VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.05.1992 - 9 S 2730/86
Fundstelle
openJur 2013, 8188
  • Rkr:

1. Zur Frage, ob im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO eine Vorlagepflicht gem Art 177 Abs 3 EWGV (EWGVtr) besteht (hier offengelassen).

2. Einem auf Nichtigerklärung einer Satzung wegen Unvereinbarkeit mit dem EWG-Vertrag gerichteten Normenkontrollantrag steht nicht entgegen, daß Gemeinschaftsrecht gegenüber widerstreitendem nationalen Recht lediglich einen Anwendungsvorrang genießt und nicht zur Nichtigkeit der nationalen Bestimmung führt, weil die Satzung nicht unmittelbar am Maßstab des EWG-Vertrages, sondern an dem des Zustimmungsgesetzes hierzu zu prüfen ist.

3. Zur Frage, ob das Verbot der Werbung außerhalb der Apotheke auch für den Vertrieb apothekenüblicher Waren iS von § 25 ApBetrO (ApoBetrO) in der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg als Maßnahme gleicher Wirkung iS von Art 30 EWGV nach Art 36 EWGV zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt ist, soll eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs eingeholt werden.

4. Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg handelt bei der Normierung von Werbebeschränkungen für Apotheker nicht als Unternehmen oder Unternehmensvereinigung iS von Art 85 EWGV, sondern in hoheitlicher Funktion zur Mitgestaltung des nationalen Gesundheitssystems.

Tatbestand

Die Antragsteller sind Inhaber von Apotheken in Baden-Württemberg, in denen apothekenübliche Waren im Sinne des § 25 der Apothekenbetriebsordnung vom 9.2.1987 (BGBl. I S. 547) - ApBetrO - (z.B. diätetische Lebensmittel, Fruchtsäfte, Verbandmittel) zum Verkauf angeboten werden. Sie haben für dieses sog. Randsortiment in der Vergangenheit geworben bzw. wollen dies künftig tun, sehen sich daran aber durch § 10 Nr. 15 der von der Antragsgegnerin erlassenen Berufsordnung vom 22.11.1955 i.d.F. vom 9.4.1986 - BO -, die Antragsteller zu 2. bis 13. ferner auch durch § 3 BO gehindert und begehren im vorliegenden Verfahren die Ungültigerklärung dieser Vorschriften. Die Vorschriften lauten:

§ 3

Der Apotheker ist verpflichtet, die für die Ausübung seines Berufes geltenden Gesetze und Verordnungen sowie die Anordnungen der Landesapothekerkammer zu beachten.

§ 10

Unzulässig sind insbesondere folgende Wettbewerbshandlungen:

1. ...

15. Übertriebene Werbung

Übertrieben ist insbesondere

- die Versendung von Werbebriefen, Verteilung von Flugblättern und Werbemitteln außerhalb der Apotheke. - die Einzelwerbung in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Druckschriften, wenn sie mehr als den Namen und die Adresse der Apotheke (einschließlich Telefonnummer) sowie den Namen des Inhabers enthält; sie darf nicht größer als 40 qcm sein und nicht häufiger als einmal wöchentlich erscheinen. - die Aufgabe von Stellenanzeigen und sonstigen Annoncen in Zeitungen und anderen Druckschriften, sofern die Anzeigen größer als 40 qcm sind. - Werbung in Kinos sowie in anderen Medien (z.B. Funk, Fernsehen, Btx). - Werbung mit Eröffnungs-, Übernahme- und Jubiläumsanzeigen, soweit diese größer als 80 qcm sind und häufiger als zweimal im Zusammenhang mit dem betreffenden Ereignis erscheinen. Derartige Anzeigen dürfen außer dem Namen und der Adresse der Apotheke (einschließlich Telefonnummer) sowie dem Namen des Inhabers nur Hinweise auf die Eröffnung oder das Jubiläum enthalten, keine Produktwerbung. Außerdem gelten als Jubiläumsanzeigen nur solche, in denen die Alterszahl der Apotheke durch 25 teilbar ist. - der Eindruck in Fernsprechbüchern und Anschriftenverzeichnissen jeder Art, wenn dieser die Apotheke in besonderer Weise hervorhebt oder in einem für die Apotheke örtlich nicht zuständigen Verzeichnis (bei Telefonbüchern z.B. nicht im Ortsnetzverzeichnis) erfolgt.

