VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.06.1990 - 10 S 1129/90
Fundstelle
openJur 2013, 7503
  • Rkr:

1. Verfehlt ein Verwaltungsakt mit eng begrenzter zeitlicher Reichweite ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung seinen Zweck, so bedarf es nicht noch der Darlegung eines besonderen Vollzugsinteresses.

Gründe

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Anordnung des Ministeriums für Umwelt vom 25.5.1990 wiederherzustellen, ist nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO statthaft. Er ist auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs ergibt sich aus Art. 2 § 9 Abs. 1 Nr. 1 AtG, der tatbestandlich eingreift, da die Streitigkeit die Stillegung einer Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen im Sinne dieser Bestimmung betrifft.

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides leidet nicht an einem formellen Mangel, der zu ihrer Aufhebung oder zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nötigt. Sie genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. Danach ist das besondere Interesse, von dem § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abhängig macht, schriftlich zu begründen. Die Rüge der Antragstellerin, es fehle an einer gesonderten Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung, greift nicht durch. Das Umweltministerium hat das gesetzliche Begründungserfordernis nicht übersehen. Vielmehr hat es ihm wie folgt Rechnung getragen: "Die sofortige Vollziehung der Anordnung war aus den dargelegten Gründen im öffentlichen Interesse, insbesondere aber im Hinblick auf das anhängige strafrechtliche Ermittlungsverfahren, anzuordnen." Diese Begründung ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht deshalb unzulänglich, weil es grundsätzlich für die Anordnung des Sofortvollzuges der Darlegung eines besonderen öffentlichen Interesses bedarf, das über das allgemeine öffentliche Interesse hinausgeht, das den Erlaß des belastenden Verwaltungsaktes als solchen rechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.1973, BVerfGE 35, 382). Dies bedeutet nicht, daß die Behörde in allen Fällen den Nachweis eines zusätzlichen Vollzugsinteresses zu erbringen hat. Art und Umfang der vorgeschriebenen Begründung lassen sich nicht losgelöst von Gegenstand und Zweck der Begründungspflicht bestimmen. Sie erschließen sich aus dem systematischen Zusammenhang, in den § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO hineingestellt ist. Wie aus § 80 Abs. 1 und 2 VwGO erhellt, ist nach der gesetzgeberischen Wertung, die eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.3.1985, BVerfGE 69, 233), die aufschiebende Wirkung die Regel und die sofortige Vollziehung die Ausnahme. Hat das öffentliche Interesse, das Voraussetzung dafür ist, daß ein belastender Verwaltungsakt ergeht, hinter dem Suspensivinteresse des Betroffenen zurückzustehen, so bedeutet dies, daß es sich erst nach Unanfechtbarkeit durchzusetzen vermag. Diese Folge erscheint dem Gesetzgeber hinnehmbar, da sich nur so ein effektiver Rechtsschutz gewährleisten läßt. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes kommt nur dann in Betracht, wenn überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen einstweilen zurückzustellen. Ein solcher Fall ist nicht nur dann gegeben, wenn ein über das allgemeine Vollzugsinteresse hinausgehendes besonderes öffentliches Interesse es notwendig macht, den Verwaltungsakt bereits vor Eintritt der Unanfechtbarkeit zu vollziehen. Auch die Antragstellerin verkennt nicht, daß sich ein solches Interesse schon aus der Art der getroffenen Maßnahme ergeben kann, ohne daß es einer weitergehenden Begründung bedarf. Zutreffend weist sie darauf hin, daß die Gründe für den Erlaß eines Verwaltungsaktes und für die Anordnung der sofortigen Vollziehung bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr jedenfalls dann identisch sein können, wenn zu befürchten ist, daß sich die Gefahr vor Eintritt der Bestandskraft verwirklicht. Damit ist jedoch entgegen ihrer Ansicht die Palette der Fälle, in denen die Behörde sich zur Begründung des besonderen Vollzugsinteresses darauf beschränken kann, auf die Begründung des Verwaltungsaktes zu verweisen, nicht abschließend bezeichnet. Der Nachweis eines besonderen Interesses erübrigt sich nicht zuletzt auch dann, wenn sich die Dringlichkeit des Vollzuges ähnlich wie bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr daraus ergibt, daß der angefochtene Verwaltungsakt ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung seinen Zweck verfehlt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 31.1.1984, NVwZ 1985, 58; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 23.10.1979, DÖV 1980, 527; Bay. VGH, Beschl. v. 6.2.1980, BayVBl. 1980, 246; OVG Hamburg, Beschl. v. 22.7.1982, GewArch. 1982, 384).

