VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.06.1998 - 3 S 3067/97
Fundstelle
openJur 2013, 10786
  • Rkr:

1. § 1 Abs 6 BauGB vermittelt nur dann ein die Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs 2 S 1 VwGO begründendes subjektives Recht auf gerechte Abwägung, wenn die betroffenen Belange des Antragstellers auf einer materiellen Rechtsposition beruhen (aA: VGH Bad-Württ, NK-Urteil vom 13.05.1997 - 8 S 2814/96 -, VBlBW 1997, 426).

Tatbestand

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bebauungsplan "...-..." der Antragsgegnerin vom 25.6.1996.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flst.-Nr. 2064 im Ortsteil ... der Antragsgegnerin. Das mit einem Wohnhaus und einer Garage bebaute Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans "..." aus dem Jahre 1973 und ist als reines Wohngebiet ausgewiesen. Das Plangebiet endet an der Nordgrenze des Grundstücks der Antragstellerin. Entlang dieser Grenze verläuft in einem Abstand von ca. 5,00 m zum Wohnhaus der Antragstellerin ein landwirtschaftlicher Weg.

Der Gemeinderat der Antragsgegnerin beschloß am 1.9.1992 die Aufstellung des Bebauungsplans "...-...". Dessen Plangebiet schließt sich nördlich bzw. östlich an den von den Bebauungsplänen "..." und "..." umfaßten Bereich an und weist auf einer ca. 2,21 ha großen Fläche (in Nord-Süd-Richtung ca. 270 m lang, im Norden ca. 120 m und im Süden ca. 70 m breit) ein reines Wohngebiet aus. Die Erschließung des nördlichen Teils des Plangebiets soll durch zwei als Mischfläche für Kraftfahrzeuge und Fußgänger ausgewiesene Sackgassen mit Wendeplatten erfolgen, die jeweils acht Bauplätze erschließen. Auf jedem Bauplatz sind entweder Einzelhäuser mit maximal drei Wohnungen oder Doppelhäuser mit jeweils maximal zwei Wohnungen zulässig. Die westliche der beiden Sackgassen verläuft in ihrem südlichen Teil teilweise entlang der Nordgrenze des Grundstücks der Antragstellerin. Entlang der nordwestlichen, der nördlichen und der östlichen Plangebietsgrenzen sind private und öffentliche Grünflächen zwischen drei und acht Meter Breite vorgesehen. Außerdem schreibt der Bebauungsplan Pflanzgebote bzw. Pflanzbindungen für Einzelbäume vor.

Die frühzeitige Bürgerbeteiligung erfolgte am 27.1.1993. Der vom Gemeinderat gebilligte Entwurf wurde in der Zeit vom 18.12.1995 bis 26.1.1996 und erneut vom 29.4.1996 bis 28.5.1996 öffentlich ausgelegt. Der Gemeinderat der Antragsgegnerin beschloß den Bebauungsplan am 25.6.1996 als Satzung. Der Bebauungsplan trat mit der Bekanntmachung der Durchführung des Anzeigeverfahrens am 21.12.1996 in Kraft.

Im Flächennutzungsplan des Verwaltungsraums Sinsheim aus dem Jahr 1986 ist der Bereich des geplanten Baugebiets als landwirtschaftliche Fläche dargestellt. Das Plangebiet liegt außerdem in dem 1990 festgesetzten Landschaftsschutzgebiet "... Höhen".

Die Antragstellerin hatte bereits mit Schreiben vom 10.1.1996 Bedenken gegen die beabsichtigte Straßenführung erhoben und die Erschließung der acht Bauplätze nördlich ihres Grundstücks durch eine Stichstraße von Westen her angeregt. Die entlang der Nordgrenze ihres Grundstücks geplante Stichstraße sei ihr unzumutbar, da sich dort das Fenster ihres Schlafzimmers befinde.

