VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.02.1992 - 8 S 2695/91
Fundstelle
openJur 2013, 8059
  • Rkr:

1. Es ist in Anwendung des Abwägungsgebots nicht zu beanstanden, wenn die Gemeinde zur Bekämpfung der Wohnungsnot zur wirtschaftlich sinnvollen Ausnutzung des Baugrunds in Wohngebieten eine verdichtete, mehrgeschossige Bebauung zuläßt, auch wenn dadurch nur ein einzelner Bauträger begünstigt wird.

Tatbestand

Die Antragsteller wenden sich gegen die 6. Änderung des Bebauungsplans "K" vom 14.3.1991, die für einen Teil des Geltungsbereichs dieses Planes eine gegenüber der ursprünglichen Planung intensivere bauliche Nutzbarkeit ausweist.

Die Antragsteller sind Eigentümer von im Plangebiet gelegenen, mit eingeschossigen Wohnhäusern bebauten Grundstücken. Die Gebäude der Antragsteller 1 und 3 liegen südlich des Plangebiets in einer Entfernung von ca. 18 m von der im Plan festgesetzten Baugrenze; zwischen dem südöstlich gelegenen Haus des Antragstellers 2 und der Baugrenze beträgt die Entfernung ca. 40 m.

Am 20.12.1990 beschloß der Gemeinderat der Antragsgegnerin, den am 27.8.1981 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan "K" im Bereich des Flst. Nr., für den mit Änderungssatzung vom 26.3.1987 an Stelle von viergeschossiger Bebauung eingeschossige Wohnbebauung mit Einzelhäusern festgesetzt worden war, wiederum zu ändern. Nunmehr sollte dort bis zu dreigeschossige Wohnbebauung ausgewiesen werden.

Bereits im Rahmen der vorgezogenen Bürgerbeteiligung erhoben die Antragsteller Einwendungen. Sie befürchteten eine Verschlechterung des Wohnumfeldes durch erhöhten Verkehr und den Verlust der bislang gewährleisteten freien Aussicht. Sie wiederholten diese Bedenken nach der ordnungsgemäß bekannt gemachten öffentlichen Auslegung des Planes. Der für die verdichtete Bebauung angeführte Wohnbedarf könne auch an anderen Stellen des Gemeindegebiets befriedigt werden.

In der Sitzung des Gemeinderats vom 14.3.1991 wurden die von den Antragstellern erhobenen Bedenken sowie die Stellungnahme der Verwaltung hierzu vorgetragen. In der anschließenden Diskussion wurde auf die Notwendigkeit der Wohnraumbeschaffung hingewiesen und sodann der Plan bei zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung als Satzung beschlossen.

Die Planänderung erstreckt sich auf die Grundstücke Flst. Nrn. und. Sie sieht im südlichen, den Grundstücken der Antragsteller benachbarten Bereich ein allgemeines Wohngebiet mit zweigeschossiger Bebauung und einer GRZ von 0,4 und GFZ 0,8 vor. Jenseits einer in einer Entfernung von ca. 35 m von den Grundstücken der Antragsteller 1 und 3 in Ost-West-Richtung verlaufenden Linie ist dreigeschossige Wohnbebauung mit einer Grundflächenzahl von 0,4 und einer Geschoßflächenzahl von 1,0 zugelassen. Der Plan schreibt im übrigen offene Bauweise und eine Höhenbegrenzung von 611,20 bzw. 614 m vor. Auf der West-, Süd- und Süd- Ost-Seite der Grundstücke ist ein durchgehendes Zufahrtsverbot verfügt. Die Zufahrt ist nur - von der Ortsmitte kommend - aus nördlicher Richtung möglich.

Die Antragsteller haben am 21.10.1991 das Normenkontrollverfahren eingeleitet mit dem Antrag,

die Änderung des Bebauungsplans "K" in S vom 14. März 1991 für nichtig zu erklären.

Sie tragen vor: Der Bebauungsplan sei aufgrund eines Abwägungsfehlers zustande gekommen. Während man noch bei der letzten Planänderung die relativ aufgelockerte Bebauung beibehalten habe, sei alsbald danach ein Sinneswandel eingetreten. Die Baugenossenschaft S, an der die Antragsgegnerin maßgeblich beteiligt sei, habe das jetzt überplante Grundstück erworben und sei bei ihren Kalkulationen davon ausgegangen, daß sich der Kaufpreis nur bei einem Bau von siebzig Wohnungen rechtfertige. Diese Überlegung sei auch für die Entscheidung des Gemeinderats maßgebend gewesen, ihre (der Antragsteller) berechtigten Belange zurückzustellen. Sie hätten beim Erwerb ihrer Grundstücke auf den Bestand der Planung vertraut, zumal der Baubürgermeister ihnen die Auskunft erteilt habe, mit einer Planänderung sei nicht zu rechnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Sie trägt vor: Mit der jetzt streitigen Änderung habe man wieder auf das schon im Jahre 1981 beschlossene Konzept zurückgegriffen, nach dem im fraglichen Bereich sogar viergeschossige Bebauung zulässig gewesen sei. Man habe damit dem inzwischen wieder akut gewordenen Bedarf an Miet- und Eigentumswohnungen Rechnung tragen wollen. Die örtliche Baugenossenschaft habe zahlreiche Anfragen von kinderreichen Familien, Alleinerziehenden, Schwerbehinderten, Aussiedlern und Übersiedlern, die sich für Mietwohnungen interessierten. Das Land habe sein Förderprogramm schwerpunktmäßig auf diesen Personenkreis abgestellt. Zwar würden auch in anderen Teilen des Stadtgebiets Wohnungen dieser Art erstellt, die Nachfrage nach solchen Objekten sei jedoch ungebrochen. Die geplante Bebauung benachteilige die Antragsteller nicht. Diese hätten keinen Anspruch auf Beibehaltung einer bestehenden Planung. Der Charakter des Wohngebiets werde nicht verändert, da in anderen Bereichen bereits Geschoßwohnungsbau vorhanden sei. Auch läge die Geschoßzahl der Gebäude benachbarter Grundstücke zu denen des Änderungsbereichs nicht unangemessen auseinander. Der Verkehr zu dem Plangebiet führe nicht an den Grundstücken der Antragsteller vorbei.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Planaufstellungsverfahrens vor; auf diese wird wegen der Einzelheiten des Sachverhalts verwiesen.

Gründe

Der Senat entscheidet gem. § 47 Abs. 6 S. 1 VwGO durch Beschluß, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Sach- und Rechtslage läßt sich aus den dem Senat vorliegenden Akten entnehmen; sie wurde zwischen den Beteiligten ausreichend schriftsätzlich erörtert. Die Beteiligten wurden auf diese Verfahrensweise hingewiesen und haben keine Einwendungen erhoben.

Die Anträge bleiben ohne Erfolg.

Es bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob die Antragsteller durch die von ihnen bekämpfte Änderung des Bebauungsplans "K" einen Nachteil im Sinne von § 47 Abs. 2 VwGO erleiden. Ein solcher ist nämlich nicht schon bei jeder nachteiligen Veränderung der Grundstückssituation anzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (seit BVerwGE 59, 79 ff), der sich der Senat - wie auch alle anderen Oberverwaltungsgerichte - angeschlossen hat, setzt die Antragsbefugnis einen Nachteil von  e i n i g e m  G e w i c h t  voraus. Die Antragsteller machen hierzu geltend, der angegriffene Bebauungsplan lasse mehrgeschossige Bauweise im angrenzenden Bereich zu, so daß ihre Gebäude unmittelbar vor einer Häuserfront stünden. Dies ist augenscheinlich unrichtig. Zwischen den eingeschossigen Häusern der Antragsteller 1 und 3 und der Baugrenze für den zweigeschossig bebaubaren Teil des Plangebiets liegt eine Distanz von ca. 18 m; beim Antragsteller 2 sind es sogar knapp 40 m. Der Unterschied der Firsthöhe beläuft sich ausweislich der in den Akten befindlichen und mit dem Planentwurf ausgelegten Höhenschnitte bei den Antragstellern 1 und 3 auf maximal 3 m, beim Antragsteller 2 liegt der First höher als im zweigeschossig bebaubaren Bereich und genauso hoch wie in dem für eine dreigeschossige Bebauung vorgesehenen Grundstücksteil. Aus diesem Grund ist auch die weitere Behauptung der Antragsteller, die Belichtung ihrer Hausgrundstücke werde erheblich beeinträchtigt, unhaltbar. Dies um so mehr, als der Planbereich im Norden der Grundstücke der Antragsteller liegt, mithin also mit Verschattungen ohnedies nicht zu rechnen ist. Richtig ist dagegen, daß der bisher freie Blick beeinträchtigt wird, auf dessen Fortbestand haben die Antragsteller jedoch keinen Rechtsanspruch (vgl. BVerwG a.a.O. u. ständ. Rechtspr. aller Bausenate des VGH Bad.-Württ., vgl. Urt. des Senats v. 13.9.1991 - 8 S 1382/91 - m.w.N.). Insgesamt ist also davon auszugehen, daß die Planung - insbesondere auch angesichts der nach wie vor steigenden Grundstückspreise - wenn überhaupt, so doch jedenfalls keine nennenswerten Wertverluste der Grundstücke der Antragsteller verursachen wird. Dies alles legt - vor allem beim Antragsteller 2 - den Schluß nahe, daß es bereits an der Antragsbefugnis fehlt. Der Senat läßt dies jedoch letztlich offen, weil die Anträge auf jeden Fall unbegründet sind.

Der von den Antragstellern geltend gemachte Verstoß gegen das Abwägungsgebot liegt nicht vor. Ihre Belange wurden vom Gemeinderat der Antragsgegnerin gesehen und richtig gewürdigt. Die Antragsteller meinen, es sei ein Fehler in der Abwägung, daß sich die Antragsgegnerin zur Planänderung auf Wunsch der Baugenossenschaft S entschlossen habe. Aus den Akten ist insoweit zu entnehmen, daß sich schon im Jahre 1988 ein Ansteigen des Bedarfs an Geschoßwohnungsbau ergeben und die Antragsgegnerin dies zum Anlaß genommen hatte, im Geltungsbereich des Bebauungsplans "K" mehrgeschossige Bebauung vorzusehen, die inzwischen wohl auch realisiert ist. Weiter ergibt sich daraus, daß in der Tat die Baugenossenschaft sich mit Schreiben vom 11.1.1991 an die Antragsgegnerin gewandt und ihr den Erwerb des Grundstücks Flst. Nr. zum Preis von 195,-- DM pro qm mitgeteilt hat. In dem genannten Schreiben ist ausgeführt, daß man den Bau von Mietwohnungen plane, da derzeit ca. 400 Familien bei der Genossenschaft eine Mietwohnung suchten. Es handle sich bei den wohnungssuchenden Personengruppen um solche, die nach den Förderungsbestimmungen der Landeskreditbank begünstigt seien. Es sei beabsichtigt, Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus zu erstellen mit Mieten, die von Familien mit geringerem Einkommen verkraftet werden könnten. Man sei deshalb auf eine mehrgeschossige Bebauung angewiesen, um die Neubauten wirtschaftlich günstig erstellen zu können. Wenn die vorgeschriebene Obergrenze der Mieten überschritten werde, scheide eine Förderung durch die Landeskreditbank aus. Diese Zielsetzung der Baugenossenschaft ist auch im Gemeinderat diskutiert und von der überwiegenden Mehrheit der Gemeinderäte akzeptiert worden. Rechtsverstöße sind daraus nicht abzuleiten. Es ist offenkundig und bedarf keiner weiteren Aufklärung, daß derzeit in allen Teilen Deutschlands ein beträchtlicher Bedarf an Wohnraum besteht. An dessen Befriedigung wirken örtliche Baugenossenschaften ganz maßgeblich mit und es ist selbstverständlich, daß dies nur auf wirtschaftlich vertretbarer Kalkulation und Basis geschehen kann. Die Ermöglichung des Projekts der Baugenossenschaft S diente also unmittelbar einem überragend wichtigen öffentlichen Interesse.

Die dagegen von den Antragstellern angeführten privaten Belange haben kein auch nur annähernd vergleichbares Gewicht. Es geht ihnen - wie bereits bei den Ausführungen zur Antragsbefugnis dargelegt - um gänzlich unbedeutende Verschlechterungen der Umgebungssituation, die jedem Bauherrn und Hauseigentümer zuzumuten sind und die es auf keinen Fall rechtfertigen können, die Bereitstellung dringend benötigten Wohnraums zu behindern oder gar unmöglich zu machen. Es sollte keiner weiteren Begründung bedürfen, daß die Vergrößerung eines Wohngebiets um insgesamt maximal 59 Wohneinheiten, wie die Antragsgegnerin überzeugend berechnet hat - und nicht 70, wie die Antragsteller behaupten -, keine Veränderung des Wohnklimas und des Wohnumfelds mit sich bringt, die nicht auch von den Bewohnern eines Einfamilienhauses hingenommen werden könnte. Vorliegend kommt hinzu, daß der durch die Zunahme der Wohnbebauung ausgelöste zusätzliche Kraftfahrzeugverkehr die Antragsteller 1 und 3 überhaupt nicht, den Antragsteller 2 allenfalls geringfügig beeinträchtigen wird. Die Antragsgegnerin weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, daß im Bebauungsplan - insbesondere auch vor den Grundstücken der Antragsteller - Zufahrtsverbote für das Baugrundstück verfügt sind und demgemäß dort nicht mit einem Ansteigen des Verkehrs zu rechnen ist.

Die Antragsteller können sich schließlich auch nicht mit Erfolg auf die beim Kauf ihrer Grundstücke erteilte Auskunft eines städtischen Beamten berufen, denn diesem fehlt die Kompetenz für eine Entscheidung über den Fortbestand der Planung. Für eine Entscheidung dieses Inhalts ist ausschließlich der Gemeinderat als Träger der gemeindlichen Planungshoheit zuständig. Das auf eine solche, vom unzuständigen Organ abgegebene Erklärung aufbauende Vertrauen ist mithin nicht schutzwürdig und kann auf jeden Fall die planerische Freiheit des Gemeinderats nicht entscheidend einschränken.