OLG Hamm, Beschluss vom 25.02.2010 - 89/09
Fundstelle
openJur 2013, 6978
  • Rkr:
Tenor

1.

Die Auslieferung der Verfolgten nach Polen zum Zwecke der Strafvoll-streckung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in Gorzow Wlkp. vom 04. April 2008 - Az.: II Kop 68/08 - in Verbindung mit dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts in Gorzow Wlkp. vom 22. März 2005 - Az.: X K 1806/04 - bezeichneten Tat ist unzulässig.

2.

Die Auslieferung der Verfolgten nach Polen zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der ihr im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in Gorzow Wlkp. vom 22. April 2009 - Az.: II Kop 73/09 -, der sich auf den Beschluss des Amtsgerichts in Gorzow Wlkp. vom 12. März 2009 - Az.: II Kp 147/09 - stützt, vorgeworfenen Tat ist unzulässig.

Gründe

                                                                                    I.

                                                                               

Die polnischen Behörden betreiben gegen die Verfolgte ein Auslieferungsverfahren zum Zwecke der Strafvollstreckung wegen Diebstahls (4 Ausl A 163/08) sowie ein Auslieferungsverfahren zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Betruges (4 Ausl A 89/09).

Sie haben die Verfolgte zum Zwecke der Strafvollstreckung nach Art. 95 SDÜ im Schengener Informationssystem zur Festnahme und Auslieferung ausgeschrieben. Gestützt ist die Ausschreibung auf den Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in Gorzow Wlkp. vom 04. April 2008 - Aktenzeichen: II Kop 68/08 -. Dieser wiederum beruht auf dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts in Gorzow Wlkp. vom 22. März 2005- X K 1806/04 -, durch das die Verfolgte zu einer noch in voller Höhe zu vollstreckenden Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Monaten verurteilt worden war. Darin wird ihr zur Last gelegt, am 24./25. August 2004 in Gorzow Wielkopolski/Polen in dem Lokal "T" der Geschädigten N eine Handtasche, in der sich ein Funktelefon der Marke F, ein Personalausweis und ein Studentenausweis befand, im Gesamtwert von 800,- Zloty gestohlen zu haben.

Weiterhin ersucht das Bezirksgericht in Gorzow Wlkp. auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls vom 22. April 2009 -  Aktenzeichen: II Kop 73/09 - um Auslieferung der Verfolgten zur Strafverfolgung. Diesem Haftbefehl liegt der Beschluss des Amtsgerichts in Gorzow Wlkp. vom 12. März 2009 - Aktenzeichen II Kp 147/09 - zugrunde, mit dem gegen die Verfolgte die Sicherungsmaßregel der Untersuchungshaft angeordnet wurde. Insoweit wird der Verfolgten vorgeworfen, am 02. April 2005 in Gorzow Wlkp. einen Betrug und eine Urkundenfälschung begangen zu haben. Sie soll nach der früheren Fälschung der Beschäftigungs- und Lohnbescheinigung der Firma S durch die eigenhändige Ausschreibung, Unterschreibung und Abstemplung des Scheines das Dokument als authentisches zwecks Gewährung eines Kredites zum Wareneinkauf (System Ratenverkauf) über 2000,- Zloty zum Nachteil der X Bank benutzt haben.

             

Die Verfolgte ist ausschließlich polnische Staatsangehörige, lebt seit Herbst 2005 in der Bundesrepublik und ist hier seit dem 01. Juni 2006 amtlich gemeldet. Sie ist seit dem 22. Oktober 2008 mit dem deutschen Staatsangehörigen I verheiratet und Mutter der am 19. Juli 2008 geborenen gemeinschaftlichen Tochter Y. Nach der Geburt ihrer Tochter hat sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet erhalten. Die Verfolgte ist bestrebt, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen.

