VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.11.1992 - 1 S 65/92
Fundstelle
openJur 2013, 8435
  • Rkr:

1. Im Wahlprüfungs- und Wahlanfechtungsverfahren ist nicht zu prüfen, ob das Amt eines Bürgermeisters einer kreisangehörigen Gemeinde mit der Wahrnehmung eines Kreistagsmandates vereinbar ist.

Tatbestand

Der Kläger, ein bei der Wahl zum Kreistag im Landkreis vom 22.10.1989 erfolgreicher Kandidat, erstrebt, daß diese Wahl für ungültig erklärt wird.

Der Beigeladene machte das Wahlergebnis am 10.11.1989 öffentlich bekannt. Hiergegen erhob der Kläger unter dem Beitritt weiterer 137 Wahlberechtigter Einspruch mit der Begründung, das Bürgermeisteramt und das Kreistagsmandat seien miteinander unvereinbar. Der Kreistag als Ganzes sei in der Erfüllung seines Wahlauftrags, vor allem was die Gefälligkeitsleistungen anbetreffe, zumindest erheblich eingeschränkt, wenn Bürgermeister Kreistagsmitglieder sein können. Die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat sei Bestandteil des Gewaltenteilungsprinzips sowie des Verfassungsgrundsatzes der Rechtsstaatlichkeit und daher unmittelbar geltendes Recht.

Mit Bescheid vom 28.11.1989 wies das Regierungspräsidium den Einspruch zurück. In der Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, den Bürgermeistern stehe nach der Landkreisordnung das passive Wahlrecht für den Kreistag zu. Dem Regierungspräsidium fehle als Rechtsaufsichtsbehörde die Kompetenz zu prüfen, ob diese Regelung verfassungsgemäß sei.

Am 21.12.1989 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage erhoben und beantragt, den Einspruchsbescheid des Regierungspräsidiums vom 28.11.1989 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kreistagswahl im Landkreis vom 22.10.1989 für ungültig zu erklären. Zur Begründung hat er im wesentlichen nach ausführlicher Darstellung der von ihm gesehenen möglichen Interessenkollisionen zwischen dem Amt des Bürgermeisters und der Wahrnehmung eines Kreistagsmandats ausgeführt: Die aus der Personalunion in Amt und Mandat sich ergebende Interessenkollision sei über Art. 137 GG im Wege einer Inkompatibilitätsregelung für die Wahl von Bürgermeistern in Kreistagen zu lösen. Nachdem die Wählbarkeitsvoraussetzung in § 23 LKrO diesen Aspekt nicht erfasse und dadurch eine verfassungswidrige Lücke bei der gebotenen Festlegung von Inkompatibilitäten darstelle, die dem Verfassungsauftrag in Art. 20 GG zuwiderlaufe, sei der Umfang der Wählbarkeit von kreisangehörigen Personen insgesamt verfassungswidrig.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat erwidert: Die Landkreisordnung regele in § 23 LKrO abschließend die Gründe der Nichtwählbarkeit. Hierunter fielen die Bürgermeister nicht. Die Beschränkung der Nichtwählbarkeitsgründe sei vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt; soweit mögliche Interessenkonflikte zu berücksichtigen seien, würden diese durch die abschließend in § 14 LKrO normierten Befangenheitstatbestände erfaßt. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht enthielten diese abschließenden Regelungen des Gesetzgebers nicht.

Durch Urteil vom 4.12.1991 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist dargelegt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Gründe, aus denen eine Wahl für ungültig erklärt werden könne, seien in § 32 Abs. 1 KomWG abschließend geregelt und der Umstand, daß Bürgermeister kreisangehöriger Gemeinden an der Wahl als Kandidaten teilgenommen hätten, zähle nicht zu diesen Gründen, da die grundsätzliche Wählbarkeit dieses Personenkreises nicht ausgeschlossen werden könne. Eine Entscheidung darüber, ob Hinderungsgründe nach § 24 LKrO vorlägen, sei im Wahlprüfungs- und Anfechtungsverfahren nicht zu treffen. Darauf, ob letztere Vorschrift etwa deshalb verfassungswidrig sei, weil nicht auch das Bürgermeisteramt als weiterer Inkompatibilitätstatbestand in die Regelung aufgenommen worden sei, komme es nicht an.

Gegen das ihm am 10.12.1991 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4.1.1992 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 4. Dezember 1991 - 3 K 965/90 - zu ändern, den Einspruchsbescheid des Regierungspräsidiums vom 28. November 1989 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kreistagswahl im Landkreis vom 22. Oktober 1989 für ungültig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und ist im übrigen der Ansicht, daß verfassungsrechtliche Gründe es nicht geböten, für Bürgermeister kreisangehöriger Gemeinden eine Inkompatibilität im Sinne des § 24 Abs. 1 LKrO vorzusehen. Die Bürgermeister stellten im Kreistag ein notwendiges Element der öffentlichen Interessenvertretung dar und Interessenkollisionen seien dem Verhältnis zwischen örtlichen und überörtlichen Interessen immanent, da jedes Kreistagsmitglied zwangsläufig Einwohner einer kreisangehörigen Gemeinde sei und deshalb die örtlichen Interessen mit den Belangen des Landkreises abzuwägen habe.

Der mit Beschluß des Senats vom 8.10.1992 zum Rechtsstreit beigeladene Landkreis hält das Urteil des Verwaltungsgerichts ebenfalls für zutreffend.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Regierungspräsidiums sowie die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf diese Akten und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die zulässige Verpflichtungsklage (§ 31 Abs. 3 KomWG) als unbegründet abgewiesen. Der Kläger kann nicht beanspruchen, daß der Beklagte die Kreistagswahl vom 22.10.1989 für ungültig erklärt. Mit seinem fristgerecht erhobenen, von 137 Wahlberechtigten mitunterzeichneten und damit zulässigen Einspruch (§ 31 Abs. 1 Satz 3 KomWG) macht der Kläger keinen Wahlanfechtungsgrund geltend.

Die Wahlanfechtung läßt sich nur auf solche Gründe stützen, die in der abschließenden Regelung des § 32 Abs. 1 KomWG aufgeführt sind. Allerdings wird dadurch, daß der Kläger nicht die fehlerhafte Anwendung des (einfachen) Gesetzesrechts, sondern ausschließlich dessen Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht rügt - indem er die Wählbarkeit eines Bürgermeisters in den Kreistag oder jedenfalls die Vereinbarkeit von Bürgermeisteramt und Kreistagsmandat für verfassungswidrig hält - seine Berufung auf einen gesetzlichen Wahlanfechtungsgrund nicht schlechthin in Frage gestellt. Denn die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen, die von § 32 Abs. 1 Nr. 2 KomWG erfaßt sind, setzt notwendigerweise ihre Auslegung voraus, und diese umschließt die Prüfung, ob das anzuwendende Gesetz verfassungsgemäß ist (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 13.1.1987 - 1 S 1246/86 - VBlBW 1987, 420).

Mit der Zulassung von Bürgermeistern kreisangehöriger Gemeinden als Bewerber zur Kreistagswahl wird indes nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstoßen, die geeignet wären als Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften über die Wahlvorbereitung, die Wahlhandlung oder über die Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses zur Ungültigkeit der Wahl zu führen (vgl. zum Verhältnis § 32 Abs. 1 Nr. 2 KomWG zu Abs. 2 der Vorschrift, Kunze/Merk/Quecke, Das Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg, 4. Aufl., § 32 RdNr. 123 bis 126 m.w.N.).