Am 5.12.1997 hat die Antragstellerin das vorliegende Normenkontrollverfahren eingeleitet. Zur Begründung trägt sie vor, die Antragsgegnerin habe ihren Anspruch auf angemessene Berücksichtigung ihres Interesses an der Abwehr der mit dem Zu- und Abgangsverkehr zum neuen Plangebiet verbundenen Immissionen verletzt. Hieraus folge die Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Dies gelte selbst dann, wenn die zusätzliche Belastung ihres Grundstücks durch Verkehrslärm gering sein sollte. Der Bebauungsplan sei inhaltlich fehlerhaft, weil er nicht aus dem Flächennutzungsplan entwickelt worden sei. Ein Ausgleich des durch die Planung bewirkten Eingriffs in den von der Landschaftsschutzverordnung "... Höhe" geschützten Außenbereich sei nicht ersichtlich. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, daß der Landschaftsplan empfehle, die Siedlungsentwicklung nicht weiter in die freie Landschaft auszudehnen. Die Belange des Bodenschutzes seien ebenfalls nicht berücksichtigt. Die Ausweisung eines reinen Wohngebiets in dem landwirtschaftlich strukturierten Bereich sei problematisch. Schließlich entspreche die Planung auch nicht der Vorgabe des § 1 Abs. 5 Nr. 8 BauGB, wonach die Belange des Verkehrs in die Abwägung einzustellen seien. Die einzige geplante Zufahrtsmöglichkeit führe durch den alten Ortskern über eine Straße, welche den Verkehrssicherheitsanforderungen nicht genüge. Alternativen, die die Immissionsschutzprobleme besser lösten, insbesondere die Erschließung von Westen her, habe die Antragsgegnerin nicht ausreichend geprüft.

Die Antragstellerin beantragt,

den Bebauungsplan "...-..." der Antragsgegnerin vom 25.6.1996 fürnichtig zu erklären.Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.Sie ist der Auffassung, der Antragstellerin stehe nach der Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO keine Antragsbefugnis zu. Aufgrund der Angleichung der Antragsbefugnis an die Klagebefugnis des § 42 Abs. 2 VwGO sei nunmehr erforderlich, daß ein Antragsteller die Möglichkeit einer Rechtsverletzung geltend machen könne. Die bloße Beeinträchtigung von Interessen, wie sie die Antragstellerin geltend mache, sei nicht ausreichend. § 1 Abs. 6 BauGB vermittle keinen Anspruch auf gerechte Abwägung privater Interessen. Im übrigen weise der Bebauungsplan keine beachtlichen Mängel auf. Der Gemeinderat habe die Bedenken der Antragstellerin geprüft und diese mit Schreiben vom 31.10.1996 zurückgewiesen. Alternativen zu der vorgesehenen Erschließung des Neubaugebiets bestünden nicht. Eine Stichstraße von Westen her komme deshalb nicht in Betracht, weil hierfür ein im Bebauungsplan "..." ausgewiesenes Baugrundstück in Anspruch genommen werden müßte. Der Eingriff in Natur und Landschaft sei unvermeidlich, da der mit 268 Einwohnern kleinste Stadtteil ... eine unzureichende Infrastruktur aufweise und dies zu einer Abwanderung speziell der jungen Bevölkerung führe. Die Erreichung der erforderlichen Mindestzahl von 350 bis 400 Einwohnern sei bisher daran gescheitert, daß kein Bauland zur Verfügung stehe. Nahezu der gesamte Stadtteil sei vom Landschaftsschutzgebiet umschlossen. Da es sich bei dem Plangebiet vorwiegend um Ackerfläche handle, der sonstige Außenbereich aber ökologisch hochwertiger einzustufen sei, bilde das geplante Neubaugebiet die einzig mögliche Baufläche. Im Hinblick auf den zwingenden Wohnbauflächenbedarf habe deshalb der Regionalverband Unterer Neckar mit Schreiben vom 18.2.1994 seine raumordnungsrechtlichen Bedenken zurückgestellt. Aus den gleichen Gründen habe auch das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis mit Schreiben vom 22.1.1996 die notwendige Befreiung von den Bestimmungen der Landschaftsschutzverordnung "... Höhen" erteilt. Entsprechend der Empfehlung der unteren Naturschutzbehörde sei als Eingriffsausgleich ein 8 m breiter Wiesenstreifen entlang der östlichen Baugebietsgrenze ausgewiesen worden. Die Belange des Verkehrs seien sorgfältig geprüft worden. Durch die Ausweisung von insgesamt 28 neuen Bauplätzen erfolge unter Berücksichtigung der Beschränkung der Zahl der Wohneinheiten im Bebauungsplan keine unvertretbare Verkehrsmehrbelastung der Ortsstraßen. Richtig sei, daß der Flächennutzungsplan das Plangebiet als landwirtschaftliche Fläche darstelle und insoweit noch kein Änderungsbeschluß gefaßt worden sei. Der Bebauungsplan sei aber als Abrundung der bereits bestehenden Wohngebiete "..." und "..." zu sehen und deshalb gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB aus dem Flächennutzungsplan entwickelt worden. Jedenfalls würde aber ein gemäß § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB unbeachtlicher Fehler vorliegen.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten des angefochtenen Bebauungsplans der Antragsgegnerin vor. Hierauf sowie auf die Akten des vorliegenden Verfahrens wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Gründe