Vor diesem Hintergrund hat sie sich unter Hinweis auf ihre familiäre Situation darauf berufen, dass eine Auslieferung nach Polen für sie eine besondere Härte darstelle. Ihr Kind sei auf ihre Versorgung angewiesen, da der Kindesvater vollschichtig erwerbstätig sei. Eine anderweitige Betreuung und Versorgung des Kindes sei nicht gewährleistet. Insoweit würde sich eine Auslieferung zum jetzigen Zeitpunkt auch  gravierend negativ auf das Kindeswohl auswirken. Einer Auslieferung hat sie ausdrücklich widersprochen.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat mit näheren Ausführungen beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären.

                                                                                       II.

Die von den polnischen Behörden beantragte Auslieferung der Verfolgten ist nicht zulässig, da ihr ein Auslieferungshindernis entgegensteht, § 73 Abs. 1 IRG.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Entscheidung über die Auslieferung die Überprüfung geboten, ob diese oder ihr zugrunde liegende Akte mit unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und mit dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard an elementarer Verfahrensgerechtigkeit, der über Art. 25 GG einen Bestandteil des in der Bundesrepublik innerstaatlich geltenden Rechts darstellt, vereinbar sind (BVerfGE 59, 280; 63, 332, 337 f.; BVerfG NStZ 2001, 203, 204; Senatsbeschluss vom 29. Januar 2006  - (2) 4 Ausl A 34/05 (17-18/06) - m.w.N., NStZ-RR 2006, 216). Wie bei innerstaatlichen Verfahren muss auch im Auslieferungsverfahren der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2006, a.a.O.).

Der Auslieferung steht im vorliegenden Fall der "ordre public Vorbehalt" des § 73 Satz 1 IRG infolge Art. 6 Abs. 1 GG entgegen, weil die Auslieferung der Verfolgten einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das grundrechtlich geschützte Familienleben darstellen würde (vgl. Art. 8 Abs. 1 MRK). § 73 Satz 1 IRG dient nämlich der Beachtung der für Deutschland völkerrechtlich verbindlichen Menschenrechte. Ehe und Familie stehen nach Art. 6 Abs. 1 GG unter dem besonderen Schutz des deutschen Grundgesetzes, wobei in Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 i.d.F. vom 17. Mai 2002 (MRK) eine komplementäre Rechtsgrundlage für diesen Schutz aufzufinden ist, die sowohl in Deutschland als auch in Polen als regionales Vertragsvölkerrecht zur Anwendung kommt (vgl. zur grundsätzlichen Entsprechung von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 MRK beim Schutz der Familie M/M, in Grote/Marauhn, Konkordanzkommentar EMRK/GG, 2006, Kap. 16 Rn. 15 ff. m.w.N.)

Zwar ist mit der herrschenden Meinung grundsätzlich davon auszugehen, dass familiäre Belange, wie die Ehe einer Ausländerin mit einem deutschen Staatsangehörigen und im Inland zu versorgende Kinder einer Auslieferung auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 GG nicht entgegen stehen (Senatsbeschlüsse vom 23. November 1999 - (2) 4 Ausl. 21/99 (95/99) - m.w.N., NStZ-RR 2000, 158, vom 21. Dezember 2006 - (2) 4 Ausl A 25/06 (313/06) - m.w.N., StraFO 2007, 162 f. und vom 09. Juli 2009 - (2) 4 Ausl A 69/09 (220/09) - m.w.N.). Diese Auffassung wurde auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt (Beschluss vom 01. Dezember 2003 - 2 BvR 879/03 - m.w.N., NStZ-RR 2004, 179 f.). Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass auch die nach nationalem Recht zulässige Durchführung eines Strafverfahrens und die in ihm ausgesprochene Sanktion zwingend das Familienleben auch bei zu versorgenden (Klein-)Kindern beeinträchtigen. Sodann kann aber - zumal ein Nachzug der Familie nicht ohne weiteres ausgeschlossen ist - für die Abwägung bei der Auslieferung prinzipiell nichts anderes gelten: Wenn und soweit die familiären Belange des Verfolgten auch nach deutschem Recht die Strafverfolgung und die Strafvollstreckung nicht hindern, die regelmäßig zu vielgestaltigen Beeinträchtigungen des Familienlebens führen, ist auch die auslieferungsrechtliche Abwägung zu Art. 6 Abs. 1 GG nicht gegenteilig vorzunehmen, sofern die eintretenden Beeinträchtigungen - was regelmäßig der Fall ist - im Wesentlichen denen vergleichbar sind, die bei einer Aburteilung in Deutschland entstehen könnten. Somit ist auch gewährleistet, dass auch die Gründung einer Familie im Ergebnis nicht vor einer Bestrafung wegen Taten schützt, die im Ausland begangen worden sind (Sentatsbeschlüsse vom 21. Dezember 2006, a.a.O., und vom 30. Juni 2009 - (2) 4 Ausl. A. 108/09 (195/09) -).

Die herrschende Meinung lässt indes Ausnahmen zu, indem sie im Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Anspruch auf Ehe- und Familienleben und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse des ersuchenden Staates vornimmt (Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006 m.w.N, a.a.O..). So hat das OLG Stuttgart entschieden, dass bei Jugendlichen die Abwägung besonders vorsichtig zu erfolgen habe, wenn diese von ihrer Familie getrennt würden: "Bei Jugendlichen und Heranwachsenden steht Art. 8 MRK einer Auslieferung entgegen, wenn diese eine, gemessen an der Schwere der ihr zugrundeliegenden Tat, schlechthin unverhältnismäßige Zerstörung der Familienbeziehungen des Betroffenen zur Folge hätte" (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 15. April 2004, NStZ-RR 2004, 345). Das OLG Köln hat in einer Entscheidung vom 15. August 2006 - 6 Ausl 19/06 - ausgeführt, dass zwar die internationale Offenheit des vom Grundgesetz verfassten Staates sowie sein Interesse an der Durchsetzung des eigenen Strafanspruchs im Ausland regelmäßig den Schutz des Art. 6 GG überwiege, familiäre Belange aber in ganz besonderen Ausnahmefällen einer Auslieferung entgegenstehen können.

Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass eine Auslieferung wegen Verstoßes gegen das sich aus Art. 8 MRK ergebende Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dann unzulässig ist, wenn die Auslieferung einer Mutter zu einem erneuten Ausbruch einer lebensbedrohlichen Erkrankung ihres Kindes führen könnte (Beschluss vom 14. Februar 2005 - 1 Ak 23/04 -, NStZ 2005, 351 f.). Das OLG Karlsruhe pflichtet in seiner Entscheidung der bisher undurchbrochen herrschenden Auffassung bei, nach der Art. 8 MRK auch bei vorhandenen Kindern die Auslieferung nicht stets hindert. Es eröffnet hingegen eine Ausnahmefallgruppe, die es bei der geschilderten Gefährdungslage für das Kind gemäß Art. 8 MRK im konkreten Fall bejaht. In diesem Beschluss wird ferner ausgeführt, dass schon die Trennung von einem Säugling nach der Rechtsprechung des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 09. November 1999 - 1 Ak 1/99 -) stets die Auslieferung infolge Art. 8 MRK hindert.

Der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet, dass das Strafverfolgungs- und Ahndungsinteresse des ersuchenden Staates nicht absolut ohne jede Rücksicht auf die Schwere des betroffenen Deliktes angesetzt werden kann. Dieser erfordert, dass der erfolgte Eingriff zu dem konkret verfolgten Eingriffsziel nicht außer Verhältnis steht (Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006, a.a.O; vgl. auch Senatsbeschluss vom 28. Dezember 2007 - (2) 4 Ausl 504/99 (416/07) -, StV 2008, 648 f.) In diesem Sinne wird die heute herrschende Auffassung auch bereits öfter dahingehend formuliert, dass Art. 6 Abs. 1 GG (bzw. Art. 8 MRK) "regelmäßig" der Auslieferung nicht entgegen stehen könne (Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006, a.a.O., vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 01. Dezember 2003 - 2 BvR 879/03 -, a.a.O.: "regelmäßig" und OLG Köln, Beschluss vom 15. August 2006 - 6 Ausl 19/06 -).    

Auch der vorliegend vom Senat zu beurteilende Sachverhalt rechtfertigt die Annahme eines Ausnahmefalles, der den aus Art. 6 GG garantierten Schutz von Ehe und Familie vor dem staatlichen Strafanspruch des ersuchenden Staates überwiegen lässt,  mit der Folge, dass ein Auslieferungshindernis anzunehmen ist.

