LG Aachen, Urteil vom 04.04.2011 - 5 S 202/10
Fundstelle
openJur 2013, 6765
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 07.10.2010 - 120 C 310/10 - wird zurückgewiesen.

              Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

              Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

              Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage Prämienzahlung für den Zeitraum 01.02. bis 31.12.2009 aus einer von der Beklagten zugunsten ihrer beider Töchter abgeschlossenen privaten Krankenversicherung nebst Pflegeversicherung, von der die Beklagte der Ansicht ist, diese mit Schreiben vom 11.03.2009 wirksam gekündigt zu haben. § 13 Abs. 10 der AVB der Klägerin, der in Satz 3 für die Wirksamkeit der Kündigung das Erfordernis aufstellt, dass der Versicherungsnehmer nachweist, dass die betroffenen versicherten Personen von der Kündigungserklärung Kenntnis erlangt haben, sei unwirksam. Jedenfalls aber seien die beiden Töchter im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung über die Kündigung informiert gewesen.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird ergänzend Bezug genommen auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 07.10.2010 (Bl. 109 ff. d.A.), mit dem die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der Prämien in Höhe von insgesamt 2.576,22 € nebst Säumniszuschlag, Mahn- und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt wurde.

Auf die Einlegung der Berufung durch die Beklagte hin haben die Parteien zweitinstanzlich ihre jeweiligen Rechtsstandpunkte vertiefend wiederholt.

Die Beklagte beantragt,

                           

                            das Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 07.10.2010 - 120 C 310/10 -

                            abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

                            die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat sie indes keinen Erfolg.   

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus dem von den Parteien geschlossenen Krankenversicherungsvertrag des Jahres 2005 einen Anspruch auf Zahlung der Versicherungsbeiträge in Höhe von zuerkannten 2.576,22 € für den Beitragszeitraum 01.02. bis 31.12.2009.

Zu Begründung kann auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden. Die Berufungsbegründung gibt lediglich zu folgenden ergänzenden Ausführungen Anlass:

a) Entgegen der mit der Berufungsbegründung geäußerten Auffassung der Beklagten verstößt § 13 Abs. 10 der AVB der Klägerin, der den Nachweis der Kenntnis der betroffenen versicherten Personen von der Kündigungserklärung verlangt, nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB. Die Klausel benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.

aa) Insbesondere ist § 13 Abs. 10 der AVB der Klägerin nicht nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unvereinbar mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der §§ 207, 208 VVG. Denn entgegen der Ansicht der Beklagten ist durch die Neufassung des § 207 VVG die noch von § 178 n Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. geforderte Erbringung des Nachweises durch den Versicherungsnehmer, dass alle versicherten Personen Kenntnis von der Kündigung erlangt haben, mit der Folge, dass § 13 Abs. 7 MB/KK 2008 bzw. § 13 Abs. 10 MB/KT 2009 sowie die entsprechenden Klauseln der MB/KT und insbesondere § 13 Abs. 10 der AVB der Klägerin gegen § 208 VVG verstoßen würden und damit unwirksam wären, nur scheinbar entfallen.

Ließ der Wortlaut des § 178n Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. noch ausdrücklich die Forderung des Nachweises der Kenntniserlangung zu, lautet der Wortlaut des § 207 Abs. 2 Satz 2 VVG nur noch dahingehend, dass die versicherten Personen Kenntnis von der Kündigung erlangt haben müssen, während die genannten Klauseln der einschlägigen Bedingungswerke - vorliegend § 13 Abs. 10 der AVB der Klägerin - nach wie vor die Erbringung des Nachweises der Kenntnis der versicherten Personen durch den Versicherungsnehmer vorsehen.

Dies ist richtiger Ansicht nach jedoch auch nach neuem Recht nicht zu beanstanden (so auch Hütt, in: Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 2009, § 207 VVG Rn. 16). Zwar darf von den Anforderungen des § 207 VVG, da dieser gemäß § 208 VVG halbzwingend ist, nicht abgewichen werden, und verlangt wird - wie von der Beklagten unter Ziff. II. 1. Ihrer Berufungsbegründung zutreffend dargestellt - in der genannten Klausel der Klägerin der Nachweis durch den Versicherungsnehmer, also allein vom Wortlaut her betrachtet eine Mehrbelastung des Versicherungsnehmers. Diesen müsste er jedoch auch ohne ausdrückliche Regelung erbringen, denn die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Kündigung muss die sich darauf berufende Person erfüllen. Ob die versicherten Personen aber Kenntnis von der Kündigung erlangt haben, liegt, da diese Frage nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes tatbestandlich konstitutiv für die Wirksamkeit der Kündigung ist, in der Sphäre des Versicherungsnehmers, der demnach, will er seiner Kündigung zum Erfolg verhelfen, so oder so den geforderten Nachweis beibringen muss (Hütt, a.a.O., § 207 VVG Rn. 16).

