OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.11.2009 - 10 A 2849/08
Fundstelle
openJur 2013, 6360
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 1. Oktober 2008 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

I.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen aufgrund des Antragsvorbringens nicht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Abweichung von den Anforderungen des § 36 Abs. 5 BauO NRW über die nutzbare Breite von Treppen und Treppenabsätzen notwendiger Treppen für den Einbau eines Treppenliftes

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW kann die Genehmigungsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Mit dieser Regelung ist ein einheitlicher Abweichungstatbestand geschaffen worden. Der Gesetzgeber hat die frühere Unterscheidung zwischen Ausnahmen und Befreiungen aufgegeben. Aus der Gesetzessystematik folgt, dass Abweichungen grundsätzlich sowohl von zwingenden wie von dispositiven Vorschriften zugelassen werden können. Die Voraussetzungen sind jedoch u. a. unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesbindung der Verwaltung strenger, wenn - wie hier - von zwingendem Recht abgewichen werden soll.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2009 - 10 A 1075/08 -, BauR 2009, 802; Hahn/Radeisen, Bauordnung für Berlin, 4. Aufl. 2007, § 68 (der gleichlautenden Berliner Bauordnung), Rn. 5 und 10.

Für die Zulassung einer Abweichung maßgebend ist entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift die Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen gesetzlichen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen, wobei die tatbestandlichen Voraussetzungen restriktiv zu handhaben sind. Dies gebietet schon allein der Umstand, dass durch die baurechtlichen Vorschriften die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Belange und Interessen regelmäßig in einen gerechten Ausgleich gebracht worden sind und die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzuges ein mehr oder minder beliebiges Abweichen von den Vorschriften der Bauordnung nicht gestattet.

Vgl. OVG NRW a.a.O m.w.N.; s.a. Boeddinghaus/ Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Stand: 1. Juli 2009, § 73 Rn. 24.

Die Abweichung muss mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Dabei handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff. Die Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen steht nicht zur Disposition der am Bau Beteiligten und der Bauaufsichtsbehörde. Auch dem Runderlass der obersten Bauaufsichtsbehörde vom 17. November 2004 - II A 4.R-100/36 -, abgedruckt bei Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW, 11. Aufl., § 36 Rdnr. 20, können keine für das Gericht verbindlichen Kriterien für die Abweichungsentscheidung entnommen werden. Die Auslegung der jeweiligen Norm muss ergeben, welche öffentlichen Belange mit ihr verfolgt werden. Erst dann kann die Frage beantwortet werden, ob die Abweichung gleichwohl mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Außerdem müssen übergreifend die mit dem einschlägigen Recht verfolgten Belange überprüft werden, die sich nicht nur aus dem Bauordnungsrecht ergeben können.

Vgl. OVG NRW a.a.O.; Boeddinghaus/ Hahn/ Schulte, a.a.O., § 73 Rn. 27.; Hahn/Radeisen, a.a.O., § 68 Rn. 12.

Die Regelungen des § 36 BauO NRW dienen sowohl dem Brandschutz als auch der Verkehrssicherheit und damit dem Schutz besonders hochrangiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bewohner und Besucher eines Gebäudes, aber auch dem Schutz der Rettungskräfte. Die Vorschriften zum Brandschutz enthalten ein System von gesetzlich mit dem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit festgelegten Mindestanforderungen, die aufeinander abgestimmt sind, und im Fall eines Brandes eine Selbstrettung oder eine Rettung durch die Feuerwehr gewährleisten sollen. Die ausdrückliche Festsetzung einer Mindestbreite stellt zudem eine Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers dar, die den am Bau Beteiligten Rechts- und Planungssicherheit gibt und die es den Bauaufsichtsbehörden ermöglicht, die Einhaltung der Vorschrift ohne größeren Aufwand festzustellen. Sie dient damit auch dem öffentlichen Interesse daran, aufwändige Einzelfallprüfungen und Auseinandersetzungen über die Frage, ob eine abweichende Gestaltungen noch ausreichend ist, zu vermeiden. Dementsprechend ist im Baugenehmigungsverfahren auf die in der Bauordnung festgelegten Maße abzustellen, so dass eine Abweichung von den entsprechenden Vorschriften über den Brandschutz regelmäßig nicht in Betracht kommt.

Vgl. OVG NRW a.a.O.; OVG Berlin, Urteil vom 29. Mai 1987, a.a.O.

Die Ausführungen in der Zulassungsschrift zum Vorliegen einer atypischen Situation sowie zum Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bzw. zu Art 3 GG und dem Behindertengleichstellungsgesetz können zu keiner anderen Bewertung führen. Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen überwiegen im Regelfall und so auch hier die hochrangigen öffentlichen und privaten Interessen der u.U. auch älteren oder gehbehinderten Bewohner und Besucher das ohne Zweifel beachtliche Interesse eines Einzelnen, die Erreichbarkeit seiner Wohnung in den Obergeschossen zu erleichtern.

II.

Die Rechtssache weist auch keine grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) auf. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine bisher nicht abschließend geklärte und klärungsbedürftige Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch im Berufungsverfahren entscheidungserheblich wäre. Die aufgeworfenen Fragen,

ob im Rahmen des § 73 BauO NRW eine atypische Situation bei der Abweichung von der in § 36 BauO NRW reglementierten nutzbaren Treppenlaufbreite von einem Meter zu fordern ist,

wie weit eine Genehmigung von der Regel des § 36 BauO NRW abweichen kann,

inwieweit der Erlass des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein Westfalen bei der Entscheidung heranzuziehen ist und ob auch hier unter Berücksichtigung der Belange des Betroffenen eine Abweichung von bis zu 20 cm des bestehenden Lichtraumprofils genehmigungsfähig erscheint und damit eine wesentliche Unterschreitung der Mindestlaufbreite nicht anzunehmen ist,

lassen einen allgemeinen Klärungsbedarf nicht erkennen und würden sich in einem Berufungsverfahren aus den oben dargelegten Gründen so nicht stellen.

III.

Das Urteil beruht entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht auf einem Verfahrensmangel, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Die Rüge der Kläger, das Gericht hätte im Rahmen des Vorrangs der Gesetze die Verwaltungsvorschriften zur BauO NRW beachten und die Brandschutzdienststellen hören müssen, verkennt schon die Rechtsnatur der Verwaltungsvorschriften.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.