Der Senat entscheidet gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch Beschluß. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist geklärt und die Beteiligten konnten zu den entscheidungserheblichen Rechtsfragen Stellung nehmen. Eine mündliche Verhandlung ist daher nicht erforderlich.

Der Antrag ist unzulässig, denn der Antragstellerin fehlt die Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der bis zum 1.1.1997 geltenden Fassung setzte die Antragsbefugnis voraus, daß durch den angefochtenen Bebauungsplan ein Nachteil eingetreten oder in absehbarer Zeit zu erwarten war. Ein Nachteil in diesem Sinne war zu bejahen, wenn der Antragsteller durch die angegriffene Satzung oder deren Anwendung in einem Interesse negativ betroffen wurde, das im Rahmen der planerischen Abwägung gemäß § 1 Abs. 6 BauGB berücksichtigt werden mußte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hätte sich die Antragstellerin nach den Umständen des vorliegenden Falls (bisher ruhige Wohnlage am Ortsrand/neue Erschließungsstraße für bis zu maximal 32 Wohneinheiten entlang der Grundstücksgrenze) und bei der "gebotenen nicht engherzigen Handhabung" wegen des zu erwartenden Kraftfahrzeugverkehrs auf einen Nachteil im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. berufen können (vgl. BVerwG, Beschluß vom 18.2.1994 - 4 NB 24.93 -, DVBl. 1994, 701; VGH Bad.-Württ., NK-Beschlüsse vom 25.11.1996 - 8 S 1151/96 -, ZfBR 1997, 162 und vom 14.5.1997 - 3 S 1682/96).

Auf der Grundlage der vorliegend anzuwendenden Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist die Antragsbefugnis dagegen zu verneinen. Denn die Antragstellerin hat keine hinreichend substantiierten Tatsachen vorgetragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, daß sie durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in ihren Rechten verletzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.3.1998 - 4 CN 6.97).

Der Gesetzgeber hat den durch die Lärmbeeinträchtigung von Anliegergrundstücken beim Bau einer neuen Straße ausgelösten Konflikt in den §§ 41 ff. BImSchG in Verbindung mit der 16. BImSchV einfachgesetzlich geregelt, so daß es für die Frage der Verletzung eines subjektiven Rechts nicht der Berufung auf die Grundrechte der Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 14 GG bedarf (vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 10. Aufl., § 42 RdNr. 90). Nach § 41 Abs. 1 BImSchG ist beim Bau öffentlicher Straßen sicherzustellen, daß durch diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Hierzu bestimmt die aufgrund des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG erlassene 16. BImSchV Grenzwerte sowie das Verfahren zur Ermittlung der Immissionen. Diese Grenzwerte dürfen zum Schutz der Nachbarschaft nicht überschritten werden. Der von anderen, bereits vorhandenen Verkehrswegen ausgehende Verkehrslärm bleibt bei der durch die Anlage 1 zu § 3 der 16. BImSchV vorgegebenen Ermittlung der Immissionen grundsätzlich unberücksichtigt. Allerdings darf die sich bei Einbeziehung der Lärmvorbelastung ergebende Gesamtbelastung nicht zu einer Gesundheitsgefährdung führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.3.1996 - 4 C 9.95 -, NVwZ 1996, 1003).