Die konkret durch die Auslieferung drohenden Beeinträchtigungen der Familie sind im Ergebnis nicht mehr denjenigen vergleichbar, die bei einer Aburteilung oder Vollstreckung in Deutschland entstehen könnten. Denn die Auslieferung würde zu einer Trennung der Verfolgten von deren einjährigem Kind führen. Die Betroffene wäre im Falle der Auslieferung rechtlich nicht in der Lage, das Kind Y gegen den entgegenstehenden Willen des Kindesvaters mitzunehmen. Das Kind ist - wie sein Vater - deutscher Staatsangehöriger (§ 4 StAG), da es gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) durch die Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, weil der Vater die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Im Hinblick darauf, dass am 22. Oktober 2008 die Eheschließung  erfolgt ist, kommt es auf die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG nicht an. Das Kind unterliegt dem Mitsorgerecht des Vaters (§ 1626 BGB) mit der Folge, dass diesem hinsichtlich des Aufenthaltes des Kindes ein Mitbestimmungsrecht zusteht. Eine Zustimmung des Vaters des Kindes im Hinblick auf die Mitnahme des Kindes im Falle der Auslieferung der Verfolgten liegt nicht vor. Dass eine solche erteilt wird, ist auch nicht zu erwarten. Jedenfalls würde die Trennung der Verfolgten von ihrem Kleinkind für sie eine über den Zweck der Strafe wegen der ihr zur Last gelegten Taten weit hinausgehende Belastung bedeuten, die unter dem Blickwinkel des § 73 IRG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem in Art. 6 GG statuierten Schutz der Familie nicht mehr verhältnismäßig wäre. Die Auslieferung der Verfolgten würde dem einjährigen Kleinkind die Mutter entziehen und damit das Kindeswohl in einer rechtlich nicht zulässigen Weise nachhaltig beeinträchtigen. Insoweit ist auch die vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobene Gefahr einer Entfremdung und des "Fremdelns" bei Kleinkindern durch die Versagung von Besuchen in der Untersuchungshaft zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 23. Oktober 2006 - 2 BvR 17907/06 -). Auch bei einer Straffälligkeit einer Mutter ist eine Trennung von Mutter und Kleinkind zu vermeiden. Eine gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kleinkind in einer Vollzugsanstalt, wie es etwa § 80 StVollzG für den Strafvollzug in Deutschland vorsieht, kommt im Hinblick auf Polen schon deshalb nicht in Betracht, weil, wie dargelegt, der Verfolgten kein alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht. Vor diesem Hintergrund kann es offen bleiben, ob im Falle der Auslieferung der Verfolgten die Möglichkeit einer gemeinsamen Unterbringung im Mutter-Kind-Vollzug in Polen eröffnet wäre.

Mit Blick hierauf und gemessen an der im unteren Bereich liegenden Gewichtigkeit der Tatvorwürfe kommt angesichts des Alters des - bislang maßgeblich von der Verfolgten versorgten - betreuungs- und pflegebedürftigen Kindes dem aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 MRK garantierten Schutz von Ehe und Familie derzeit größeres Gewicht zu als dem staatlichen Verfolgungs- und Ahndungsinteresse des ersuchenden Staates. Eine Auslieferung der Verfolgten wird hiernach nicht vor Vollendung des dritten Lebensjahres ihres Kindes in Betracht kommen.

Dem stehen die Beschlüsse des Senats vom 23. November 1999 - (2) 4 Ausl. 21/99 (95/99) - , NStZ-RR 2000, 158, und vom 09. Juli 2009 - (2) 4 Ausl. A 69/09 (220/09) - nicht entgegen. Diese Entscheidungen betrafen Fälle, in denen nicht - wie im vorliegenden Fall - Kinder im Alter von einem Jahr betroffen waren.

Nach allem war die Auslieferung der Verfolgten nach Polen für (derzeit) unzulässig zu erklären.

