragen im einzelnen muß jedoch dem Klageverfahren in der Hauptsache vorbehalten bleiben.

Außerdem liegt es im öffentlichen Interesse, daß das Kernkraftwerk Obrigheim, solange es in Betrieb ist, die anfallenden radioaktiven Abfälle ordnungsgemäß entsorgen kann. Hierzu ist es auch nach Einschätzung des Senats erforderlich, daß die Beigeladene das durch die angefochtene Genehmigung zugelassene externe Brennelemente-Lager im Notstandsgebäude alsbald errichten und betreiben kann. Die Beigeladene und der Antragsgegner haben nachvollziehbar dargelegt, daß die Kapazität des bereits bestehenden internen Brennelemente-Lagers nicht ausreicht, um jedenfalls alle Brennelemente aus dem voraussichtlich Mitte des Jahres 2000 anstehenden Brennelementewechsel aufzunehmen. Es ist nicht zu erwarten, daß bis dahin das Hauptsacheverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Auch ist es einleuchtend, daß dieser Brennelementewechsel nicht nur bezüglich der Errichtung der notwendigen Wandverstärkung und des Einbaus der Brennelement-Lagergestelle, sondern auch bezüglich der Inbetriebnahme des Brennelement-Lagerbeckens einen zeitlichen Vorlauf erfordert, da auszuwechselnde Brennelemente nach dem Inhalt des Genehmigungsbescheids nicht unmittelbar, sondern im Regelfall erst nach einem Jahr Abklingzeit aus dem internen Lagerbecken in das externe Brennelemente-Lager verbracht werden dürfen (1.1 der Nebenbestimmungen). Danach erscheint die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung der Genehmigung jedenfalls für den jetzigen für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Zeitpunkt gerechtfertigt.

Dem können die Antragstellerinnen nicht entgegenhalten, daß der Brennelementewechsel im Jahre 2000 ohne Inanspruchnahme des externen Brennelemente-Lagers durchgeführt werden könne, weil die Beigeladene nach dem mit der französischen Firma C. abgeschlossenen Vertrag noch berechtigt sei, gerade so viele Brennelemente (18) nach Frankreich zur Wiederaufarbeitung zu verbringen, wie sie in ihrem internen Brennelementelager nicht mehr unterbringen könne. Denn der Antragsgegner und die Beigeladene haben glaubhaft dargelegt, daß eine Verbringung nach Frankreich, weil derzeit die erforderlichen Transportgenehmigungen nicht erteilt würden und keine zugelassenen Transportbehälter zur Verfügung stünden, unmöglich oder jedenfalls nicht gesichert sei. Auch die Antragstellerinnen verkennen ersichtlich diese Schwierigkeit nicht, da sie selbst davon ausgehen, daß es "sehr gut möglich" sei, daß vor dem Brennelementewechsel 2000 ein Transport nach Frankreich wieder erfolgen könne. Auf eine derartig unsichere Entsorgungsalternative braucht die Beigeladene sich aber nicht verweisen zu lassen. Im öffentlichen Interesse an einer ordnungsgemäßen Entsorgung ist es vielmehr nicht zu beanstanden, daß sie durch eine rechtzeitige Fertigstellung und Inbetriebnahme des externen Brennelement-Lagerbeckens Vorsorge dafür treffen will, daß eine ordnungsgemäße Entsorgung auch dann möglich bleibt, wenn sich die Verbringung nach Frankreich vor dem Brennelementewechsel 2000 nicht verwirklichen läßt. Auch begegnet es keinen Bedenken, daß sich die Beigeladene mit einer Zwischenlagerung die Option für eine spätere direkte Endlagerung als nach § 9a AtG zulässige Entsorgungsalternative offen hält.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen ist die Beigeladene auch nicht verpflichtet, die Brennelemente, soweit sie im internen Brennelemente-Lager nicht mehr untergebracht werden können, zu einem deutschen Zwischenlager zu verbringen. Es gehört zur Entscheidungsfreiheit der Beigeladenen, unter verschiedenen zulässigen Entsorgungsalternativen die aus ihrer Sicht sachgerechteste auszuwählen. Daß die Beigeladene hierbei auch die Schwierigkeiten und Kosten berücksichtigt, die durch die Störung von Transporten in ein zentrales Zwischenlager entstehen können, ist nicht zu beanstanden. Die von den Antragstellerinnen insoweit herangezogene Parallele zu den polizeirechtlichen Grundsätzen über die Inanspruchnahme von Störern und Nichtstörern geht an der Sache vorbei.

Zugunsten des öffentlichen Interesses und des Interesses der Beigeladenen am Sofortvollzug ist schließlich auch zu berücksichtigen, daß durch die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs kein Zustand geschaffen wird, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. Die Brennelemente könnten bei einem Erfolg der Antragstellerinnen in der Hauptsache wieder aus dem externen Brennelement-Lagerbecken entfernt werden und - wenn auch möglicherweise unter Inkaufnahme von Schwierigkeiten und Kosten - jedenfalls in ein zentrales deutsches Zwischenlager verbracht werden, sobald Transporte dorthin wieder zugelassen sind.

Gegenüber diesen für die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung der Genehmigung streitenden Interessen muß das Interesse der Antragstellerinnen an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen zurücktreten. Zwar haben vor allem die Rechtsgüter Leben und Gesundheit, zu deren Schutz die Antragstellerinnen die erforderliche Vorsorge beanspruchen, einen hohen Rang. Die Antragstellerinnen haben jedoch - wie ausgeführt - einen Erfolg ihrer Klagen nicht als hinreichend wahrscheinlich dartun können. Es ist zudem zu berücksichtigen, daß es bei Beurteilung dieser Erfolgsaussichten nicht um die Bewertung von Gefahren, sondern um die Frage einer Risikoerhöhung im vorgelagerten Bereich der Vorsorge geht. Auch dies läßt es als zumutbar erscheinen, daß die Antragstellerinnen den Vollzug der Genehmigung vorläufig hinnehmen. Es kommt weiter hinzu, daß die gutachtlich gestützten Bewertungen des Antragsgegners und auch die Besorgnisse der Antragstellerinnen davon ausgehen, daß das Brennelement-Lagerbecken mit 980 Positionen einschließlich einer Kernauslagerung im Notfall voll belegt ist. Von einer derartigen Belegung ist bei der anstehenden Inbetriebnahme des Brennelemente-Lagers nicht auszugehen, da dieses erst nach und nach entsprechend den betrieblichen Bedürfnissen aufgefüllt werden soll. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang die Besorgnis der Antragstellerinnen unbegründet, es könnten Brennelemente aus anderen Kernkraftwerken eingelagert werden. Dies ist durch Abschnitt I Nr. 2 der Genehmigung ausdrücklich ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten den Antragstellerinnen aufzuerlegen.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 25 Abs. 2 Satz 1, 20 Abs. 3 und 13 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. Abschnitt II Nr. 4.2 und Abschnitt I Nr. 7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, 563).

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.