Die Frage der Gesamtbelastung stellt sich im vorliegenden Fall nicht, da aufgrund der Lage des Grundstücks der Antragstellerin eine relevante Lärmvorbelastung auszuschließen ist. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin käme deshalb nur in Betracht, wenn beim Bau der geplanten Sackgasse entlang der Nordgrenze ihres Grundstücks die Einhaltung der in § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16. BImSchV für reine Wohngebiete festgesetzten Immissionsgrenzwerte nicht sichergestellt wäre (vgl. OVG Münster, Urteil vom 23.1.1997 - 7a D 70/93.NE -, BauR 1997, 430, 433). Daß dies als reale Möglichkeit erscheint, hat die Antragstellerin nicht hinreichend substantiiert. Sie hat lediglich ausgeführt, sie habe ihr Schlafzimmerfenster zu der geplanten Straße hin ausgerichtet und fühle sich daher durch die Straßenführung beeinträchtigt. Damit hat sie nicht einmal geltend gemacht, sie befürchte eine Überschreitung der Grenzwerte des § 2 der 16. BImSchV, geschweige denn Tatsachen vorgetragen, die über eine bloße - für die Bejahung der Antragsbefugnis nicht ausreichende (vgl. zur Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO BVerwG, Urteil vom 21.8.1996 - 11 C 9.95 -, NVwZ 1997, 161 und Beschluß vom 21.1.1993 - 4 B 206.92 -, NVwZ 1993, 884; Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 RdNr. 44) - Behauptung hinaus für die Möglichkeit einer Rechtsverletzung sprechen könnten. Im übrigen bestehen auch objektiv keine Anhaltspunkte für eine mögliche Überschreitung der Grenzwerte. Nach den Erfahrungen des Senats aus zahlreichen anderen Verwaltungsrechtsfällen und Normenkontrollverfahren ist vielmehr bei einer Straße, die lediglich der Zufahrt zu maximal 32 Wohneinheiten dient, eine Überschreitung auszuschließen.

Die Antragstellerin kann sich zur Begründung der Antragsbefugnis nicht darauf berufen, ihr stehe aufgrund von § 1 Abs. 6 BauGB, wonach bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind, ein subjektives Recht auf angemessene Berücksichtigung ihrer Interessen im Rahmen der Abwägung auch dann zu, wenn die betroffenen Belange nicht auf einer materiellen Rechtsposition beruhen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 23.1.1997, a.a.O.; a.A.: VGH Bad.-Württ., NK-Urteil vom 13.5.1997 - 8 S 2814/96 -, VBlBW 1997, 426 und BayVGH, Urteil vom 4.6.1997 - 26 N 96.2963 -, BayVBl. 1997, 591). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll durch die Neuregelung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Gewährleistung des Individualrechtsschutzes als Zulassungsvoraussetzung ein stärkeres Gewicht erhalten und die Antragsbefugnis deshalb an die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltende Klagebefugnis angepaßt werden (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/3993, S. 10). Die Novellierung ist insoweit (prozessualer) Teil des gesetzgeberischen Konzepts zur Stärkung der "Planerhaltung", das auch in der Einführung der Antragsfrist von zwei Jahren und in den Bestimmungen über die Heilung beachtlicher Satzungsmängel in einem ergänzenden Verfahren (§ 215a Abs. 1 BauGB, § 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO) zum Ausdruck kommt (vgl. hierzu Berkemann, DVBl. 1998, 446, 460). Mit dieser Zielsetzung wäre es nicht vereinbar, aus § 1 Abs. 6 BauGB ein subjektives Recht auf Teilhabe bloßer privater Belange an der Abwägung abzuleiten mit der Folge, daß die Antragsbefugnis gegenüber der bisherigen Rechtslage nicht eingeschränkt (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., NK-Urteil vom 13.5.1997, a.a.O.), sondern im Hinblick auf die Anwendung der "Möglichkeitstheorie" bei der Geltendmachung einer Rechtsverletzung eher erweitert wäre (vgl. Dürr, NVwZ 1996, 105, 109). Auch das Bundesverwaltungsgericht ist in seinen - soweit ersichtlich bisher nicht veröffentlichten - Urteilen vom 10.3.1998 - 4 CN 6.97 - und 12.3.1998 - 4 CN 12.97 - davon ausgegangen, daß das Erfordernis einer (möglichen) Rechtsverletzung gegenüber dem früheren Nachteilsbegriff "enger gefaßt" worden ist und die Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO einen "nicht unerheblichen Eingriff" in die nach bisherigem Recht eröffnete Verfahrensposition eines Antragstellers darstellt.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Gesetzgeber sei schon während des Gesetzgebungsverfahrens von verschiedener Seite darauf hingewiesen worden, daß bei Anerkennung eines subjektiven Rechts auf Abwägung eine Beschränkung der Antragsbefugnis kaum erreicht werden könne, und habe diese Folge deshalb bewußt in Kauf genommen. Denn nach der (bisherigen) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf es des eine Handhabe für die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Planfeststellungsbeschlusses) bildenden subjektiven Rechts auf Abwägung bei der Anfechtung von Rechtssätzen nicht, weil ein Abwägungsmangel grundsätzlich - von Unbeachtlichkeitsvorschriften abgesehen - schon aus sich heraus zu deren Nichtigkeit führt und diese bei der Inzidentprüfung in anderen Verfahren, deren Entscheidung von der Gültigkeit der Satzung abhängt, zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.7.1977 - IV C 51.75 -, DÖV 1977, 826). An dieser Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht trotz teilweiser Kritik in der Literatur festgehalten (vgl. BVerwG, Beschluß vom 16.12.1992 - 4 B 202.92 -, Buchholz 406.11, § 3 BauGB Nr. 4). In seinem jüngeren Beschluß vom 28.7.1994 - 4 B 34.94 (NVwZ 1995, 598) - ist zwar von einem "subjektiven Recht aller Planbetroffenen ... auf eine gerechte Berücksichtigung ihrer Interessen im Rahmen einer (Bauleit-)Planung" die Rede. Gegenstand dieser Entscheidung war jedoch die Frage der Klagebefugnis eines Nachbarn gegen ein auf der Grundlage von § 33 BauGB genehmigtes Vorhaben, und die zitierte Feststellung ist ohne jede weitere Erläuterung bzw. Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung und deshalb hinsichtlich der vorliegend streitigen Frage ersichtlich ohne Problembewußtsein ergangen. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es deshalb nachvollziehbar, daß der Gesetzgeber in Kenntnis des Abwägungsgebots des § 1 Abs. 6 BauGB von einer durch die Neufassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO bewirkten Beschränkung der Antragsbefugnis ausgegangen ist. Die Möglichkeit, die objektive Nichtigkeit eines Bebauungsplans im Rahmen einer Inzidentprüfung geltend zu machen, ist durch die Neufassung unberührt geblieben. Insbesondere gilt insoweit die Zwei-Jahres-Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht (vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 13/3993, S. 10; Gerhardt, a.a.O., § 47 RdNr. 35; Lotz, BayVBl. 1997, 257, 259; a.A.: Eyermann/Jörg Schmidt, a.a.O., § 47 RdNr. 74).