In den Kreistag wählbar sind wahlberechtigte Kreiseinwohner (§ 23 Abs. 1 LKrO); nicht wählbar sind lediglich Kreiseinwohner, die nach § 10 Abs. 4 LKrO vom Wahlrecht ausgeschlossen sind oder die infolge Richterspruchs die Wählbarkeit oder die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht besitzen (§ 23 Abs. 2 LKrO). Zu dieser Gruppe gehören die Bürgermeister nicht. § 23 LKrO ist nicht deshalb verfassungswidrig, wie der Kläger meint, weil die Bürgermeister kreisangehöriger Gemeinden nicht der Personengruppe der nichtwählbaren Kreiseinwohner zugeordnet werden. Der Landesgesetzgeber ist nicht nur nicht verpflichtet, solche die Wählbarkeit beschränkenden Bestimmungen zu erlassen, sondern er ist von Verfassungs wegen gehindert, dies zu tun.

Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 72 Abs. 1 Satz 1 LVerf) besagt, daß jedermann sein aktives und passives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben kann. Vom Grundsatz der gleichen Wahl wird demnach auch die Ausgestaltung des passiven Wahlrechts maßgeblich bestimmt. Dem Gesetzgeber verbleibt nur ein eng bemessener Spielraum. Grundsätzlich hat jeder Kreiseinwohner, der die Grundvoraussetzungen der Wählbarkeit erfüllt, das Recht, sich in den Kreistag wählen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.4.1978, BVerfGE 48, 64 (81)). Die Beschränkung der Wählbarkeit ist nur zulässig, soweit das Grundgesetz sie ausdrücklich vorsieht oder soweit aus der Verfassungsordnung sonst eine ausreichende Ermächtigung entnommen werden kann. Aus dem grundgesetzlichen Gewaltenteilungsgrundsatz allein läßt sich kein verfassungsunmittelbares Verbot der Wählbarkeit ableiten. Denn ansonsten hätte es nicht der Schaffung der Ermächtigungsnorm des Art. 137 Abs. 1 GG bedurft (vgl. Bad.-Württ. Staatsgerichtshof, Urt. v. 13.12.1969, NJW 1970, 892 m.w.N.).

Nach Art. 137 Abs. 1 GG kann die Wählbarkeit von Beamten und sonstigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes im Bund, in den Ländern und den Gemeinden, d.h. die Wahl dieser Personen in Volksvertretungen der genannten Körperschaften gesetzlich beschränkt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 4.4.1978 aaO. S. 88) darf eine den Anforderungen des Art. 137 Abs. 1 GG genügende gesetzliche Beschränkung der Wählbarkeit der Angehörigen der genannten Personengruppen zur Verhinderung des Zusammentreffens von Amt und Mandat nicht zum Ausschluß der Wählbarkeit (Ineligibilität) führen. Die Unvereinbarkeitsvorschriften dürfen lediglich die Übernahme des Wahlmandats durch den Gewählten von der gleichzeitigen Entbindung von seinen Aufgaben im Bereich der öffentlichen Verwaltung abhängig machen. Der Gesetzgeber darf nur Inkompatibilitätsnormen schaffen, den Gewählten also vor die Alternative stellen, den einen oder anderen Status niederzulegen bzw. nicht wahrzunehmen, nicht aber Ineligibilitätsnormen erlassen, d.h. den Betroffenen von vornherein von der Möglichkeit gewählt zu werden ausschließen oder fordern, daß er sein Amt bereits vor der Wahl, also mit der Kandidatur, niederlegt.

Ist somit die Wählbarkeit von Bürgermeistern kreisangehöriger Gemeinden zum Kreistag weder gesetzlich ausgeschlossen noch ausschließbar, so muß der Klage der Erfolg versagt werden. Darauf, ob der Landesgesetzgeber die Inkompatibilitätsregelung des § 24 LKrO um die Gruppe der Bürgermeister der kreisangehörigen Gemeinden hätte erweitern können oder erweitern müssen, kommt es nicht an. Im Wahlprüfungs- und Anfechtungsverfahren sind Hinderungsgründe nach § 24 LKrO nicht zu prüfen, weil sie die Wählbarkeit des Bewerbers unberührt lassen (vgl. Kunze/ Bronner/Katz/von Rotberg, GemO, § 29 RdNr. 1).

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