Die Antragsteller machen geltend: Die Normenkontrollanträge seien zulässig. Es handele sich insbesondere um Rechtsvorschriften, bei deren Vollzug nicht nur Streitigkeiten entstehen könnten, in denen eine Zuständigkeit der Berufsgerichtsbarkeit begründet sei, sondern auch Streitigkeiten, die im Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen seien; so sei etwa gegenüber einer Rüge der Landesapothekerkammer der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, und eine Feststellungsklage über Inhalt und Umfang von Berufspflichten sei nur im Verwaltungsrechtsweg möglich. Sie seien auch antragsbefugt, weil das Werbeverbot sie in ihrer Berufsausübung einschränke und sie dadurch Nachteile erlitten. Die Normenkontrollanträge seien auch begründet. § 3 BO sei nichtig, weil er ohne Ermächtigung im Kammergesetz der Apothekerkammer die Befugnis gebe, selbständige Anordnungen gegen die Kammermitglieder zu erlassen. Das Kammergesetz weise der Apothekerkammer zwar Aufgaben zu, zu denen auch die Überwachung der Erfüllung der Berufspflichten der Mitglieder gehöre, damit sei jedoch keine Eingriffsermächtigung verbunden. Dem Gesetzesvorbehalt genügten nur Regelungen, die ausdrücklich zu Eingriffen in den Grundrechtsbereich ermächtigten. § 10 Nr. 15 BO fehle ebenfalls eine wirksame gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. § 31 Abs. 2 Nr. 8 des Kammergesetzes - KG - ermächtige zwar die Landesapothekerkammer zum Erlaß von Satzungsvorschriften hinsichtlich der Werbung. Diese landesgesetzliche Regelung sei aber im Hinblick auf die vorgehenden bundesgesetzlichen Regelungen des Heilmittelwerbegesetzes einschränkend auszulegen. Das Heilmittelwerbegesetz enthalte eine umfassende und abschließende Regelung über die Zulässigkeit der Werbung für Heilmittel, wozu auch die Produkte des sog. Randsortiments der Apotheke zählten. Mit diesem Heilmittelwerbegesetz habe der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Nr. 19 GG Gebrauch gemacht. Daß die Werbung für Heilmittel des Randsortiments in diesem Gesetz nicht ausdrücklich eingeschränkt sei, müsse als gesetzgeberische Entscheidung für die Zulassung der Werbung für diese Waren verstanden werden. § 31 Abs. 2 Nr. 8 KG sei danach im Einklang mit Bundesrecht restriktiv dahin auszulegen, daß lediglich zum Erlaß von berufsrechtlichen Vorschriften über die Werbung für die Apotheke, nicht aber zum Erlaß von Satzungsvorschriften über die Werbung für Heilmittel ermächtigt werde. Eine restriktive Auslegung dieser landesgesetzlichen Ermächtigung sei auch in Ansehung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vorzunehmen. Mit diesem Gesetz habe der Bundesgesetzgeber in Wahrnehmung seiner ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz nach Art. 73 Nr. 9 GG das Recht des Wettbewerbs geregelt. Landesrechtliche Regelungen zum Wettbewerb unter Apothekern, die man als Gewerbetreibende und Unternehmer anzusehen habe, seien danach nicht zulässig. Die landesgesetzliche Ermächtigung sei aber auch wegen Verstoßes gegen den sog. Parlamentsvorbehalt nichtig, nach dem gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Gesetzgeber in Ansehung des Rechtsstaats- und des Demokratieprinzips die wesentlichen Regelungen zur Einschränkung eines Grundrechts selbst zu treffen habe und dies nicht pauschal der Satzungsautonomie der Berufsvertretung überlassen dürfe. § 31 Abs. 2 Nr. 8 KG ermächtige zu einer weitgehenden Normsetzung durch Satzungsrecht. Ausmaß und Umfang der Regelungsbefugnis würden nicht genannt, insbesondere werde dem Satzungsgeber nicht aufgegeben, zwischen apothekenpflichtigen Waren und dem sonstigen Warensortiment zu differenzieren. Da bundesrechtliches Wettbewerbs- und Kartellrecht berührt werde, hätte der Gesetzgeber aufgeben müssen, daß sich das Satzungsrecht auf das beschränken müsse, was aufgrund der berufstypischen Besonderheiten erforderlich sei, wobei hätte herausgehoben werden müssen, daß sich Apotheker, weil sie als Unternehmer in besonderer Weise dem Wettbewerbsrecht unterworfen seien, von den Angehörigen der anderen Heilberufe wie etwa den Ärzten unterschieden. § 10 Nr. 15 BO sei aber auch wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG nichtig. Der weitreichende Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Apotheker sei nicht durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt und stelle sich im übrigen auch hinsichtlich der konkreten Regelungen der einzelnen Werbemaßnahmen als unverhältnismäßig dar. Zum Schutz der Volksgesundheit sei ein Verbot der Werbung für Produkte des Randsortiments weder geeignet noch erforderlich. Zu einer Erhöhung des Arzneimittelverbrauchs könne eine solche Werbung nicht führen. Auch werde der Apotheker dadurch nicht verleitet, seine eigentliche Aufgabe der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu vernachlässigen. Schließlich führe dies auch nicht zu einer Verfälschung des Berufsbilds des Apothekers etwa dahin, daß die Öffentlichkeit ihn mit dem Inhaber eines Drugstore nach amerikanischem Muster gleichsetze und ihm nicht mehr das gebotene Vertrauen entgegenbringe. Denn eine übertriebene, marktschreierische Werbung bleibe verboten. Nicht schützenswert sei das mit dem Werbeverbot verfolgte Ziel, einen Wettbewerb unter den Apothekern auszuschließen. Denn bereits das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt (BVerfGE 7, 377, 429), daß Gründe des Gemeinwohls es nicht geböten, den bestehenden Apotheken Kunden- oder Umsatzschutz zu geben. Standesrechtliche Bestimmungen dürften kein Instrument zur Marktregulierung sein. Die Werbebeschränkungen verletzten aber auch in ihren konkreten Einzelregelungen das Übermaßverbot, weil sie eine Eingriffsintensität aufwiesen, die außer jedem Verhältnis zu dem Gewicht der Rechtfertigungsgründe stehe. Die Satzungsregelungen verletzten ferner das Grundrecht der Meinungsfreiheit des Apothekers, das auch das Recht auf Wirtschaftswerbung umfasse. Schließlich liege ein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil ein vernünftiger Grund dafür nicht ersichtlich sei, daß Apotheker für die Produkte des Randsortiments nicht werben dürften, wohl aber Drogisten und andere Einzelhändler.

Die Antragstellerin zu 1. beantragt,

§ 10 Nr. 15, zweiter Halbsatz der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg vom 22.11.1955 i.d.F. vom 9.4.1986 für ungültig zu erklären, soweit er sich auch auf Werbung für den Vertrieb apothekenüblicher Waren im Sinne von § 25 der Apothekenbetriebsordnung erstreckt.

Die übrigen Antragsteller beantragen,

§ 3 und § 10 Nr. 15 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg vom 22.11.1955 i.d.F. vom 9.4.1986 für ungültig zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Normenkontrollanträge abzuweisen.

Sie macht geltend, die Anträge seien unzulässig, da aus dem Vollzug der angegriffenen Normen nur Streitigkeiten entstehen könnten, die vor die Berufsgerichte gelangten, nicht aber Streitigkeiten, die im Verwaltungsrechtsweg zu überprüfen seien. Daher sei auch eine verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit zur Normenkontrolle nicht eröffnet. Da § 3 BO einen über die gesetzliche Regelung im Kammergesetz hinausgehenden Regelungsinhalt nicht aufweise, sei der hiergegen gerichtete Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Auch fehle es an einer Antragsbefugnis bezüglich des § 10 Nr. 15 BO. Im übrigen seien die Normenkontrollanträge unbegründet. Die angegriffenen Vorschriften fänden im Kammergesetz eine rechtswirksame landesgesetzliche Ermächtigung. Sowohl die Kompetenzordnung des Grundgesetzes als auch die bislang zu dieser Materie ergangenen bundesrechtlichen Regelungen (Heilmittelwerbegesetz, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Arzneimittelgesetz) ließen Raum für eine landesrechtliche Regelung über Werbemaßnahmen von Apothekern. Da es sich lediglich um eine Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit handele, seien an die gesetzliche Ermächtigungsnorm nicht so strenge Anforderungen zu stellen, wie sie vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zum Parlamentsvorbehalt hinsichtlich empfindlicher Eingriffe in Grundrechte entwickelt worden seien. Materiell seien die angegriffenen Regelungen mit der Verfassung, vornehmlich mit Art. 12, Art. 5 und Art. 3 GG vereinbar. Sie reglementierten die Berufsausübung in einem eher marginalen Bereich der beruflichen Tätigkeit des Apothekers. Das Randsortiment mache nur einen Anteil von 5,5% (1986 sogar nur 3%) des Gesamtumsatzes einer Apotheke aus. Die restriktiven Regelungen der Berufsordnung müßten in Ansehung des Art. 12 GG als zulässig angesehen werden, weil sie ihre Rechtfertigung in hinreichenden Gründen des Gemeinwohls fänden. Mit den angegriffenen Vorschriften solle ein übersteigertes kaufmännisches Gebaren des Apothekers im Interesse der ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Hauptaufgabe, der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, und im Interesse der Wahrung der dem Apotheker in der öffentlichen Meinung zugewiesenen Vertrauensstellung verhindert werden. Die Frage, ob das vom Satzungsgeber eingesetzte Mittel diesem Zweck gerecht werde, sei nur im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle zu überprüfen. Dem Satzungsgeber müsse hierbei ein ebenso großer Spielraum eingeräumt werden wie dem staatlichen Gesetzgeber. Es herrsche Übereinstimmung, daß das gesetzlich festgelegte Berufsbild des Apothekers von dessen Hauptaufgabe bestimmt werde, eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Im Rahmen dieser Hauptaufgabe sei es unerläßlich, daß die Bevölkerung dem Apotheker Vertrauen entgegenbringe. Nur von untergeordneter Bedeutung sei hingegen seine gewerbliche Betätigung. Von einer übertriebenen Werbung für die Waren des Randsortiments könnten zweifellos Gefahren im Hinblick auf die Gewährleistung seiner Hauptaufgabe ausgehen. Der Gesetzgeber brauche sich angesichts der mit einer mangelhaften Arzneimittelversorgung verbundenen Gesundheitsrisiken auch nicht auf eine kleine Gefahr einzulassen. Eine übertriebene gewerbliche Betätigung auf dem Gebiet des Randsortiments berge aber Gefahren für den Sicherstellungsauftrag des Apothekers und für seine Vertrauensstellung in der Bevölkerung. Das Randsortiment müsse insoweit als mögliches Einfallstor für Händlermentalität, Gewinnmaximierung und Drugstore-Denken angesehen werden. Fehlten insofern restriktive Reglementierungen, so führe dies dazu, daß sich das Berufsbild des Apothekers irreversibel zum bloß Kaufmännischen hin verändere. Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit seien die angegriffenen Regelungen nicht zu beanstanden. Eine Verletzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit könne bei nach Ar. 12 Abs. 1 GG zulässigen berufsrechtlichen Werbebeschränkungen schon nicht vorliegen. Das Willkürverbot des Art. 3 GG sei nicht verletzt, weil angesichts der unterschiedlichen Aufgabenstellungen für Apotheker und Drogerien ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung bestehe.

Der Senat hat dem Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Baden-Württemberg als Landeskartellbehörde gem. § 47 Abs. 2 Satz 3 VwGO Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. In seiner mit dem Bundeskartellamt abgestimmten Stellungnahme trägt es vor, die Vorschrift des § 10 Nr. 15 BO sei nichtig, da sie nicht von der Ermächtigungsnorm des § 9 i.V.m. § 10 Nr. 15 und § 31 Abs. 2 Nr. 8 KG gedeckt sei. Bei der Auslegung des Kammergesetzes sei zu berücksichtigen, daß dem Landesgesetzgeber lediglich die Kompetenz zur Regelung des Berufsausübungsrechts zugewiesen sei. Da die Apotheker als Gewerbetreibende und Unternehmer auch dem Kartellgesetz unterlägen, berührten berufsordnende Regelungen über das Wettbewerbsverhalten der Apotheker unmittelbar auch den Regelungsbereich des Kartellrechts. Regelungen auf dem Gebiet der Wirtschaft und des Wettbewerbs seien aber nach Art. 74 Nr. 11 GG dem Bundesgesetzgeber vorbehalten, nachdem dieser von seiner Gesetzgebungskompetenz umfassend Gebrauch gemacht habe. Der Landesgesetzgeber könne daher im Rahmen seiner Kompetenz nur insoweit zum Erlaß berufsrechtlicher Standesregeln über das Wettbewerbsverhalten ermächtigen, als diese im untrennbaren Zusammenhang mit der dem Berufsstand übertragenen öffentlichen Aufgabe stünden. § 31 Abs. 2 Nr. 8 KG ermächtige danach nur zu solchen Regelungen, die in unauflöslichem Zusammenhang mit der öffentlichen Aufgabe des Apothekers stünden und im Hinblick auf die berufstypischen Besonderheiten erforderlich seien. Über diese Ermächtigung gehe § 10 Nr. 15 BO hinaus, weil er ein nahezu vollständiges Werbeverbot außerhalb der Apotheke begründe, das nicht nur die apothekenpflichtigen Arzneimittel, sondern auch die apothekenüblichen Waren betreffe. Ein so weitreichendes Werbeverbot sei aber weder zur Erfüllung der dem Apotheker obliegenden Aufgabe, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, noch im Hinblick auf das von der Allgemeinheit anerkannte Berufsbild und die sich daraus ergebende besondere Verantwortung des Apothekers erforderlich. Beim Angebot an apothekenüblichen Waren handele der Apotheker nicht in Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe, sondern er sei insoweit als normaler Kaufmann tätig. Bei dieser Warengruppe stehe er im Wettbewerb mit anderen Apothekern sowie auch mit anderen Vertriebsformen (Drogeriemärkten, Kaufhäusern u.ä.) und unterliege insoweit in vollem Umfang dem Preiswettbewerb. Es sei bei diesem Sachverhalt nicht sachgerecht, den Wettbewerbsparameter Außenwerbung für apothekenübliche Waren fast völlig auszuschließen, zumal die Innenwerbung nahezu unbeschränkt möglich sei. Schon die Einschränkung des Warenkatalogs in § 25 ApBetrO sowie die Verpflichtung, einen bestimmten Vorrat an Arzneimitteln zu halten, beugten der Gefahr vor, daß ein Apotheker sich mittels Werbung für das Randsortiment über Gebühr dem Vertrieb der Waren des Randsortiments zuwende und seine Hauptaufgabe vernachlässige, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen. Eine wesentliche Verlagerung des Tätigkeitsfeldes und ein Abgleiten der Apotheke zum Drugstore seien angesichts der Tatsache, daß das Randsortiment nur einen Anteil von 5% am Gesamtumsatz aufweise, nicht vorstellbar. Daß sich das Berufsbild des Apothekers in der öffentlichen Meinung nachteilig verändere und ein Vertrauensverlust zu gewärtigen sei, könne ebenfalls nicht angenommen werden. Die Bevölkerung sehe eine angemessene Werbung als normales Geschäftsgebaren an, weil sie an Werbung gewöhnt sei. Im übrigen sei sie durch die intensive Innenwerbung einschließlich der Schaufensterwerbung daran gewöhnt, daß auch der Apotheker Werbung betreibe. Daß es möglicherweise durch die Werbung für das Randsortiment zu Umsatzverlagerungen auch im Arzneimittelbereich kommen könne und sich die Wettbewerbssituation für die Apotheker verschärfe, könne einen Werbeausschluß nicht gebieten. Die betroffenen Apotheker müßten sich dem Wettbewerb stellen. Diese Folgerung liege in der gesetzgeberischen Entscheidung gem. § 25 ApBetrO, in Apotheken nicht nur Arzneimittel, sondern auch andere Waren zum Verkauf zuzulassen.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses bei den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg hat sich, ohne einen Sachantrag zu stellen, am Verfahren beteiligt und sich der Stellungnahme der Landeskartellbehörde angeschlossen.

Durch Beschluß vom 5.12.1988 (VBlBW 1989, 139) hat der Senat dem Bundesverwaltungsgericht die Rechtsfrage vorgelegt, ob das in § 10 Nr. 15 BO enthaltene Verbot der Produktwerbung außerhalb der Apotheke auch insoweit mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist, als es sich auf die Werbung für den Vertrieb apothekenüblicher Waren im Sinne von § 25 ApBetrO erstreckt. In dem Beschluß ist dargelegt, daß der Senat die Normenkontrollanträge für unzulässig hält, soweit sie sich gegen § 3 BO richten. Im übrigen hat er sie für zulässig, aber unbegründet erachtet und ist deshalb zur Auffassung gelangt, daß sie insgesamt abzuweisen sind, auch in bezug auf das absolute Verbot der (Außen-) Werbung für den Vertrieb apothekenüblicher Waren. An einer Entscheidung hat er sich aber gem. § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VwGO durch die entgegenstehende Rechtsauffassung im Normenkontrollurteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 24.6.1987 (NJW 1988, 2322) gehindert gesehen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die vorgelegte Rechtsfrage mit Beschluß vom 5.9.1991 - 3 N 1.89 - (DVBl. 1992, 303 = NJW 1992, 994 = VBlBW 1992, 92) bejaht und in den Gründen der im Vorlagebeschluß dargelegten Rechtsauffassung des Senats zugestimmt, daß die Überprüfung der umstrittenen Rechtsvorschriften im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit liegt, die landesgesetzliche Ermächtigung nicht durch das Heilmittelwerbegesetz ausgeschlossen ist, die Anwendung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen entfällt, soweit aufgrund staatlicher Ermächtigung gesetztes Berufsrecht der unternehmerischen Freiheit Grenzen setzt, und das Verbot der Außenwerbung für das Randsortiment auch nicht gegen Art. 5 und Art. 3 GG verstößt.

Die Antragsteller zu 2. bis 13. halten es nunmehr für erforderlich, dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob es mit Art. 30 und Art. 85 des EWG-Vertrags - EWGV - vereinbar ist, die in § 10 Nr. 15 BO genannten Werbeverbote zu erlassen und/oder bei Zuwiderhandlung standesrechtliche Maßnahmen anzudrohen oder zuzufügen. Sie sind der Auffassung, daß die Verbote Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen darstellten, die Art. 30 EWGV verbietet und die auch nicht durch zwingende Erfordernisse der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt seien, weil ihnen die Eignung zum Schutz der öffentlichen Gesundheit fehle, jedenfalls aber weil sie hierzu nicht erforderlich seien. Die Antragsgegnerin sei eine Vereinigung von Unternehmen, deren Berufsordnung eine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecke, die geeignet sei, den innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen, und die daher gegen das gemeinschaftsrechtliche Kartellverbot verstoße mit der in Art. 85 Abs. 2 EWGV normierten Folge, daß die Vorschrift des § 10 Nr. 15 BO nichtig sei. Der Verwaltungsgerichtshof sei im Normenkontrollverfahren gem. § 177 Abs. 3 EWGV zur Vorlage verpflichtet, weil gegen seine Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben sei.

Die Antragsgegnerin bestreitet die Vorlagepflicht des Senats und verneint auch deren sachliche Voraussetzungen.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat vorgetragen, er halte die Voraussetzungen für eine Vorlage für gegeben.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

Nach Art. 177 EWGV kann das Gericht eines Mitgliedstaates eine bei der Auslegung des Vertrags sich stellende Frage, deren Entscheidung es zum Erlaß des Urteils für erforderlich hält, dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen (Art. 177 Abs. 2). Handelt es sich um ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, ist es zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet (Art. 177 Abs. 3). Der Senat macht von dieser Möglichkeit in dem aus der Vorlagefrage ersichtlichen, gegenüber dem Antrag der Antragsteller zu 2. bis 13. eingeschränkten Umfang Gebrauch, weil sich insoweit eine Frage zur Auslegung des Art. 36 i.V.m. Art. 30 EWGV stellt, die entscheidungserheblich ist, mit ihrem Inhalt noch nicht Gegenstand der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof war und deren Beantwortung nicht derart offenkundig ist, daß für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. zu den Vorlagevoraussetzungen: EuGH, Urteil vom 6.10.1982, Rs. 283/81, NJW 1983, 1257). Dies geschieht ungeachtet des Falles, daß der Senat nicht nach Art. 177 Abs. 3 EWGV vorlagepflichtig sein sollte; es bedarf daher keiner Entscheidung der höchstrichterlich noch nicht geklärten Frage, ob der Normenkontrollsenat eines Oberverwaltungsgerichts/Verwaltungsgerichtshofs zu den Gerichten zählt, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, oder ob das Rechtsmittel der Nichtvorlagebeschwerde nach § 47 Abs. 7 VwGO - ebenso wie die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 133 VwGO (vgl. zur letzteren BVerwG, Beschluß vom 15.5.1990, Buchholz 402.26 § 12 AufenthG/EWG Nr. 7 S. 4) - die Vorlagepflicht entfallen läßt.

Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich. In prozeßrechtlicher Hinsicht entfällt die Entscheidungserheblichkeit nicht durch den Umstand, daß Gemeinschaftsrecht gegenüber widerstreitendem nationalen Recht lediglich einen Anwendungsvorrang genießt und nicht zur Nichtigkeit der nationalen Bestimmungen - gem. § 47 Abs. 6 Satz 2 VwGO dem Ziel der vorliegenden Normenkontrollanträge - führt (BVerfG, Urteil vom 28.1.1992, NJW 1992, 964; BVerwG, Urteil vom 29.11.1990, Buchholz 451.90 Nr. 97), weil der Rechtsanwendungsbefehl für die Geltung des EWG-Vertrags in der Bundesrepublik Deutschland durch das Zustimmungsgesetz hierzu vom 27.7.1957 (BGBl. II S. 753) erteilt worden ist und die angegriffene Satzungsvorschrift unmittelbar am Maßstab des Zustimmungsgesetzes (und nur mittelbar an dem des EWG-Vertrags selbst) zu prüfen ist (vgl. BVerfGE 52, 187, 199 zum umgekehrten Fall der Kontrolle von EG-Recht an nationalem Recht). In materiell-rechtlicher Hinsicht folgt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage daraus, daß nach dem Maßstab des nationalen Rechts die Normenkontrollanträge abweisungsreif sind. Dies ergibt sich aus den Beschlüssen des Senats vom 5.12.1988 und des Bundesverwaltungsgerichts vom 5.9.1991, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. Abgesehen vom Angriff auf die Vorschrift des § 3 BO, der bereits am fehlenden Rechtsschutzinteresse scheitert, können die Anträge aber zur Feststellung der Unvereinbarkeit der Werbebeschränkungen nach § 10 Nr. 15 BO mit Gemeinschaftsrecht und damit zur Nichtigkeitsfeststellung führen.

Die in § 10 Nr. 15 BO angeordneten Werbebeschränkungen stellen staatliche Maßnahmen dar, die nach Art. 30 EWGV im Grundsatz unzulässig sind, was bereits anhand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entschieden werden kann, ohne daß insoweit Zweifel verbleiben.

Art. 30 EWGV zielt auf die Schaffung und Bewahrung des freien Handelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten der EG und damit auf ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft (vgl. Art. 2 und 3 Buchst. a, Art. 8a EWGV). Er verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten. In Betracht zu ziehen ist hier allein der letztgenannte Anwendungsfall der "Maßnahmen gleicher Wirkung", denn die Werbebeschränkungen der Berufsordnung bewirken keinerlei Einfuhrverbot, Einfuhrkontingentierung oder ähnliche Beeinträchtigungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs. Eine Maßnahme gleicher Wirkung ist nach der vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung verwendeten Dassonville-Formel jede Handelsregelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern (EuGH, Urteil vom 11.6.1974, Rs. 8/74, NJW 1975, 515; vgl. auch Mathies in: Grabitz, EWG-Vertrag, Art. 30 RdNr. 12; Müller-Graff in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Vertrag, 4. Aufl. - im folgenden: G/T/E -, Art. 30 RdNr. 22). Hierzu zählen auch Werbebeschränkungen, die geeignet sind, den Vertrieb eingeführter Erzeugnisse zu erschweren (vgl. die Nachweise bei Mathies, a.a.O. RdNr. 39 und Müller-Graff, a.a.O. RdNr. 57). Vorschriften, die bestimmte Formen der Werbung beschränken oder verbieten, sind, obwohl sie die Einfuhr nicht unmittelbar regeln, dennoch geeignet, das Einfuhrvolumen zu beschränken, weil sie die Absatzmöglichkeiten hinsichtlich der eingeführten Erzeugnisse beeinträchtigen, und sind daher grundsätzlich als Maßnahmen gleicher Wirkung im Sinne von Art. 30 EWGV anzusehen (EuGH, Urteil vom 25.7.1991, Rs. C-1/90 und C-176/90, in zusammengefaßter Form wiedergegeben in JZ 1991, 1133; hierzu die Besprechung von Leupold/Nachbauer, JZ 1991, 1110). An die Eignung sind nur minimale Anforderungen zu stellen, denn es reicht jede auch nur potentielle Möglichkeit aus, ohne daß die Behinderung spürbar sein muß; die Behinderungseignung ist schon dann gegeben, wenn sie hinreichend substantiierbar ist (vgl. die Nachweise bei Müller/Graff, a.a.O. RdNr. 31). Daher kommt es nicht darauf an, wie hoch das von der hier angegriffenen Vorschrift betroffene Umsatzvolumen ist und ob und wie sie sich tatsächlich auswirkt, weil ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, daß ein Verbot bestimmter Werbemaßnahmen eine Verschlechterung der Absatzmöglichkeiten mit sich bringt und daß sich im Sortiment der Apotheken auch eingeführte Waren befinden. Daß die Werbebeschränkung des § 10 Nr. 15 BO unterschiedslos auf einheimische und ausländische Artikel anzuwenden ist, schließt die Anwendbarkeit des Art. 30 EWGV nicht aus, weil dieser nicht lediglich eine Diskriminierung ausländischer Erzeugnisse verbietet, sondern generell die Behinderung aller Einfuhren aus Mitgliedstaaten, weshalb z.B. auch Reimporte nicht behindert werden dürfen (Müller-Graff, a.a.O. RdNr. 28). Da über die negative Beeinflussung der Einfuhren in Form eines globalen Rückgangs des Einfuhrvolumens bestimmter Waren hinaus auch eine Veränderung der Handelsströme oder eine Kanalisierung der Einfuhren infolge der Beeinträchtigung der Handlungsfreiheiten bestimmter Marktteilnehmer verhindert werden soll (Mathies, a.a.O. RdNr. 16; Müller-Graff, a.a.O.), kommt es nicht darauf an, ob sich die zu prüfende Regelung als Verminderung des Einfuhrvolumens der betroffenen Erzeugnisse oder nur in einer Umsatzverlagerung zwischen Apotheken einerseits und anderen Anbietern andererseits auswirkt.

Unzweifelhaft ist ferner, daß als Urheber einer mitgliedstaatlichen Maßnahme im Sinne von Art. 30 EWGV jede zur Ausübung hoheitlicher Gewalt befugte Instanz gleich welcher Gewalt (Legislative, Exekutive, Judikative), welcher Organisationsebene usw. in Betracht kommt. Dies hat der Europäische Gerichtshof auch für Maßnahmen von Standesorganisationen mit hoheitlichen Befugnissen, insbesondere auch von Standesregeln, anerkannt (Urteil vom 18.5.1989, Rs. 266 und 267/87, NJW 1990, 2305). Die Satzungsbestimmung ist eine Maßnahme im Sinne dieser Rechtsprechung. Der Antragsgegnerin gehören kraft Gesetzes alle im Land Baden-Württemberg tätigen Apotheker an. Sie erläßt in ihrem das Land Baden-Württemberg umfassenden Zuständigkeitsbereich aufgrund staatlichen Mandats und unter staatlicher Aufsicht als öffentlichrechtliche Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (§ 6 KG) das die Berufspflichten der Apotheker, darunter auch hinsichtlich der Werbung und der Wettbewerbshandlungen, regelnde Recht, soweit es nicht bereits unmittelbar durch Gesetze des Bundes und des Landes geregelt wird, und überwacht seine Einhaltung (§§ 4 Abs. 1, 31 KG). Verstöße gegen die Berufspflichten werden durch Berufsgerichte geahndet, die Organe der Antragsgegnerin sind (§§ 17 Abs. 1 Nr. 4 und 5, 21, 54 ff. KG) und Disziplinarmaßnahmen aussprechen können; Verletzungen der von der Antragsgegnerin festgelegten Berufspflichten, die eine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit des Apothekers beweisen, können darüber hinaus zum Verlust der Apothekenbetriebserlaubnis (§ 4 Apothekengesetz) und der Approbation (§§ 6, 7 Bundesapothekerordnung) führen.

Ungeachtet dessen könnten die angegriffenen Werbebeschränkungen, die nach dem nationalen Recht der Bundesrepublik Deutschland eine legitime Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik darstellen, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein, was unter dem Gesichtspunkt des Art. 36 EWGV zu entscheiden ist.

Nach dieser Vertragsbestimmung stehen Art. 30 bis 34 EWGV Verboten oder Beschränkungen des freien Warenverkehrs nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind; die Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. Art. 36 EWGV ist nur anwendbar, wenn und solange es keine abschließende Gemeinschaftsregelung (Verordnung, Richtlinie, Entscheidung) gibt, die es überflüssig macht, den Schutz der aufgezählten Rechtsgüter den Mitgliedstaaten zu überlassen (st.Rspr.; vgl. hierzu Mathies, a.a.O. Art. 36 RdNr. 9 und Müller-Graff, a.a.O. Art. 36 RdNr. 13). Eine solche abschließende Regelung wird auch von den Antragstellern nicht behauptet. Werberestriktionen auf dem Gebiet von Heilmitteln und ähnlichem werden lediglich in Gestalt eines Verbots der Fernsehwerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel nach der Richtlinie 89/552/EWG vorgesehen, darüber hinausgehende Restriktionen sind (noch) nicht in Kraft, sondern lediglich Gegenstand eines Richtlinienvorschlags der EG-Kommission vom 18.7.1991 (vgl. Leupold/Nachbauer, S. 1115).

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es in den Grenzen des Art. 36 EWGV Sache der Mitgliedstaaten, über das Niveau, auf dem sie die Gesundheit und das Leben von Menschen schützen wollen, und über die Art zu entscheiden, in der dieses Niveau zu erreichen ist, solange eine gemeinschaftsrechtliche Regelung hierüber nicht besteht (z.B. Urteil vom 18.5.1989, a.a.O.; w.N.: Mathies, a.a.O. RdNr. 14; Müller-Graff, a.a.O. RdNrn. 37, 51). Damit ist kein Souveränitätsvorbehalt für eine ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf bestimmten Sachgebieten verbunden, vielmehr unterliegt die Inanspruchnahme des Art. 36 EWGV gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen (Mathies, a.a.O. RdNr. 6; Müller-Graff, a.a.O. RdNr. 3). Da Art. 36 EWGV eine Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenverkehrs, einer elementaren Grundlage der Gemeinschaft, eröffnet, muß seine Inanspruchnahme einer Rechtfertigungskontrolle im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten. Gerechtfertigt ist danach eine Maßnahme, wenn sie zum Schutz des jeweiligen Rechtsgutes geeignet und erforderlich ist und der Schutz nicht durch Mittel erreicht werden kann, die den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft weniger beeinträchtigen (Mathies, a.a.O. RdNr. 7; Müller-Graff, a.a.O. RdNr. 39).

Nach dem nationalen Recht der Bundesrepublik steht aufgrund des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts im Vorlageverfahren fest, daß das Verbot der Außenwerbung für apothekenübliche Waren durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist. Mit seinem Zweck, das vom Gesetzgeber ausgestaltete Berufsbild des Apothekers vor einer Verfälschungsgefahr dahingehend zu bewahren, daß der Apotheker seine Hauptaufgabe, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, hintanstellt und sich einträglicheren Geschäften zuwendet bzw. den Eindruck erweckt, als tue er dies, und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung gefährdet, sie werde von ihm unter Zurückstellung seines Gewinnstrebens fachkundig beraten, dient es der Volksgesundheit, nämlich der ordnungsgemäßen Versorgung mit Arzneimitteln und der Verhinderung von Arzneimittelfehlgebrauch (S. 10 f. des amtl. Abdrucks). Es ist zu diesem Zweck geeignet (S. 12) und verhältnismäßig (S. 13); daß ein milderes Mittel den Zweck der Regelung in § 10 Nr. 15 BO nachhaltig und auf Dauer ebenso erreichen würde, ist nicht feststellbar, insbesondere ist durch das Verbot einer lediglich "übertriebenen" oder "marktschreierisch" wirkenden Werbung nicht gewährleistet, daß die allmähliche Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes der Apotheke verhindert wird (S. 13 f.). Auch wenn die Maßstäbe für die Beurteilung der Werbung bei apothekenpflichtigen Waren strenger als beim Randsortiment sind, bedeutet dies nur, daß Werbung für apothekenpflichtige Waren das Vertrauen der Bevölkerung schneller und nachhaltiger zu zerstören vermag als Werbung für das Randsortiment, zumal es keine Erfahrungen darüber gibt, daß die Bevölkerung insoweit differenziert (S. 14 f.).

Es ist aber nicht über jeden vernünftigen Zweifel erhaben, daß sich diese auch vom vorlegenden Senat vertretene Auffassung unter gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten ebenfalls durchsetzen muß; der Europäische Gerichtshof setzt als Maßstab für den Grad der Evidenz die Überzeugung des nationalen Gerichts, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Europäischen Gerichtshof die gleiche Gewißheit über die Beantwortung der sich stellenden Frage besteht (vgl. Wohlfahrt in: Grabitz, Art. 177 RdNr. 53). Das Bundesverwaltungsgericht hat Einschätzungen, wie sich ein Werbeverbot auf das Erscheinungsbild eines Berufsstandes und damit seine Funktionsfähigkeit im Gesundheitswesen auswirkt, unter Hinweis auf die Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz vom 24.6.1987, NJW 1988, 2322 einerseits und den Vorlagebeschluß des Senats andererseits als kontrovers, nur begrenzt objektivierbar und in jedem Falle als mit einem stark prognostischen Einschlag versehen bezeichnet ( S. 15); eine ähnliche Auffassung wie das OVG Rheinland-Pfalz enthalten z.B. das Urteil des Kammergerichts vom 3.3.1987 - 1 Kart 4/86 - (VGH-Akten 9 S 2883/87, AS 361 ff.) und der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 19.3.1991, NJW-RR 1991, 1067 = MDR 1991, 611 (zur Abgabe von Warenproben für apothekenübliche Waren). Den abweichenden Entscheidungen liegt die Überzeugung zugrunde, daß Werberestriktionen für das Randsortiment der auch im vorliegenden Fall gegebenen Art über das zur Wahrung der Volksgesundheit Erforderliche hinausgehen (s. auch Taupitz, Wettbewerb der Apotheker im Zwiespalt der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung, NJW 1992, 937). Es ist daher nicht auszuschließen, daß die Werberestriktionen, auch wenn sie vor dem Grundrecht der Berufsfreiheit Bestand haben, vom Europäischen Gerichtshof unter dem Gesichtspunkt der Warenverkehrsfreiheit als nicht gerechtfertigt angesehen werden könnten. Nicht zweifelhaft ist hingegen, daß § 10 Nr. 15 BO weder eine willkürliche Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels darstellt. Sie trifft unterschiedslos die Werbung für einheimische wie für eingeführte Waren (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 25.7.1991, a.a.O.), und es sind auch keine anderen Anhaltspunkte in diesem Sinne vorgetragen oder erkennbar.

Keine Zweifel bestehen auch im Hinblick auf die Werbung für apothekenpflichtige wie freiverkäufliche Arzneimittel und diesen gleichgestellte Waren. Wie der Senat in seinem Beschluß vom 5.12.1988 ausgeführt hat (S. 22), unterliegen die Apotheker insoweit bereits durch das Heilmittelwerbegesetz weitgehenden Beschränkungen, die der Bundesgesetzgeber zum Zwecke der Verhinderung des Zuviel- und Fehlgebrauchs von Heilmitteln und gleichgestellten Mitteln erlassen hat (BVerwGE 67, 261, 263), so daß es im Arzneimittelbereich einen marktwirtschaftlichen Wettbewerb nicht geben kann. Eine derartige Regelung, die eine Kernfrage des nationalen Gesundheitssystems mit unmittelbarer Auswirkung auf Art und Niveau des Gesundheitsschutzes entscheidet, ist mit Art. 30 und 36 EWGV vereinbar. Dann gilt aber auch nichts anderes für berufsrechtliche Werbebeschränkungen, die sich gleichsam im Schatten des Heilmittelwerbegesetzes bewegen. Soweit die Berufsordnung ferner Werbung für die einzelne Apotheke als solche beschränkt, fehlt es bereits an der Anwendbarkeit von Art. 30 EWGV, weil die Beschränkung sich allein innerstaatlich auswirkt und damit nicht den innergemeinschaftlichen Handel negativ beeinflussen kann.

Es bedarf auch keiner Auslegung von Art. 85 EWGV durch den Europäischen Gerichtshof. Nach dieser Vertragsbestimmung sind mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Über den Begriff des Unternehmens und der Unternehmensvereinigung liegt eine gesicherte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vor, die es erlaubt, die Tätigkeit der Antragsgegnerin in dem hier entscheidungserheblichen Aspekt zu beurteilen, so daß eine Vorabentscheidung nicht einzuholen ist. Danach gilt ein weiter, funktionaler Unternehmensbegriff, der jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung umfaßt (EuGH, Urteil vom 23.4.1991, Rs. C-41/90, NJW 1991, 2891; weitere Einzelheiten bei: Koch in: Grabitz, Art. 85 RdNrn. 6 ff.; Schröter in: G/T/E, Vorbemerkung zu Art. 85 bis 89, RdNrn. 11 ff.); zu ihnen können daher neben den öffentlichen Unternehmen auch öffentlich-rechtliche Körperschaften gehören, sofern ihre Tätigkeit als erwerbswirtschaftliche einzuordnen ist (EuGH, Urteil vom 18.6.1975, Rs. 94/74, NJW 1975, 2162). Umgekehrt fällt die Tätigkeit einer öffentlichrechtlichen Körperschaft, soweit sie im öffentlichen Interesse und nicht zu Erwerbszwecken tätig wird, nicht unter Art. 85 EWGV (EuGH, a.a.O.). Die Grenzlinie verläuft also nicht entlang der Unterscheidung, ob sich die Tätigkeit der in Frage stehenden Einrichtung nach privatem oder nach öffentlichem Recht vollzieht, sondern ob sie wirtschaftlich tätig ist oder ob sie echte hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, d.h. in hoheitlicher Funktion zur Verwirklichung der durch das staatliche Gesetz festgelegten öffentlichen Interessen handelt. Dies folgt letztlich aus dem rechtssystematischen Aspekt, daß der EWG-Vertrag Wettbewerbsregeln für Unternehmen einerseits und eine Reihe von Bestimmungen über Wettbewerbsbeeinträchtigungen durch staatlichen Eingriff andererseits enthält (EuGH, a.a.O.). Die prinzipiell unterschiedliche Adressatenausrichtung führt dazu, daß es im Verhältnis der Art. 30 ff. EWGV, die sich an die Mitgliedstaaten und die ihnen eingeordneten Hoheitsträger wenden, und des Art. 85 EWGV, der das Verhalten von Unternehmen regelt, nur ganz begrenzt - etwa bei staatlicher Förderung privater Wettbewerbsverfälschungen - zu Konkurrenzlagen kommen kann (Müller-Graff, a.a.O., Art. 30 RdNr. 152 ff.; vgl. auch Mathies, a.a.O. Art. 30 RdNr. 51a). Schon von daher spricht vieles dafür, daß die - wie oben dargelegt - unter Art. 30 EWGV fallende Maßnahme der Antragsgegnerin nicht (auch) zum Geltungsbereich des Art. 85 gehört. Vor allem handelte die Antragsgegnerin bei Erlaß des § 10 Nr. 15 BO aber nicht als wirtschaftendes Subjekt oder als Vereinigung solcher Subjekte, sondern kraft gesetzlicher Rechtsetzungsdelegation, mit der der Staat ihr die Aufgabe zuweist, das Gesundheitssystem in der Bundesrepublik mitzugestalten, und mit der Kompetenz, in die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit ihrer Mitglieder einzugreifen, und damit eine hoheitliche Funktion auszuüben, die - gäbe es die Einrichtung der Selbstverwaltung der Heilberufe in Form des Kammersystems nicht - unmittelbar vom staatlichen Gesetzgeber selbst übernommen werden müßte. Der Umstand, daß die Antragsgegnerin durch ihre Normsetzung ihrerseits die wirtschaftliche Tätigkeit ihrer Mitglieder regelt, macht die Normsetzung nicht selbst zu einer solchen.