Unabhängig davon ist bei der gegebenen Sachlage davon auszugehen, dass die Verfolgte ihren "gewöhnlichen Aufenthalt" in der Bundesrepublik Deutschland hat, und damit § 83 b Abs. 2 lit. a) und § 83 b Abs. 2 lit. b) IRG Anwendung finden.

Gemäß § 83 b Abs. 2 lit. a) kann die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen ge­wöhnlichen Aufenthalt hat, abgelehnt werden, wenn bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung die Auslieferung eines Deutschen gemäß § 80 Abs.1 u. 2 IRG nicht zulässig wäre. Die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen wäre gemäß § 80 Abs. 1 IRG jedoch nur dann zulässig, wenn gesichert ist, dass der ersuchende Staat nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonsti­gen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in den Geltungsbereich des Bundesgebietes zurück zu überstellen. Dahinter steht der Gedanke, dass der Verfolgte die Möglichkeit erhalten soll, wieder ins Inland zurück zu kehren, weil er zu diesem Staat Bindungen aufgebaut hat, so dass seine Resozia­lisierungschancen durch eine Rückkehr erhöht werden können, wobei insbesondere das soziale Umfeld eine entscheidende Rolle spielt (vgl. EuGH, EuGRZ 2008, 607, 610; OLG Dresden, Beschluss vom 5. Oktober 2006 - OLG 34 Ausl. 46/06). Die Verfolgte hält sich nach eigenen Angaben in ihrer Anhörung vom 31. Oktober 2008 seit Herbst 2005 in Deutschland auf und lebt hier mit ihrem Ehemann und dem gemein­samen Kind zusammen. Sie ist bestrebt, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen, was auf ihren Willen  zum dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet und zur Zugehörigkeit zu Deutschland schließen lässt. Insoweit sind enge Bindungen an Deutschland festzustellen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Resozialisierungschancen der Verfolgten durch eine Rückkehr nach Deutschland wesentlich erhöht würden.

Diesem Umstand wäre bei einem neuerlichen Auslieferungsersuchen dadurch Rechnung zu tragen, dass eine Zulässig­keitsentscheidung des Senates nur mit der Maß-gabe in Betracht kommt, dass der ersuchende Staat nach Ver­hängung einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion der Verfolgten anbieten wird, sie auf ihren Wunsch zur Vollstreckung ins Inland zurück zu überstellen.

Gemäß § 83 b Abs. 2 lit. b) kann die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, abgelehnt werden, wenn bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung  er dieser nach Belehrung zu richterlichem Protokoll nicht zustimmt und sein schutzwürdiges Interesse an der Strafvollstreckung im Inland überwiegt. Ein solches überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Verfolgten ist dann anzunehmen, wenn ein legitimes Interesse besteht, dass die im Ausstellungsmitgliedsstaat verhängte Strafe im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedsstaates vollstreckt wird. In der hierfür notwendigen umfassenden Abwägung sind vorwiegend die persönlichen Belange des Verfolgten zu berücksichtigen, wobei als maßgebliches Kriterium darauf abzustellen ist, ob die Resozialisierungschancen des Verfolgten durch eine Vollstreckung im Inland erhöht werden könnten (EuGH, a.a.O., OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2009, 107 f.). Mit Blick auf die familiäre Situation der Ver­folgten und ihre Bindungen an Deutschland ist bei der vorzunehmenden Interessen­abwägung unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Familie und wegen der erhöhten Resozialisierungschancen im Falle einer Vollstreckung im Bundesgebiet, soweit auf Grund eines möglichen Ersuchens der polnischen Behörden die Übernahme der Strafvollstreckung des polnischen Erkenntnisses erfolgen sollte, vom Vorliegen eines Bewilligungshindernisses im Sinne von § 83 Abs. 2 lit. b) IRG, das der Ausliefe­rung der Verfolgten entgegen steht, auszugehen.

Der Verfolgten bleibt es unbenommen, was der Senat ausdrücklich anregt, sich zur Vermeidung von Weiterungen mit den polnischen Behörden in Verbindung zu setzen und auf eine Klärung der Angelegenheiten hinzuwirken.