VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.05.1997 - 8 S 1183/97
Fundstelle
openJur 2013, 10477
  • Rkr:

1. Eine Baugenehmigung ist in der Regel nicht deshalb widersprüchlich, weil die zeichnerischen Darstellungen in den Bauvorlagen nicht mit den dazu vermerkten Maßangaben übereinstimmen. Den Maßangaben kommt vielmehr in einem solchen Fall grundsätzlich der Vorrang zu.

Gründe

Die Anträge sind unbegründet. Die von den Antragstellern angeführten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. Die Sache besitzt entgegen der Ansicht der Antragsteller keine grundsätzliche Bedeutung. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerwG zum Begriff der grundsätzlichen Bedeutung im Sinn des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. etwa Beschl. v. 23.4.1996 - 11 B 96.95 -, Buchholz § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 10) ist diese Zulassungsvoraussetzung nur dann gegeben, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine grundsätzliche, ober- oder höchstgerichtlich noch nicht geklärte Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungs- oder Beschwerdeverfahren erheblich wäre und deren obergerichtliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Was die Zulassung der Beschwerde in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betrifft, muß es sich dabei um eine spezifisch auf diese Verfahrensart bezogene Fragestellung handeln (Senatsbeschluß vom 21.2.1997 - 8 S 483/97 - zum Abdruck vorgesehen in VBlBW 1997, Heft 7). Als in diesem Sinn grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnen die Antragsteller die Frage, ob sich in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren Widersprüche zwischen den in den Bauzeichnungen enthaltenen Maßangaben und den zeichnerischen Darstellungen dadurch beseitigen lassen, daß auf früher eingereichte Bauvorlagen und auf während des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens abgegebene Erklärungen des Bauherrn sowie auf nachträgliche Berechnungen der Baurechtsbehörde abgestellt wird. Ein spezifisch auf das Eilverfahren bezogenes Problem wird damit nicht aufgeworfen, da die Frage, ob und inwieweit Unklarheiten oder Widersprüche in den Bauvorlagen durch Auslegung oder durch nachträglich abgegebene Erklärungen der Beteiligten ausgeräumt werden können, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht anders beantwortet werden kann wie in einem Hauptsacheverfahren. Die genannte Frage ist im übrigen nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hält die Bauvorlagen für widersprüchlich, weil in den mit dem Änderungsbaugesuch vorgelegten Schnittzeichnungen die Bautiefe des Gebäudes mit 14 m angegeben ist, während die zeichnerische Darstellung eine Bautiefe von 14,5 m ergibt. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Soweit die Bauvorlagen Maßangaben enthalten, sind allein diese als verbindlich anzusehen. Darauf, ob diese Angaben mit den betreffenden zeichnerischen Darstellungen übereinstimmen, kommt es daher grundsätzlich nicht an. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Abweichung der zeichnerischen Darstellung von den Maßangaben, wie im vorliegenden Fall, ein bestimmtes, durch Zeichenungenauigkeiten zu erklärendes Ausmaß nicht überschreitet. Der vom Verwaltungsgericht angenommene Widerspruch besteht daher in Wirklichkeit nicht.

2. Eine Zulassung der Beschwerde kommt auch nach § 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in Betracht. Das Vorbringen der Antragsteller ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses des Verwaltungsgerichts zu begründen.

a) Das Verwaltungsgericht hat dahingestellt gelassen, ob das Vorhaben der Antragsgegnerin die im Bebauungsplan festgesetzte Zahl der Vollgeschosse überschreitet und ob die von der Beigeladenen angenommenen Voraussetzungen für die auf § 4 BauGBMaßnahmenG gestützte Zulassung der Überschreitung der Geschoßfläche vorliegen, da Anhaltspunkte für eine nachbarschützende Zielrichtung der hiervon betroffenen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht ersichtlich seien. Einwendungen hiergegen werden von den Antragstellern nicht erhoben. Hiervon ausgehend würden die Antragsteller, wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, durch einen etwaigen Verstoß gegen den Bebauungsplan nur dann in ihren Rechten verletzt, wenn mit der Abweichung von den genannten Festsetzungen zugleich eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verbunden wäre. Dies hat das Verwaltungsgericht jedoch ebenfalls zutreffend verneint.

