Bayerischer VGH, Urteil vom 30.01.2013 - 5 B 12.1661
Fundstelle
openJur 2013, 5754
  • Rkr:

In besonders gelagerten Einzelfällen ist auch bei nicht getrennt lebenden Ehepaaren anzuerkennen, dass diese melderechtlich jeweils eine alleinige Wohnung haben können.Bestimmung einer Hauptwohnung durch die Meldebehörde; Nicht dauernd getrennt lebende Eheleute mit je einer alleinigen Wohnung Ausnahmefall, Innehaben einer Wohnung

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Februar 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2011 werden aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wohnte bis zum 1. Januar 2011 zusammen mit seiner Ehefrau in S..., ... A... Zu diesem Zeitpunkt bezog er eine Wohnung in der K...straße ..., ... B..., meldete sich dort an und gleichzeitig in A... ab.

Auf Nachfrage der Beklagten bei der weiterhin in A... wohnhaften Ehefrau des Klägers erklärte diese, der Kläger und sie lebten derzeit räumlich getrennt; der Kläger unterhalte in A... keinen Wohnsitz mehr. Von einem dauernden Getrenntleben im Sinne des § 1567 BGB könne dennoch nicht die Rede sein, da sie trotz der – derzeitigen – aus beruflichen und finanziellen Gründen gewählten räumlichen Trennung an ihrer Ehe festhielten. Auf weitere Nachfrage der Beklagten nach der vorwiegend benutzten Familienwohnung teilte die Ehefrau des Klägers erneut mit, jeder Ehepartner unterhielte (nur) eine (eigene) Wohnung, in der sich der jeweils andere nicht bzw. nicht zum Wohnen aufhalte. Die vom Kläger gelegentlich genutzten Büroräume im Anwesen S... in A... seien von ihrer Wohnung räumlich getrennt.

Die Beklagte meldete den Kläger mit Bescheid vom 25. Oktober 2011 rückwirkend ab 1. Januar 2011 wieder für die Wohnung in S... in A... an und setzte diese als dessen Hauptwohnung fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, es erscheine nicht glaubhaft, dass die nach eigenen Angaben nicht dauernd getrennt lebenden Eheleute in der Wohnung der Ehefrau keinerlei Kontakt mehr zueinander hätten, zumal der Kläger Räume im gleichen Gebäude als Büro nutze. Melderechtlich sei es nicht relevant, dass beide Eheleute nur je eine Wohnung unterhielten, da es insoweit lediglich darauf ankäme, ob eine Wohnung zum Wohnen und/oder zum Schlafen genutzt werde. Da davon auszugehen sei, dass die Wohnung in A... von beiden Ehegatten gemeinsam genutzt werde, sei diese von Amts wegen als Hauptwohnung auch des Klägers festzulegen.

Die hiergegen erhobene Klage vom 28. Oktober 2011 wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 15. Februar 2012 ab. Art. 15 Abs. 2 Satz 2 MeldeG sei anwendbar, weil der Kläger volljährig und verheiratet sei und von seiner Ehefrau nicht dauernd getrennt lebe, da die Ehegatten übereinstimmend erklärt hätten, die eheliche Lebensgemeinschaft weiterhin aufrecht erhalten zu wollen. Damit sei Hauptwohnung des Klägers die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie, d.h. hier des Klägers und seiner Ehefrau, da die gemeinsamen Kinder bereits volljährig seien und einen eigenen Hausstand gegründet hätten. Zwar müsse das vom Kläger benutzte Büro der Firma F... im Gebäude S... in A... insoweit außer Betracht bleiben, da der Kläger nach unwiderlegbaren Angaben dort nicht übernachtet habe. Da der Kläger aber laut Auskunft in der mündlichen Verhandlung die Wohnung in A... betreten habe, etwa um seiner Frau die Wäsche zu bringen, und der Kläger weiterhin in A... – wo auch zwei seiner Kinder arbeiteten bzw. teilweise auch wohnten – einen Teil seiner Erwerbstätigkeit ausübe, liege der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Klägers dort. Daher sei gemäß § 12 Abs. 2 Satz 5 MRRG und Art. 15 Abs. 2 Satz 5 MeldeG hier seine Hauptwohnung festzulegen.

Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt, trägt der Kläger vor: Mit dem Bescheid unterstelle die Beklagte ihm einen fiktiven Wohnsitz ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger in der Wohnung seiner Ehefrau S... in A... nicht mehr wohne. Er wohne ausschließlich in B... und habe dort seinen einzigen Wohnsitz, so dass Art. 15 Abs. 2 MeldeG im vorliegenden Fall nicht einschlägig sei. Habe ein Einwohner nur eine Wohnung, bedürfe es der Festlegung einer Hauptwohnung gerade nicht. Die Beklagte habe dagegen den Hauptwohnsitz des Klägers dort festgelegt, wo er gar nicht wohne, nur weil A... nach wie vor den Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen bilde. Dies sei aber ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Melderechts. Die Gründe, die den Kläger und seine Ehefrau veranlasst hätten, getrennte Wohnungen zu nehmen, seien ausführlich und nachvollziehbar dargelegt worden. Der Kläger lebe ausschließlich in B..., da er angesichts von Steuerschulden mit Zwangsmaßnahmen rechnen und ggf. Insolvenz anmelden müsse. Seine Familie sei in und um A... in vielfacher Hinsicht geschäftlich aktiv (Anwälte, Inkassounternehmen). Der Kläger wolle seiner Familie unbedingt Beeinträchtigungen ihrer Reputation aufgrund seiner Probleme ersparen.

Der Kläger beantragt,

das verwaltungsgerichtliche Urteils vom 15. Februar 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2011 aufzuheben.

Die Beklagte hat sich nach Zulassung der Berufung nicht mehr geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt im Übrigen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, weil der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2011 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Zu Unrecht hat die Beklagte zur Bestimmung der Hauptwohnung des Klägers die Regelung Art. 15 Abs. 2 Satz 2 MeldeG herangezogen. Diese Bestimmung geht von dem Regelfall aus, dass Verheiratete, die nicht dauernd getrennt leben, jedenfalls eine gemeinsame Familienwohnung haben, die dann für beide Eheleute als Hauptwohnung festzulegen ist. Allerdings hat die Beklagte bei ihrer Entscheidung verkannt, dass die Anwendbarkeit von Art. 15 Abs. 2 Satz 2 MeldeG – ebenso wie § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG - voraussetzt, dass ein Einwohner tatsächlich mehrere Wohnungen (im Inland) hat (vgl. Medert/Süßmuth, Melderecht des Bundes und der Länder, Stand 05/2012, § 12 MRRG Rn. 9), was beim Kläger jedoch nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht der Fall ist.

Die Meldebehörde hat die Angaben eines Einwohners zu seinem Wohnungsstatus regelmäßig nur darauf zu überprüfen, ob diese in sich schlüssig und glaubhaft sind, da die staatlichen Aufklärungsmöglichkeiten ihre Grenze in dem grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie finden, der es allen staatlichen Organen verbietet, eine in den innersten Lebensbezirk der Familie eindringende Ausforschung ihrer Lebensverhältnisse vorzunehmen (vgl. BremWahlPrüfG (II. Instanz) E. v.17.12.1993 - St 1/93 - juris).

Nach seinen schlüssigen und glaubhaften Angaben im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist der Kläger aus der Wohnung in A..., S... zum 1. Januar 2011 ausgezogen, um seine in A... lebenden und arbeitenden Angehörigen vor Beeinträchtigungen ihrer Reputation aufgrund seiner finanziellen Probleme zu schützen.

Aus einer Wohnung zieht aus, wer sie endgültig oder für längere oder unbestimmte Zeit in der Absicht verlässt, sie nicht mehr als Ort zur Verrichtung der Angelegenheiten des täglichen Lebens, d.h. zum Aufenthalt, Essen und Schlafen zu benutzen (Medert/Süßmuth, a.a.O., § 11 MRRG Rn. 18a). Danach wohnt der Kläger in der Wohnung seiner Ehefrau seit dem 1. Januar 2011 nicht mehr, da er sie seitdem in Kenntnis der melderechtlichen Vorschriften aus den genannten Gründen ganz bewusst nicht mehr zum Aufenthalt, zum Essen und zum Schlafen in Anspruch nimmt. Statt dessen hat er seine – alleinige - Wohnung in B... bezogen, die er seitdem zum Aufenthalt, zum Essen und zum Schlafen nutzt.

Die Beklagte hat dagegen nichts vorgetragen, was ihre Annahme, die Wohnung in A... würde – nach wie vor – von beiden Ehegatten gemeinsam genutzt, erhärten könnte. Entsprechende objektive Tatsachen wie z.B. die Unzustellbarkeit von Postsendungen an den Kläger in der Wohnung in B... oder andere Erkenntnismittel sind nicht ersichtlich.

Aus dem Umstand, dass der Kläger die im Gebäude S... in A... befindlichen Büroräume gelegentlich zum Arbeiten nutzt, kann die Beklagte für ihre Auffassung nichts herleiten. Nach unbestritten gebliebenem Vortrag des Klägers verfügen diese Räume über einen eigenen Eingang und sind von der Wohnung der Ehefrau völlig getrennt. Arbeitet der Kläger daher in den Büroräumen, nutzt er nicht gleichzeitig die Wohnung seiner Frau „zum Aufenthalt, Essen und Schlafen“.

Auch aus dem Vortrag des Klägers, er habe die Wohnung seiner Frau gelegentlich betreten, z.B. um ihr Wäsche zu bringen, ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht, dass die Wohnung S... auch dem Kläger nach wie vor als Wohnung dient. Allein ein solcher kurzer Aufenthalt in der Wohnung der Ehefrau erlaubt nicht den Schluss, der Kläger halte sich dort zu Wohnzwecken auf.

Zuletzt kann allein der Umstand, dass die Eheleute L... an ihrer Ehe festhalten und daher angegeben haben, nicht im Sinne von § 1567 BGB dauernd getrennt zu leben, die Beklagte nicht dazu berechtigen, auf der Grundlage des Art. 15 MeldeG den Hauptwohnsitz des Klägers am Wohnsitz seiner Ehefrau zu bestimmen, nur weil Ehepaare, die nicht dauernd getrennt leben, regelmäßig zumindest eine Wohnung – jedenfalls zeitweise – auch gemeinsam zum Wohnen nutzen. Eine solche Wertung würde verkennen, dass die Anwendung von Art 15 MeldeG (bzw. § 12 MRRG) das Innehaben mehrerer Wohnungen voraussetzt und nach der grundrechtlichen Institutsgarantie von Ehe und Familie die innere Organisation und Arbeitsteilung innerhalb der Ehe allein der Entscheidungsfreiheit der Ehegatten unterliegt. Wenn Eheleute eine andere als die sonst übliche Form der Lebensgestaltung wählen, so verbietet es sich, staatlicherseits das gleichzeitige Innehaben mehrerer Wohnungen einfach zu fingieren. Zwar ist das Melderecht nach der Natur der Sache auf einen einfachen und zügigen Vollzug angelegt und deshalb vom Gesetzgeber von Fragestellungen freigehalten worden, die angesichts der Vielfalt der Lebensgestaltungen zu komplizierten und streitträchtigen Erwägungen Anlass geben (vgl. BVerwG U. v. 20.3.2002 - 6 C 12/01 - juris Rn. 19). Aus der Eigenart des Art. 15 Abs. 2 Satz 2 MeldeG (wie § 12 Abs. 2 Satz 2 MRRG) als typisierender Regelung folgt daher, dass Besonderheiten des Einzelfalles grundsätzlich unbeachtlich bleiben. Das kann aber nicht zu der zwingenden der Unterstellung führen, dass nicht dauernd getrennt lebende Eheleute immer eine gemeinsame Familienwohnung haben müssen. In besonders gelagerten Einzelfällen ist vielmehr ausnahmsweise auch bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehepaaren anzuerkennen, dass diese unterschiedliche Hauptwohnungen haben können (vgl. BVerwG U. v. 4.5.1999 - 1 C 25/98 - juris Rn. 13; BVerwG U. v. 20.3.2002, a.a.O., Rn. 22; so auch: Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 5.5.2004, zitiert in: VG München U. v. 14.6.2006 - M 7 K 05.3511 - juris; Medert/Süßmuth, a.a.O., § 12 MRRG Rn. 29).

Wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Klägers liegt, den das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die bestehenden beruflichen und familiären Bindungen nach wie vor in A... sieht, ist vorliegend nicht von Belang, da der Kläger keine Wohnung in A..., sondern nur eine Wohnung in B... hat, so dass Art. 15 Abs. 2 Satz 5 MeldeG trotz des Festhaltens der Eheleute L... an ihrer Ehe keine Anwendung findet.

Die Festlegung einer Hauptwohnung des Klägers in S..., ... A..., ist daher rechtswidrig und der angefochtene Bescheid ebenso wie das Urteil des Verwaltungsgerichts antragsgemäß aufzuheben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.  

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG).