LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.01.2013 - 6 Sa 1894/12
Fundstelle
openJur 2013, 6035
  • Rkr:

Auch ein Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs kann einer einzelvertraglichen Ausschlussfrist unterstellt werden.

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.08.2012 – 1 Ca 18189/11 – im Kostenausspruch und insoweit geändert, wie der Beklagte zur Zahlung von mehr als 2.187,33 € brutto abzüglich 1.333,82 € netto sowie weiterer 1.644,68 € brutto nebst Zinsen verurteilt worden ist, und die Klage auch insoweit abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben bei einem Streitwert von 9.506,93 € der Kläger zu 73,72 % und der Beklagte zu 26,28 % zu tragen, während die Kosten der Berufungsinstanz dem Kläger bei einem Streitwert von 2.152,69 € brutto auferlegt werden.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten, soweit in der Berufungsinstanz noch von Interesse, über die Abgeltung von 29 Urlaubstagen aus 2010.

Der Kläger stand vom 12.04. bis 31.05.2010 zunächst als Teilzeitkraft in den Diensten des Beklagten. Für die Zeit vom 01.06.2010 bis 31.05.2011 wurde er durch Vertrag vom 31.05.2010 (Ablichtung Bl. 9 bis 15 GA) vollzeitig in der Sechs-Tage-Woche gegen ein Monatsgehalt von 1.930 € brutto weiterbeschäftigt. Aufgrund eines inzwischen rechtskräftigen Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 26.04.2011 steht fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht vorzeitig durch eine Kündigung des Beklagten vom 08. zum 22.11.2010 aufgelöst wurde.

In der Zeit vom 15.11.2010 bis 10.04.2011 war der Kläger arbeitsunfähig krankgeschrieben. Mit Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 14.10.2011 (Ablichtung Bl. 42 bis 43 GA) machte er u.a. Abgeltung seines Urlaubs für 2010 geltend.

Das Arbeitsgericht Berlin hat den Beklagten u.a. verurteilt, an den Kläger Abgeltung für 29 Urlaubstage aus 2010 in Höhe von 2.152,69 € brutto nebst Verzugszinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, von den arbeitsvertraglich vereinbarten 30 Werktagen Urlaub sei dem Kläger unstreitig lediglich ein Tag gewährt worden. Für weitere elf Urlaubstage sei der Beklagte beweisfällig geblieben. Die bloße Eintragung in einem im Kammertermin vorgelegten Urlaubsplan lasse keinen Rückschluss darauf zu, dass dies auch umgesetzt worden sei. Da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers über den 31.03.2011 hinaus angedauert habe, sei der Urlaub in europarechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG über diesen Zeitpunkt hinaus übertragen worden. Ein Zurückbehaltungsrecht habe dem Beklagten nicht zugestanden, weil dieser nicht behauptet habe, vom Kläger die Vorlage einer Urlaubsbescheinigung jemals verlangt zu haben.

Gegen dieses ihm am 10.09.2012 zugestellte Urteil richtet sich die am 04.10.2012 eingelegte und am 07.11.2012 begründete Berufung des Beklagten. Er meint, aufgrund der im Arbeitsvertrag getroffenen Regelung, dass der Urlaub bei Eintritt oder Ausscheiden während eines Kalenderjahrs anteilig gewährt werde, hätten dem Kläger für 2010 allenfalls 28 Urlaubstage zugestanden. Bei der Berechnung müsse außerdem berücksichtigt werden, dass der Kläger zunächst nur in Teilzeit gearbeitet habe. Der Beklagte benennt zwei Zeugen dafür, dass der Kläger mindestens eine Woche Urlaub genommen habe, und bezieht sich auf entsprechende schriftliche Bestätigungen vom 24.09.2012 (Ablichtung Bl. 114 und 115 GA). Der verbliebene Abgeltungsanspruch sei mit Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.05.2011 fällig geworden und sei aufgrund der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist von drei Monaten erloschen. Schließlich sei die Klage schon deshalb abzuweisen, weil der Kläger noch immer keine Urlaubsbescheinigung seines Vorarbeitgebers vorgelegt habe.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter teilweiser Änderung des angefochtenen Urteils auch insoweit abzuweisen, wie er zur Zahlung eines Betrags über 2.187,33 € brutto abzüglich 1.333,82 € netto sowie weiterer 1.644,68 € brutto nebst Zinsen hinaus verurteilt worden sei.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist nicht versäumt zu haben, weil erst mit Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten im Vorprozess durch Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 19.04.2012 festgestanden habe, dass sein Arbeitsverhältnis erst am 31.05.2011 und nicht schon durch die Kündigung des Beklagten am 22.11.2010 geendet habe. Eine Urlaubsbescheinigung könne er nicht vorlegen, weil ihm im vorhergehenden Arbeitsverhältnis für 2010 kein Urlaub gewährt oder abgegolten worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

1. Die Berufung ist begründet.

Der Kläger hat für 2010 keinen Anspruch mehr gegen den Beklagten auf Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG.

