VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.02.1997 - 3 S 3455/96
Fundstelle
openJur 2013, 10377
  • Rkr:

1. Unbeschadet der sich aus § 58 Abs 1 S 1 LBO (BauO BW) ergebenden rechtlichen Selbständigkeit der Verfahren auf Erteilung einer Baugenehmigung und auf Erteilung einer Wohnraum-Zweckentfremdungsgenehmigung kann bei der baurechtlichen Prüfung des gemäß § 37 Abs 1 LBO (BauO BW) geforderten Stellplatznachweises die - als Ausgleich für den durch eine Nutzungsänderung (hier: Bistro statt Ladengeschäft) ausgelösten Mehrbedarf an Kraftfahrzeug-Stellplätzen geplante - Aufgabe von Wohnraum, ohne die der Nachweis nicht erbracht werden kann, nur dann berücksichtigt werden, wenn die Zweckentfremdungsgenehmigung bereits vorliegt oder ihre Erteilung aller Voraussicht nach zu erwarten ist.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß der Widerspruch des Antragstellers gegen die mit Bescheid vom 24.4.1996 unter Anordnung des Sofortvollzugs erfolgte Rücknahme der ihm für die Nutzungsänderung des ihm gehörenden Gebäudes erteilten Baugenehmigung (Einbau eines Bistros statt eines Ladengeschäfts sowie Umwandlung von zwei Wohnungen in Abstellräume) aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Wirksamkeit der Rücknahme überwiegt deshalb das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.

Dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin kann zunächst nicht entgegengehalten werden, daß der Antragsteller wegen der anhängigen Nachbarwidersprüche von der Änderungsbaugenehmigung vom 30.10.1995 derzeit ohnehin keinen Gebrauch machen kann. Denn es ist nicht auszuschließen, daß die Widersprüche wegen fehlender subjektiver Rechtsverletzung der betroffenen Nachbarn keine Erfolgsaussichten besitzen und deshalb insoweit - also in (isolierter) Abwägung mit den geltend gemachten Nachbarbelangen - am Bestehen des vom Antragsteller im ebenfalls beim Senat anhängigen Parallelverfahren (3 S 34454/96) verfolgten Anspruchs auf Anordnung des Sofortvollzugs der Baugenehmigung keine durchgreifenden Bedenken bestünden.

Die im vorliegenden Verfahren streitige Rücknahme der Baugenehmigung dürfte nicht zu beanstanden sein, denn bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung erweist sich die Änderungsbaugenehmigung vom 30.10.1995 als rechtswidrig im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 1 LVwVfG und es überwiegt das öffentliche Interesse an ihrer Aufhebung das auch im Rahmen von § 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 LVwVfG zu berücksichtigende Vertrauensinteresse des Antragstellers.

Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung kann offenbleiben, ob die Behauptung der Antragsgegnerin zutrifft, sie habe den aufgrund der Umnutzung des Ladengeschäfts in ein Bistro - ohne Berücksichtigung der im Wohnbereich des Gebäudes geplanten Änderungen - entstehenden Stellplatzmehrbedarf (vgl. § 39 Abs. 1 S. 3 LBO 1983/§ 37 Abs. 2 S. 1 LBO 1995) fehlerhaft berechnet (3 statt richtigerweise 4 zusätzliche Stellplätze). Dahingestellt bleiben kann auch, ob vorliegend nicht die inzwischen geänderten Stellplatzregelungen (vgl. § 37 Abs. 1 LBO 1995 sowie die VwV-Stellplätze des Wirtschaftsministeriums vom 16.4.1996, GABl. Seite 289) Anwendung finden, wofür zum einen der Zeitpunkt der Genehmigungsrücknahme und zum anderen die auf die Weitergeltung der ihm erteilten Baugenehmigung gerichtete Interessenlage des Antragstellers spricht. Denn auch nach Auffassung des Antragstellers - gegen dessen Berechnungsgrundlagen das Verwaltungsgericht allerdings zu Recht erhebliche Bedenken geltend gemacht hat - löst die Einrichtung eines Bistros statt des genehmigten Ladengeschäfts einen Mehrbedarf von mindestens einem Stellplatz aus. Diesen Mehrbedarf, der in den der Änderungsbaugenehmigung zugrundeliegenden Bauvorlagen nicht berücksichtigt worden ist, hat er - in Absprache mit der Antragsgegnerin - dadurch zu kompensieren versucht, daß er auf die Errichtung von zwei im bereits genehmigten Sanierungskonzept vorgesehene Wohnungen verzichtet hat (vgl. das Schreiben des Antragstellers an die Antragsgegnerin vom 10.10.1995). Die Antragsgegnerin hat das Bauvorhaben dementsprechend mit der Maßnahme genehmigt, daß "die Räume der beiden Wohnungen im 1. Obergeschoß nur zum Abstellen für private Zwecke genutzt" werden (gemeint sind nach den mit Grüneintrag sowie textlichen Anmerkungen versehenen Bauvorlagen die Wohnungen Nr. 1 im EG und Nr. 2 im 1. OG). Der "Verzicht" auf zwei Wohnungen dürfte jedoch - hiervon ist die Antragsgegnerin im Ergebnis dann auch im angefochtenen Rücknahmebescheid ausgegangen - bei den Besonderheiten des vorliegenden Falls aller Voraussicht nach ohne Einfluß auf den Stellplatzmehrbedarf geblieben sein.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Änderungsbaugenehmigung vom 30.10.1995 nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil die genehmigte Umnutzung von Wohnraum in Abstellfläche unter das Wohnraum-Zweckentfremdungsverbot gemäß Art. 6 § 1 Abs. 1 MRVerbG in Verbindung mit der Fünften Verordnung der Landesregierung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum vom 25.10.1993 (GBl. S. 630) fällt und der Antragsteller keine entsprechende Genehmigung eingeholt hat. Denn die Erteilung einer Baugenehmigung nach der Landesbauordnung für Baden- Württemberg und die Erteilung einer Genehmigung für die Zweckentfremdung von Wohnraum werden in zwei selbständigen Verfahren erteilt. Eine Reihenfolge für die Beantragung ist weder vorgeschrieben noch ergibt sie sich aus dem Zweck der Genehmigungen.