Ob das Dachgeschoß des geplanten Gebäudes auf die Zahl der Vollgeschosse anzurechnen ist und das Vorhaben der Antragsgegnerin deshalb die im Bebauungsplan festgesetzte Zahl der Vollgeschosse überschreitet, hängt nach § 2 Abs. 8 Nr. 1 LBO 1972 davon ab, ob das Dachgeschoß über mindestens zwei Dritteln der Grundfläche des darunter liegenden Geschosses die für Aufenthaltsräume erforderliche lichte Höhe von 2,30 m aufweist. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts dürfte diese Grenze im vorliegenden Fall, wenn auch nur geringfügig, überschritten sein, da die lichte Höhe unter den Dachgauben mehr als 2,30 m betrage und deshalb auch die Fläche unterhalb der Dachgauben zu berücksichtigen sei. Die Auswirkungen eines solchen Verstoßes - der zugleich bedeutete, daß die Voraussetzungen für die auf § 4 Abs. 1 BauGBMaßnahmenG gestützte Zulassung der Überschreitung der zulässigen Geschoßfläche entfielen - sind jedoch, wie das Verwaltungsgericht zu Recht bemerkt, optisch kaum wahrnehmbar und wirken sich dementsprechend nicht erheblich zu Lasten der Antragsteller aus.

Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot läßt sich auch nicht dem Hinweis auf die Manipulationsmöglichkeiten begründen, die die von § 5 Abs. 4 S. 4 LBO 1995 zur Ermittlung der im Mittel gemessenen Wandhöhe vorgeschriebene sogenannte Eckpunktmethode nach Ansicht der Antragsteller ermöglicht. Manipulationen der Geländeoberfläche lassen sich entgegen ihrer Darstellung im Bereich der ihrem Grundstück zugewandten nordöstlichen Außenwand des geplanten Gebäudes nicht feststellen. Die vom Senat in seinem Beschluß vom 8.10.1996 - 8 S 2566/96 (BauR 1997, 92) - angesprochenen - sich bei der Berechnung der Wandhöhe zu Gunsten der Antragsgegnerin auswirkenden - Besonderheiten des Verlaufs der Geländeoberfläche in diesem Bereich werden von ihr nicht künstlich herbeigeführt, sondern entsprechen der bereits vorhandenen Situation.

b) Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, das Vorhaben der Antragsgegnerin verstoße in seiner geänderten Form nicht mehr gegen § 5 LBO, begegnet ebenfalls keinen ernsthaften Zweifeln. Wie der Senat bereits in seinem Beschluß vom 8.10.1996 dargelegt hat, sind die der Außenwand des (Haupt-) Gebäudes vorgelagerten Bauteile abstandsflächenrechtlich unerheblich, da nach § 6 Abs. 1 S. 1 LBO vor Außenwänden von Gebäuden und Gebäudeteilen, die eine Wandhöhe von nicht mehr als 1 m haben, Abstandsflächen nicht erforderlich sind. Daran ist trotz der Einwände der Antragsteller festzuhalten. Unter Gebäudeteilen sind wesentliche, konstruktiv in sich verhältnismäßig abgeschlossene Teile des gesamten Bauwerks zu verstehen, wie beispielsweise Geschosse, Treppenräume, Terrassen und Anbauten (vgl. Sauter, Komm. zur LBO, 3. Aufl., § 5 RdNr. 7). Das - z.T. oberirdisch in Erscheinung tretende - Untergeschoß sowie die zu diesem Geschoß führende Außentreppe fallen daher ohne weiteres unter diesen Begriff. Der möglicherweise als Begründung für ihre gegenteilige Auffassung gedachte Hinweis der Antragsteller, daß der von diesen Bauteilen zu ihrer Grenze eingehaltene Abstand z.T. deutlich unter 2 m liege, kann nicht verfangen, da § 6 Abs. 1 S. 1 LBO im Gegensatz zu § 5 Abs. 6 LBO eine entsprechende Einschränkung nicht enthält. Auch schließt § 5 Abs. 6 LBO, der, wie die Antragsteller zu Recht meinen, einen anderen Sachverhalt regelt, die Anwendung des § 6 Abs. 1 S. 1 LBO nicht aus. Ihr Vorwurf, die vom Senat in seinem Beschluß vom 8.10.1996 vertretene Auffassung vermenge unzulässigerweise die Regelung beider Vorschriften, fällt daher auf sie zurück.

3. Die Antragsteller machen schließlich erfolglos geltend, die Rechtssache besitze besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinn des § 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Insofern kann auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 S. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da das Kostenverzeichnis zum GKG einen Gebührentatbestand für das Zulassungsverfahren bisher nicht enthält.

Der Beschluß ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.