BGH, Urteil vom 28.03.2001 - IV ZR 19/00
Fundstelle
openJur 2010, 3659
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 17. Dezember 1999 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 24. Februar 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein mit der satzungsgemäßen Aufgabe, Verbraucherinteressen wahrzunehmen; er ist in der Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 22a AGBG eingetragen. Die Beklagte schließt Versicherungsverträge mit Reiseveranstaltern, mit denen diese ihrer Verpflichtung aus § 651k BGB zur Absicherung des Risikos der Zahlungsunfähigkeit oder der Insolvenz entsprechen wollen.

Die Beklagte stellt den Reiseveranstaltern im Rahmen eines solchen Vertrages Sicherungsscheine ("Sicherungsschein/Versicherungsausweis") zur Verfügung, die zur Aushändigung an den Reisenden bestimmt sind. Nach dem Inhalt des Sicherungsscheins leistet die Beklagte "Entschädigung an den Reisenden in Höhe des gezahlten Reisepreises und zusätzlicher, notwendiger Rückreisekosten gemäß § 651k BGB, soweit Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit oder Konkurses des Reiseveranstalters ausfallen". Für die Zeit vor Reisebeginn ist zudem geregelt:

"Vor Reisebeginn besteht ausschließlich für folgende Zahlungen Versicherungsschutz:

Für Anzahlungen: Bis zu 10% des Reisepreises, die jedoch nicht mehr als 500 DM betragen dürfen.

Für weitere Zahlungen: Frühestens einen Monat vordem aus der Buchungsbestätigung ersichtlichen Reisebeginn.

Höhere Anzahlungen oder frühere Zahlungen des Reisepreises sind nicht versichert."

Im Verhältnis zur Beklagten verpflichten sich die Reiseveranstalter, mit dem Reisenden keine von diesen Regelungen abweichenden Zahlungsbedingungen zu vereinbaren.

Mit Schreiben vom 16. Februar 1998 beanstandete der Kläger die im Sicherungsschein hinsichtlich der Zahlungen vor Reisebeginn enthaltenen Klauseln. Die Beklagte lehnte es ab, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Der Kläger ist der Auffassung, die beanstandeten Klauseln verstießen als Allgemeine Geschäftsbedingungen gegen § 9 AGBG.

Der Kläger hat beantragt, der Beklagten unter Ordnungsgeldandrohung zu untersagen, die beanstandeten Klauseln in Zusammenhang mit Verträgen über die Versicherung von Reiseleistungen zu verwenden oder sich auf diese Klauseln zu berufen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Berufungsgericht (NVersZ 2000, 398) hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts führen die angegriffenen Klauseln nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung der Reisenden; sie seien insbesondere mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in § 651k BGB zu vereinbaren.

Die Vorschrift des § 651k BGB ziele darauf, den Reisenden vor Schäden infolge von Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des Reiseveranstalters abzusichern. Fordere der Reiseveranstalter Zahlungen auf den Reisepreis schon vor Beendigung der Reise, müsse die Absicherung auch solche Zahlungen erfassen. Dazu habe der Reiseveranstalter -wie sich aus § 651k Abs. 3, 4 BGB ergebe -die Möglichkeit, dem Reisenden einen Sicherungsschein zu übergeben und ihm so einen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer zu verschaffen (§ 75 Abs. 2 VVG). Aus § 651k Abs. 4 BGB folge also letztlich, daß der Reiseveranstalter von seinem Kunden nur versicherte Zahlungen verlangen dürfe. Dazu aber sei der Reiseveranstalter hier im Verhältnis zur Beklagten aufgrund der mit dieser getroffenen vertraglichen Absprache verpflichtet, die ihn anhalte, mit seinen Kunden nur dem Sicherungsschein kongruente Zahlungsbedingungen zu vereinbaren. Bei Einhaltung dieser Zahlungsbedingungen durch den Reiseveranstalter und den Kunden sei mithin dem Grundgedanken des § 651k Abs. 4 BGB Genüge getan. Verlange oder erhalte der Reiseveranstalter dagegen Zahlungen, die er mangels Dekkung durch den Versicherer weder fordern noch vereinnahmen dürfe, liege darin ein Verstoß des Reiseveranstalters gegen § 651k Abs. 4 BGB, der gemäß § 651l BGB zur Nichtigkeit der zum Nachteil des Reisenden abweichenden Vereinbarung führe. Wenn aber im Reisevertrag vereinbarte Fälligkeitsregelungen, die vom Versicherungsschutz nicht erfaßt werden, mit der Folge nichtig seien, daß sich der Reisende hierauf nicht einzulassen brauche, werde er auch dadurch nicht unangemessen benachteiligt, daß sich der Versicherer darauf berufe, der Reisende habe ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung zu früh und/oder zuviel bezahlt. Denn das Ausfallrisiko beruhe hier ausschließlich darauf, daß der Reisende eine Leistung erbracht habe, die zu erbringen er nicht verpflichtet gewesen sei.

Diesen Erwägungen folgt der Senat nicht.

2. a) Allerdings geht das Berufungsgericht bei Prüfung des Unterlassungsanspruchs nach § 13 AGBG zunächst zutreffend davon aus, daß die Beklagte -und nicht der Reiseveranstalter -Verwender (§§ 13 Abs. 1, 1 Abs. 1 AGBG) der streitbefangenen Klauseln ist. Denn sie regeln als vorformulierte Vertragsbedingungen der Beklagten im Rahmen des zwischen ihr und dem Reiseveranstalter geschlossenen Versicherungsvertrages den Umfang des dem Reisenden bei Zahlungen vor Reiseantritt zu gewährenden Versicherungsschutzes. Das Berufungsgericht hat dieses Vertragsverhältnis mit Recht als Versicherung für fremde Rechnung (§§ 74, 75 VVG), den Reisenden als den Versicherten angesehen, dem mit Aushändigung des Sicherungsscheins -in konkludenter Abänderung der §§ 75 Abs. 2, 76 Abs. 1 VVG (vgl. Römer in Römer/ Langheid, VVG §§ 75, 76 Rdn. 19) -ein unmittelbarer Anspruch gegen den Versicherer zusteht. Insoweit erinnert die Revisionserwiderung auch nichts.

b) Geht es danach um die Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Vertrag zwischen der Beklagten und dem Reiseveranstalter -also einem Unternehmer (§§ 13 Abs. 3, 24 Abs. 1 Nr. 1 AGBG, § 14 BGB) -, könnte der Befugnis des Klägers zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs zwar § 13 Abs. 3 AGBG entgegenstehen; die Vorschrift nimmt dem Kläger im vorliegenden Falle die Klagebefugnis jedoch nicht.

Grundsätzlich sind in den Schutz des § 9 AGBG auch die Interessen solcher Dritter einbezogen, die Rechte aus dem Vertrag herleiten können oder durch diesen unmittelbar berechtigt sind (Senatsurteil vom 23. Juni 1999 -IV ZR 136/98 -VersR 1999, 1390 unter 2 b). Das gilt auch für den Reisenden als den mit dem Versicherungsvertrag zwischen der Beklagten und dem Reiseveranstalter Versicherten, der nach Maßgabe des Sicherungsscheins und der darin enthaltenen Regelungen berechtigt ist, unmittelbar Ansprüche gegen die Beklagte geltend zu machen. Erstreckt sich aber der Schutz des AGB-Gesetzes auf Rechte, die einem Verbraucher in dieser Weise aus einem Vertrag zwischen dem Verwender und einem Unternehmer zukommen, ist es -wie hier nach § 651k BGB -geradezu Sinn und Zweck des Versicherungsvertrages, dem Verbraucher diese Rechtsposition zu verschaffen, wird in einem solchen Falle auch die Klagebefugnis der nach § 13 Abs. 2 AGBG Anspruchsberechtigten nicht durch § 13 Abs. 3 AGBG ausgeschlossen. Denn insoweit geht es nicht darum, den Verkehr zwischen Unternehmern auf unwirksame Geschäftsbedingungen zu prüfen -was § 13 Abs. 3 AGBG verhindern will -, sondern darum, die dem Verbraucher aus dem Vertrag zukommenden Rechte von unwirksamen Geschäftsbedingungen freizuhalten.