1.1 Für 2010 hatte der Kläger gemäß §§ 1, 2 Satz 1, 3 Abs. 1, 4 BUrlG Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen erworben, da sein Arbeitsverhältnis mehr als sechs Monate bestanden hat, ohne dass die Voraussetzungen für eine Kürzung gemäß § 5 Abs. 1 BUrlG erfüllt waren.

1.2 Einen darüber hinausgehenden Urlaub auf arbeitsvertraglicher Grundlage schuldete der Beklagte nicht. Zwar belief sich der Urlaub des Klägers gemäß § 10 Satz 1 Arbeitsvertrag auf 30 Werktage im Kalenderjahr. Dieser sollte jedoch gemäß § 10 Satz 2 Arbeitsvertrag bei Eintritt oder Ausscheiden während eines Kalenderjahrs nur anteilig gewährt werden. Da das Arbeitsverhältnis erst am 12.04.2010 begonnen hatte, konnte sich für acht volle Monate lediglich ein Anspruch auf (30 x 8/12 =) 20 Werktage Urlaub ergeben.

1.3 Der Anspruch auf 24 Werktage gesetzlichen Urlaubs war entgegen der Ansicht des Beklagten nicht deshalb zu kürzen, weil der Kläger zunächst nur an einzelnen Tagen in Teilzeit gearbeitet hatte. Abgesehen davon, dass sich bei einer Verlängerung der Arbeitszeit auch die Dauer des Urlaubs entsprechend verlängert (vgl. BAG, Urteil vom 28.04.1998 – 9 AZR 314/97BAGE 88, 315 = AP BUrlG § 3 Nr. 7 zu I 2 der Gründe), ist der Kläger bereits ab 01.06.2010 in Vollzeit beschäftigt worden. Selbst wenn er überhaupt erst zu diesem Zeitpunkt eingestellt worden wäre, hätte er Anspruch auf 24 Werktage Urlaub erworben.

1.4 Ob dem Kläger für 2010 bereits von seinem Vorarbeitgeber Urlaub gewährt oder abgegolten worden war, was in diesem Umfang einen Anspruch gegen den Beklagten gemäß § 6 Abs. 1 BUrlG ausgeschlossen hätte, brauchte nicht aufgeklärt zu werden. Insoweit hätte es allerdings näherer Darlegung des Klägers bedurft, um dem Beklagten eine Beweisführung zu ermöglichen. Dagegen war es unerheblich, dass der Kläger dem Beklagten bis zuletzt keine Bescheinigung darüber vorgelegt hat, ob und ggf. wie viel Urlaub ihm von seinem Vorarbeitgeber gewährt oder abgegolten worden ist. § 6 Abs. 2 BUrlG gibt lediglich dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Erteilung einer solchen Bescheinigung, nicht jedoch dem späteren Arbeitgeber auf deren Vorlage.

1.5 Im Umfang von einem Urlaubstag ist der Anspruch des Klägers durch unstreitige Leistung am 28.09.2010 gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Der in Ablichtung zur Akte gereichte Urlaubsplan (Bl. 112 bis 113 GA), worin für den Kläger vom 27.09. bis 09.10.2010 insgesamt 12 Tage vermerkt sind, genügte als bloßer Eigenbeleg zur Beweisführung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht. Dies galt auch für die hand- bzw. maschinenschriftliche Bestätigung zweier Mitarbeiter des Beklagten, wonach der Kläger im Oktober 2010 nach der Geburt seiner Tochter mindestens eine Woche Urlaub genommen habe. Es stand lediglich außer Streit, dass die beiden Mitarbeiter dieses Schreiben verfasst haben. Für die inhaltliche Richtigkeit hätten sie jedoch aufgrund des Beweisantritts des Beklagten gemäß § 373 ZPO als Zeugen vernommen werden müssen. Dies war indessen entbehrlich, weil der Berufung ohnehin vollumfänglich stattzugeben war.

1.6 Der Anspruch des Klägers auf Abgeltung seines ihm für 2010 verbliebenen Urlaubs ist jedenfalls gemäß § 21 Abs. 1 Arbeitsvertrag erloschen. Danach waren gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von mindestens drei Monaten seit Fälligkeit des Anspruchs schriftlich geltend zu machen.

1.6.1 Bei § 21 Abs. 1 Arbeitsvertrag handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil der Text des gesamten Vertrags nach dem äußeren Erscheinungsbild vom Beklagten für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und dem Kläger bei Vertragsschluss gestellt worden war.

1.6.2 Diese Klausel war gemäß § 157 BGB nach Treu und Glauben dahin zu verstehen, dass die Geltendmachung innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs erfolgen musste, und ist vom Kläger nach seiner Einlassung im Rechtsstreit auch so verstanden worden. Mit dem Hinweis auf eine Mindestdauer der Frist hat der Beklagte lediglich deutlich gemacht, der entsprechenden Vorgabe in der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts seit dem Urteil vom 25.05.2005 (5 AZR 572/04BAGE 115, 19 = AP BGB § 310 Nr. 1 zu IV 7 d der Gründe) Rechnung tragen zu wollen. Ein Zweifel bei der Auslegung der gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Beklagten hätte gehen müssen, ergab sich daraus nicht.

1.6.3 Da die Ausschlussfrist gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis erfassen sollte und Ansprüche beider Parteien aufgrund strafbarer oder zumindest unerlaubter oder sonstiger vorsätzlicher Handlung ausgenommen waren, lag darin keine unangemessene Benachteiligung des Klägers, die gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Unwirksamkeit dieser Vertragsklausel geführt hätte.

1.6.4 Eine unangemessene Benachteiligung ergab sich auch nicht daraus, dass die Klausel keine ausdrückliche Rechtsfolge für den Fall einer Fristversäumung vorsah. Allerdings erfordert das sog. Transparenzgebot in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen der weitreichenden Folgen von Ausschlussfristen regelmäßig einen dahingehenden Hinweis. Dieser kann jedoch auch in einer optischen Hervorhebung durch die Überschrift „Ausschlussfrist“ gesehen werden (BAG, Urteil vom 31.08.2005 – 5 AZR 545/04BAGE 115, 372 = AP ArbZG § 6 Nr. 8 zu I 5 b cc der Gründe). Dem entsprach hier die Überschrift zu § 21 Arbeitsvertrag „Verwirkung von Ansprüchen“, was durch die Verwendung des Begriffs „Ausschlussfrist“ im Fließtext von Absatz 1 noch verstärkt wurde.

1.6.5 Der arbeitsvertraglichen Einbeziehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs in die Regelung einer Ausschlussfrist stand nicht entgegen, dass nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG von Bestimmungen dieses Gesetzes außer § 7 Abs. 2 Satz 2 nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden kann. Der mit Ende des Arbeitsverhältnisses entstandene und zugleich fällig werdende Abgeltungsanspruch gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG stellt nach Aufgabe der sog. Surrogatstheorie (dazu BAG, Urteil vom 19.06.2012 – 9 AZR 652/10NZA 2012, 1087 R 15 ff.) einen reinen Geldanspruch dar, der sich nicht mehr von sonstigen Entgeltansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis unterscheidet. Er ist deshalb grundsätzlich wie jeder andere Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis zu behandeln und kann damit auch Ausschlussfristen unterliegen (BAG, Urteil vom 09.08.2011 – 9 AZR 365/10 – AP BUrlG § 7 Nr. 55 R 23; ErfK/Gallner, 13. Aufl. 2013, § 13 BUrlG R 14 und 22). Tarifliche Ausschlussfristen betreffen nicht den Inhalt eines Anspruchs, sondern regeln lediglich dessen Fortbestand (BAG, Urteil vom 26.09.2007 – 5 AZR 881/06 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Betonsteingewerbe Nr. 8 zu I 4 der Gründe; a.A. Michael Matthiessen, Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen, 2007, S. 49 ff. und 186). Es verhält sich deshalb beim Abgeltungsanspruch nicht anders als beim Anspruch auf Urlaubsentgelt im bestehenden Arbeitsverhältnis (dazu schon früher BAG, Urteil vom 22.01.2002 – 9 AZR 601/00BAGE 100, 189 = AP BUrlG § 11 Nr. 55 zu A II 4 c der Gründe).

1.6.6 Der Kläger hat die dreimonatige Ausschlussfrist durch das Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 14.10.2011 nicht gewahrt. Sein aufgrund durchgehender Arbeitsunfähigkeit bis zum 10.04.2011 bei europarechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG über den 31.03.2011 hinaus übertragener Urlaubsanspruch (dazu BAG, Urteil vom 07.08.2012 – 9 AZR 953/10 – NZA 2012, 1216 R 32 ff.) hat sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.05.2011 in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt. Dieser ist auch sofort fällig geworden. Dem stand nicht entgegen, dass zu dieser Zeit der Rechtsstreit der Parteien über eine frühere Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung des Beklagten noch nicht abgeschlossen war. Denn der Anspruch des Klägers auf Abgeltung seines Urlaubs für 2010 war nicht vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängig.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Quote für das Obsiegen des Klägers errechnete sich auf

        2.187,33./.     1.333,82+       1.644,68+       1.930,00 Zeugnis        4.428,19 : 9.506,93 = 46,58 %Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zuzulassen, ob der Anspruch auf die gesetzliche Urlaubsabgeltung einer einzelvertraglichen Ausschlussfrist unterworfen werden kann, was bislang nur für tarifvertragliche Ausschlussfristen höchstrichterlich entscheidungserheblich war.