Dieses Ergebnis stützen auch die Gesetzesmaterialien. Die Reformkommission hatte gar keinen Änderungsbedarf gesehen und wollte § 200 VVG-E wortgleich zu § 178n VVG a.F. belassen (Abschlussbericht der VVG-Kommission vom 19.04.2004 Abschnitt 2.1, Seite 275, Abschnitt 3.1, Seite 415). Ebenso ging die Bundesregierung in ihrer Begründung zu § 207 Abs. 2 Sätze 1 und 2 davon aus, dass diese " inhaltlich mit § 178n Abs. 2" übereinstimmen (vgl. Begründung zu Art. 1 (§ 207 VVG) RegE Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT-Drucksache 16/3945, Seite 114). Hatte der Gesetzgeber also überhaupt nicht vor, die alte Rechtslage zu ändern, so kann der bloß modernisierte Wortlaut zu keinem - offensichtlich sowieso nicht gewünschten - anderen Ergebnis führen. Die getroffenen Regelungen der AVB sind demzufolge nach wie vor gesetzeskonform und wirksam, die Forderung des Nachweises der Kenntnis der versicherten Personen ist wirksam vereinbart (Hütt, a.a.O., § 207 VVG Rn. 16; a.A. Rogler, in: Rüffer u.a.,  Handkommentar zum VVG, 2008, § 13 MB/KK Rn. 4).

bb) Auch verstößt die Klausel des § 13 Abs. 10 der AVB der Klägerin nicht gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB (so aber die Berufungsbegründung der Beklagten unter Ziff. II. 3.). Sie ist klar, verständlich und begründet die Gefahr der Benachteiligung des Versicherungsnehmers nicht. Ihr Wortlaut verlangt, dass "der Versicherungsnehmer nachweist, dass die betroffenen versicherten Personen von der Kündigungserklärung Kenntnis erlangt haben." Weder bedarf es angesichts dessen näherer Darlegungen, wie dieser Nachweis erbracht werden kann, noch dazu, zu welchem Zeitpunkt die Kenntnis vorgelegt haben muss. Denn die Klausel ist ohne nähere Darlegungen durch die Klägerin aus sich heraus verständlich. So wird aus der Formulierung, dass die betroffenen versicherten Personen von der Kündigungserklärung "Kenntnis erlangt haben" deutlich, dass diese Kenntnis zum Zeitpunkt der Erklärung gegenüber der Versicherung bestanden haben muss. Soweit keine nähere Darlegung zu der denkbaren Art und Weise des Nachweises aus der Klausel ersichtlich wird, ist auch dies nicht zu beanstanden. Das Transparenzgebot will den Verwender nicht zwingen, jede AGB gleichsam mit einem Kommentar zu versehen. Aus ihm ergibt sich auch keine Verpflichtung, die sich aus dem Gesetz oder ungeschriebenen Rechtsgrundsätzen ergebenden Rechte und Pflichten ausdrücklich zu regeln oder den Vertragspartner insoweit zu belehren. Der Verwender darf aus der Gesetzessprache grundsätzlich unbestimmter Rechtsbegriffe verwenden (vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, 69. Aufl., 2010, § 307 Rn. 18), sodass es insbesondere nicht zu beanstanden ist, dass die Klägerin vorliegend den mit dem Begriff des "Beweises" gleichbeutenden Begriff des "Nachweises" genutzt hat.

b) Entgegen der mit der Berufungsbegründung (Ziff. II. 4.) dargelegten Ansicht der Beklagten genügt es auch nicht, dass die Beklagte den Nachweis in der öffentlichen Sitzung vom 31.08.2010 bzw. durch eine entsprechende Anlage zum Schriftsatz vom 21.09.2010 (Bl. 105 d.A.) zur Akte gereicht haben, mithin mehr als ein Jahr nach dem Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist zum 31.05.2009 (nach Eintritt der Versicherungsverhältnisses mit der gesetzlichen Krankenversicherung zum 01.03.2009) sowie mehrere Monate nach Ablauf des mit der Klage geltend gemachten Beitragszeitraums 01.02.2009 bis 31.12.2009.

Ist die Kündigung fristgebunden, so muss auch der Nachweis spätestens zum Fristablauf (hier: 31.05.2009) erfolgt sein (Hütt, a.a.O., § 207 VVG Rn. 17; Voit, a.a.O., § 207 Rn. 15). Eine hiervon abweichende Auffassung, die es ausreichen lässt, wenn der Nachweis bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung erbracht ist oder gar erst hiernach, verkennt, dass der Nachweis eine Wirksamkeitsvoraussetzung ist, vorher also zwar faktisch eine Kündigung im Raum stehenden mag, diese rechtlich jedoch nicht existent ist. Andernfalls könnte, verstriche noch ein längerer Zeitraum bis zum beabsichtigten Eintritt der Rechtswirkungen der Kündigung, die Kündigungsfrist unterlaufen werden, in dem der Versicherungsnehmer nur die Kündigungserklärung fristgemäß vorbringt und sich so Zeit verschafft, die ausstehenden Voraussetzungen zu erfüllen, was aber gerade dem Zweck einer Frist, Rechtssicherheit zu schaffen, nicht dienlich ist.

Als Nachweis der Kenntnis von der Kündigungserklärung hinsichtlich der zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung noch minderjährigen S O ist schließlich auch nicht die Vorlage der Versicherungsbestätigung der gesetzlichen Krankenkasse gegenüber deren Vater, Herrn I O, vom 05.03.2009 ausreichend (Bl. 66 d.A.). Denn dass der ebenfalls sorgeberechtigte Vater der S O - wie nach § 1629 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, 164, 166 BGB erforderlich - von der erst zeitlich später aufgestellten Erklärung vom 11.03.2009 Kenntnis hatte, liegt zwar angesichts dessen, dass die Beklagte vor Abgabe der Kündigungserklärung in den Besitz der Erklärung der Techniker Krankenkasse vom 05.03.2099 gelangt ist, nahe, folgt aber aus der Vorlage der an ihn gerichteten Erklärung allein nicht, zumal diese auch keine Bezugnahme auf die bei der Klägerin bestehende private Krankenversicherung enthält.

c) Soweit die Beklagte unter Ziff. II. 2. Ihrer Berufungsbegründung schließlich annimmt, dass die Klägerin aus § 242 BGB dazu verpflichtet gewesen wäre, die Beklagte gesondert darauf hinzuweisen, dass ihre Kündigungserklärung vom 11.03.2009 (Bl. 67 d.A.) mangels Nachweises der Kenntnis ihrer Kinder nicht die Voraussetzungen des § 13 Abs. 10 ihrer AVB erfüllt, und schon die Absendung - und erst Recht den Zugang - des entsprechenden Hinweises der Klägerin vom 17.04.2009 (Bl. 85 d.A.) bestreitet, kann dahinstehen, ob dieser Hinweis der Beklagten tatsächlich zugegangen ist. Eine Hinweispflicht bestand vorliegend nicht und so spricht denn auch die rechtswissenschaftliche Kommentierung diesbezüglich nur davon, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer zum Nachweis auffordern könne, kündige der Versicherungsnehmer ohne einen solchen Nachweis (Voit, in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl. 2010, § 207 Rn. 16). 

Zwar kann gemäß § 242 BGB selbst eine unberechtigte Kündigung des Versicherungsnehmers zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses führen, wenn der Versicherer die Kündigung dem Versicherungsnehmer gegenüber nicht unverzüglich zurückweist. Die Pflicht zur Zurückweisung ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung aus dem Gebot von Treu und Glauben, dem im Verhältnis von Versicherungsnehmer und Versicherer eine besonders gewichtige Bedeutung zukommt (OLG Karlsruhe, VersR 2002, 1497). Die hieraus entspringende Pflicht des Versicherers entspricht auch dem Gebot der Sorgfalt eines ordentlichen Versicherungskaufmanns, die durch eine möglicherweise unwirksame Kündigung des Versicherungsnehmers entstandene Rechtsunklarheit mit einer ausdrücklichen Antwort zu beseitigen (BGH, VersR 1987, 923). Es liegt gerade bei wichtigen Versicherungen auf der Hand, dass der kündigende Versicherungsnehmer diesbezüglich andere Dispositionen zu treffen gedenkt. Schon insoweit kommt einer Klarstellung der Rechtsverhältnisse erhebliche Bedeutung zu (OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Indes finden die Grundsätze über die Zurückweisungspflicht vorliegend keine Anwendung. Denn das Erfordernis des Nachweises soll nicht den die Kündigung erklärenden Versicherungsnehmer, sondern die versicherte Person schützen und das Bedürfnis dieses Schutzes hat Vorrang vor dem Interesse des Versicherungsnehmers (Prölls, in: Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl., § 178n VVG Rn. 12).  

2. Die Nebenforderungen folgen aus § 8 Abs. 5 der AVB (Säumniszuschlag) der Klägerin und aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB (Mahn- und Rechtsanwaltskosten).

III.

1. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

2. Die Revision war antragsgemäß zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Das Auftreten der unter Ziff. II. 1. a) aa) dargestellten Frage (Vereinbarkeit der Klausel mit §§ 207, 208 VVG n.F.) ist in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten, da § 13 Abs. 10 der AVB der Klägerin inhaltsgleich ist mit § 13 Abs. 10 der Musterbedingungen für Krankheitskosten und Krankenhaustagegeldversicherungen 2009. 

Berufungsstreitwert:    2.576,22 €

Dr. N