3. Die Auffassung der Beklagten, die Schranke des § 8 AGBG erlaube keine Kontrolle der streitbefangenen Klauseln, ist nicht richtig. Die Klauseln gehören nicht zu dem Kernbereich, der nach § 8 AGBG keiner Kontrolle nach §§ 9 bis 11 AGBG unterliegt. Der gerichtlichen Inhaltskontrolle entzogene Leistungsbeschreibungen sind solche, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Damit bleibt der Überprüfung entzogen nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (st. Rspr. BGHZ 123, 83, 94; Senatsurteile vom 23. Juni 1999, aaO; vom 22. November 2000 -IV ZR 235/99 -VersR 2001, 184 unter II 1 a, b).

Zu diesem engen Bereich gehören die beanstandeten Klauseln nicht. Die Beklagte verspricht nach dem Inhalt des Sicherungsscheins Entschädigungsleistungen an den Reisenden in Höhe des gezahlten Reisepreises und zusätzlicher, notwendiger Rückreisekosten gemäß § 651k BGB, soweit Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit oder Konkurses des Reiseveranstalters ausfallen. Dieses Leistungsversprechen wird durch die streitbefangenen Klauseln eingeschränkt, soweit sie den Versicherungsschutz für Anzahlungen auf den Reisepreis auf eine bestimmte Höhe begrenzen und für weitere Zahlungen den Versicherungsschutz auf solche beschränken, die frühestens einen Monat vor dem Abreisetag erfolgen.

4. Die streitbefangenen Klauseln halten einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG nicht stand.

a) Nach § 651k Abs. 1 Nr. 1 BGB hat der Reiseveranstalter sicherzustellen, daß dem Reisenden der gezahlte Reisepreis erstattet wird, soweit Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Reiseveranstalters ausfallen. Wählt der Reiseveranstalter -wie im vorliegenden Falle -zur Erfüllung dieser Verpflichtung den Abschluß einer Versicherung (§ 651k Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB), hat er dem Reisenden einen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer zu verschaffen und das durch Übergabe eines Sicherungsscheins des Versicherers nachzuweisen (§ 651k Abs. 3 BGB). Zahlungen auf den Reisepreis vor Beendigung der Reise darf der Reiseveranstalter nur fordern oder annehmen, wenn er dem Reisenden einen Sicherungsschein übergeben hat (§ 651k Abs. 4 BGB). Schon aus dem Zusammenwirken dieser Regelungen folgt, daß der Reiseveranstalter verpflichtet ist, auch die Erstattung solcher Zahlungen -durch den Versicherer -sicherzustellen, die er vor Reisebeginn annimmt oder fordert. Eine solche Sicherstellung bewirkt die bei der Beklagten genommene, nach Maßgabe der Regelungen im Sicherungsschein ausgestaltete Versicherung jedenfalls nicht vollständig. Denn danach bleiben zum einen Anzahlungen ohne Versicherungsschutz, die 10% des Reisepreises oder den Betrag von 500 DM übersteigen, zum anderen unterfallen dem Versicherungsschutz aber auch weitere Zahlungen des Reisenden nicht, die früher als einen Monat vor dem aus der Buchungsbestätigung ersichtlichen Abreisetag erfolgen.

