VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 08.07.1991 - 5 S 762/90
Fundstelle
openJur 2013, 7831
  • Rkr:

1. Eine Landschaftsschutzverordnung leidet an einem Abwägungsfehler, wenn infolge veralteten Kartenmaterials nicht berücksichtigt wird, daß ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück in ihren Geltungsbereich einbezogen wird; dies gilt auch dann, wenn der Eigentümer bei der Auslegung des Planentwurfs keine Einwendungen vorgebracht hat.

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich gegen eine Landschaftsschutzverordnung des Landratsamts ..., die u.a. sein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück unter Landschaftsschutz stellt.

Der Antragsteller ist Eigentümer des am Ortsrand von P gelegenen Grundstücks Flst.Nr. 4664 im Gewann Pf. Dem Antragsteller wurde vom Bürgermeisteramt P am 28.4.1964 eine Baugenehmigung gemäß § 35 Abs. 2 BBauG für die Errichtung eines Einfamilienwohnhauses auf diesem Grundstück erteilt.

Das Landratsamt ... betrieb seit 1983 die Aufstellung einer Landschaftsschutzverordnung für die Hangbereiche des S zum N-tal im Bereich A ... Nach einer Stellungnahme der Bezirksstelle für Naturschutz- und Landschaftspflege S vom 28.4.1983 zeichnet sich das Gebiet im Bereich der S durch besondere biologische Vielfalt aus, die Streuobstwiesenhänge zum N-tal seien von hohem ökologischem Wert und bildeten einen Kontrast zu dem dichtbesiedelten N-teil und der stellenweise massiven Hangbebauung. Ferner müsse der besondere Erholungswert für die Allgemeinheit erhalten und teilweise wiederhergestellt werden. Das Regierungspräsidium ... erteilte am 13.6.1985 seine Zustimmung als höhere Naturschutzbehörde. Der Planentwurf wurde nach einer vorherigen Anhörung der Träger öffentlicher Belange in der Zeit vom 28.7. bis 28.8.1986 öffentlich ausgelegt.

Das Landratsamt ... erließ am 20.3.1987 die Landschaftsschutzverordnung "S ...". Die von der Landschaftsschutzverordnung erfaßten Grundstücke werden in § 2 Abs. 2 der Verordnung im einzelnen aufgeführt; außerdem verweist § 2 Abs. 3 auf eine Übersichtskarte im Maßstab 1 : 25.000 und 16 Flurkarten im Maßstab 1 : 2.500, in die die Grenzen des Landschaftsschutzgebietes eingetragen sind; diese Karten sind Bestandteil der Verordnung. Die Landschaftsschutzverordnung wurde am 25.3.1987 öffentlich bekannt gemacht.

Der Antragsteller hat am 4.4.1990 das Normenkontrollverfahren eingeleitet und beantragt,

die Verordnung des Landratsamts ... über das Landschaftsschutzgebiet "S ..." vom 20. März 1987 für nichtig zu erklären, soweit von der Unterschutzstellung das Grundstück des Antragstellers Flst. Nr. 4664 auf dem Gebiet der Stadt P, Gemarkung Pf erfaßt ist; hilfsweise die Landschaftsschutzverordnung insoweit für nichtig zu erklären, soweit von der Unterschutzstellung der südliche Teil des Grundstücks Flst.Nr. 4664 erfaßt ist, der außerhalb des als Steilhang zum Flst.Nr. 4978 abfallenden Teils des Flst.Nr. 4664 liegt.

Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, die Landschaftsschutzverordnung sei schon deswegen nichtig, weil der Verordnungstext nicht erwähne, daß auch das Gewann "Pf" erfaßt werde. Das in der Verordnung genannte Gewann "S" beginne erst jenseits des Baches nördlich seines Grundstücks. Bei der Aufstellung der Landschaftsschutzverordnung habe das Landratsamt ferner übersehen, daß sein Grundstück bebaut sei, denn die Flurkarte weise sein Grundstück als unbebaut aus. Der Verordnungsgeber habe somit die Beeinträchtigung seines Eigentumsrechts nicht zutreffend erkannt. Durch die Landschaftsschutzverordnung werde ihm eine sonst nach § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB mögliche Erweiterung seines Gebäudes unmöglich gemacht. Der in der Landschaftsschutzverordnung genannte Schutzzweck rechtfertige es nicht, sein Grundstück unter Schutz zu stellen; dies gelte jedenfalls für den Teilbereich oberhalb des Steilhangs.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er führt zur Begründung aus, es sei unschädlich, daß das Gewann "Pf" nicht in der Landschaftsschutzverordnung genannt sei, denn die von der Landschaftsschutzverordnung erfaßten drei Grundstücke dieses Gewanns seien mit ihrer Flurstücknummer aufgeführt worden. Die Bebauung auf dem Grundstück des Antragstellers stehe einer Unterschutzstellung nicht entgegen, denn die Schutzwürdigkeit ergebe sich aus der Einbindung in die Umgebung. Die Gewanne "S" und "Pf" seien von Streuobstwiesen mit teilweise altem Baumbestand geprägt. Wenn das Grundstück des Antragstellers herausgenommen worden wäre, hätte dies einen pfeilspitzförmigen Einschnitt in das Landschaftsschutzgebiet zur Folge gehabt. Die Interessen des Antragstellers seien durch den Erlaß der Landschaftsschutzverordnung nicht unangemessen zurückgesetzt worden, auch wenn sein Grundstück bereits bebaut sei. Es bestehe nämlich die Möglichkeit, bei baulichen Maßnahmen eine Befreiung zu erteilen. In jedem Fall müsse der unbebaute Steilhang in die Landschaftsschutzverordnung einbezogen bleiben.

Dem Senat liegen drei Hefte Akten des Landratsamts ... über die Aufstellung der Landschaftsschutzverordnung "..." vor.

Gründe

Der Antrag ist zulässig. Der Antragsteller ist nach § 47 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, denn er erleidet durch die Landschaftsschutzverordnung einen Nachteil. Eine Erweiterung seines Wohnhauses, die im Rahmen des § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB zugelassen werden muß, kann nämlich im Fall der Gültigkeit der Landschaftsschutzverordnung nur erfolgen, wenn ihm eine Befreiung von der Landschaftsschutzverordnung erteilt wird, worauf der Antragsteller aber keinen Rechtsanspruch hat.

Der Normenkontrollantrag ist im wesentlichen begründet.

Die mündliche Verhandlung hat ergeben, daß die Landschaftsschutzverordnung in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden ist. Es ist insbesondere unschädlich, daß der Textteil der Landschaftsschutzverordnung das Gewann "Pf", in dem das Grundstück des Antragstellers liegt, nicht nennt. Da sämtliche betroffenen Grundstücke mit der Flurstücknummer angegeben sind und diese in der numerischen Reihenfolge wiedergegeben werden, ist es für die Eigentümer der drei Grundstücke im Gewann "Pf", auf die sich der Geltungsbereich der Landschaftsschutzverordnung erstreckt, ohne weiteres zu erkennen, daß sie von der Landschaftsschutzverordnung betroffen werden. Die Bedenken hinsichtlich der Ausfertigung der Landschaftsschutzverordnung haben sich allerdings erst in der mündlichen Verhandlung als unberechtigt herausgestellt, nachdem der Vertreter des Antragsgegners erst zu diesem Zeitpunkt entgegen der Vorlageanordnung des Senats vom 5.4.1990 und einer notwendig gewordenen Mahnung vom 7.8.1990 ordnungsgemäß ausgefertigte Karten vorgelegt hatte.

Dieses außergewöhnliche Verhalten des Landratsamts ... das sogar zu einer Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zum Zwecke der Aufsuchung und Herbeischaffung der Originale gezwungen hatte, möge auf sich beruhen und allenfalls zu behördeninternen Folgerungen führen.

In materiell-rechtlicher Hinsicht ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, daß die Voraussetzungen für den Erlaß einer Landschaftsschutzverordnung nach § 22 NatSchG für den größten Teil des erfaßten Gebiets vorliegen. Im Streit ist lediglich, ob auch die Erstreckung der Landschaftsschutzverordnung auf das Grundstück des Antragstellers rechtmäßig ist. Dies ist nicht der Fall, soweit das Grundstück bebaut ist oder als Garten genutzt wird.

Die Landschaftsschutzverordnung leidet jedoch in bezug auf das Grundstück des Antragstellers an einem Abwägungsfehler, weil bei Erlaß der Landschaftsschutzverordnung nicht berücksichtigt worden ist, daß das Grundstück mit einem Wohnhaus bebaut ist. Weder in der Übersichtskarte Maßstab 1:25.000 noch in der Flurkarte Nr. 12 im Maßstab 1:2.500 ist das Wohnhaus des Antragstellers eingezeichnet. Dies ist darauf zurückzuführen, daß das Kartenmaterial nach einem aufgedruckten Vermerk bereits 1954 erstellt worden ist, also zu einem Zeitpunkt, als das Wohnhaus des Antragstellers noch nicht vorhanden war. Da diese Karten die Grundlage der Entscheidung des Landratsamts ... über die Aufstellung der Landschaftsschutzverordnung bildeten, konnte das Landratsamt bei der Abwägung der für die Unterschutzstellung sprechenden Belange des Natur- und Landschaftsschutzes mit den entgegenstehenden Interessen der betroffenen Grundstückseigentümer die Belange des Antragstellers nicht mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Abwägung einstellen; es liegt auf der Hand, daß die Einbeziehung eines bebauten Grundstücks in ein Landschaftsschutzgebiet einen wesentlich schwerwiegenderen Eingriff in das Eigentumsrecht darstellt als die Einbeziehung eines unbebauten Grundstücks. Die vom Antragsgegner vorgelegten Akten über die Aufstellung der Landschaftsschutzverordnung enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, daß dem Landratsamt trotz des unzureichenden Kartenmaterials die Bebauung des Grundstücks des Antragstellers bekannt gewesen ist.

Der Umstand, daß der Antragsteller bei der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs keine Einwendungen erhoben hat, schließt die Annahme eines Abwägungsfehlers nicht aus. Zwar gilt der vom Bundesverwaltungsgericht (Beschl.v. 9.11.1979 -- 4 Nl.78, 4 N 2 bis 4.79 -- BVerwGE 59, 87) für die Bauleitplanung entwickelte Grundsatz, daß der Planer nicht alles sehen könne, auch für die Aufstellung von Landschaftsschutzverordnungen. Es ist gerade Sinn und Zweck der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs, daß die Betroffenen die Beeinträchtigung ihrer Belange vortragen können und so zu einer Vervollständigung des Abwägungsmaterials beitragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem zitierten Beschluß vom 9.11.1979 aber zugleich klargestellt, daß der Planer jedenfalls solche privaten Belange in die Abwägung einbeziehen muß, deren Betroffenheit sich ihm von selbst aufdrängen muß. Dies ist der Fall, wenn ein bebautes Grundstück in eine Landschaftsschutzverordnung einbezogen wird, weil dadurch eine Vergrößerung des vorhandenen Gebäudes oder die Errichtung von Nebenanlagen zumindest erschwert wird und außerdem bei der Gestaltung des Gartens die Vorschriften der Landschaftsschutzverordnung zu beachten sind. Es stellt für die untere Naturschutzbehörde keinen unzumutbaren Verwaltungsaufwand dar, sich vor Erlaß einer Landschaftsschutzverordnung zu vergewissern, ob bebaute Grundstück in dem zu schützenden Bereich vorhanden sind. Die Naturschutzbehörde muß sich ohnehin ein eigenes Bild von der Schutzwürdigkeit der Landschaft verschaffen und kann sich bei der Abgrenzung des Schutzgebiets nicht ausschließlich auf Kartenmaterial oder die Stellungnahmen sachkundiger Stellen verlassen. Soweit im Einzelfall die Gefahr bestehen sollte, daß wegen des vorhandenen Bewuchses oder schwieriger topografischer Verhältnisse nicht der gesamte Bereich der Landschaftsschutzverordnung in Augenschein genommen werden kann, kann sich das Landratsamt durch eine Luftbildaufnahme oder durch gezielte Anfragen bei den Gemeinden darüber informieren, welche Bebauung in dem Schutzgebiet vorhanden ist.

Der Senat hielt es für geboten, abweichend von den vom Antragsteller gestellten Anträgen die Landschaftsschutzverordnung insoweit für nichtig zu erklären, als sie die Flst.Nr. 4664 und 4665 südlich der auf diesen Grundstücken verlaufenden K erfaßt. Der nördlich der K gelegene Teil des Grundstücks des Antragstellers stellt einen Steilhang dar, der gegenüber dem bewohnten Teil des Grundstücks (einschließlich des Außenwohnbereichs) deutlich abgegrenzt ist. Der Antragsteller behauptet selbst nicht, daß auch die Einbeziehung des Steilhangs in die Landschaftsschutzverordnung rechtswidrig sei. Der Hauptantrag des Antragstellers, mit dem dieser die Nichtigkeit der Landschaftsschutzverordnung für sein gesamten Grundstück geltend macht, war daher insoweit abzuweisen. Andererseits konnte die Landschaftsschutzverordnung nicht nur für den südlich der K gelegenen Teil des Grundstücks des Antragstellers für nichtig erklärt werden, wie dies der Antragsteller mit seinem Hilfsantrag begehrt hat. Vielmehr mußte auch der südlich der K gelegene Teil des Nachbargrundstücks Flst.Nr. 4665 einbezogen werden, weil nur auf diese Weise eine zweckentsprechende Abgrenzung des Landschaftsschutzgebiet erreicht werden kann.