Die Anerkennung eines aus § 1 Abs. 6 BauGB abgeleiteten Rechts auf gerechte Abwägung aller mehr als geringfügigen schutzwürdigen Interessen eines Antragstellers würde den erklärten Willen des Gesetzgebers nach einer Einschränkung der Antragsbefugnis in unzulässiger Weise unterlaufen. Im Interesse der angestrebten Stärkung des Individualrechtsschutzes kann das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB deshalb nur insofern Drittschutz vermitteln, als der Antragsteller mit einer materiellen Rechtsposition am Abwägungsvorgang teilnimmt. Soweit es - wie im vorliegenden Fall - um bloße Interessen geht, wirkt das Abwägungsgebot lediglich objektiv (vgl. allgemein Wahl/Schütz in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 42 RdNr. 257). Die unterschiedliche Auslegung der Abwägungsvorschriften im Fachplanungsrecht und in der Bauleitplanung findet ihre Rechtfertigung nach der o.a. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Verschiedenheit der Rechtsschutzsysteme gegen Planfeststellungsbeschlüsse einerseits und Satzungen andererseits (vgl. hierzu und zur Kritik an der BVerwG-Rechtsprechung im Fachplanungsrecht auch Schütz, VBlBW 1997, 428).

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die Frage, ob § 1 Abs. 6 BauGB ein im Rahmen von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO relevantes subjektives Recht auf gerechte Abwägung bloßer Interessen vermittelt, wird in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte unterschiedlich entschieden und stellt sich in zahlreichen Normenkontrollverfahren. Die Rechtsfrage bedarf deshalb im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts der höchstrichterlichen Klärung. Nach Auffassung des Senats ist sie im Revisionsverfahren auch unter Berücksichtigung des § 144 Abs. 4 VwGO entscheidungserheblich. Bejaht man ein Recht auf gerechte Abwägung bloßer Interessen, wäre die Antragstellerin antragsbefugt. Denn sie hat hinreichend dargelegt, daß ihre Interessen durch den zu erwartenden Kraftfahrzeugverkehr unmittelbar entlang der Nordgrenze ihres Grundstücks in abwägungsrelevanter Weise tangiert würden. Ihr Vorbringen, die Abwägung sei fehlerhaft erfolgt, weil die Antragsgegnerin die von ihr vorgeschlagenen umweltverträglicheren und ihr Grundstück schonenden Erschließungsalternativen nicht ausreichend geprüft habe, genügt auch den Anforderungen an die Geltendmachung eines möglichen Abwägungsmangels. Ob dieser tatsächlich vorliegt, wäre eine Frage der Begründetheit. Der Antrag hätte allerdings bereits deshalb Erfolg, weil der angefochtene Bebauungsplan in beachtlicher Weise gegen das Gebot der Entwicklung aus dem Flächennutzungsplan (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB) verstößt.

Im maßgeblichen Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin ist das Plangebiet unstreitig als landwirtschaftliche Fläche dargestellt. Außerdem wird das Plangebiet von der Landschaftsschutzverordnung "... Höhen" erfaßt. Dies zeigt, daß der Flächennutzungsplan eine bewußte und sinnvolle Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich getroffen hat mit der Folge, daß eine Verschiebung dieser Grenze regelmäßig einen Verstoß gegen das Entwicklungsgebot darstellt und eine Beeinträchtigung der sich aus dem Flächennutzungsplan ergebenden geordneten städtebaulichen Entwicklung (§ 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB) zu bejahen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.1975 - IV C 74.72 -, BRS 29 Nr. 8; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.11.1973 - II 838/73 -, BRS 27 Nr. 2; OVG Saarland, Urteil vom 26.3.1976 - 2 R 67.75 -, BRS 30 Nr. 2; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.12.1977 - 1 A 86.75 -, BRS 32 Nr. 12). Ausnahmsweise kann lediglich die Einbeziehung eines "Randstreifens" der Fläche für die Landwirtschaft in das Bebauungsplangebiet in Betracht kommen. Angesichts des im Verhältnis zur bisherigen Größe des Ortsteils ... der Antragsgegnerin erheblichen Umfangs der geplanten Baufläche kann aber von einer "Randfläche" keine Rede sein. Dies hat im übrigen ursprünglich auch die Antragsgegnerin so beurteilt und deshalb die entsprechende Fortschreibung des Flächennutzungsplans für erforderlich gehalten (vgl. Nr. II der Planbegründung).

Die weitere Frage, ob die Planabwägung im Hinblick auf die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (§ 8a BNatSchG a.F.) fehlerfrei erfolgt ist, kann dahingestellt bleiben.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.