Dies trifft für die Verfügung vom 25.5.1990 zu. Der Antragstellerin wird aufgegeben, den Leistungsbetrieb des KWO "einstweilen bis zum 31.8.1990 einzustellen". Soll diese Anordnung nicht von vornherein wirkungslos bleiben, so bedarf es der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Es handelt sich um eine Maßnahme, die die typischen Merkmale einer bloß vorläufigen Regelung mit eng begrenzter zeitlicher Reichweite aufweist. Bliebe unter Wahrung des in § 80 Abs. 1 VwGO aufgestellten Grundsatzes die Entscheidung, ob die Antragstellerin verpflichtet ist, der an sie gerichteten Aufforderung nachzukommen, dem Klageverfahren vorbehalten, so wäre absehbar, daß die Verfügung des Umweltministeriums ins Leere ginge, denn es widerspricht jeglicher Erfahrung, daß der Anfechtungsprozeß innerhalb eines zeitlichen Rahmens rechtskräftig abgeschlossen werden kann, der Raum für die Annahme läßt, daß die gesetzte Frist noch nennenswert zum Tragen kommt. Aufgrund ihrer beschränkten Regelungsdauer ist einer Verfügung dieser Art das für die Anordnung der sofortigen Vollziehung wesentliche Element der Unaufschiebbarkeit immanent. Ist offenkundig, daß die getroffene Maßnahme ohne Anordnung des Sofortvollzuges den mit ihr verfolgten Zweck verfehlen müßte, so erübrigt es sich, ein weitergehendes öffentliches Interesse aufzuzeigen. Die Effektivität des Rechtsschutzes wird dadurch, daß auf den Nachweis eines weitergehenden Interesses verzichtet wird, nicht unzulässig beeinträchtigt, denn im Rahmen des § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann der Betroffene gerichtlich überprüfen lassen, ob die Gründe, die die Behörde für den angefochtenen Verwaltungsakt ins Feld führt, auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung tragen.

Reicht die Bezugnahme auf die Begründung der Einstellungsverfügung vom 25.5.1990 aus, so kann dahinstehen, ob auch der Hinweis auf "das anhängige strafrechtliche Ermittlungsverfahren" den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO gerecht wird.

Die Antragstellerin zeigt keine Gesichtspunkte auf, die es geboten erscheinen lassen, sie von der Beachtung der Verfügung vom 25.5.1990 vorerst freizustellen. Dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der vom Umweltministerium getroffenen Anordnung kommt, soweit sich dies überschlägig beurteilen läßt, ein größeres Gewicht zu als ihrem Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der von ihr erhobenen Klage. Denn beim derzeitigen Erkenntnisstand ist es als wenig wahrscheinlich anzusehen, daß sie mit ihrem Rechtsmittel durchdringen wird.

Die Antragstellerin rügt voraussichtlich erfolglos, vor Erlaß der Verfügung vom 25.5.1990 nicht in der rechtlich gebotenen Weise angehört worden zu sein. Nach § 28 Abs. 1 LVwVfG war ihr Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies ist geschehen. Sie trägt selbst vor, daß das Umweltministerium ihr am Nachmittag des 23.5.1990 anheimgegeben habe, zu der beabsichtigten Stillegung bis zum 25.5.1990, 12.00 Uhr, Stellung zu nehmen. Sie hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht. In einem siebenseitigen Schriftsatz trat sie der Ankündigung des Umweltministeriums, das KWO stillzulegen, entgegen. Bei dieser Gelegenheit brachte sie zwar zum Ausdruck, daß die Anhörung nach ihrer Einschätzung eine leere Förmlichkeit sei und den eigentlichen Zweck verfehle. Diese Rüge greift jedoch nicht durch. Als Grund für ihre Skepsis nannte sie nicht ihr Unvermögen, ihren Standpunkt in der Kürze der ihr zur Verfügung gestellten Zeit darzulegen, sondern ihre Überzeugung, daß die Entscheidung ohnehin bereits gefallen sei. Ein Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG kommt indes nicht schon deshalb in Betracht, weil das Umweltministerium am 23.5.1990 entschlossen war, eine Einstellungsanordnung zu erlassen. Denn für eine Anhörung auf der Grundlage dieser Bestimmung ist erst dann Raum, wenn der Erlaß eines belastenden Verwaltungsaktes bevorsteht. Ist die Behörde sich noch nicht darüber schlüssig geworden, ob sie überhaupt tätig werden will, so wäre es verfrüht, den in § 28 LVwVfG vorgezeichneten Verfahrensweg einzuschlagen. Erst wenn sie aufgrund ihrer Ermittlungen (vgl. § 24 LVwVfG) zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Voraussetzungen für den Erlaß eines Verwaltungsaktes erfüllt sind, entfaltet § 28 LVwVfG die ihm zugedachten Schutzwirkungen. Die Anhörung sichert in diesem Stadium des Verfahrens den Anspruch des Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Gleichzeitig dient sie der möglichst umfassenden Information der Behörde, der insbesondere bei Ermessensentscheidungen erhebliches Gewicht zukommt, da eine ordnungsgemäße Ermessensausübung die Kenntnis aller relevanten Umstände erfordert. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die vom Umweltministerium durchgeführte Anhörung ihrer Sicherungs- und Aufklärungsfunktion nicht gerecht geworden sein könnte. Die Antragstellerin weist zwar zu Recht darauf hin, daß der mit § 28 Abs. 1 LVwVfG verfolgte gesetzgeberische Zweck nur dann erreicht wird, wenn die Behörde das, was der Betroffene vorgebracht hat, zur Kenntnis nimmt und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Ihre Annahme, daß das Umweltministerium sich über dieses verfahrensrechtliche Gebot hinweggesetzt habe, findet in der angefochtenen Verfügung jedoch keinerlei Bestätigung. Schon die Tatsache, daß auf den Seiten 2 und 3 der Entscheidung vom 25.5.1990 der Inhalt ihres Schriftsatzes vom selben Tage in Stichworten referiert wird, zeigt, daß das Ministerium ihr Vorbringen zur Kenntnis genommen hat. Die Gründe der angefochtenen Verfügung lassen sich überdies als Beleg dafür werten, daß es die gegen eine Betriebseinstellung ins Feld geführten Argumente auch in Erwägung gezogen hat. Zwar trifft es zu, daß eine sachliche und substantielle Auseinandersetzung mit den Ausführungen der Antragstellerin fehlt. Das Umweltministerium läßt es auf Seite 4 der Verfügung mit der Bemerkung bewenden, daß die Darlegungen im Schriftsatz vom 25.5.1990 nicht geeignet seien, eine günstige Entscheidung zu tragen, da die Interessen der Antragstellerin hinter den Interessen der Allgemeinheit zurückzustehen hätten. Das von der Antragstellerin insoweit beklagte Argumentationsdefizit ist indes unter dem Aspekt des Anhörungsgebots irrelevant. Den formellen Anforderungen des § 28 Abs. 1 LVwVfG ist schon dann genügt, wenn der Betroffene ersehen kann, daß sein Vorbringen überhaupt Eingang in die Behördenentscheidung gefunden hat. Ob die Behörde seinen Ausführungen in der rechtlich gebotenen Weise bei ihrer Entscheidungsfindung Rechnung getragen hat, beurteilt sich nicht nach § 28 LVwVfG, sondern nach den Vorschriften des materiellen Rechts.

Auch inhaltlich begegnet die angefochtene Verfügung beim derzeitigen Erkenntnisstand keinen durchgreifenden Bedenken. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Bestimmung liegen vor, da das KWO nach den Feststellungen, die der Senat in seinem -- den Verfahrensbeteiligten mittlerweile mit seiner vollständigen Begründung vorliegenden -- Urteil vom 23.5.1990 im Verfahren 10 S 2495/89 getroffen hat, ohne die erforderliche Dauerbetriebsgenehmigung betrieben wird.

Freilich weist die Antragstellerin zutreffend darauf hin, daß § 19 Abs. 3 AtG, anders als die Sollvorschrift des § 20 Abs. 2 S. 1 BImSchG bei formell illegalem Betrieb einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage, die Einstellung nicht als Regelrechtsfolge vorsieht. Wird ein Kernkraftwerk ohne die erforderliche Genehmigung betrieben, so steht es vielmehr im Ermessen der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde, die Stillegung anzuordnen. Ist eine Behörde ermächtigt, nach Ermessen zu handeln, so ist ihre Entscheidung fehlerhaft, wenn sie sich rechtlich gebunden geglaubt und deshalb ihr Ermessen nicht ausgeübt hat (vgl. BVerwG, Urteile v. 28.2.1975, BVerwGE 48, 81, und vom 13.11.1981, Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 27). Indes deutet nichts darauf hin, daß das Umweltministerium einer solchen Fehldeutung erlegen sein könnte. Die Verfügung vom 25.5.1990 rechtfertigt nicht den von der Antragstellerin erhobenen Befund des Ermessensausfalls. Sie weist nicht die Merkmale einer rechtlich gebundenen Entscheidung auf. Das Umweltministerium hat sich weder von der Erwägung leiten lassen, mit der angeordneten einstweiligen Betriebseinstellung in Anlehnung an die in § 20 Abs. 2 S. 1 BImSchG getroffene Regelung einem Soll-Befehl des Gesetzgebers nachzukommen, noch in der Vorstellung befangen gesehen, einer verbindlichen Anweisung des Ministerpräsidenten Folge leisten zu müssen. Dies hat das Ministerium auf Seite 4 der angefochtenen Verfügung mit der Formulierung, daß es "in Ausübung des eingeräumten Ermessens" von der Befugnis des § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG Gebrauch mache, ausdrücklich klargestellt. Eine direkte oder auch nur versteckte Bezugnahme auf § 20 Abs. 2 S. 1 BImSchG oder die vom Ministerpräsidenten am 23.5.1990 abgegebenen Erklärungen ist der Verfügung nicht zu entnehmen. Woraus die Antragstellerin gleichwohl herleiten zu können glaubt, daß das Umweltministerium seiner Entscheidungsfreiheit faktisch und rechtlich beraubt gewesen sei, ist nicht ersichtlich. Ihre Feststellung, das Ministerium sei nicht in der Lage gewesen, Ermessen auszuüben, da es mit der Verfügung vom 25.5.1990 lediglich eine Stillegungsanordnung des Ministerpräsidenten vollzogen habe, entbehrt einer tragfähigen Grundlage. Fraglich ist bereits, ob die Äußerungen des Ministerpräsidenten sich als Weisung qualifizieren lassen. Selbst wenn davon auszugehen wäre, daß sie als solche gemeint waren und vom Umweltministerium auch in diesem Sinne verstanden wurden, rechtfertigt dies nicht die von der Antragstellerin gezogenen Schlüsse. Denn die Annahme, daß der Ministerpräsident seine Erklärung vom 23.5.1990 in der Überzeugung abgegeben haben könnte, ein Kernkraftwerk, das ohne die erforderliche Genehmigung betrieben werde, müsse stillgelegt werden, liegt fern. Schon dadurch, daß er als unmittelbare Reaktion auf das kurz zuvor verkündete Senatsurteil entscheidend auf den vom ihm konstatierten Mangel einer "gesicherten" formellen und materiellen Rechtsgrundlage für den Betrieb des KWO abhob und sich für eine "vorübergehende" Betriebseinstellung aussprach, brachte er deutlich zum Ausdruck, daß er nicht den Standpunkt vertrat, zwingendem Recht zur Geltung verhelfen zu müssen, sondern sich dafür stark machte, Handlungsermächtigungen zu nutzen, die das Atomgesetz einräumt. Es war dem Umweltministerium unbenommen, sich die Erwägungen zu eigen zu machen, die den Ministerpräsidenten veranlaßten, eine Stillegung zu befürworten. Die von ihm daraufhin getroffene Anordnung verlor nicht allein deshalb den Charakter einer Ermessenentscheidung, weil es sich der Würdigung anschloß, die den Erklärungen des Ministerpräsidenten zugrunde lag. Es kommt nicht darauf an, ob die Erwägungen, die in den Gründen der Verfügung vom 25.5.1990 ihren Niederschlag gefunden haben, Ausdruck einer völlig eigenständigen Ermessensausübung des Ministeriums waren. Entscheidend ist vielmehr, ob sie geeignet waren, die Entscheidung zu tragen.

Auch unter dem Blickwinkel eines etwaigen Ermessensfehlgebrauchs wird die Verfügung vom 25.5.1990 im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Anlaß zu rechtlichen Beanstandungen bieten.

Das Umweltministerium hat, soweit sich dies beim derzeitigen Erkenntnisstand beurteilen läßt, von seinem Ermessen in einer Weise Gebrauch gemacht, die dem Zweck der in § 19 Abs. 3 AtG enthaltenen Ermächtigung entspricht. Zu Unrecht leitet die Antragstellerin eine Zweckverfehlung daraus her, daß das Ministerium in der Begründung der Verfügung vom 25.5.1990 ausdrücklich hervorhebt, keinen Grund zu der Annahme zu haben, daß vom KWO Gefährdungen ausgehen könnten. Eine Betriebseinstellung auf der Grundlage des § 19 Abs. 3 AtG kommt nicht nur und nicht erst dann in Betracht, wenn es darum geht, die Nachbarschaft oder die Allgemeinheit vor Gefahren zu bewahren. Dies folgt bereits unmittelbar aus § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG, auf den die angefochtene Verfügung gestützt ist. Danach ist die Anordnung der einstweiligen Betriebseinstellung an die Voraussetzung geknüpft, daß eine kerntechnische Anlage ohne eine erforderliche Genehmigung betrieben wird. Diese Bestimmung stellt eine der Ausprägungen ("insbesondere") der Grundregelung des § 19 Abs. 3 S. 1 AtG dar, in der noch deutlicher zum Ausdruck kommt, daß atombehördliche Aufsichtsmaßnahmen nicht mit Gefahrenabwehrmaßnahmen gleichgesetzt werden können, da klargestellt wird, daß nicht nur Umstände, aus denen sich durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können, sondern auch Zustände, die aus sonstigen Gründen den Vorschriften des Atomgesetzes widersprechen, aufsichtsbehördliche Anordnungen rechtfertigen. Daß ein solcher Tatbestand erfüllt ist, wenn eine Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen unter Verstoß gegen § 7 AtG ohne Genehmigung betrieben wird, liegt auf der Hand.

Anders als die Antragstellerin vermag der Senat auch nicht zu erkennen, inwiefern das Umweltministerium bei seiner Entscheidung von unzutreffenden tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen sein soll.

Die Verfügung vom 25.5.1990 läßt entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht deshalb ein schlüssiges Entscheidungskonzept vermissen, weil sich das Ministerium auf die in § 1 Nr. 2 AtG normierte besondere Verpflichtung des Staates beruft, Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen. Es trifft nicht zu, daß die Schutzgüter dieser Bestimmung durch das "bloße Fehlen formeller Voraussetzungen" nicht beeinträchtigt werden. Als eine Ausformung des in § 1 Nr. 2 AtG formulierten Schutzzwecks erweist sich nicht allein die grundlegende Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, wonach eine Genehmigung "nur" erteilt werden darf, wenn die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist. Die normative Regelung begnügt sich in Ausfüllung der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Pflicht, Maßnahmen zum Schutz gegen die Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu ergreifen, nicht damit, die Genehmigungsbehörde an strenge materiell-rechtliche Genehmigungsvoraussetzungen zu binden. Vielmehr trägt sie der staatlichen Schutzpflicht zusätzlich auch dadurch Rechnung, daß sie die Erteilung einer Genehmigung von der Beachtung bestimmter Förmlichkeiten in einem mit mehrfachen Sicherungen ausgestatteten Genehmigungsverfahren abhängig macht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.1979, BVerfGE 53, 30). Vermögen diese verfahrensrechtlichen Vorkehrungen deshalb nicht zu greifen, weil ein Kernkraftwerk ohne die erforderliche Genehmigung betrieben wird, so widerspricht dies nicht allein den einschlägigen Vorschriften des formellen Rechts, sondern auch dem Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG.

Es kann entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht als Ausdruck sachfremder Erwägungen angesehen werden, wenn die Verfügung vom 25.5.1990 schwergewichtig auch damit begründet wird, daß die Antragstellerin mit dem derzeit ungenehmigten Betrieb des KWO den Straftatbestand des § 327 Abs. 1 StGB verwirklicht. Die Antragstellerin stellt selbst nicht in Abrede, daß der objektive Tatbestand dieser Strafnorm erfüllt ist. In Übereinstimmung mit § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG hebt § 327 Abs. 1 StGB allein darauf ab, ob eine kerntechnische Anlage (vgl. hierzu § 330 d Nr. 2 StGB) ohne die erforderliche Genehmigung betrieben wird. Nicht entscheidend ist, ob die Anlage genehmigungsfähig ist. Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Tathandlung zu einer konkreten Gefahr oder gar zu einer Verletzung geführt hat, denn § 327 Abs. 1 StGB weist die Merkmale eines abstrakten Gefährdungsdelikts auf. Es entspricht allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätzen, daß unter Strafe gestellte Handlungen unterbunden werden dürfen, denn das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfaßt die gesamte Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteile v. 8.9.1981, BVerwGE 64, 55, und v. 25.4.1989, BVerwGE 82, 34; StGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.1.1988, ESVGH 38, 81). Setzt die Antragstellerin sich über das strafbewehrte Verbot hinweg, das KWO ohne die erforderliche Dauerbetriebsgenehmigung zu betreiben, so liegt hierin eine Störung der öffentlichen Sicherheit, deren Beendigung sich das Umweltministerium im Rahmen der Ermessensermächtigung des § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG zulässigerweise als Ziel setzen darf. Unerheblich ist, ob die Antragstellerin straflos ausgehen muß, weil sie kein Rechtswidrigkeitsverdikt oder kein Schuldvorwurf trifft, denn für die Beurteilung ihrer verwaltungsrechtlichen Verantwortlichkeit kommt es auf diese Gesichtspunkte nicht an. Ohne Erfolg wendet die Antragstellerin ein, der Rückgriff auf § 327 StGB führe im Ergebnis dazu, daß das in § 19 Abs. 3 AtG normierte Ermessen der Aufsichtsbehörde beseitigt werde. Ebensowenig wie sonst im Polizeirecht verdichtet sich das aufsichtsbehördliche Handlungsermessen allein deshalb zu einer Pflicht zum Einschreiten, weil die Störung der öffentlichen Sicherheit in der Verletzung einer Strafnorm besteht. Die Entscheidung über die Betriebseinstellung wird durch die Tatbestandsmäßigkeit des strafrechtlichen Verhaltens nicht präjudiziert. § 327 Abs. 1 StGB verleiht dem öffentlichen Interesse, dessen Wahrung § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG vornehmlich dient, zwar ein erhebliches Gewicht, enthebt die Aufsichtsbehörde aber nicht automatisch der Verpflichtung, in eine Ermessensprüfung einzutreten, bei der auch andere Interessen berücksichtigt und ihrer Bedeutung entsprechend gewichtet und abgewogen werden müssen. Das Umweltministerium hat dies nicht verkannt. Es hat sich nicht damit begnügt, für die Betriebseinstellung allein § 327 StGB ins Feld zu führen; vielmehr hat es das anhängige strafrechtliche Ermittlungsverfahren als einen von mehreren Umständen charakterisiert, die das Gewicht der in § 1 Nr. 2 AtG normierten Schutzverpflichtung bestimmen.

Das Umweltministerium hat schließlich entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht deshalb, weil es mit seiner Maßnahme den Interessen der von der Anlage betroffenen Dritten hat Rechnung tragen wollen, Gesichtspunkte berücksichtigt, die nach dem Sinn und Zweck des Atomgesetzes keine Rolle hätten spielen dürfen. § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG dient auch dem Drittschutz. Werden die von § 7 AtG vorausgesetzten Schutzvorkehrungen dadurch umgangen, daß eine Anlage ohne die erforderliche Genehmigung betrieben wird, so entspricht es jedenfalls den Zielsetzungen des Atomgesetzes, diejenigen privaten Dritten in die Schutzwirkungen einzubeziehen, die bei Durchführung eines Genehmigungsverfahrens der durch § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG geschützten Personengruppe zuzurechnen gewesen wären (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, BVerwGE 61, 256, sowie das Urteil des Senats vom 23.5.1990 -- 10 S 2495/90 --). Die Beigeladenen gehören zum Kreis derjenigen, die dadurch in ihren Rechten betroffen sein können, daß ein nach § 7 AtG erforderliches Genehmigungsverfahren noch aussteht. Ihre Belange nicht gänzlich aus dem Auge zu lassen, war das Ministerium nicht nur berechtigt, sondern unter Berücksichtigung des mit § 19 Abs. 3 AtG verfolgten Schutzzwecks auch verpflichtet.

Fehl geht der Einwand der Antragstellerin, die angefochtene Verfügung leide deshalb an einem Ermessensfehler, weil das Umweltministerium dem öffentlichen Interesse an einer Betriebseinstellung ein Gewicht beigemessen habe, das ihm objektiv nicht zukomme. Die Anordnung vom 25.5.1990 ist ausdrücklich als eine vorläufige Maßnahme gekennzeichnet. Die Frist ist so bemessen, daß das Umweltministerium in die Lage versetzt wird, der Frage nachzugehen, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind, den Leistungsbetrieb des KWO auf eine einwandfreie formell-rechtliche Grundlage zu stellen. Überlegungen in dieser Richtung anzustellen, hatte das Ministerium in der Vergangenheit keine Veranlassung, da es davon ausging, daß der Betrieb des Kernkraftwerks durch die bisher erteilten Genehmigungen voll abgedeckt werde. Erst das Urteil des Senats vom 23.5.1990 löste insoweit einen konkreten Prüfungsbedarf aus. Es bedeutet keine Überbewertung des in § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG dokumentierten öffentlichen Interesses, wenn eine kerntechnische Anlage, die ohne eine erforderliche Genehmigung betrieben wird, jedenfalls so lange stillgelegt wird, bis die Aufsichtsbehörde Gelegenheit gehabt hat, sich wenigstens überschlägig mit der Frage der Genehmigungsfähigkeit auseinanderzusetzen. § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG knüpft grundsätzlich an die formelle Illegalität an, unabhängig davon, wie die materiell-rechtliche Situation zu beurteilen ist. Das gesetzgeberische Ziel ist es, den Betrieb kerntechnischer Anlagen, die ihrem Wesen nach gefahrenträchtig sind, losgelöst vom Nachweis des Eintritts einer Gefährdung im Einzelfall erst dann zuzulassen, wenn sich die Genehmigungsbehörde in einem Genehmigungsverfahren die Gewißheit verschafft hat, daß die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden getroffen ist. Dieser Schutzzweck wird unterlaufen, wenn vor Abschluß der Prüfung vollendete Tatsachen geschaffen werden. Im Atomrecht fehlt es, ebenso wie in anderen Bereichen des Umweltrechts, an einem der Baufreiheit entsprechenden Grundsatz. Auch für einen eigentumsrechtlich fundierten Bestandsschutz ist kein Raum, denn das Recht, potentiell gefährliche Anlagen zu errichten und zu betreiben, gehört nicht zum Inhalt des Grundeigentums. Hieran vermag entgegen der Auffassung der Antragstellerin der Umstand nichts zu ändern, daß für das KWO ein breites Genehmigungsfundament vorhanden ist. Ebensowenig kommt es darauf an, daß das Kernkraftwerk nach der Einschätzung der Reaktorsicherheitskommission keine Mängel aufweist, die aus sicherheitstechnischer Sicht Sofortmaßnahmen nötig machen. Es mag sein, daß die Anlage nach zahlreichen Nachrüstungsmaßnahmen an den neuesten Stand sicherheitstechnischer Überlegungen "weitgehend angepaßt" worden ist. Diese zur Verbesserung der Anlagensicherheit vorgenommene Ertüchtigung bietet aber noch keine ausreichende Legimitation für eine Betriebsfortsetzung. § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG greift tatbestandlich nicht nur dann ein, wenn ein genehmigungsloser Zustand besteht. Er ist auch anwendbar, wenn zwar ein genehmigter Bestand vorhanden ist, der tatsächliche Betrieb aber über das hinausgeht, was die Genehmigung rechtlich hergibt. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn der Betrieb trotz Genehmigung an einem Genehmigungsdefizit leidet, weil er zwischenzeitlich eine wesentliche Veränderung erfahren hat oder weil sich herausstellt, daß in einer Kette von Teilgenehmigungen ein Glied fehlt. Das KWO kann nicht auf Dauer auf der Basis der bisher erteilten Teilgenehmigungen betrieben werden. Das von der Antragstellerin eingeleitete gestufte atomrechtliche Genehmigungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Nach den Feststellungen, die der Senat im Urteil vom 23.5.1990 getroffen hat, ist der letzte Teilschritt auf der Gestattungsebene noch nicht vollzogen worden. Bleibt der erforderliche Schlußstein im weiteren Gang der Entwicklung aus, so fällt das bisher errichtete Genehmigungsgebäude in sich zusammen. Vor dieser Konsequenz vermag die Antragstellerin auch der Nachweis nicht zu bewahren, daß das KWO seit nunmehr 22 Jahren ohne Beanstandungen und ohne Beeinträchtigung der Nachbarschaft läuft. Denn für den Betrieb eines in Teilschritten genehmigten Kernkraftwerks bedarf es einer lückenlosen und vollständigen Kette aufeinander aufbauender Teilgenehmigungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.9.1988, BVerwGE 80, 207). Daran fehlt es hier, wie der Senat in seinem Urteil vom 23.5.1990 eingehend dargelegt hat.

Die Verfügung vom 25.5.1990 läßt entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erkennen. Allerdings trifft es zu, daß die Aufsichtsbehörde von einer Stillegungsanordnung abzusehen hat, wenn ein milderes Mittel ausreicht, um dem Schutzzweck des § 19 Abs. 3 AtG Genüge zu tun. Besteht begründeter Anlaß für die Annahme, daß die Anlage, wenn auch formell illegal, in Einklang mit den materiell-rechtlichen Vorschriften des Atomgesetzes betrieben wird, so bedarf es einer Betriebseinstellung nicht, wenn der Mangel der Genehmigung ohne weiteres behoben werden kann. Sind in dieser Hinsicht Zweifel angebracht, so geht dies indes zu Lasten des Betreibers der ungenehmigten Anlage. Die Behörde braucht nicht erst umfangreiche und zeitraubende Ermittlungen über die Genehmigungsfähigkeit anzustellen, bevor sie sich des Mittels einer Stillegungsanordnung bedient, denn andernfalls liefe § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG gerade dort leer, wo er nach der gesetzgeberischen Intention seine eigentlichen Wirkungen entfalten soll, nämlich in der Phase, in der die Frage der Genehmigungsfähigkeit noch offen und ungeklärt ist (vgl. für das Immissionsschutzrecht BVerwG, Urt. v. 15.12.1989, DVBl. 1990, 371; OVG Berlin, Beschl. v. 16.7.1985, NVwZ 1985, 756; OVG Rheinland Pfalz, Urt. v. 4.3.1986, NVwZ 1986, 665; Bay.VGH, Beschl. v. 29.4.1987, GewArch. 1987, 386; Senatsbeschl. v. 5.1.1989 -- 10 S 1490/88 --). Die Antragstellerin irrt, wenn sie meint, "im Hinblick auf die zahlreichen umfassenden und unanfechtbaren Genehmigungen und im Hinblick auf deren Bindungswirkung" könne die noch ausstehende Schlußgenehmigung nur eine reine Formalie sein, da der Antragsgegner "alle Betriebszustände geprüft und als genehmigungsfähig beurteilt" habe. Erst eine nähere Analyse kann Aufschluß darüber geben, ob ihre Annahme zutrifft, daß sich der jetzige Genehmigungsstock von der noch fehlenden Dauerbetriebsgenehmigung bloß durch das von ihr sogenannte "Delta" unterscheidet, "das nur im formellen Bereich liegt und nicht mit zusätzlichen, bislang nicht geprüften Genehmigungsvoraussetzungen verbunden ist". Richtig ist freilich, daß nicht mehr bei jedem noch ausstehenden Genehmigungsschritt geprüft zu werden braucht, ob bereits genehmigte Anlagenteile unter dem Aspekt der Risikovorsorge dem jeweils aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik voll gerecht werden. Vielmehr entfalten früher erteilte Genehmigungen auch dann eine Bindungswirkung, wenn Wissenschaft und Technik inzwischen ein höheres Maß an Vorsorge ermöglichen als der genehmigte Teil der Anlage gewährleistet. Die Behörde kann diese Bindung nur unter den in § 17 AtG genannten Voraussetzungen durch nachträgliche Auflagen oder durch einen Widerruf überwinden (vgl. BVerwG, Urteile v. 19.12.1985, BVerwGE 72, 300, und v. 9.9.1988, a.a.O.). Die Beschränkung der Prüfung bei weiteren Teilgenehmigungsschritten auf die in früheren Teilentscheidungen noch nicht behandelten Fragen entbindet sie jedoch nicht von der Pflicht, sich darüber Gewißheit zu verschaffen, ob sich das von ihr gefällte vorläufige positive Gesamturteil immer noch als tragfähig erweist. Denn das prognostische Urteil, daß sich das Gesamtvorhaben voraussichtlich als genehmigungsfähig erweisen werde, entfaltet nach Maßgabe seiner Vorläufigkeit für neue Teilgenehmigungen lediglich eine eingeschränkte Bindungswirkung, die entfällt, wenn ein noch nicht abschließend geprüfter Teil des Genehmigungstatbestandes nach dem Ergebnis einer späteren Detailprüfung nicht so, wie ursprünglich vorgesehen, verwirklicht werden kann, oder infolge einer Änderung der Sach- oder Rechtslage neue Anforderungen gestellt werden müssen. Das vorläufige positive Gesamturteil ist mit jeder weiteren Teilgenehmigung unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik daraufhin zu überprüfen, ob es noch aufrechterhalten werden kann. Ist nicht sicher, ob eine bereits teilweise genehmigte Anlage so, wie sie konzipiert ist, in Einklang mit § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG betrieben werden kann, so darf eine neue Teilgenehmigung erst erteilt werden, wenn die Zweifel, sei es aufgrund einer ergänzenden Aufklärung, sei es nach einer Änderung des Anlagenkonzepts, ausgeräumt sind (vgl. BVerwG, Urteile v. 19.12.1985, a.a.O., vom 4.7.1988, BVerwGE 80, 21, und v. 9.9.1988, a.a.O.; Beschl. v. 13.7.1989, UPR 1989, 439, sowie Urteil des Senats vom 23.5.1990 -- 10 S 2495/89 --). Der Schluß, daß in dieser Hinsicht beim KWO noch ein Untersuchungsbedarf besteht, ist nicht von der Hand zu weisen.

Die angefochtene Stillegungsverfügung steht schließlich nicht deshalb außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Zweck, weil sie die Antragstellerin finanziell hart trifft. Die nachteiligen Folgen, die die Betriebseinstellung mit sich bringt, werden dadurch gemildert, daß die Anlage auch ohne behördliche Anordnung im Rahmen der routinemäßig vorgesehenen Revision vom 23.6. bis zum 30.7.1990 außer Betrieb genommen worden wäre. Die Antragstellerin macht nicht geltend, daß durch die vom Umweltministerium getroffene Sofortmaßnahme vorhandene Vermögenswerte vernichtet werden. Die Möglichkeit, den Leistungsbetrieb wiederaufzunehmen, wird ihr weder endgültig entzogen noch auch nur dadurch wesentlich erschwert, daß sich die Zeit, in der die Anlage ohnehin in kaltem, unterkritischem und drucklosem Zustand zu halten ist, um einige Wochen verlängert. Nicht zu verkennen ist freilich, daß die Antragstellerin nach ihren glaubhaften Angaben bei einem zusätzlich Betriebsausfall von 61 Tagen einen Verlust von rund 60 Mio. DM erleidet. Diese Einbuße brauchte jedoch entgegen ihrer Ansicht nicht den Ausschlag dafür zu geben, daß das Umweltministerium von einer Stillegung absah. Daß selbst kurzfristige Betriebsunterbrechungen Ausfälle in Millionenhöhe verursachen, ist keine Besonderheit des KWO, sondern eine für jedes Kernkraftwerk typische Folge. Würde dieser Aspekt allein ausreichen, um der Aufsichtsbehörde das Instrument einer Stillegungsverfügung aus der Hand zu schlagen, so erwiese sich § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG im Rahmen der staatlichen Aufsicht als eine weitgehend unbrauchbare Waffe. Ermächtigt der Gesetzgeber die Aufsichtsbehörde, den Betrieb eines Kernkraftwerkes einzustellen, so mutet er dem Betreiber die hiermit zwangsläufig verbundenen erheblichen Vermögensopfer zu. Erst der Nachweis eines darüber hinausgehenden Schadens wirft die Frage auf, ob die Stillegung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Das Vorbringen der Antragstellerin ist indes nicht geeignet, in dieser Hinsicht Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung aufkommen zu lassen.