Das Verhältnis von Baugenehmigung und Zweckentfremdungsgenehmigung richtet sich nach dem jeweiligen Landesrecht (vgl. BVerwG, Beschluß vom 6.11.1996 - 4 B 213.96 - und Beschluß vom 25.10.1995 - 4 B 216.95 -, DVBl. 1996, 57). Gemäß § 58 Abs. 1 S. 1 LBO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem genehmigungspflichtigen Vorhaben keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden (diese Einschränkung fehlt in dem dem Beschluß des BVerwG vom 6.11.1996 - 4 B 213.96 - zugrundeliegenden § 70 Abs. 1 S. 1 HBO 1993) öffentlich- rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Nicht von der Baurechtsbehörde zu prüfen sind deshalb diejenigen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen, die von einer anderen Behörde in einem gesonderten Verfahren geprüft werden und Gegenstand einer selbständigen Entscheidung in Form eines Verwaltungsakts sind. Die Baurechtsbehörde ist weder berechtigt noch verpflichtet, solche anderen spezialgesetzlichen Vorschriften in ihre Prüfung mit einzubeziehen. Es ist vielmehr Sache des Bauherrn, beide Entscheidungen einzuholen. § 58 Abs. 1 S. 1 LBO sieht nicht vor, daß die Baugenehmigung den Schlußpunkt einer umfassenden öffentlich-rechtlichen Prüfung bilden muß (vgl. VGH Baden- Württemberg, Urteil vom 19.7.1990 - 5 S 1384/89 -, NVwZ-RR 1991, 284; Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Aufl., § 58 RdNrn. 54ff.; OVG Hamburg, Urteil vom 25.3.1976 - Bf II 32/75 -, MDR 1976, 1050 = DÖV 1977, 257 - nur Leitsatz - zu § 100 HBauO 1974).

Im vorliegenden Fall besteht allerdings hinsichtlich der Verpflichtung zum Nachweis der erforderlichen Stellplätze aufgrund der vom Antragsteller selbst vorgenommenen Verknüpfung eine inhaltliche Abhängigkeit beider Verfahren. Da der Antragsteller offensichtlich mehr als die sieben bereits bestehenden bzw. bestandskräftig genehmigten Stellplätze in einer den Anforderungen des § 37 Abs. 4 LBO genügenden Weise nicht herstellen kann und die Antragsgegnerin eine Ablösung weiterer Stellplätze verweigert, ist der Stellplatznachweis für den durch das geplante Bistro ausgelöste Mehrbedarf nur dann möglich, wenn der Antragsteller hierzu bisher für Wohnraum erforderliche Stellplätze umwidmet. Dieses - in der Änderungsbaugenehmigung hinsichtlich der beiden dort genannten Wohnungen genehmigte - Vorgehen ist jedoch mit dem Sinn und Zweck der Stellplatzverpflichtung gemäß § 39 Abs. 1 LBO 1983/§ 37 Abs. 1 LBO 1995 nicht zu vereinbaren. Richtet der Antragsteller zunächst das Bistro ein und wird ihm dann später die Wohnraum- Zweckentfremdung nicht genehmigt mit der Folge, daß er zur (Wieder-)Aufnahme der Wohnnutzung verpflichtet wäre, käme die Antragsgegnerin wohl um eine Zustimmung zur Ablösung der insoweit zusätzlich benötigten Stellplätze nicht herum. Damit würde genau der Zustand herbeigeführt, der zwar den Interessen des Antragstellers entspricht (vgl. das Schreiben des Antragstellers an die Antragsgegnerin vom 26.5.1995), der aber im öffentlichen Interesse an der Verhinderung der weiteren Verschärfung der Parkraumnot in der Altstadt der Antragsgegnerin verhindert werden soll. Ein den bauordnungsrechtlichen Anforderungen genügender Stellplatznachweis für das Bauvorhaben kann deshalb nur dann als erbracht angesehen werden, wenn dem Antragsteller die Zweckentfremdung von Wohnraum genehmigt worden oder mit der Erteilung der Genehmigung aller Voraussicht nach zu rechnen ist. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Der Antragsteller hat bisher nach Aktenlage noch keinen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung nach der Zweckentfremdungsverordnung gestellt. Seine gegen die Genehmigungsbedürftigkeit erhobenen Bedenken überzeugen nicht. Das Verwaltungsgericht, auf dessen Ausführungen insoweit Bezug genommen wird (§ 122 Abs. 2 S. 3 VwGO), hat zutreffend dargelegt, daß von einer offensichtlichen Entbehrlichkeit des Zweckentfremdungsverbots wegen eines deutlich in Erscheinung getretenen Endes der Mangellage auf dem Wohnungsmarkt keine Rede sein kann. Bis zur Erteilung der Änderungsbaugenehmigung vom 30.10.1995 ist der von der Umnutzung betroffene Wohnraum auch als solcher genutzt bzw. bestimmt gewesen. Unerheblich ist, ob nach der früheren Grundrißgestaltung in dem Gebäude sechs Wohnungen (so die Antragsgegnerin), fünf Wohnungen (so der Antragsteller im Schreiben vom 26.5.1995) oder nur vier Wohnungen (so der Antragsteller in der Beschwerdebegründung) vorhanden waren. Da das ganze Haus ursprünglich der Wohnnutzung gedient hat, wird die gesamte Fläche unabhängig von der geplanten Grundrißaufteilung vom Zweckentfremdungsverbot erfaßt. Der Begründung des Rücknahmebescheids vom 24.4.1996 ist zu entnehmen, daß die Antragsgegnerin die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme vom Verbot nicht für gegeben ansieht. Mit einer entsprechenden Genehmigung ist deshalb aus heutiger Sicht nicht zu rechnen.

Die im Ermessenswege getroffene Entschließung für den Erlaß des Rücknahmebescheids ist nicht zu beanstanden. Zugunsten des Antragstellers ist zwar zu berücksichtigen, daß die Antragsgegnerin die fehlende Genehmigungsfähigkeit des in Absprache mit ihr eingereichten Baugesuchs von Anfang an hätte erkennen müssen und die Baurechtsbehörde deshalb ein erhebliches Verschulden trifft. Dies führt jedoch nicht zu einem überwiegenden Vertrauensschutz des Antragstellers. Aufgrund der von ihm gewählten Verknüpfung des Stellplatznachweises mit der Entwidmung von Wohnraum kann sich sein Vertrauen von vorne herein nicht isoliert auf die genehmigte Errichtung des Bistros, sondern allein auf die Durchführung des Gesamtvorhabens bezogen haben. Da hierfür aber neben der Baugenehmigung die Erteilung einer Genehmigung nach der Zweckentfremdungsverordnung erforderlich war, konnte er allein aus der Baugenehmigung noch kein schützenswertes Vertrauen auf die Realisierung seines Projekts ableiten. Die Antragsgegnerin hat deshalb ermessensfehlerfrei dem öffentlichen Interesse daran, nur solche Bauvorhaben zu genehmigen, deren Verwirklichung nicht zu einer Verschärfung der angespannten Parksituation in ihrer Altstadt führen, den Vorrang eingeräumt. Offenbleiben kann, ob die rechtswidrige Baugenehmigung auch unter den erleichterten Voraussetzungen des § 50 LVwVfG anläßlich der anhängigen Nachbarwiderspruchsverfahren hätte aufgehoben werden können (dies käme nur in Betracht, wenn die Nachbarwidersprüche nicht unzulässig und auch nicht offensichtlich unbegründet wären - vgl. VGH Baden- Württemberg, Beschluß vom 29.12.1986 - 3 S 2336/86 -, BWVPr 1987, 89 und Urteil vom 6.5.1996 - 8 S 270/96 -, VBlBW 1996, 380).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 25 Abs. 2, 20 Abs. 3 und 13 Abs. 1 S. 1 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.