Wenngleich insoweit davon auszugehen ist, daß der Reiseveranstalter nach seinen vertraglichen Vereinbarungen mit der Beklagten verpflichtet ist, vom Versicherungsschutz nicht erfaßte Zahlungen weder zu fordern noch anzunehmen, bleibt eine Sicherungslücke, wenn der Reiseveranstalter dieser Verpflichtung zuwiderhandelt. Das darin liegende Risiko zu tragen, ist aber nach der Grundentscheidung des § 651k BGB -die insoweit auf die Ausgestaltung des Versicherungsschutzes zugunsten des Reisenden ausstrahlt (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG) - Sache des Versicherers.

b) Mit § 651k BGB ist Art. 7 der EG-Richtlinie über Pauschalreisen vom 13. Juni 1990 (ABlEG Nr. L 158/59) in deutsches Recht umgesetzt worden (vgl. Reg-Entwurf, BT-Drucks. 12/5354 S. 11). Ziel des Art. 7 der Richtlinie ist der Schutz der Verbraucher gegen Risiken, die sich aus der Zahlungsunfähigkeit oder dem Konkurs des Reiseveranstalters ergeben. Dieses Ziel schließt das Recht des Verbrauchers ein, daß im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Reiseveranstalters die Erstattung der von ihm gezahlten Beträge und seine Rückreise sichergestellt werden (EuGH, Urteil vom 14. März 1998 -C 364/96 -NJW 1998, 2201 unter [18]). Art. 7 der Richtlinie bezweckt folglich den vollständigen Schutz der in dieser Vorschrift genannten Rechte der Verbraucher und damit den Schutz der Verbraucher gegen sämtliche in diesem Artikel genannten Risiken, die sich aus der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters ergeben (EuGH, Urteil vom 15. Juni 1999 -C 140/97 -NJW 1999, 3181 unter [61]). Für die Regelung des § 651k BGB, der richtlinienkonform auszulegen ist, gilt demgemäß hinsichtlich des Schutzumfangs nichts anderes.

Soweit daher § 651k Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verpflichtung des Reiseveranstalters begründet sicherzustellen, daß dem Reisenden der "gezahlte Reisepreis" unter den dort genannten Voraussetzungen erstattet wird, gilt das einschränkungslos für den gesamten Reisepreis, weil anderenfalls der vollständige Schutz des Reisenden nicht gewährleistet würde. Daraus folgt zugleich, daß sich der dem Reisenden zu verschaffende Anspruch -hier gegen den Versicherer (§ 651k Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V. mit Abs. 3 BGB) -an dieser Vorgabe auszurichten hat. Sie strahlt insoweit auf die Ausgestaltung des Versicherungsschutzes aus, den der Versicherer in seinem Vertrag mit dem Reiseveranstalter dem Reisenden als Versicherten verspricht. Auch der Versicherungsschutz hat sich demgemäß daran zu orientieren, daß dem Reisenden hinsichtlich des gezahlten Reisepreises vollständiger Schutz vor den Risiken verschafft wird, die ihm aus der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters drohen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Regelung in § 651k Abs. 4 BGB zu sehen, die Zahlungen auf den Reisepreis vor Beendigung der Reise betrifft. Vollständiger Schutz kommt dem Reisenden auch insoweit nur zu, wenn die Erstattung jeder Zahlung vor Beendigung der Reise durch den dem Reisenden zu verschaffenden Anspruch gegen den Versicherer gewährleistet ist.

c) Diesen Anforderungen genügt der von der Beklagten dem Versicherten versprochene Versicherungsschutz nicht, obwohl die Beklagte dem Reisenden mit dem Sicherungsschein zunächst Entschädigungsleistungen "in Höhe des gezahlten Reisepreises ... gemäß § 651k BGB" zusagt. Auch wenn sie die Einschränkungen des Versicherungsschutzes durch die streitbefangenen Klauseln dadurch auszugleichen sucht, daß sie den Reiseveranstalter ihrerseits verpflichtet, nur versicherte Zahlungen zu fordern und anzunehmen, bleibt bei Zuwiderhandlungen des Reiseveranstalters eine Lücke im Versicherungsschutz des Reisenden. Das darin liegende Risiko zu tragen, ist aber -wie dargelegt - nach der Grundentscheidung des § 651k BGB, die den vollständigen Schutz des Reisenden bezweckt, nicht Sache des Reisenden, sondern des Versicherers. Die streitbefangenen, den Versicherungsschutz einschränkenden Klauseln stehen dieser Grundentscheidung entgegen und sind deshalb unwirksam (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG).