VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.06.1992 - 14 S 1804/90
Fundstelle
openJur 2013, 8217
  • Rkr:

1. Ob die Voraussetzung sachlicher Gebührenfreiheit nach § 5 Abs 1 Nr 7 LGebG (GebG BW) erfüllt sind, ist danach zu beurteilen, ob die Amtshandlung selbst im überwiegenden öffentlichen Interesse vorgenommen wurde. Auf die Zwecke, die hinter dem Interesse des Einzelnen an der Amtshandlung stehen, kommt es nicht an.

Tatbestand

Die Klägerin ist eine Stiftung des bürgerlichen Rechts, die in das Krankenhaus betreibt. Die Klinik, die öffentlich gefördert wird, gehört zu den im Landeskrankenhausbedarfsplan aufgeführten Einrichtungen zur bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern. Die Klägerin führte in den Jahren 1985 bis 1989 mehrere Erweiterungs- und Umbauarbeiten an dem Krankenhaus durch, für die die Beklagte Baugenehmigungen erteilte. Hierfür erhob die Beklagte mit Bescheiden vom 12. Juni 1985, 15. August 1988, 18. August 1988, 31. August 1988, 29. September 1988 und 05. Januar 1989 Verwaltungsgebühren in Höhe von insgesamt DM 13 772,00. Bereits mit Schreiben vom 15. Januar 1985 hatte die Klägerin beantragt, sie von der Gebührenpflicht freizustellen. Nachdem sie dieses Begehren mit Schreiben vom 08. September und 25. Oktober 1988 erneuert hatte, nahm die Beklagte mit Bescheid vom 17. November 1988 die bis dahin festgesetzten Baugenehmigungsgebühren mit Ausnahme der Gebühren für erteilte Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zurück. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 30. November 1988 Widerspruch.

Mit Bescheid vom 19. Dezember 1988 nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 17. November 1988 mit der Begründung zurück, es sei rechtlich nicht möglich, eine Privatklinik von Baugenehmigungsgebühren freizustellen. Mit weiterem Bescheid vom 19. Dezember 1988 setzte die Beklagte für ein durch Bescheid vom 15. Februar 1985 genehmigtes Bauvorhaben Genehmigungsgebühren in Höhe von DM 10 800,00 fest.

Gegen den Rücknahmebescheid erhob die Klägerin am 29. Dezember 1988 Widerspruch, den das Regierungspräsidium durch Widerspruchsbescheid vom 14. März 1990 zurückwies. In der Begründung heißt es: Der Bescheid vom 17. November 1988 sei rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin als Betreiberin einer Privatklinik keine sachliche Gebührenfreiheit genieße. § 5 Abs. 1 Nr. 7 LGebG komme nur zur Anwendung, wenn die Amtshandlung selbst im überwiegenden öffentlichen Interesse vorgenommen werde. Unbeachtlich sei, welchen Zweck der Betroffene mit seiner Bautätigkeit verfolge. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen.

Die Klägerin hat am 05. April 1990 beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage erhoben, zu deren Begründung sie ausgeführt hat: Im Krankenhaus sei die einzige orthopädische Abteilung im eis vorhanden. Die Finanzierung des Hauses und der notwendigen Baumaßnahmen erfolge vollständig durch das Land Baden-Württemberg. Das Krankenhaus sei deshalb in keiner Weise mit einer normalen Privatklinik zu vergleichen. Gäbe es ihr Krankenhaus nicht, müßte entweder das Land oder die Stadt eine solche Einrichtung schaffen, um die entsprechenden ärztlichen Leistungen erbringen zu können. Sie nehme daher nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar öffentliche Aufgaben wahr. Ob eine Baugenehmigung überwiegend im öffentlichen oder im privaten Interesse erteilt werde, könne nicht ohne Rücksicht darauf beurteilt werden, welcher Nutzung das genehmigte Bauvorhaben diene. Unbeachtlich sei, ob die Amtshandlung nur auf Antrag vorgenommen werde.

Durch Urteil vom 18. Juli 1990 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Bescheid der Beklagten über die Gebührenbefreiung vom 17. November 1988 sei rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin keine Gebührenfreiheit genieße. Denn das private Interesse der Klägerin an den Baugenehmigungen trete gegenüber dem allgemeinen Wohl nicht weitgehend zurück, weshalb das öffentliche Interesse nicht überwiege. Allein die Amtshandlung selbst sei ausschlaggebend dafür, ob die mit ihr gewahrten Belange im Schwerpunkt dem Allgemeinwohl oder dem persönlichen Bereich des Betroffenen zuzurechnen seien. Auf den Zweck, den der Betroffene mit seiner Tätigkeit verfolge, komme es nicht an. Wollte man jeweils immer auch auf die Tätigkeiten des Gebührenschuldners abstellen, für die er die Amtshandlung benötige, ließe sich kaum noch bestimmen, wer sachliche Gebührenfreiheit in Anspruch nehmen könne und wer nicht. Die Grenzen zwischen persönlicher und sachlicher Gebührenfreiheit würden verwischt. Dies widerspräche dem im Abgabenrecht geltenden Bestimmtheitsgrundsatz. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, weil sie auf der Grundlage der Gebührenbefreiungsentscheidung keine Vermögensdispositionen getroffen habe, weil zwischen dieser Entscheidung und deren Rücknahme nur ein kurzer Zeitraum liege und weil die Klägerin den Bescheid vom 17. November 1988 selbst angefochten habe. Das ihr eingeräumte Ermessen habe die Beklagte ordnungsgemäß betätigt.

Gegen dieses ihr am 26. Juli 1990 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. August 1990 Berufung eingelegt und zur Begründung ergänzend vorgetragen: Bei Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 7 LGebG könne nicht allein auf die vorzunehmende Amtshandlung abgestellt werden, weil sonst ein über das allgemeine öffentliche Interesse hinausgehendes öffentliches Interesse kaum zu ermitteln sei. Bei der Interessenabwägung seien deshalb auch die Interessen zu berücksichtigen, die der Betroffene mit der beantragten Amtshandlung verfolge. Bei der Erweiterung und dem Umbau des Krankenhauses habe es sich um eine notwendige Aufgabe gehandelt mit dem Ziel, die Krankenhausversorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 18. Juli 1990 - 1 K 522/90 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 1988, mit dem der Bescheid vom 17. November 1988 zurückgenommen worden ist, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 14. März 1990 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Senat liegen die einschlägigen Behördenakten sowie die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts vor.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1 S. 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 1988, mit der sie ihren Bescheid vom 17. November 1988 zurückgenommen hat, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums 14. März 1990 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, konnte die Beklagte den angefochtenen Bescheid auf § 48 LVwVfG stützen, weil der Bescheid vom 17. November 1988 rechtswidrig war, mit dem der Klägerin gemäß § 8 Abs. 3 S. 1 KAG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 7 LGebG Gebührenfreiheit für die erteilten Baugenehmigungen eingeräumt wurde. Das Verwaltungsgericht hat im einzelnen mit zutreffenden Erwägungen, auf die der Senat Bezug nimmt (§ 130 b VwGO), ausgeführt, daß es sich bei der Erteilung von Baugenehmigungen für den Umbau und die Erweiterung des Krankenhauses der Klägerin um keine Amtshandlungen handelte, die überwiegend im öffentlichen Interesse vorgenommen wurden.

Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt aus den folgenden Gründen keine andere Beurteilung: Der mit der Erweiterung und dem Umbau des Krankenhauses von der Klägerin verfolgte Zweck, die Krankenhausversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, liegt, wie die Beklagte nicht bestreitet, im öffentlichen Interesse. Dieser Zweck hat indes bei Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 7 LGebG außer Betracht zu bleiben. Denn nicht die Folgewirkungen der Amtshandlung, die hier in der Nutzung der geänderten und erweiterten baulichen Anlagen liegen, sondern die Amtshandlung als solche ist darauf zu untersuchen, ob sie überwiegend im privaten oder öffentlichen Interesse vorgenommen wurde (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.01.1983 - 2 S 886/82 -, BWVPr. 1983, 291 = BWGZ 1983, 719; Urteil vom 19.07.1988 - 10 S 2707/86 -, VBlBW 1989, 68, 70; Gerhardt, Verwaltungskostenrecht, RdNr. 9 zu § 5 LGebG; Seeger/Gössl, KAG, Anm. 15 zu § 8). Dies folgt zwingend aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 7 LGebG, wonach die Gebührenpflicht nur entfällt, wenn an der Amtshandlung selbst ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Eine erweiternde Auslegung, die auch die Zwecke in Betracht zieht, die hinter dem Interesse des Einzelnen an der Amtshandlung stehen, widerspräche dem Charakter des § 5 Abs. 1 Nr. 7 LGebG als Ausnahmevorschrift, der eine enge Auslegung gebietet (Gerhardt, aaO, RdNr. 3 zu § 5). Einen Rechtsgrundsatz, daß Amtshandlungen, die (mittelbar) öffentlichen Zwecken dienen, gebührenfrei sein müßten, gibt es nicht (BVerwG, Urteil vom 15.12.1972, DÖV 1973, 827 m.w.N.).

Die Amtshandlungen der Beklagten, für die die Klägerin sachliche Gebührenfreiheit in Anspruch nehmen will, lagen nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse. Die Behörde hat sie nicht zu dem Zweck vorgenommen, eine ausreichende Krankenhausversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Die Beklagte ist nicht auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, sondern ausschließlich auf dem Feld des Baurechts tätig geworden. Denn die erteilten Baugenehmigungen erschöpften sich in der Entscheidung, daß den Bauvorhaben der Klägerin keine baurechtlichen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften i.S.d. § 59 Abs. 1 S. 1 LBO entgegenstehen. Mit ihnen wurde hingegen nicht darüber entschieden, ob die Vorhaben der Klägerin im Interesse einer ausreichenden Krankenversorgung erforderlich waren. Die Amtshandlungen kamen damit vornehmlich dem Interesse der Klägerin zugute, an der Verwirklichung ihrer Bauabsichten nicht durch die Schranken des öffentlichen Baurechts gehindert zu sein (vgl. auch Gerhardt, aaO, RdNr. 9 zu § 5 LGebG, Stichwort "Baugenehmigungen" m.w.N.).

Die Heranziehung der Klägerin zu Baugenehmigungsgebühren widerspricht auch nicht dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Wenn für die Erteilung von Baugenehmigungen für städtische Krankenanstalten keine Verwaltungsgebühren erhoben wurden, so beruht dies nicht darauf, daß der beklagten Stadt sachliche Gebührenfreiheit eingeräumt worden wäre, sondern folgt aus der Tatsache, daß die Beklagte anders als die Klägerin persönliche Gebührenfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 LGebG genießt.

Mit zutreffenden Ausführungen, die mit der Berufung nicht angegriffen werden und auf die der Senat deshalb Bezug nimmt (§ 130 b VwGO), hat das Verwaltungsgericht dargelegt, daß dem Rücknahmebescheid kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin entgegensteht und daß in den angefochtenen Bescheiden das Rücknahmeermessen ordnungsgemäß ausgeübt wurde.